In Hamburg gibt es seit 50 Jahren eine
starke linkautonome Szene, die im besten Sinne politisch ist. Auch außerhalb
der Stadtgrenzen kennt man die berüchtigten Begriffe „Hafenstraße“, „Rote Flora“
oder „Schanzenviertel“.
In den 1980er waren Konflikte um die besetzten Häuser der
Hafenstraße immer wieder Aufmacher der Tagesschau.
Angestachelt von der Rechtsaußen-CDU unter Echternach und
Perschau verlangten immer mehr Bürger nach einer gewaltsamen Lösung. Die
Hafenstraße müsse geräumt und „ausgeräuchert“ werden, weil sonst der Rechtsstaat
kollabiere.
1981 wurde der aristokratische Nadelstreifen-Sozi Klaus von
Dohnanyi (*1928) Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und tat
seinen berühmten Gorbatschow-Schritt. In einer total festgefahrenen Lage, half
er sich, indem er die Perspektive wechselte.
Ich kenne aus meinem entfernteren privaten Umfeld mehrere
Schilderungen davon, wie Punks nach einer durchzechten Nacht in Berlin kurz vor
der DDR-Grenze auf der Anhalterspur Richtung Transitstrecke standen, auf eine
Mitfahrgelegenheit nach Hamburg hofften und überraschend eine schwere schwarze Limousine
anhielt, in der der Bürgermeister persönlich am Steuer saß, vier von diesen
angeblich so hochgefährlichen „Autonomen“ und „Chaoten“ einlud, ihnen sagte „ihr
habt jetzt die Gelegenheit, wir sind drei Stunden zusammen im Auto, dann redet
euch mal alles von der Seele was euch nicht gefällt“.
Ich war natürlich nicht bei diesen Gesprächen dabei, aber
sicher ist, daß SPD-Bürgermeister von Dohnanyi zu dem Schluß kam, man könne
sich mit diesen Menschen verständigen, wenn man sie ernst nehme und wäre
keineswegs gezwungen, sie aus der Hafenstraße prügeln zu lassen, wie es weite
Teile der Öffentlichkeit forderten.
Der rechtwidrige „Hamburger Kessel“, bei dem 861 Anti-AKW-Demonstranten
1986 bis zu 13 Stunden „eingekesselt“ wurden, hatte die Spannungen nochmals
verschärft. Die Hafenstraßenbewohner rüsteten sich 1987 zur finalen Schlacht,
hatten ihre Häuser mit NATO-Draht verbarrikadiert und hocken mit Wurfgeschossen
bewaffnet auf den Dächern, während 5.000 schwer bewaffnete Polizisten
anrückten, um dem „Schandfleck“ endgültig ein Ende zu bereiten. Bei einer
Erstürmung wurde mit Todesopfern gerechnet, weil beide Seiten zahlreich und zum
Äußersten entschlossen waren.
Dann aber griff von Dohnanyi ein, stoppte die unmittelbar
bevorstehende Räumung, bestand auf einer „politischen Lösung“, weil er daran
glaubte, sich friedlich mit den Bewohnern verständigen zu können.
Das politische Risiko für ihn war gewaltig; er wäre
sicherlich die längste Zeit Bürgermeister gewesen, wenn die Hausbesetzer mit
Gewalt reagiert hätten.
Tatsächlich verstanden sie aber, daß hier ein Ehrenmann sein gesamtes
politisches Gewicht in die Waagschale warf und stellten sich als vorbildliche
Vertragspartner heraus. Man sprach vom „Hafenstraßen-Wunder“; von Dohnanyi
erhielt für seinen Mut später die Theodor-Heuss-Medaille.
Der Friede konnte bis heute weitgehend erhalten bleiben,
obwohl die Hamburger Polizei sicherlich nicht mit allen politischen
Entscheidungen einverstanden war und den Linksautonomen demonstrativ ruppig
begegnet.
Es ist aber auch bei den Uniformierten bekannt, daß die
halbmilitante Szene in der Hafenstraße, der Schanze, der Flora humanistische,
internationalistische Ziele verfolgt und keineswegs in erster Linie Lust an
Prügelleien verspürt.
Beim G20-Desaster im Juli 2017 gingen Polizeikräfte aus ganz
Deutschland gegen die Demonstranten aus ganz Europa vor. Natürlich begingen die
Uniformierten schwere Fehler, griffen unnötig hart zu. Aber es gibt eben auch
die Bilder aus der Schanze, wie Prügeltouristen aus ganz Europa einen schwarzen
Hoodie über ihre Markenklamotten ziehen, so daß nur noch die 400-Euro-Sneaker
und das 900-Euro-Smartphone herausgucken und Läden demolieren.
In ersten Reaktionen forderten natürlich AFDP und CDU
Hamburgs, sowie alle konservativen Journalisten, nun müsse es aber endgültig der
Neuen Flora an den Kragen gehen. Sofort stürmen und räumen!
Die „Chaoten“ bekamen in dieser Lynchstimmung allerdings Hilfe
von völlig unerwarteter Seite. Die Hamburger Polizei wendete sich an die
Öffentlichkeit und nahm ausdrücklich die Schanzenbewohner und
Rote-Flora-Aktivisten aus der Schußlinie. Man kenne sich; die Hamburger
Autonomen hätten mit der G20-Gewalt nichts zu tun gehabt. Es ist eine eigenartige Form der Coexistenz der großen
autonomen Szene in Hamburg und der Polizei eingetreten.
Für Otto-Normal-Bürger wie mich ist das sehr angenehm. Wann
immer rechtsextreme Kräfte von Pegida über AfD über Neonazis, Montagsdemonstranten
und Merkel-muss-weg-Wutbürger Demonstrationen in Hamburg anmelden, sind in
kürzester Zeit um ein vielfaches stärkere Gegendemos des linksautonomen Schwarzen
Blocks angekündigt, so daß die Nazis ganz schnell aufgeben und verschwinden.
Die Hamburger Autonomen stehen dabei nicht allein, haben
viele Unterstützer und es gibt generell wenige Berührungsängste.
Zum 1. Mai am letzten Samstag gab es traditionell
Ausschreitungen. Das gehört zu Hamburg, wie es lange zu Berlin gehörte und
inzwischen wohl auch in Leipzig erwartet wird.
Zur Tradition gehört es auch, daß die Polizei eher ruppig
als sanft darauf reagiert. Ich habe gelegentlich den Eindruck, die Uniformträger
wären besonders darauf bedacht bloß nicht öffentlich zu lasch zu wirken, wenn
es um Linksautonome geht.
[….] Zahl der rechtsextremen Straftaten auf höchstem Stand seit 2001
[….] Insgesamt
habe es im vergangenen Jahr 23.064 rechtsextrem motivierte Straftaten gegeben.
Dies entspreche einer Zunahme um 5,7 Prozent im Vergleich zu 2019. 85 Prozent
der rechtsextremen Straftaten entfielen auf sogenannte Äußerungsdelikte wie
Propaganda, Volksverhetzung und Beleidigung. Auch antisemitisch motivierte Straftaten hätten deutlich, nämlich um
15,7 Prozent, zugenommen. Diese seien
nahezu ausschließlich rechtsextrem motiviert gewesen, betonte Seehofer.
Antisemitischer Hass und antisemitische Hetze seien feste Bestandteile der
rechtsextremen Ideologie. [….]
(Die Zeit, 4. Mai 2021)
Muss dieses bei Linken demonstrativ harte Vorgehen sein?
Die Frage kann man durchaus stellen; insbesondere wenn man
dagegen den kumpelhaften, geradezu komplizenartigen Umgang der Polizei mit
Querdenker-Covidioten sieht.
Da wird tausendfach gegen Anstandsregeln und Maskenpflicht
verstoßen und die Polizei unternimmt nichts.
[…..] Immer feste druff: Hamburgs Polizei ist ihrer harten Haltung gegen
linke Proteste am Samstag treu geblieben. Viele Schanzenbewohner fühlten sich
an G20 erinnert: 1500 Beamte, überall Polizeiwagen, Hubschrauber-Geknatter,
Wasserwerfer – eine beeindruckende Truppenstärke angesichts der eher
überschaubaren Protestlage. Und man fragt sich: Wieso lassen Gerichte und Polizei in diesem Land
monatelang Querdenker, die auf Masken und Abstände pfeifen, bei Demos gewähren
– aber in Hamburg werden linke Proteste im Villenviertel verboten, weil mehr
Personen als angemeldet kommen könnten, und die Schanze mit Wasserwerfern
geräumt, sobald nicht jeder 1,5 Meter Abstand hält? Nur mal zum Vergleich: Im November, die Inzidenz in Hamburg lag
zwischen 130 und 165, gab es zwei Querdenker-Demos in der Innenstadt, mit 650
und 1000 Teilnehmern. Es kam zu zig Corona-Verstößen – die Polizei aber rief
nur freundlich zur Einhaltung der Regeln auf. Dass die zugelassene Personenzahl
massiv überschritten wurde? Egal. Die Polizei räumte den Querdenkern
stattdessen den Weg mit Pfefferspray frei. Im Dezember, das ganze Land mittlerweile im Lockdown, die
Intensivstationen voll, wurde eine Querdenker-Demo in der Hamburger Innenstadt
mit Hunderten Teilnehmern genehmigt. Die Polizei sah sich nicht imstande, die
Versammlung zu verbieten – und kündigte vorab auch noch an, „mit Augenmaß“ auf
Corona-Verstöße zu reagieren und nur im Notfall den Protest aufzulösen. […..]
(Mopo, 03.05.2021)
Was soll der Unsinn? Wieso reagiert die Polizei im
Angesicht immer neuer Rekordzahlen von rechtsextremer Gewalt immer noch so
auffallend hysterisch auf Linke?
Es sind auf den ersten Blick viele verschiedene Anliegen, die
gesellschaftspolitisch konservativ Tickende verfolgen, aber die Stoßrichtung
ist immer gleich: Stark gegen Schwach.
[….] Die angeblich neue Rechte ist die alte. Der lärmende Aufwand, den sie
betreibt, um ihre Ansprüche, Antriebe und Ziele zu rechtfertigen oder zu
verschleiern mag andere Formen haben als vor 85 Jahren, seine Stoßrichtung
führt jedoch genau wie damals ins Antizivilisatorische nach unten. Tatsächlich
bietet die Rechte – auch wie damals – keine wirklich politischen Ziele, nichts
Konstruktives, keine Bewältigungsversuche der sozialen, politischen,
ökonomischen und ökologischen Probleme der Gegenwart, sondern nur Destruktion:
Zerstörung, Gewalt, gigantische Fresssucht und letztendlich todessehnsüchtige
Vernichtung dessen, was die Rechten nicht verstehen, geschweige denn meistern
können. Die neue wie die alte Rechte legen eine barbarische Dummheit und ein
gewalttätiges Unvermögen an den Tag, dessen End-Ziel die Beseitigung der
Gegner, der „Anderen“, die mörderische Lust, der Lust-Mord ist. Das
Pauken-Getöse um angeblich alte Werte, Traditionen, Patriotismus und
Nationalismus ist nur Tarnung. Es geht tatsächlich um das primitive „Wir oder
sie“, eine Maxime, vor deren endgültiger Konsequenz ihre Vertreter immer
weniger zurückschrecken. [….]
(Wolfgang
Brosche, 21.05.2017)
Rechtsextremisten suchen sich die Schwächsten als Opfer,
Linksextremisten die Stärksten.
(….) Da Rechtsextrem im
Gegensatz zu Linksextremen grundsätzlich amoralisch und feige agieren, sind
ihre Opfer ausschließlich unter den Schwachen zu finden:
Schwule, Flüchtlinge, Behinderte, Obdachlose. (…..)
(Werte im wahrsten Sinne, 25.09.2016)
Vergleicht man
Linksextremismus und Rechtsextremismus, gibt es sehr klare Unterschiede.
Während sich die Rechten gewalttätig gegen Minderheiten, Schwache,
Verletzliche, Ausgegrenzte und Friedliche wenden, versuchen Linke eben diesen
Personenkreis zu schützen und wenden sich, wenn überhaupt, gegen die Starken. (…..)
(CDU unterirdisch, 30.08.2015)
Angesichts des Polizeieinsatzes am 01.05.2021 in Hamburg
erwarte ich von linkliberalen Parteien durchaus einen kritischen Kommentar.
Und tatsächlich, vereinzelt wunderte man sich in Hamburgs
Politik.
[….] Einzelne Mitglieder der
Grünen-Bürgerschaftsfraktion beklagen das ruppige Vorgehen der Polizei. Zudem
schildern mehrere Sanitäter:innen, wie sie von der Polizei an ihrer Arbeit
gehindert wurden. Sie seien über einen längeren Zeitraum eingekesselt und so
davon abgehalten worden, medizinische Hilfe für Demonstrant:innen zu leisten.
[….]
(taz, 04.05.2021)
Die Hamburger Grünen-Fraktionsvorsitzende meldete
sich zu Wort.
[….] „Es beschämt mich, dass Hamburg erneut Bilder von Auseinandersetzungen
zwischen Demonstrant*innen und Polizei sendet, die Fragen zur
Verhältnismäßigkeit aufwerfen. Die Berichte auch unserer Demo-Beobachter*innen
werden genau auszuwerten sein.“ […..]
(J. Jasberg, 01.05.2021)
Uiuiui, was sind denn das für Töne von der Unions-treuen
CDU-Fanpartei? Die Polizei ist doch der heilige Gral der CSU. Ob Frau
Jasberg damit ihren Wunschkanzler Söder erfreut?
Nein, das tut sie nicht. Während die grüne Justizsenatorin
die Methode Baerbock wählte und einfach eisern schwieg
– was gehen sie Rechtsfragen in Hamburg an? – fing Hamburgs oberstes
CDU-Fangirl, die grüne Bürgermeisterin Fegebank, ihre polizeikritische
Fraktionschefin ein und legte den klaren schwarzgrünen Kurs der konservativen
Grünen klar per order di mufti fest.
[…..] Die
Grünen waren einst eine polizeikritische Partei. Das hat sich geändert. Aus
großen Kritikern wurden ziemlich beste Freunde. Dabei geht es auch um Macht. Sie habe „grundsätzlich Vertrauen“ in die Arbeit der Polizei,
verkündete Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) am Montagabend –
und beendete damit eine Debatte in ihrer Partei über die Polizeitaktik am 1.
Mai. […..] Fegebanks
„Generalvertrauensbeweis“ für die Polizei ist kein Zufall. Die Grünen wollen
die stärkste bürgerliche Macht werden – und zwar auch im Bereich Innere
Sicherheit. Die einstige Sponti-Truppe will die Innenministerien der Republik
erobern, die letzte Bastion von CDU und SPD. Das aber geht nicht gegen den Polizeiapparat – also geht man auf
Kuschelkurs. […..]
(Mathis Neuburger, 05.05.2021)
Grün liebt jetzt Grün. Wenn die Polizei mal härter zuschlägt
oder ein bißchen was Illegales tut, Menschen während Corona ohne Abstand und
Rechtsgrundlage fünf Stunden einkesselt, gibt es
bedingungslose Unterstützung von den Grünen.