Vielleicht sind es einfach nur meine zufälligen
Lebensumstände, daß ich nie mit männerbündnerischen Strukturen in Kontakt kam.
Meine Großväter waren schon lange vor meiner Geburt gestorben,
meinen Vater sah ich nur sonntags; ihm genügte allerdings seine Kreativität als
Künstler, um mit uns zu spielen. Seine eigenen Kindheitserfahrungen in der
katholischen Kirche und Jungmann-Erfahrungen bei der US-Army hatten dazu
geführt, daß er beide Organisationen zutiefst verachtete. Uniformität, Regeln,
Hierarchien, Gehorsam waren wirklich keine Kategorien, in denen er dachte.
Heute fremdele ich mit dem Erziehungs-Zauberbegriff „male
bonding“, das angeblich so wichtig für Jungs sein soll.
Das kann doch nur essentiell sein, wenn man davon ausgeht,
daß Väter etwas qualitativ vollkommen anderes als Mütter bieten. Was sollte das
sein, außer überkommenen Geschlechterklischees?
In Werbeclips gibt es gerne mit romantischer
Tränenverdrücker-Musik untermalte Szenen, wie Papa dem eben pubertierende Sohn
das Rasieren beibringt, mit ihm Fußball spielt. Die Fahrrad-Stützräder
abmontiert oder den ersten Krawattenknoten bindet.
Ich halte das alles für pathetisch überladenen Popanz. In
der Pubertät wacht man nicht über Nacht mit einem Vollbart auf; die
Gesichtsbehaarung kommt langsam, so daß man automatisch lernen kann damit
umzugehen. Das ist doch keine Raketenwissenschaft. Haar wächst, abschneiden,
fertig.
Ich glaube, es war der Gärtner, der irgendwann meine
Stützräder abschraubte. Offenbar hatte er dabei aber beobachtet, daß ich zuvor
ohnehin nicht mehr mit vollem Gewicht nach links oder rechts driftete. Ohne die
Räder schob er mich noch einmal kräftig an, damit ich Schwung bekam, fertig. Es
ist nur Radfahren. Das kann jeder.
Fußball ist ohnehin ein Proletensport, den ich verachte und
Krawattenknoten brauche ich bis heute nicht.
Daß ich ein Junge und kein Mädchen wie meine damalige beste
Freundin aus dem Nachbarhaus war, musste auch nicht groß erklärt werden. Es
waren liberalere Zeiten, es gab einen Teich und einen See, in dem wir als
Kleinkinder nackt schwammen. Ich erinnere mich beim besten Willen nicht an besonderes
Interesse an anderen Genitalien, aber daß es einen anatomischen Unterschied gab,
war offensichtlich.
Als Pubertierender war ich kein Messdiener, kein Pfadfinder,
sang in keinem Knabenchor, gehörte zu keinem Sportverein.
Die einzige wirkliche Male-Only-Situation gab es im
Sportunterricht 5. bis 10. Klasse. Da ich mindestens ein Jahr jünger als die anderen war; die
beliebtesten Klassenkameraden waren eher zwei oder drei Jahre älter; konnte
ich bei den allgemeinen Pubertätsprahlereien nicht richtig mithalten. Die
Älteren protzten wöchentlich mit erstem Bartflaum, übertrafen sich gegenseitig
mit der Zahl ihrer Haare am Sack. Unser Klassensprecher verdankte fast alle
männlichen Wahlstimmen der ungeheuerlichen Aussage während einer Klassenreise,
er habe schon sechsundsechzig Haare da unten. Das war einerseits enorm, wenn
man selbst mit der Lupe kontrollierte, ob man seine eigene Zahl nicht von zwei
auf vier erhöhen könnte, aber andererseits schwante mir schon, daß der Typ
seinen Altersvorteil ausspielte. Ich müsste nur zweimal sitzenbleiben und könnte in der Sackhaar-Olympiade
der Jungen-Umkleide in die Medaillenränge vorstoßen.
(Wie bestimmt man eigentlich im Jahr 2021 das
Beliebtheitsranking in Unterstufen-Jungen-Umkleiden; nachdem nun die radikale
Körperhaarlosigkeit Mode ist?)
Nach der Pubes-Zählungen wurden die
Mädchen-Erfolgsgeschichten zu dem Thema der Sportumkleide. Küssen, Knutschen,
Necking, Petting, Verkehr – wer hatte schon was gemacht und wie oft und wie
lange?
Wer am meisten vorweisen konnte, stieg in der Umkleide-Hierarchie
weit auf.
Das Thema war, a posteriori betrachtet, wenigstens
insofern interessant, da ich glücklicherweise in der Zeit vor Internet und Klugtelefon aufwuchs.
Wir hatten alle noch nie einen Porno gesehen, machten unsere
ersten sexuellen Erfahrungen selbst.
Aber dennoch war ich mit 12, 13 Jahren schlau genug, um den
Mitschülern, die von ihren ausschweifenden sexuellen Erfahrungen berichteten,
nicht zu glauben.
Später, als ich auch etwas zu erzählen gehabt hätte, war ich
im Gegensatz zu vielen älteren Mitschülern reif genug, um das eben nicht in der
Umkleide allgemein zu besprechen.
Ich war froh, als ab der elften Klasse, in die ich im Alter
von 15 Jahren kam, die Sportgeschlechtertrennung aufhörte.
Den Sportunterricht hasste und verachtete ich zwar noch viel
mehr, weil ich inzwischen Revoluzzer war und grundsätzlich die Notenvergabe aufgrund
körperlicher Fähigkeiten ablehnte, aber die Jungs-Sex-Prahlerei aus der
Umkleide vermisste ich nicht.
Nach der Schule musste ich als US-Amerikaner nicht zur
Bundeswehr oder dem Zivildienst, es gibt in Hamburg keine Schützenvereine und
schon gar nicht zog es mich jemals in Segelvereine, die damals immer noch keine
Frauen aufnahmen.
Für den erzkatholischen heiligen CSU-Gral
Männerverein Tuntenhausen (KMVT), den 1945 vom Alois Hundhammer gegründeten ultrakonservativen
Verein, habe ich nur Verachtung übrig.
Unter welchen Störungen leiden diese
Cis-Heteros, daß sie neben ihrem Katholizismus, der ohnehin schon Frauen als so
minderwertig erachtet, daß sie noch nicht mal das minderste geistliche Amt
annehmen können, einen noch exklusiveren frauenfreien Club
benötigen?
Fehlt mir irgendwas; bin ich
fehlentwickelt?
Ich kann mir keine Situation vorstellen, die mich dazu triebe, mein Heil in
100% männlicher Umgebung zu suchen. Wieso reagieren Männer bis heute dermaßen
hysterisch, wenn Frauen in bisherige Men-only-Berufe wie Bundeswehr,
Schiffskapitän oder DAX-Chefetage vordringen?
Geschlechtsexklusivität ist sicherlich ein Vorteil, wenn es
sich um Lesben oder Schwule handelt, die gezielt Kopulationen anbahnen.
Dafür kann ich zur Not Verständnis aufbringen; Lesben-Abschleppschuppen
oder schwule Dark Rooms. Aber wenn man nicht nach homosexueller Triebabfuhr strebt, macht
es doch keinen Sinn, eine Hälfte der Gesellschaft auszuschließen.
Es gibt allerdings kulturelle, meist religiöse Zwänge, welche
die heterosexuelle Triebbefriedigung erschweren, so daß männliche
Homosexualität zu einem Ventil werden kann.
(….) Das ist eigentlich gar nicht merkwürdig, daß Männerbünde – freiwillige und
unfreiwillige – mit unterdrückter Homosexualität erfüllt sind.
Freiwillige Frauenfreiheit wie in Priesterseminaren, bei den US-Boyscouts
oder dem Vatikan haben a priori einen überproportional hohen Schwulen-Anteil,
weil sie für die Männer besonders attraktiv sind, die kein Interesse an Frauen
haben.
Dieses Argument entfällt beispielsweise bei deutschen Protestanten, weil
dort auch und gerade Frauen Geistliche werden. Dementsprechend gibt es unter
evangelischen Pastoren ganz durchschnittlich viele Schwule, während sie bei den
Katholiken extrem geballt auftreten.
In andere männerbündnerische Verhältnisse begibt man sich nicht unbedingt
freiwillig; oder zumindest nicht explizit wegen der Abwesenheit von Frauen:
Gefängnis, Wehrdienst, Jungsinternate, Sportvereine, Armee, Messdiener.
Auch hier kommt es zu überdurchschnittlich viele homosexuellen Handlungen.
Ursache dafür ist aber nicht der grundsätzlich höhere Schwulenanteil,
sondern die Kombination aus bei fast allen Menschen vorhandener partieller
Bisexualität und dem Mangel an heterosexuellen Gelegenheiten.
Es gibt sogar Begriffe dafür wie „knastschwul“. Damit ist eine Art
Generalentschuldigung für rein heterosexuelle Männer gemeint, die wegen der
Alternativlosigkeit mit anderen Männern kopulieren.
Die homophilien Schwingungen altehrwürdiger Bildungsanstalten wie
englischen Eliteschulen sind legendär und seit Jahrhunderten Gegenstand der
Literatur.
Dafür stehen beispielsweise Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings
Törleß“ von 1906 oder das 1981 von Julian Mitchell verfasste Theaterstück
„Another Country“, welches im Jahre 1984 kongenial von Marek Kanievska mit
Rupert Everett und Colin Firth verfilmt wurde. Hier wird das Eton College der
1930er Jahre in seiner ganzen Pracht ausgebreitet.
Evelyn Waugh schildert in seinem Jahrhundertroman „Wiedersehen mit
Brideshead“ von 1944 genauso erotische Schwingungen zwischen den Hauptpersonen
im England der 1920er wie dem 1913 geschriebenen und 1971 posthum
veröffentlichten E.M. Forster-Roman „Maurice“, der im viktorianischen Cambridge
spielt.
Ob so viele derartige Romanzen unter Männern überhaupt stattgefunden
hätten, wenn sie während ihrer Pubertät nicht strikt von Mädchen abgeschirmt
gewesen wären und in Schlafsäle mit vielen anderen hormonüberfluteten Jungs
gestopft worden wären, wage ich zu bezweifeln.
Offensichtlich sind sie diejenigen Mächtigen, die so sehr darauf dringen
keine Frauen in ihre Institutionen zu lassen durchaus darüber bewußt damit den
perfekten Nährboden für nächtliches Necking unter Nackten zu schaffen. (…..)
(Wenn Frauen fehlen, 20.09.2020)
Tatsächlich
kann ich aufgrund meiner bisherigen Lebensumstände, die frei von jeden
Männerbünden waren, keine derartigen Erfahrungen beisteuern und nur ganz
nüchtern feststellen, als rein zufällig als weißer Cis-Mann Geborener, nicht
den geringsten Antrieb zu verspüren mich einer frauenfreien Umgebung
anzuschließen.
Ich möchte
nicht mit Männern jagen gehen, nach dem Fußball „grab’em by the pu**y“-boytalk
machen und fühle mich nicht wohl in einer zufälligen Feierabend-Männerrunde, in der
alle mehr oder weniger scherzhaft über ihre Ehefrauen klagen. Dieses Al Bundy-Syndrom
der Lang-Verheirateten ist lächerlich.
Ich verstehe
auch nicht den scheinbar ganz natürlich
eintretenden Hang zur Vulgarität und Aufschneiderei, wenn Männer unter sich
sind.
Typische
Männer, die Männerdinge machen, interessieren mich nicht.
Selbst wenn ich
selbst eine männliche Episode habe – zum Beispiel verwandele ich mich
bedauerlicherweise im Baumarkt in einen Klischeemann und verspüre einen
extremen inneren Drang, mir Werkzeuge, Schrauben und Nägel zu kaufen – finde ich
mich selbst dabei lächerlich.
Da ich zufällig
ein Mann bin, habe ich zwar wenig, aber doch etwas Einblick in reine
Männerwelten. Es bleibt die
Frage, ob reine Frauenwelten die Besseren sind.
Im Gegensatz zu
unnützen freiwilligen Männerbünden, gibt es durchaus sinnvolle Frauenbünde
dort, wo sie bisher drastisch minderrepräsentiert waren, oder wo Frauen
gefährdet sind, Opfer zu sein. Frauenhäuser sind
natürlich notwendig. Frauen sind
gezwungen mehr zu netzwerken, weil sie einen religiös bedingten 2.000-jährigen
Rückstand aufholen müssen.
Ich mutmaße
aber weiterhin, daß frau sich nicht auf Frauensolidarität verlassen sollte,
sondern auch von ihren Geschlechtsgenossinnen gnadenlos gemobbt werden kann.
Und ich nehme
an, daß ich nicht nur ein merkwürdiger Mann bin, sondern als Frau ähnlich
merkwürdig wäre. Ich war noch
nie Frau und kann mich mutmaßlich nicht in alles hineindenken, aber
Frauenliteratur à la Hera Lindh und Gaby Kaufmann ist grauenvoll, Frauen-TV wie
Heidi Klumps Modelshow ist abartig und die Frauenzeitschriften von Das Goldene Blatt bis Frau im Spiegel sind das Unterste des
Unteren.
Ich mutmaße
weiterhin, daß viele Frauen mir in den Punkten zustimmen. Wieso sollte es
überhaupt eine leichtere und intellektuell verzwergte Literatur-Form extra für
Frauen geben?
Die unendlichen
Weiten der Medienwelt klärten mich just via VOX darüber auf, wie sich die
moderne Frau in Berlin-Mitte entspannt und sich ihres Frauseins bewußt wird.
Der Megatrend
seit 2019 lautet „Yoni-Steaming“. Dabei wird die
eigene Vulva mit einer Kräutermischung bedampft. Natürlich ist
das keine neue Erfindung, sondern wie alle Esoterik-Trends aus Asien, in diesem
Fall Indien, adaptiert.
[….] Zuerst machen wir eine kurze Meditation
zum erden und ankommen. Dann erkläre ich nochmal den Ablauf und du hast die
Möglichkeit dir Gedanken zu machen, was deine Intention für diesen Steam sein
kann (falls du das nicht schon getan hast). Jede bekommt einen speziellen Yoni
Steam Hocker und wir stellen den heißen Kräutersud darunter und sorgen dafür,
dass die Temperatur angenehm ist. Sobald alles fertig vorbereitet ist, setzt du
dich mit deinem Handtuch und einem langen Rock über das Loch vom Hocker. Dann
leite ich den Yoni Steam mit geführter Meditation, Visualisierungen und
Atemübungen an. Nach dem Steam gibt es noch mal eine Entspannung im liegen. [….] Die Yoni Steam Zeremonie dauert
ungefähr zwei Stunden. Es gibt maximal sechs Teilnehmerinnen. Du musst zu
keinem Zeitpunkt nackt vor den anderen Teilnehmerinnen sein (wir tragen einen
langen Rock). Mit meiner Anleitung macht jede das Ritual ganz für sich. [….]
(Mahina-Leipzig)
Man kann beispielsweise
im Berliner Waxing-Geschäft „Honigseele“ für
günstige 490 Euro ein Schoßgesundheitspaket erwerben.
[…..] Für Deine Schoßgesundheit biete
ich Dir folgendes Paket an: 490 €
4 Yonisteamingsessions inkl. Massage, Wert 360 Euro
eingehende Beratung/Anamnese und abgestimmte Kräuterrezepturen, Wert 90
Euro
8 Yonisteaming Heilkräutersets für zu Hause, Wert 40 Euro
daily-stress-release Videoanleitung inkl. Audioversion, Wert 50 Euro
Yonisteaming at home Videoanleitung, Wert 50 Euro
Yonisteaming Einzelsession basic
45€ 30 min
Ein Yonisteaming mit kurzer Anamnese
zum Ausprobieren oder als Folgebehandlung.
Yonisteaming Einzelsession grande
90€ 70 min
Ein Yonisteaming mit ausführlicher
Anamnese und anschließender Heilbehandlung. […..]
(Honigseele Heilwissen)
Mitten im Laden, vor der Theke, setzt frau sich also auf
einen IKEA-Hocker, dem vorher die Sitzfläche entfernt wurde.
Sie ist dabei unten ohne wie Oskar Matzeraths berühmte
Kaschubische Oma aus Günther Grass‘ Blechtrommel, die unter ihren vielen Röcken
einen glühenden Ziegel verbarg, um sich den Hintern warm zu halten. Und
gelegentlich desertierende Soldaten darunter zu verstecken, die zum Dank….,
aber das ist eine andere Geschichte.
Der moderne Berlinerin sitzt also nur notdürftig durch
halbdurchsichtige Vorhänge im Schaufenster von der Außenwelt getrennt,
breitbeinig auf dem halben IKEA-Hocker; man schiebt ihr einen Topf mit heißem
Wasser und ein paar Kamillenteebeuteln unter die Röcke, spricht ein paar
bedeutungsschwangere OMs, um sich dann coram publico die Vagina ätherisch ölen
zu lassen.
Da das so etwas albern klingt, sagt man natürlich nicht „Scheide“
sondern auf Sanskrit „Yoni“, kombiniert mit dem englischen Wort für Dampf.
Nein, das würde ich als Frau nicht machen. Da bin ich sicher.
Zumal ich eben entdeckt habe, daß es auch das männliche
Gegenstück, das LINGAM-Steaming im esoterischen Angebot gibt.
Das gemeinsame Kräuterliche Bedampfen des Penis.
Machen das vielleicht die konservativen CSUler in
Tuntenhausen?