Freitag, 3. Januar 2020

Tödliche Gefahr durch Dummheit





Das war ja ganz schlau – Trump zieht auf Bitten Erdogans die US-Truppen aus Syrien ab. Dort hatten die iranischen Al-Quds-Brigaden zwar tatsächlich den IS weitgehend vertrieben, aber der Bürgerkrieg tobt weiter. Trump unterschrieb das Todesurteil für viele Kurden, die bis eben die engsten Verbündeten der USA waren, lieferte sie der brutalen türkischen Willkür aus.
Vor allem aber bescherte das Weiße Haus damit dem Iran und Russland einen enormen Erfolg. Ihr Einfluss im Irak und in Syrien, dem ehemaligen Kalifatsgebiet ist enorm gestiegen. Putin kontrolliert Assad und Chamenei kontrolliert die schiitischen Gebiete.
Trumps fanatischer FOX-Basis sind solche Zusammenhänge viel zu kompliziert. Sie sind begeistert über Trumps eingehaltenes Versprechen Soldaten aus Syrien zurück nach Hause zu holen.


Wenige Wochen später schickt Trump erneut Tausende GIs in die Region; diesmal in den Irak, um die eben noch von ihm selbst bestärkten Iraner zu bekämpfen. 


 Es reicht Trump aber nicht mit maximaler Dummheit und Arroganz ein Chaos anzurichten, sondern heute schlug er mit dem Raketenangriff auf den legendären, im Iran als großem Held verehrten General Ghassem Soleimani noch einmal mit aller Kraft genau auf ein Wespennest. 



 Das passiert also wenn ein völlig ungebildeter Rassist, der sich selbst mit allen Tricks um den Militärdienst drückte, nie ein Buch gelesen hat und die Aufmerksamkeitsspanne einer Seifenblase hat, sich von seinen Hassgefühlen leiten lässt.


 Offenbar sind die Administration des Weißen Hauses und das Pentagon gleichermaßen intellektuell so ausgedünnt, daß niemand dem orangen irren Orang in den Arm fällt, wenn er sich bemüht die Welt in Brand zu stecken.


 Trump setzt um, wie er immer gedacht hat. Primitiv, unwissend, rücksichtslos.



 Offenbar ist IQ45 so verblödet zu glauben, daß militärische Eskalation zu einer Art offener Feldschlacht führt, die er aus sicherer Entfernung in Mar A Lago locker gewinnen kann. Er fühlt sich schließlich als kompetenter als alle US-Generäle zusammen und behandelt die gewaltige US-Militärmacht als sein persönliches Eigentum.
Nachdem die drei ihn einhegenden Generäle aus Verzweiflung alle geflohen sind und nur noch eine Hobby-Handtaschendesignerin und ein gescheiterter New Yorker Jung-Immobilieninvestor als Berater übrig geblieben sind, gibt es niemand mehr, der dem Präsidenten erklärt in welchem Jahrzehnt und welchem Jahrhundert wir leben.
Es gibt keine förmlichen Kriegerklärungen mehr. Es gibt auch keine Schlachten, die sich wie beim Quartett-Spiel entlang der Größe des Waffenarsenals entscheiden.


Nein, der Krieg tobt bereits seit Trump vor anderthalb Jahren so vollkommen wahnsinnig war aus dem Iran-Atom-Deal, an den sich Teheran peinlich genau hielt, auszusteigen.
Der orange Depp, der Windmühlen für krebserzeugend hält, wähnt sich immer noch in seiner halbseidenen Geschäftswelt, in der er renitente Businesspartner mit Drohungen, Klagen, Erpressung und Schmutzkampagnen soweit einschüchtern kann, bis er bekommt was er will.
Überraschung, mit den über 80 Millionen Menschen der schiitischen Republik funktioniert das nicht.
Chamenei, Rohani und Soleimani sind nicht annähernd so verblödet wie der US-Präsident. Natürlich wehren sie sich, aber natürlich tun sie das nicht in offener Feldschlacht wie im 19. Jahrhundert und rollen an der Spitze ihrer Reiter persönlich an.
Nein, der Iran nimmt Einfluss und er hat viel Einfluss in seinen Nachbarstaaten.
Teheran verfügt auch über leistungsstarke Raketensysteme, aber wieso sollten die zum Einsatz kommen, wenn  man effektiver Nadelstiche einsetzen kann. Atom-Diplomatie, Unruhen im Libanon, in Syrien, Cyberwar-Attacken, Blockade des Golfs von Oman, um die Lebensader Bahreins, Kuwaits, Katars und der VAE abzuschneiden und natürlich Anschläge auf Schiffe, Raffinerien und nun auch so ziemlich jedes Ziel auf der Welt, das irgendeine symbolische Bedeutung für Israel oder die USA hat.
Der Instrumentenkoffer der Grausamkeiten ist prall gefüllt.
Ob nun Berlin, Israel oder Saudi Arabien – jeder muss nun besorgt sein.
Der Iran ist fest entschlossen und auch geschlossen – da der Druck Trumps die liberaleren und prowestlicheren oppositionellen Kräfte in das Lager der Hardliner getrieben hat.

Und nun? Es wäre ja schön, wenn die vernünftigen Kräfte der Welt, EU gemeinsam mit Russland alles unternähmen, um Teheran und Washington, aber auch Jerusalem und Ankara wieder auf diplomatischen Kurs zu bringen.
Durch 15 Jahre extremstes Merkel-Phlegma, den politisch-geistigen Totalausfall Englands und das Alleinlassen Macrons hat Europa aber jeglichen Einfluss verloren.

[….] Dass die EU im Ungefähren bleibt, ist womöglich nur konsequent - denn sie hat in der Region nicht mehr viel zu melden, seit der Iran-Atomdeal de facto gestorben ist. "Die EU hat es leider weder geschafft, das Atomabkommen nach der Kündigung durch die USA aufzufangen, noch konnte sie sich als Vermittlerin im Irak positionieren", sagt die Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann.
Ein EU-Diplomat formuliert es deutlicher: "Die Amerikaner hören eh nicht auf uns." Und die EU habe Iran praktisch nichts mehr anzubieten, seitdem klar geworden ist, dass europäische Unternehmen nicht mitmachen wollen bei dem Versuch, die neuen US-Sanktionen gegen Iran zu ignorieren. Damit ist die Grundlage für das Atomabkommen - die Aufhebung der Sanktionen für iranisches Wohlverhalten - weggefallen. […..] Der CDU-Sicherheitspolitiker Michael Gahler befürchtet, dass es im Extremfall sogar zu US-Angriffen auf Iran selbst kommen könnte. "Iran wird in irgendeiner Form auf die Tötung Soleimanis reagieren", so Gahler. "Sollte beispielsweise ein ranghoher US-Vertreter getötet werden, weiß ich nicht, wo das enden würde. Präsident Trump käme womöglich sogar auf die Idee, Teheran bombardieren zu lassen." [….]

Womöglich könnte eine starke Achse London-Moskau-Berlin-Paris-Rom, die gemeinsam nach Washington und Teheran fliegt, etwas ausrichten.
Aber nachdem Merkel das Tischtuch zwischen ihr und Putin zerschnitt, interessierte sie sich generell nicht mehr für Politik. Die Regierung in London ist vollkommen wahnsinnig geworden, Rom ist ohnehin im Chaos versunken und Macron hat inzwischen gelernt, daß er sich auf Berlin jedenfalls nicht verlassen kann.

Donnerstag, 2. Januar 2020

Politikerbilder


Wenn Umweltkatastrophen, verheerende Unglücke oder Terroranschläge eine Nation treffen, spielen die Bilder eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Für die Regierung gilt es dann den Spin unter Kontrolle zu bekommen, eine eigene Storyline zu entwickeln, um den Opfern gerecht zu werden, den Wiederaufbau zu ermöglichen, das Land zusammen zu halten.
Dazu gehören die obligatorischen Bilder der Spitzenpolitiker am Unglücksort.
Der Regierungschef muss sich selbst ein Bild machen, als ob er ein Feuerwehr-Kapitän wäre, der anschließend professionell die Rettungsarbeiten leitete.
Das ist natürlich ganz großer Blödsinn. Wenn der Politikertross mit Sicherheitsleuten und Journalisten im Schlepptau am Unglückort einfällt, behindert das die Ersthelfer/Ärzte/Feuerwehrleute. Richtig arbeiten können sie erst wieder, wenn die Regierungsvertreter wieder abgehauen sind und ihre Selbstvermarktungsbilder für die Nachrichtensender im Kasten haben.
Man sollte meinen, daß bei der enormen Bedeutung der heutigen Medien jemand mit den Ressourcen einer Regierung entsprechende hochkompetente PR-Fachleute zur Verfügung hat.
Der Tenor, mit dem über ein Ereignis berichtet wird, ist schließlich oft wichtiger als das Ereignis selbst.


Wir trauern seit zwei Tagen um die 30 Krefelder Affen, die mit ihrem Affenhaus durch Silvesterfeuerwerk verbrannt sind.
Wir trauern gar nicht um 4.000 im völligen Elend frierende Kinder auf Lesbos, verschwenden keinen Gedanken an über 3.000 Flüchtlinge, die 2019 im Mittelmeer ertrunken sind und auch die 500 Millionen in Australien verkohlten Tiere spielen in der teutonischen Gefühlswelt des gemeinen Germanen derzeit keine Rolle.

[…..] Around 480 million animals are feared to have died in the bushfires sweeping Australia, including nearly a third of the koalas in New South Wales's main habitat.
Ecologists at the University of Sydney estimate around 480 million mammals, birds and reptiles have been killed, directly or indirectly, by the devastating blazes since they began in September, The Times reported.
This includes almost 8,000 koalas, which are believed to have burnt to death on the state’s mid-north coast. […..]

Wir konzentrieren uns emotional nicht auf die Affen, weil das schlimmer als die Australische Katastrophe ist, oder weil uns menschliche Schicksale auf Lesbos als harmloser erscheinen.
Nein, wir wägen gefühlig zu Gunsten der Krefelder Primaten ab wegen der Berichterstattung. Alle Boulevardsender, BILD und Morgenpost, die sozialen Medien deklinieren das Thema rund um die Uhr durch. Wir haben die heulenden Stamm-Zoobesucher beim Kerzen-Anzünden gesehen, die einzelnen Affen vorgestellt bekommen und die abgebrannte Ruine gesehen.
Menschliches Mitleid funktioniert nur mit Bildern und nicht durch abstraktes Wissen.
Ein Regierungspolitiker wäre absolut naiv sich nicht über die Macht der Bilder bewußt zu sein und das zum Guten, oder aber auch zur Eigen-PR zu verwenden.

Verblüffenderweise ist aber eine professionelle PR-Abteilung nicht ausreichend, Der Toppolitiker benötigt außerdem Empathie und eine scharfen Instinkt für mediale Situationen.

Angela Merkel beispielsweise ist sich stets über die Macht der Bilder bewußt. Sie weiß immer ganz genau wo die Kameras stehen, sie kennt jeden Fotographen und kontrolliert immer die Situation. Seit vielen Jahren passieren ihr keine peinlichen unvorteilhaften Aufnahmen mehr, wie sie in ihren ersten Jahren als Bundesministerin unter Kohl noch üblich waren.
Aber sie ist nicht fähig Emotionen zu verbreiten und verkalkuliert sich beim Umgang mit aufgewühlten Menschen. Daher meidet sie solche Situationen und lässt sich so gut wie nie an Unglückorten blicken.
George W. Bush war so ein Mittelding. Ihm unterliefen heftige mediale Fauxpas. Für immer wird ihm anhängen, wie er im August 2005 nach der Megakatastrophe des Hurrikans Katrina nur mit dem Flugzeug über New Orleans flog. Es stimmte zwar was er sagte, sein Präsidententross hätte die Rettungsarbeiten nur behindert. Aber GWB hatte überhaupt nicht den verheerenden Eindruck einkalkuliert, densein Gesicht, das Gesicht des Multimillionärs und US-Präsidenten hinter dem Fenster eines Superluxusflugzeugs machte, wenn er in hohen Sphären über den Bitterärmsten schwebt, die gerade alles verloren haben.
Anders war es allerdings beim 9/11-Terroranschlag.
Damals produzierte er die richtigen Bilder, als er mit Feuerwehrjacke mitten im Chaos auf ein Auto kletterte und über Megaphon das Land zum Zusammenhalt aufrief. Nie wieder hatte er so hohe Zustimmungswerte.
Sein Nachfolger Barack Obama war sehr viel besser als Nationentröster. Er traf sich nach allen Mass-Shotings mit den Opfern, hörte zu, war emotional und fand stets die richtigen Worte.
Unübertroffener Meister dieser Disziplin war allerdings Bill Clinton, der wie kein anderer sowohl im direkten Gespräch mit Bürgern, als auch mit Menschenmassen, Mobs, Trauernden umgehen kann. Ein Jahrhunderttalent, der alle beeindruckte und überzeugte, die er persönlich traf.
Ich nehme an, daß er sehr viel Zeit damit verbracht hat seiner Frau zu erklären, wie er das eigentlich anstellt. Hillary Clinton ist ebenfalls hochintelligent und wird es rational sicherlich verstanden haben, ist aber dennoch in dieser Disziplin unfähig.
Justin Trudeau kann ebenfalls nahezu perfekt medialen Spin erzeugen, Bilder produzieren und mit Menschen im direkten Gespräch agieren.
Schon vor seiner ersten Wahl zum Regierungschef kannte die Welt die Bilder, wie er mitsamt Kind und Kegel fröhlich feiernd bei Pride-Märschen zwischen Myriaden Schwulen feierte.
Natürlich kennen allen anderen liberalen oder linken Politiker auch das LGBTI-Wählerpotential und gehen ebenfalls zu CSDs. Aber auch wenn man Olaf Scholz natürlich abnimmt, daß er LGBTI-Anliegen ernsthaft fördert, merkt jeder, daß er dort fremdelt. Wie die meisten. Daher nützen vielen Politikern CSD-Auftritte herzlich wenig, außer sie sind wie Claudia Roth langjährige deutliche Unterstützer oder sie strahlen so eine Freude aus wie Trudeau.

2002 trat inmitten des Bundestagswahlkampfes die Oder über die Ufer und verursachte eine der schwersten deutschen Überschwemmungskatastrophen seit der Hamburger Sturmflut 1962.
Hier war es Gerd Schröder, der mit untrüglichem Instinkt die Situation und Berichterstattung beherrschte.
Jeder sah die Bilder des Bundeskanzlers in Gummistiefeln, der zusammen mit „Deichgraf Platzeck“ durch den Oderbruch stapfte.
Unions-Kanzlerkandidat Stoiber, dessen Bundesland ebenfalls stark betroffen war, kapierte die Situation hingegen überhaupt nicht. Stoibers legendäre Stammelei und Abgehobenheit wurden im Vergleich zu Schröder so extrem, daß man sein Fernbleiben von den Überflutungsgebieten allgemein als wahlentscheidend ansieht. Gut möglich, daß er 2002 Bundeskanzler geworden wäre, wenn er Schröders Talent für Massen-Empathie gehabt hätte.

Jacinda Ardern, die (wie Jens Stoltenberg nach dem Massaker von Utøya) im März 2019 mit Kopftuch bei den Angehörigen des schweren Terroranschlages von Christchurch erschien, produzierte weltweit ikonographische Bilder.
Sie machte alles goldrichtig, verließ ihre Rolle als Regierungschefin und erschien als Freundin, als Trösterin, als eine von den um die 50 Toten Trauernde.

 [….]Wie kann man auf Menschen zugehen, die fassungslos, wütend und traurig zurückbleiben? Was können wir ihnen sagen und wie können wir ihnen Trost und Geborgenheit spenden? Auch Politiker*innen stehen vor dieser Herausforderung, gerade die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Seit Oktober 2017 hat die 37-Jährige das Amt inne. Am Samstag reiste sie nach Christchurch, ins Canterbury Refugee Center, um dort Menschen aus der muslimischen Gemeinde zu treffen. Dabei trug sie ein schwarzes Kopftuch. Ardern hat viel richtig gemacht in den letzten Tagen.
Von manchen deutschen Politiker*innen kann man dies hingegen nicht behaupten: „Egal gegen wen sich Hass, Gewalt und Terror richten, am Ende sterben Menschen, verlieren Kinder ihre Eltern und Eltern ihre Kinder“, twitterte etwa die CDU-Bundesvorsitzende und mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Kanzlerkandidatin ihrer Partei Annegret Kramp-Karrenbauer. Nein, es ist nicht egal, gegen wen sich der Hass und Terror richtet. Mucad Ibrahim und Ara Parvin wurden aus einem bestimmten Grund ermordet: Ein 28-jähriger Australier tötete sie, weil er diese Menschen, ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Biografien, die lediglich ihr Glauben vereint, für seine Feind*innen hielt. [….]
Im Gegensatz zur debakulierenden AKK ist Ardern auch ein absolutes Naturtalent, die nicht nur in der Situation brillierte, sondern auch in der Folgezeit optimal agierte. Sie erklärte hart, daß sie den Namen des Attentäters niemals aussprechend werde, initiierte ein gewaltiges Waffenrückgabeprogramm in Neuseeland und vermochte es tatsächlich das multikulturelle Land mehr denn je zu einen.
Man bekommt Gänsehaut, wenn man sieht wie damals von Rockergangs über Maori bis zu Sportlern und weißen Internatsjungs mit dem traditionellen Haka den muslimischen Opfern Respekt gezollt wurde. Das ist auch Arderns Verdienst.


Unnötig zu erwähnen, daß der völlig empathielose Psychopath Trump all das was Premierministerin Ardern richtig machte, grundsätzlich falsch macht.
Er geht golfen, wenn Katastrophen passieren und wenn er sich nach Terroranschlägen oder Shootings blicken lässt, spricht er nur von sich selbst bedauert sich, oder macht irgendetwas völlig Erratisches wie die die Zuhörer mit Küchenpapierrollen zu bewerfen.
Daher sind seine Beleibtheitswerte auch chronisch im Keller.
Es mag reichen, um wiedergewählt zu werden, aber er stößt große Teile der Bevölkerung stark ab, während GWB, Clinton oder Obama in solchen Situationen 90% Zustimmung erhielten.

Katastrophal benahm sich in der Katastrophe auch der ultrakonservative Australische Premier John Morrison, der zum Beginn der derzeitigen Megabrandkatastrophe, die seinen gesamten Kontinent trifft, erst mal nach Bali in den Familienurlaub fuhr und sich anschließend hartnäckig weigerte einen Zusammenhang zwischen Erderwärmung und der Kohleindustrie anzuerkennen. Die Kohleförderer, die rein zufällig seine Partei großzügig unterstützen.

Heute ließ er sich endlich auch bei Brandopfern sehen. Zu spät. Es ging ihm wie Trump in Baltimore. Keiner wollte ihn mehr sehen, man rief ihm nach, er solle sich verpissen.
Ganz schlechte PR-Gene.

Mittwoch, 1. Januar 2020

Impudenz des Jahres 2019


Und schon wieder einmal zeigt der Kalender einen „01.01“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Jahres zu küren.

Zu gerne werden in den amerikanischen Newssendern die beiden Investigativ-Ikonen Carl Bernstein (*1944) und John Dean herumgereicht.


Pulitzer-Prize-Gewinner Bob Woodward (*1943) und Carl Bernstein, gespielt von Dustin Hoffman in der Verfilmung „All the President's Men“ waren die beiden Washington-Post-Reporter, denen „Deep Throat“ im Jahr 1972 die entscheidenden Informationen des Watergate-Skandals über den US-Präsidenten Nixon zuspielte.
Erst im Jahr 2005 erfuhr die Welt die Identität des Whistleblowers; FBI-Associate Director Mark Felt war „Deep Throat“.
John Dean (*1938) war von 1970-1973 der republikanische White House Counsel Richard Nixons, der ausführlich vor dem Kongress aussagte und wesentlich zur Aufklärung des Skandals war.
Noch heute werden weltweit politische Megaskandale mit dem Suffix „gate“ versehen, um an den größten vorstellbaren Skandal der westlichen Welt zu erinnern.

Dean und Bernstein werden naheliegenderweise von CNN-Anchors nach Parallelen des Trump-Impeachments zum Nixon-Impeachment gefragt.
Der geflügelte Spruch lautet „Trump is like Nixon with morons“ und Bernstein ergänzt gern, daß natürlich der Fall Trump wesentlich schlimmer als der Fall Nixon sei, weil damals das System funktioniert habe.
Nixons kriminelle Machenschaften wurden aufgeklärt und schließlich nahmen sich die Führer der Präsidenten-Partei GOP ein Herz, marschierten vom Kongress zum Weißen Haus und sagten ihrem eigenen Präsidenten, das Maß sei voll. Sie würden ihn aus dem Amt entfernen. Nixon verfügte noch über so viel Restanstand der Peinlichkeit zuvor zu kommen und trat zurück.

  
Die Impudenz des Jahres 2019 ist die aktuelle republikanische Partei, die nichts mehr mit der von vor 45 Jahren gemeinsam hat.
Die 2019ner GOP verfügt noch nicht mal mehr über rudimentäre Verfassungstreue. Sie versuchen gar nicht mehr der Anschein von Ehrlichkeit oder Moral zu erwecken, sondern stellen sich hinter einen 15.000-fachen Lügner, dessen „high crimes and misdemeanors“, die am 18.12.2019 zum förmlichen Impeachmentverfahren führten, mit einer überwältigenden Fülle von Beweisen belegt wurden.


Es gibt aber keinerlei Rückgrat mehr in der Regierungspartei.
Sämtliche GOP-Kongressmitglieder haben sich dafür entschieden sich ihrer Furcht vor Trumps Twittertiraden hinzugeben und keinen Finger für die Bürger oder die US-Verfassung zu rühren.


Keine einzige republikanische Stimme gab es für das Impeachment.
Die Impudenz des Jahres ist eine von Feigheit und Angst geprägte ruchlose Sekte.


[…..] Jeder kennt die Wahrheit. Jeder weiß, was Donald Trump getan hat. Selbst der notorische Lügner Trump kann nicht genug lügen, um die Wahrheit zu verdecken. Und die Wahrheit ist: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat sein Amt und seine Macht missbraucht, um sich einen persönlichen politischen Vorteil zu verschaffen. Er hat die ukrainische Regierung erpresst, damit diese ihre Staatsanwälte gegen einen innenpolitischen Gegner Trumps ermitteln lässt, den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden.
Das sind die Fakten. Wer sie kennen will, der kennt sie, dazu braucht es die öffentlichen Anhörungen eigentlich nicht, mit denen die Demokraten jetzt im Kongress beginnen. Und es gibt in Washington außer Trump auch praktisch niemanden mehr, der sich die Blöße geben will, diese Fakten ernsthaft zu bestreiten. […..]
Was es hingegen in beliebiger Anzahl gibt, sind republikanische Abgeordnete und Senatoren, die diese Fakten ignorieren, entschuldigen oder herunterspielen; die auf den Demokraten herumhacken, weil diese die Fakten ans Licht gebracht haben; oder, und das ist die jüngste Variante, die die Fakten zwar anerkennen, sie aber gleichzeitig dadurch wegzuerklären versuchen, dass sie sagen, Donald Trump - immerhin der Mann, den sie ansonsten als einen ganz großartigen Präsidenten loben - sei einfach intellektuell zu beschränkt und emotional zu instabil, um dafür verantwortlich gemacht werden zu können, was er getan hat.


[…..] Der Präsident [rechnet] damit, dass die blanke Angst ihn rettet: die Angst der republikanischen Parlamentarier, dass die eigenen Parteianhänger revoltieren und sie rauswerfen, wenn sie sich gegen Trump stellen; und die Angst der Partei, dass die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr verloren geht, wenn sie sich jetzt per Impeachment ihres Kandidaten entledigt.
Die Angst, dass Amerikas Demokratie vielleicht irreparablen Schaden nimmt, wenn Trump weiterregiert, wiegt die Angst der Republikaner vor dem Absturz in die Opposition nicht auf. Auch das gehört zur Wahrheit: Trump tut, was er tut. Aber es ist die Feigheit der Republikaner, die ihn damit davonkommen lässt. [….]

Vollends offensichtlich ist nun auch, was es mit den christlichen Überzeugungen der GOPer, die sie immer wie eine Monstranz vor sich hertragen, auf sich hat: Gar nichts!
Kirche, evangelikale Talkingpoints, family-values, christliche Moral – all das war über viele Dekaden der Markenkern der Partei und stellte sich in nur drei Jahren als völlige Illusion, als Methode die Wähler einzunebeln heraus.
Im Zweifelfall robben republikanische Senatoren, Kongressabgeordnete, Gouverneure, Parteiführer genau wie die Myriaden fanatisierten Trumpisten der Cult-leader-gatherings schleimspurziehend auf Knien dem Amoralisten hinter her. 


Trump, dem Serial-Adulterer, porn-star-Ficker, Pussy-grabber, Multi-Todsünder und vulgärsten Sexisten der USA, der sich in seinem zunehmend psychotischen Wahn nun offenbar auch für göttlich hält und somit in den Augen „wahrer Christen“ schwer Blasphemie begeht.

[….] Donald Trump has promoted a post claiming he is “heaven sent” and suggesting Barack Obama “kicked” Jesus out of the US in a string of tweets just days after Christmas.
The president spent some of his Friday evening retweeting praise for himself, including one post from January 2018 with a picture of a man who appears to be Jesus Christ and a caption saying: “Obama kicked me out. Trump invited me back.”
“I truly believe this man was heaven sent in order to save and protect the most gracious, benevolent, and in turn, prosperous country ever,” the caption to the post said, referring to the president. […..]

Aber die Evangelikalen und Republikaner sind eben keine konsequenten Christen, sondern bloß ganz miese Heuchler, die ihr Christentum verwenden, um sich selbst moralisch gegenüber anderen zu erheben. Christentum, um ihren Hass auf Minderheiten, auf Ausländer, Dunkelhäutige, Muslime, Ungläubige, Demokraten, Liberale, Sozialisten zu kaschieren.

[….] In response to the Christianity Today editorial calling for his removal, Trump called the magazine a “left-wing rag” and said, “I have done more for Christianity than Jesus.”
 “I mean, the name of the magazine is Christianity Today, and who is doing more for Christians today? Not Jesus. He disappeared; no one knows what happened to him. But I’m out there every day protecting churches from crazy liberals.”
While Trump admitted that Jesus did do some things for Christianity in the past, Trump said he was doing more now and it was more substantial. “I’m appointing judges to help protect religious rights,” Trump stated. “How many judges has Jesus appointed? He says something about judging people in the future, but I ain’t seen it.” […..]

Christentum in der übelsten Ausprägung, als Versicherung der „Wir sind besser als die!“-Attitüde, als Instrument der Spaltung und des Unfriedens.
Ein in dieser Hinsicht auch sehr erfolgreiches Christentum – im Jahr Trump 3 gab es mehr Opfer durch Mass-shotings, mehr antisemitische Attacken, mehr hate-crimes denn je in den USA.
Nun traut man sich wieder  Schwule, Schwarze, Juden auf offener Straße zu bepöbeln, anzugreifen oder auch gleich zu erschießen.
Trump, seine Medien, seine Partei feuern die Gewalt an.

  
Das viel größere moralische Versagen trifft die GOP, die ihm nach Gewalt, Geld und Gemeinheit gierend hinterhereifert.



Dienstag, 31. Dezember 2019

Zurück ins Loch!

Scham, Schüchternheit, Sozialphobie, Selbstzweifel, Ängste, Introvertiertheit, Hemmungen werden gemeinhin als zu überwindende Charakterschwächen angesehen.
Coaches und Therapeuten stürzen sich darauf. „Du schaffst das!“.
Überall wird die Selbstoptimierung gepriesen. Neue Frisuren, Muskeln oder in der kostengünstigen Variante Motoröl-Injektionen in Arsch und Lippen – irgendwie wird man schon so hübsch und selbstsicher, daß man im Selfie-Zeitalter mithalten kann und seinen Beitrag zur sekündlichen Grinsebilderflut im Internet leistet.
Offensichtlich fruchten die Therapien wider die Scham ganz hervorragend.
Die TV-Reality-Formate fluten den Bildschirmen mit einem nie enden wollenden Strom kleiner Selbstdarsteller, die völlig talent- und sinnfrei vor den Kameras turnen und dem Irrglauben erliegen die Welt warte nur auf sie.
Wer nur irgendwie verschwippschwägert mit einem C-Trashpromi ist, weil er beispielsweise „einmal den Wendler gebumst hat“, ist schon so berühmt, daß er es in die Königsdisziplin aller Promis, das RTL-Dschungelcamp, geschafft hat.
Die Exen von Wendler und Büchner? Wenn das später mal auf dem Grabstein steht, hat man sein Leben wirklich sinnvoll genutzt.

Scham, Schüchternheit, Sozialphobie, Selbstzweifel, Ängste, Introvertiertheit und Hemmungen unter allen Umständen zu bekämpfen und ins Gegenteil zu verkehren ist so sehr Allgemeingut geworden, daß man zum Jahreswechsel nach nur drei Minuten Social-Media bereits eine Coaching-Floskel-Überdosis erleidet.

Wir sind alle Kämpfer! Niemals aufgeben! Ich stehe zu mir! Ich bin wie ich bin! Ich bin nur ehrlich! Ich ziehe keine Show ab! Fallen ist OK – liegenbleiben ist eine Sünde. Entdecke Dein Potential. Kopf hoch, Brust raus!

Ich kann es nicht mehr hören. Coaching und Therapien sollten für diejenigen reserviert bleiben, die psychisch erkrankt sind; da besteht ausreichend Bedarf.
Natürliche Scham und Schüchternheit haben sich inzwischen zur echten Mangelware entwickelt.
Dabei wäre sie vielfach durchaus wünschenswert. Ich möchte nicht von jedem „Promi“, Nachbarn, Bekannten Details aus seinem Sexualleben, Kostproben seiner nicht vorhandenen Gesangs- oder Poetryslamtalente, Nahaufnahmen von Tattoos, Narben oder Piercings, Penislängen, Brustumfänge und Bilder sämtlicher Haustiere sehen.
Sicherlich gibt es immer Menschen, die genau das interessiert, aber das gilt nicht grundsätzlich für alle.

Das von der Süddeutschen Zeitung zum „Jahr der Scham“ ausgerufene 2019 ist in dieser Hinsicht durchaus zu begrüßen.
Scham ist gut. Ich plädiere für noch viel mehr Scham.
Homo Sapiens sollte sich wirklich schämen.

[…..] 2019 war das Jahr der Scham. Doch nicht jeder empfand Scham gleichermaßen. Der eine errötete, wenn er in ein Flugzeug stieg (Flugscham). Der andere, wenn er in ein Schnitzel biss (Fleisch-Scham). Manchen reichte es auch einfach nur, sich Cristiano Ronaldos Jahresendzeit-Grüße auf Twitter anzusehen (mit Freundin, Cola und Kleenex-Tüchern im der Stretch-Limo, Fremdscham also). Der Mensch, er ist halt "Ehre und Scham des Universums" zugleich (Blaise Pascal). Haben wir gerade der gesagt? Pardon, auch sie und es natürlich (Gender-Scham). […..] Vermehrungs-Scham     Was das ist: Der Erdüberlastungstag, berechnet von der Organisation „Global Footprint“, fiel 2019 auf den 29. Juli – früher als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Das Budget der Natur für das ganze Jahr ist also immer früher aufgebraucht, auch durch steigende Bevölkerungszahlen. 2100 sollen laut UN elf Milliarden Menschen auf der Erde leben.
[…..]   Müll-Scham Was das ist: Eigentlich müsste man jetzt noch den Tesa-Film von der Verpackung reißen und die Metallklammer vom Teebeutel lösen. […..] Fleisch-Scham
[…..] Internet-Scham    Was das ist: Einmal googeln verbraucht ebenso viel Energie wie eine 11-Watt-Energie-Sparlampe in einer Stunde. Zeit also, sich endlich einmal zu schämen für die dämliche Dauer-Klickerei. Und völlig egal, mit welchem Endgerät wir gerade durchs Netz surfen: Digitale Technologien tragen zu vier Prozent der globalen Treibhaus-Emissionen bei.
[…..]  Geschlechter-Scham
[…..] Haustier-Scham     Was das ist: Je größer das Haustier, desto schlechter für die Umwelt. Ein Labrador gilt im Vergleich mit einem Goldhamster, einem Wellensittich oder einem Goldfisch als Klimasünder – in der Jahresbilanz ist er so umweltschädlich wie eine 3700 Kilometer lange Autofahrt. Das ist das Ergebnis einer Schweizer Studie zur Ökobilanz von Haustieren.
 […..] Fußball-Scham
[…..] Heizpilz-Scham
[…..] Weltkonzern-Scham […..]

Bleibt nur zu hoffen, daß sich Vermehrungsscham, Flugscham, Müllscham und Haustierscham 2020 prächtig weiter entwickeln. Bisher war die Scham noch zu rudimentär; es folgten keine Konsequenzen. Wir fliegen immer mehr, fressen immer mehr Fleisch, verbrauchen mehr Ressourcen.

Montag, 30. Dezember 2019

Hühnerauge zudrücken.


Californische Youtuber erscheinen aus Perspektive der Ost-Küste und erst Recht von Europa aus betrachtet extreme Blasen-Wesen zu sein, die jeden LALA-Land-Witz verdienen.
Extreme Beschäftigung mit sich selbst und dazu eine bizarre Mischung aus politischem Desinteresse und gleichzeitiger Hypersensibilität für politische Correctness.
Da machen aufgeklärte, ökobewußte, genderfluide Leute täglich Videos für ihre 10, 20 oder 30 Millionen Follower ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß Präsidentschafts- oder Kongresswahlen sind.
Trump finden sie zwar alle doof, aber wichtiger sind ihre neuen Schminkutensilien, Tiktok-Videos, Gucci-Sandalen oder Feuchtigkeitsmasken nach dem Gym.
Das völlig aus dem Ruder geratene Influencer-Wesen führt dabei zu einer Geschmacks-Nivellierung, die ich so noch nie irgendwo beobachtet habe. Die Häuser haben alle den gleichen Schnitt, die Frauen die gleichen Lippen und Brüste, die Männer die gleichen Figuren, die Kinder die gleichen Interessen. Alle fahren die immer gleichen SUVs, tragen dieselben Farben und streben nach dem Einheits-Lifestyle.
Wieso einen das kümmern muss?
Muss es nicht, aber Kalifornien mit seinen 40 Millionen Einwohnern ist auch eine ökonomische und kulturelle Supermacht.
Mit beinahe drei Billionen Dollar Bruttoinlandsprodukt ist der Westküstenstreifen die mit Abstand wichtigste Wirtschaftsregion der USA und wäre für sich allein betrachtet nach den USA, Japan, China und Deutschland die fünftgrößte Macht der Welt.
Diese eben noch so geschmähten ewig lächelnden sonnigen Youtuber beeinflussen nicht nur die Jugend weltweit, sondern machen dabei auch noch zig Millionen Dollar allein mit der Youtube-Werbung, let alone die vielfache Summe, die sie mit Merch und Werbedeals einkassieren.
Man kann diese schillernde Glitzerwelt belächeln.
Aber immerhin können die exaltierten Wesen, die wie zum Beispiel die Dolan-Twins, zwei Teenager mit elf Millionen Followern, die nichts besonders vollbringen, sondern einfach für ihr Berühmt-Sein berühmt sind, oder James Charles, der immerhin schon reife 20 Jahre alt ist und seine mehr als 16 Millionen Follower mit Variationen seines Lidschattens entzückt, durch ihren gewaltigen Einfluss auch zur Liberalisierung der Gesellschaft beitragen, indem sie konsequent gegen Fat-Shaming, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung vorgehen. Da haben die Heten-Jungs keinerlei Berührungsängste mit ihrem Homo-Altersgenossen, sie fahren Tesla, um die Umwelt zu retten und betonen bei all ihren Merch-Produkten „it is vegan! It is cruelty-free!“
Sie sorgen sich um die Waldbrandgefahr und essen gluten-free.
Man kann das natürlich belächeln.     
Aber als Gegenpol zu den Abscheulich-Amerikanern wie Don Trump Jr., der als lupenreiner Rassist den Klimawandel für eine „hoax“ hält, als Waffenlobbyist auftritt und durch die Welt reist, um vom Aussterben bedrohte Tierarten wie das Argali abzuknallen, lobe ich mir jeden angeökten gelifteten Jung-Kalifornier mit Louis-Vuitton-Täschchen und lackierten Fingernägeln.
Allzu kritisch darf man natürlich nicht hinsehen, wenn diese Menschen Pro-Greta-Thunberg-Memes teilen, während sie im Privatjet von LA nach Las Vegas fliegen, um sich zu schminken.
Oder aber nur so ein bißchen im eigenen Jet rumfliegen, um zu sehen wie viele Hamburger man währenddessen fressen kann.
Aber zum Glück sparen sie ja wieder mit der Tesla-Flotte beim CO2-Ausstoß.
Die konsequente Umsetzung ihrer modernen Überzeugungen ist natürlich so eine Sache, wenn das neue Wangen-Glitter-Zeug für 50 Dollar als „it’s vegan!“ beworben wird und in einer Lederschachtel verschickt wird.
Während in Deutschland Veganer und Vegetarier eifersüchtig um die Deutungshoheit streiten und Veganer mit anderen Veganern darüber debattieren, ob man Äpfel vom Baum pflücken darf oder warten muss, bis sie von allein abfallen, wird in Kalifornien so gut wie alles unter „organic food“ subsummiert.
A „nice vegan meal“ kann dann schon mal Käse aus Kuhmilch, Lachs und Hühnerbruststreifen enthalten.
Da ist alles vegan, wenn nicht gerade ein riesiges blutiges Rindersteak in der Mitte liegt.

Ökologisch betrachtet ist der Wasserverbrauch bei der Rindfleischproduktion einer der Höchsten. Ein katastrophaler „Footprint“.
Aber mit der ökologischen Moral ist es kompliziert.

[….] Platz 1 für den größten tierischen Klimaschädling geht somit an das Rind mit etwa 15 Kilogramm sogenannter CO2-Äquivalente pro Kilo Fleisch; das Schwein folgt mit weitem Abstand und 4,2 Kilo, dicht gefolgt vom Geflügel mit etwa 3,5 Kilo CO2 pro Kilo Fleisch. Zum Vergleich: Gemüse verursacht im Schnitt nur etwa 150 Gramm CO2 pro Kilo.
Ganz anders sieht das Fleischranking aus, wenn man die ethische Seite betrachtet, also die Frage, wie viele Tiere ihr Leben lassen müssen, damit der Mensch satt wird. Das Magazin „Scientific American“ hat dazu eine Studie veröffentlicht, die der Vegetarierbund vebu aufgegriffen hat. Die provokante Frage lautete, wie viel Töten mit dem Konsum einer bestimmten Menge an Energie aus Fleisch, Milch und Eiern verbunden ist. Hier nun steht Hühnerfleisch bei weitem am schlechtesten dar, da jedes geschlachtete Federvieh lediglich 3.000 Kalorien auf die Teller bringt. Im Gegensatz dazu liefert das Schlachten eines Rindes über 400.000 Kalorien. Ein Schwein macht mit 84.000 Kalorien „pro Tod“ immerhin noch so satt wie 28 Hühner. […..]

Bedenkt man also wie viele Individuen für eine menschliche Mahlzeit getötet werden, sollte man insbesondere auf Hühnerfleisch verzichten.
Also ist es völlig absurd wie so viele ums Tierwohl Besorgte bei „weißem Fleisch“ alle Augen zuzudrücken, während man einen Bogen um das böse „rote Fleisch“ macht.

Aber als Vogelfreund bin ich ohnehin nicht neutral. Ich liebe alle Piepsis und würde dafür plädieren statt der allgegenwärtigen Hühnerbruststreifen lieber Hunde und Katzen zu essen.
Watschelige Vögel finde ich zwar noch großartiger – wie kann man bitte sehr Enten nicht lieben? – aber das Haushuhn wird auch extrem unterschätzt.
Ich empfehle dazu die hervorragende Reportage der hervorragenden Schriftstellerin/Journalistin Anja Rützel über Hühnerdressur.

[….] Aufs Huhn gekommen
Wer Hunde dressieren will, soll sich erst einmal an Hühnern versuchen. Unsere Autorin hat am Hühnerkurs einer weltberühmten Tiertrainerin teilgenommen – und sieht das Geflügel seitdem mit anderen Augen.
Das klügste Huhn der Welt heißt Buffy. Es hat Federn, die in der Sonne aussehen wie das Fell eines Füchsleins. Es kann Rot, Blau und Grün unterscheiden und, wenn es sich anstrengt, einen gezeichneten Adler von einem gezeichneten Häschen. Es mag Mais, und es mag nicht, wenn man es zu fest unter den Arm klemmt.
Ich lerne Buffy kennen, als ich einen Hühnerdressurkurs in Bayern besuche. Bei dem ich mich nicht – obwohl das an manchen Tagen wie ein absolut plausibler Plan erscheint – angemeldet habe, weil ich vorhabe, mich mit einer gemischten Hühner-Alpaka-Ameisenbär-Dressurnummer und ein bisschen Messerwerferei dem fahrenden Volk anzuschließen. Ich mache den Kurs, um meinen Hund besser trainieren zu können. Wer lernen will, wie man Tieren etwas beibringt, fängt am besten mit einem Huhn an.
Das sagt Terry Ryan, Wissenschaftlerin, in Tiertrainerkreisen ein Guru. Auf der ganzen Welt veranstaltet sie »Chicken Camps«, dabei will sie ja eigentlich nicht Hühnern etwas beibringen, sondern Hunden, oder noch besser gesagt: den Menschen. […..]

Jeder sollte die Geschichte von Buffy kennen und sich fragen weshalb wir eigentlich nicht den ganzen Tag vor dem Ministerium der Großbauern-Lobbyisten Julia Klöckner demonstrieren, die immer noch für betäubungslose Ferkelkastration und Kükenschreddern sorgt.

[…..] Das ganze Jahr lang haben die Menschen über das Klima diskutiert. Über die Flugscham und das Artensterben. Über Elektroautos, SUVs und Kohlekraftwerke. Sie haben wütender und lauter diskutiert als je zuvor. Wen das Klima bewegt, den bewegt die Frage, wie wir mit der Welt umgehen, und vor allem: wie lange noch?
Der Mensch, die Welt, der Untergang. Große Worte. Dabei reicht es zu fragen, wie der Mensch mit seiner Umgebung umgeht. Zum Beispiel mit dem Haushuhn, Gallus gallus domesticus.
Jedes Jahr werden in Deutschland rund 45 Millionen männliche Küken getötet. Sie werden vergast oder geschreddert, meistens kurz nachdem sie geschlüpft sind. Es sind die Brüder der Legehennen, die, Überraschung, keine Eier legen und nur wenig Fleisch ansetzen. Beides ist nicht gut fürs Geschäft. Und tote Küken kosten nichts.
45 Millionen, das sind etwa 123 288 Küken am Tag.
45 Millionen, das sind etwa 1,43 Küken in der Sekunde. […..]