Donnerstag, 2. August 2018

Politikertypen


Hilfe. Hilfe! Gestern wagte ich unglücklicherweise mal wieder einen Blick in so eine linke Basis-Gruppe der Sozialdemokraten.
Anlass war ein SZ-Artikel über den derzeit amtierenden Kanzler Olaf Scholz, der als Merkels Urlaubsvertretung die Kabinettssitzung leitet und sich heimlich, still und leise zum beliebtesten Politiker Deutschlands emporgemausert hat.

[…..] Seit vier Monaten ist der Sozialdemokrat Olaf Scholz Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler.  Dass er seinen Job ganz gut macht, findet nicht nur der Koalitionspartner CDU/CSU, sondern laut ZDF-Politbarometer auch die Bevölkerung. In der SPD stößt auf Kritik, dass Scholz die Politik seines Vorgängers Wolfgang Schäuble fortsetzt. […..]

Es stimmt zwar nicht, daß Scholz einfach die Schäuble-Linie fortsetzt, weil er wesentlich mehr investiert, ........

[…..] Fließen die Steuereinnahmen weiter so, wie Scholz sich das vorstellt, könnte dieser Haushalt der sechste in Folge sein, für den die Bundesregierung keine neuen Schulden aufnimmt. In dieser Hinsicht steht Scholz in der Tradition seines Vorgängers. […..] Gänzlich anders sieht es bei den Ausgaben für Soziales aus.
Während Schäuble sich hier knausrig gab, sagte Scholz explizit: „Die Ausgaben für Soziales und für die Rentenversicherung werden bis 2022 deutlich steigen.“ Damit meint er nicht nur den Zuschuss an die Rente, der automatisch größer wird, wenn die SPD ihr Versprechen umsetzt, das Rentenniveau nicht weiter sinken und zugleich die Beiträge nicht weiter steigen zu lassen.
Auch will Scholz im Haushalt eine milliardenschwere Reserve anlegen für die zusätzlichen Rentenkosten in den nächsten Jahren. In fünf Jahren schon solle pro Jahr „ein zweistelliger Milliardenbetrag“ in diese Reserve fließen. Ein stabiles Rentenniveau sei „die wichtigste Sicherheitsbotschaft, die wir an junge Leute aussenden können“, sagte Scholz. […..]

....aber wen interessieren schon Fakten, wenn man auch so ein praktisches Label benutzen kann?
Scholz = der ewige Scholzomat, der uncharismatische Technokrat, fleißig, aber dröge, schlau, aber ohne Visionen.
An der SPD-Parteibasis haben es solche Typen schwer und so war das Entsetzen groß, als man über eine Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz im Jahr 2021 orakelte.
Unfreundlicherweise wurde Scholz auch noch mit Schulz in eine Schublade gesteckt – die beiden drögen kleinen alten Seeheimer unterschieden sich doch nur in einem Buchstaben.
Das ist frech, denn Scholz ist ein Regierungspraktiker, der hochgebildet und effektiv verwalten kann, gezeigt hat wie stringent und erfolgreich er eine zerstrittene Landespartei führen kann und zudem auch noch zweimal nacheinander die besten SPD-Ergebnisse ganz Deutschlands bei einer Landtagswahl holte.

Schulz hat noch nie regiert, noch keine Wahl gewonnen, hat noch nicht mal Abitur und zeigte im 2017ner Wahlkampf über wie wenig Rückgrat er verfügt, indem er sich bis zur Unkenntlichkeit verbiegen ließ.
Bei Scholz wäre das undenkbar. Nicht ohne Grund gehörte er 2017 zu den heftigsten Schulz-Kritikern und sorgte gemeinsam mit Andrea Nahles richtigerweise dafür, Martin Schulz aus der ersten Parteireihe zu schubsen.

Aber obwohl niemand bestreitet, daß Olaf Scholz seinen Job kann, wird er selbst in seiner Partei nur zähneknirschend anerkannt und niemals geliebt.

Als Sozialdemokrat, der nur zähneknirschend für die Groko stimmte, weil sie als das kleinere Übel erschien – im Vergleich mit einer CDU-CSU-Minderheitsregierung, die dann nur noch aus Seehofers, Scheuers und Spahn bestünde, sich von der AfD, auf deren Stimmen sie angewiesen wäre, weit nach Rechtsaußen treiben ließe – wünscht man sich als Wut-Ventil natürlich SPD-Minister, die einen radikal neuen Weg einschlagen.
Einen Finanzminister, der linke Pflöcke einschlägt und die EU-Nemesis Schäuble konterkariert.

Aber indem man nur die eingefleischte Basis entzückt, schafft man keine demoskopische Trendwende.
Politik muss in Zeiten der Internetfilterblasen mehr denn je auf ihre Akzeptanz achten.
Vielleicht in der Scholze Weg – mit solider Arbeit und handwerklich fehlerloser Politik zu überzeugen – doch besser als das ständige substanzlose Poltern des Bundesinnenministers.

Für seine Partei ist es jedenfalls besser sich an die Spitze des Beliebtheitsrankings zu begeben, als nach der Methode Crazy-Horst den halben politischen Apparat Berlins lahmzulegen.

[…..] Nur noch 27 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von Innenminister Horst Seehofer (CSU) zufrieden.
[…..]  Niemand gibt an, mit der Regierung „sehr zufrieden“ zu sein. Einen solchen Befund gab es seit Jahren nicht.
Öffentlicher Streit zahlt sich in der Politik meist nur für diejenigen aus, die nicht daran beteiligt sind. [….]

Der neue Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher, Amtsnachfolger von Olaf Scholz kämpft mit ähnlichen Problemen.
Auch er ist so gar kein Volkstribun, wie der mit 90%-Beliebtheit bejubelte von und zu Guttenberg, der statt zu arbeiten lieber durch die Bierzelte zog und zu ACDC-Klängen auf die Tische stieg bis jeder unter 90 Jahren ein feuchtes Höschen hatte.
Tschentscher ist still, akkurat, hört zu, ist nicht mit Selbstdarstellung beschäftigt, arbeitet effektiv und lösungsorientiert. Er ist extrem intelligent, geradezu ein Genie und dazu hochgebildet.
Spektakulär ist das nicht. So dominiert man nicht die Medien als Trump/Seehofer/Guttenberg.

Aber bin ich wirklich extrem altmodisch, wenn ich einen Volksvertreter, der gute Arbeit leistet und weiß was er tut, einem Hallodri vorziehe, der mit derben Witzen, Peinlichkeiten und Affären Aufmerksamkeit erregt?

Abgesehen von meinen persönlichen Typ-Vorlieben, ist Politik nicht nur eine Kunstform, in der Geschmack entscheidet, sondern es geht tatsächlich um nichts weniger als die Organisation unseres Lebens und unserer Zukunft.
Egal ist das nicht.
Ich habe da ganz gern Politiker als Amtsträger, die den Job auch ernst nehmen und statt auf Markplätzen von „ANPACKEN“ zu grölen, sich tatsächlich ihren Aufgaben widmen.
Das ist vielleicht ein bißchen in Vergessenheit geraten.
Trump macht sogar gar keine Politik mehr, sondern scheißt nur noch allen anderen Politikern auf’s Pult und fängt anschließend an wie ein ganzer Hühnerhof zu gackern und zu krähen.

Mit reiner Arbeitsverweigerungshaltung wie Seehofer ist dem gemeinen Volk auch nicht geholfen.

Seine Epigonen Dobrindt und Scheuer sind nicht besser.

[….] Ein Jahr nach dem Dieselgipfel der Bundesregierung müsste jedem klar sein: Dieser Gipfel war ein reines Showevent für den damaligen Wahlkampf. Die neue-alte Bundesregierung und vor allem das CSU-geführte Verkehrsministerium lassen Verbraucher und Gemeinden mit den finanziellen, rechtlichen und gesundheitlichen Folgen der Dieselkrise alleine. Verkehrsminister Scheuer ist artig in Fußstapfen seines Vorgängers Dobrindt gestiegen. Scheuer hat ein weiteres Jahr lang vor allem die finanziellen Interessen der Autokonzerne gesichert, statt für die getäuschten Autobesitzer oder saubere Autos zu kämpfen. Ein ganzes weiteres Jahr wurden die Betrügereien der Autokonzerne weiter gedeckt, Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen.
Das war ein Jahr dreister Untätigkeit in der Dieselkrise, die so nicht weitergehen darf.
Es ist unfassbar, dass die Bundesregierung tatenlos zusieht, wie Volkswagen den nächsten Rekordgewinn in Milliardenhöhe einstreicht und sich weiter dagegen sperrt, die Autos der getäuschten Dieselkäufer auf Konzernkosten nachzurüsten. Die Autofirmen, die betrogen haben, müssen dafür auch die finanzielle Verantwortung übernehmen. Um Gesundheitsgefahren, weitere Fahrverbote und einen massiven Wertverlust für Autobesitzer und Autohändler zu verhindern, muss die Bundesregierung endlich Hardware-Nachrüstungen bei dreckigen Diesel durchsetzen. Sie darf sich auch einer grundlegenden Wende in der Verkehrspolitik nicht weiter versperren. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise ist es zudem unbegreiflich, dass die Bundesregierung weiterhin die schützende Hand über den schmutzigen Verbrennungsmotor hält. [….]

Mittwoch, 1. August 2018

Impudenz des Monats Juli 2018


Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Nachdem sich im letzten Monat klar die CSU als Impudenz des Monats behauptete, trifft es heute ihren Parteichef Horst Seehofer, der nach einem unglaublichen Eiertanz, der um ein Haar die deutsche Bundesregierung sprengte, von seinem Rücktritt zurücktrat und nun weiter als Super-Innenminister amtiert.

Ein toller Plan, um den gefürchteten Rücksturz in die Bedeutungslosigkeit zu vermeiden. Eins hat Crazy Horst dabei aber nicht bedacht; als Innenminister muß man arbeiten und all die großspurigen Ankündigungen über bilaterale Abkommen auch umsetzen.
Hier hapert es natürlich gewaltig, denn Seehofer war noch nie bekannt für seinen Arbeitseifer.

  (...) Immerhin ist der Bundesinnenminister offenbar noch nicht mal in der Lage sich rechtszeitig dort einzufinden, wo die Musik spielt. Erneut schwänzte er die CDUCSU-Fraktionssitzung, als wäre das heute eine minderwichtige Angelegenheit, die ihn nicht betreffe.

[…..] CSU-Chef Horst Seehofer bleibt mitten im dramatischen Unionsstreit über die Migrationspolitik zum zweiten Mal in Folge einer Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU fern. Er sei im Auto auf dem Weg zum Krisentreffen mit der CDU-Spitze nach Berlin, hieß es am Nachmittag in Parteikreisen. Es sei auch nicht notwendig, dass er noch in die Sitzung der Unionsfraktion nachkomme. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt saß auf dem Platz rechts neben Kanzlerin Angela Merkel an der Fraktionsvorstandsbank. Bereits in der vergangenen Woche war der Bundesinnenminister nicht zur Fraktionssitzung gekommen. [….]

Wir lernen also, daß Seehofer nicht fliegt und nicht Zug fährt. Und obwohl er als Innenminister schließlich seinen Dienstsitz in BERLIN hat, will er da nicht wohnen.
Also läßt er sich ständig mit dem AUTO zwischen Bayern und Berlin hin und herfahren. Daher steckt er scheinbar immer mal wieder im Stau und kommt nicht zu der Fraktionssitzung, wie alle anderen Abgeordneten, die natürlich einfliegen, wenn es dringend ist.
(....)



(.....) Seehofer ist nicht mit rationale Maßstäben zu bewerten, sondern eher neroesk-Trumpisch.
Ihm gelingt nichts. Er sät nur Zwietracht.
All seine CSU-Herzensprojekte wie die Herdprämie oder die Antiausländermaut sind verfassungswidrig und/oder gescheitert, seine CSU-Minister können einfachste Rechtsstaatsprinzipien nicht einhalten, mit Grausen werfen prominente Parteimitglieder ihre Parteibücher weg, er konnte nicht verhindern, daß der von ihm zutiefst gehasste Söder sein Nachfolger wird, er konnte KTG nicht zurückbringen und insbesondere ist er nicht in der Lage sein Amt in Berlin auszufüllen. Er ist so überfordert, daß er seit Wochen alle wichtigen Termine schwänzt. Seehofer erschien nicht zum Integrationsgipfel und stellte fürderhin seine Arbeit ein.

[….] In den vergangenen Tagen hat sich Seehofer nicht gerade konstruktiv verhalten. In der CDU ist man genervt von seinen ständigen Absenzen. Dass er die Unionsfraktionssitzung am Dienstag geschwänzt hat, habe nicht zur Befriedung beigetragen, sagt einer aus der Fraktionsspitze. Zur Aktuellen Stunde über das Flüchtlingsschiff Lifeline am Mittwoch habe er herbeizitiert werden müssen. Und bei der Regierungserklärung der Kanzlerin am Donnerstag habe er wieder gefehlt. Auch in der CDU-Zentrale haben sie keine Erklärung. Was treibt den CSU-Chef wirklich? [….]

Seehofer hat scheinbar noch nicht mal begriffen, daß er nun Bundesminister unter Merkels Anleitung ist und in Berlin arbeitet.

[…..] Horst Seehofer ist Bundesminister mit Dienstsitz in Berlin. Laut "Bild"-Zeitung ist er dennoch über das Gespräch mit Kanzlerin in der Hauptstadt unglücklich: „Ich fahre extra nach Berlin, und die Kanzlerin bewegt sich null Komma null“, zitiert ihn die Zeitung. [….]

Der arme Irre hält sich offenbar immer noch für den König von Bayern und glaubt Merkel müsse devot zu ihm kommen.
Er begreift nicht, daß die CDU größer und stärker als die CSU ist, daß eine Kanzlerin mehr als ein Minister zu sagen hat.
(.....)
Seehofer kommt natürlich zu Gute, daß einige Menschen, mit denen er amtsbedingt zu tun haben müsste, schreiend Reißaus nehmen, bevor er arbeiten muss.

[….]  Vereine lehnen Nachbarschaftspreis ab
[….] Es läuft nicht gut für Innenminister Horst Seehofer (CSU). Jetzt muss sich auch noch sein Ministerium dazu äußern, dass zwei ehrenamtliche Initiativen eine Auszeichnung ablehnen, weil der Innenminister Schirmherr des Preises ist. [….] Die Flüchtlingshilfe-Initiative „Moabit hilft“ aus Berlin sowie der Verein „Wielebenwir“ aus Köln hatten am Sonntag bekannt gegeben, ihre Nominierung für den Deutschen Nachbarschaftspreis abzulehnen, weil die Schirmherrschaft durch Innenminister Seehofer nicht mit ihrem Engagement zu vereinbaren sei.
„Unsere Arbeit beruht auf Humanität, auf solidarischem Miteinander, das sind völlig andere Werte als die, die Herr Seehofer vertritt“, sagte Diana Henniges, Sprecherin von „Moabit hilft“, am Montag der taz.
In den letzten Monaten hätten sich die Ehrenamtlichen ihres Vereins durch die Äußerungen Seehofers und anderer CSU-Politiker in ihrer Arbeit diskreditiert gefühlt. „Mit der Ablehnung wollen wir auch darauf aufmerksam machen, was die Hindernisse für Integration in diesem Land sind, nämlich der Populismus von CSU und AfD.“ [….]

Innenminister der Länderebene und andere Fachpolitiker, die sich Seehofer nicht entziehen können, sind noch entnervter von seiner ostentativen Faulheit.

 [….] In den gut vier Monaten, in denen Seehofer nun im neuen Amt ist, hat er mit seinem polternden Politikstil viele gegen sich aufgebracht. Selbst in seinem eigenen Ministerium regt sich Unmut gegen Seehofer. Und seine Amtskollegen aus den Bundesländern beschweren sich über das Agieren des Bundesinnenministers.
"Seehofer konzentriert sich auf öffentlichkeitswirksame Symbole", sagt zum Beispiel Holger Stahlknecht (CDU), Innenminister aus Sachsen-Anhalt. "Das halte ich im Bereich der inneren Sicherheit für gefährlich." Sein Amtskollege Boris Pistorius (SPD) aus Niedersachsen bilanziert: "Viele ideologische Debatten, wenig Inhalt, das ist Seehofers Politik."
Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, fragt sich: "Was hat Seehofer in seinem Amt bislang erfolgreich zu Ende gebracht? Mir fällt nichts ein. Er ist ein reiner Ankündigungsminister." Statt seriös und in Ruhe die Probleme anzugehen, "haben wir das komplette Gegenteil erlebt: eine unkontrollierte, hysterische Debatte". Selbst Unionsleute, die in der Flüchtlingspolitik eigentlich auf seiner Seite stehen, beklagen, Seehofer habe zuletzt mehr kaputt gemacht als vorangebracht.
[….] Seehofer interessiert sich nicht für Gesetzesbücher, er liebt das Schlagwort. Ihn reizen Machtfragen mehr als Sachfragen. [….]  Von ständigem "Chaos" spricht ein hochrangiger Beamter. Das einst vorbildhafte Ministerium werde nun "als dilettantisch" wahrgenommen.
Ein Haus, das mächtig sein will, muss auch machtvoll geführt werden. Erst recht, nachdem es zu einem Superministerium aufgeblasen wurde, das sich neben dem Kampf gegen Terror und Kriminalität, neben der Kontrolle und Integration der Flüchtlinge, neben Sportförderung, Polizei und Katastrophenschutz nun auch ums Bauen und um das Thema Heimat kümmern soll und für 20 Bundesbehörden mit 75 000 Mitarbeitern zuständig ist. Mit dieser Mammutaufgabe ist der CSU-Chef offenbar überfordert. [….]
(SPIEGEL-Ausgabe 31/2018.)

Bleibt noch zu fragen was eigentlich mit den ganzen bilateralen Flüchtlingsabkommen geschehen ist, die Seehofer gemäß seines grandiosen Masterplans aushandeln wollte.
Immerhin war ihm das derartig wichtig, daß er dafür den Verlust all seiner Ämter und den Kollaps der deutschen Bundesregierung in Kauf nahm.
Auch die Angelegenheit verläuft entsprechend seiner bekannten Arbeitsscheu.

[….] In diesen Tagen wollte Horst Seehofer Abkommen mit EU-Ländern präsentieren, um Flüchtlinge zurückzuschicken. Bis jetzt gibt es kein einziges. [….] Der August hat begonnen. Und damit ist es an der Zeit, bei CSU-Chef Seehofer nachzufragen, was er bei seinen Bemühungen um bilaterale Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen erreicht hat.
Die Antwort ist, kurz gesagt: nichts. [….] Der CSU-Politiker hat sich selbst unter Zugzwang gesetzt, als er nach der Verständigung innerhalb der Bundesregierung vor vier Wochen davon sprach, bis Ende Juli/Anfang August Ergebnisse vorlegen zu wollen. Mancher wunderte sich seinerzeit über diese selbstbewusste Ansage. Aber Seehofer wollte offenbar zeigen, dass er jetzt rasch liefern kann. [….] Aber vielleicht will der CSU-Chef auch einfach nur so bald wie möglich das leidige Thema vom Tisch haben - und an die Kanzlerin übergeben. Wenn es international wirklich knifflig wird, müssen am Ende nämlich sowieso immer die Staats- und Regierungschefs selbst ran. [….]

Seehofer ist ein wahrer Westentaschen-Trump. Maul aufreißen, Chaos stiften, xenophob hetzen und wenn es um konkrete Politik geht: nichts liefern, nicht arbeiten, faulenzen.

Dienstag, 31. Juli 2018

Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.


Als ökonomische Einheit betrachtet bin ich sehr allein.
Meine „Firma“ besteht eigentlich nur aus einem Gewerbeschein und dem was ich so vor mich hinkritzele.
Das hat Vorteile, weil ich wenige Unkosten habe. Schließlich wohne ich allein mit 20 Jahre altem Mietvertrag; keine Haustiere, keine Kinder, keine Exfrauen, die ich finanzieren muß. Keine teuren Hobbys, keine Reisen und für’s „ausgehen“ bin ich glücklicherweise zu alt.

Blöd ist natürlich, wenn ich mir, wie Anfang des Jahres geschehen, einen Krankenhausaufenthalt mit aufwändiger OP gönne und anschließend zwei Monate nicht mehr laufen kann. Miete, die extrem teure private Krankenversicherung, aus der ich nicht rauskomme, die Zeitungsabos, sonstigen Versicherungen, KfZ-Steuer, Telefon, Internet werden selbstverständlich weiterhin jeden Monat abgebucht.

Das wird dann sehr schnell unlustig und bedrohlich, wenn kein Geld mehr reinkommt.
Hilfe kann man nicht erwarten. Wenn ich anfange zu jammern, daß ich diesen Monat leider nicht gearbeitet habe und daher kein Geld habe, wird meinen Vermieter das nicht interessieren.
Politische Appelle kann ich mir auch sparen. Ich habe schließlich keine Lobbyisten bezahlt, bin systemisch irrelevant.

Das ist ganz anders, wenn man Opel, Banker, Atomindustrie oder Bauer ist.
Dann muss man sich auch nicht mit Petitessen aufhalten und zum Beispiel erst mal klären, ob man wie die ein oder andere Landesbank ganz allein schuld an der Misere ist.
Dann reißt an einfach die Klappe auf.
Der Goldstandard ist der Status als „global systemrelevant" (Global Systemically Important Bank, G-SIB), vulgo „too big, to fail“.
Das ist praktisch. Da kann man rücksichtslos rumspekulieren, Milliarden an sich raffen und wird zum Geburtstag zum Privatdinner ins Kanzleramt eingeladen.
Und wenn alles schief geht, man zehnstellige Summen verdaddelt hat, bekommt man weiterhin seine Millionengehälter, wird weiterhin ins Kanzleramt eingeladen und hält dort die Hand auf, um den Steuerzahler die Verluste übernehmen zu lassen.

Man erinnere sich an die international gesehen kleine HSH-Nordbank, die eigentlich Kleinunternehmer in Hamburg und Schleswig-Holstein unterstützen sollte, dann aber auf die Idee kam lieber das ganz große Geld mit internationalen Finanzprodukten und Schiffsfinanzierungen zu machen.
Im Aufsichtsrat hockten völlig überforderte Landespolitiker wie Werner Marnette, von Juli 2008 bis März 2009 CDU-Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein und Wolfgang Peiner, von 2001 bis 2006 CDU-Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, die tumb zu allem Ja sagten.
Und dann waren plötzlich 30 Milliarden verzockt und die Bürger der beiden nördlichen Bundesländer hatten den Schaden.
Peiner und Marnette schämten sich noch nicht einmal.
Nur Bundesfinanzsenator Steinbrück war sauer und verfügte, Manager der vom Steuerzahler „geretteten“ Banken dürften nicht mehr als EUR 500.000,- jährlich verdienen.
CDU-Bürgermeister Ole von Beust hatte es aber bekanntlich nicht so mit Regeln und Anstand. Er ließ dem Mann, der 30 Milliarden verloren hatte, Dirk Jens F. Nonnenmacher, von 2008 bis 2011 Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank, dennoch 1,5 Millionen Euro Gehalt zahlen.
Als die Sache aufflog, zuckte Beust mit den Achseln und verkündete lapidar für bloß 500.000,- bekomme man eben keinen qualifizierten Manager.

Spätestens da bedauerte ich es kein Bankmanager geworden zu sein.
Wenn man noch einem 30-Mrd-Verlust, für den die Hamburger und Schleswig-Holsteiner gerade stehen müssen, immer noch als so qualifiziert gilt, daß man 1,5 Millionen Jahresgehalt verdient, kann der Job ja nicht sehr anspruchsvoll sein.

Deutsche Bauern sind ähnlich gut vernetzt.
Ihre Lobby-Präsidenten sitzen üblicherweise direkt in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und sorgen wie schon Seehofer und Aigner dafür, daß unter allen Umständen geheim gehalten wird, wer eigentlich die gewaltigen Agrarsubventionen bekommt.

Subventionen, die vom Steuerzahler aufgebracht werden, im großen Maßstab, ja sogar global die Landwirtschaft ruinieren, weil sie mit EU-Billigexporten afrikanische Bauern in die Pleite treiben und zur Flucht zwingen. Subventionen, die inzwischen 50% der bäuerlichen Einkünfte ausmachen und nach Fläche verteilt werden. Den Größten und Umweltschädlichsten das Meiste.
Fast alles für Monokulturen, nichts für kleine Ökobauern.

[…..] Die 15 Top-Subventionsempfänger erhielten 2017 zusammen 86 Millionen Euro - von insgesamt 6,5 Milliarden Euro. […..] Auch die dänisch-schwedische Molkereigenossenschaft Arla gehört mit 3,09 Millionen Euro zu den Top-Subventionsempfängern in Deutschland. […..] Die Agrarausgaben machen mit etwa 58 Milliarden Euro jährlich aktuell fast 40 Prozent des EU-Budgets aus. Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) hat auch deshalb einen so großen Stellenwert, weil sie seit mehr als 50 Jahren der einzig voll gemeinschaftlich finanzierte Politikbereich der EU ist. […..] Unter den Top 20 sind auch fünf landwirtschaftliche Großbetriebe - sie bewirtschaften alle riesige Flächen in Ostdeutschland. […..]
Die Molkerei Arla steht mit gut drei Millionen Euro im Ranking der Direktzahlungen auf Platz fünf[…..]
Mit Südzucker landet einer der größten Nahrungsmittelkonzerne Deutschlands auf Platz elf der Empfänger von Direktzahlungen. Das börsennotierte Unternehmen bezog 2017 rund 1,6 Millionen Euro aus dem EGFL-Topf. Hinzu kamen noch fast 300.000 Euro aus dem ELER-Fördertopf für die Entwicklung des ländlichen Raums. 2016 bekam Südzucker Subventionen in Höhe von 1,82 Millionen Euro. Der Konzern machte in den vergangenen beiden Geschäftsjahren unterm Strich jeweils einen Gewinn von mehr als 300 Millionen Euro. […..] Laut Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums erhielten die landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2016/2017 im Durchschnitt 33.817 Euro an Direktzahlungen und Zuschüssen. Dies entsprach 408 Euro pro Hektar. [….]

Fairerweise sei erwähnt, daß die kleinere Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft diesen Wahnsinn auch kritisch sieht.

[….] Es sei zu einfach, jetzt nur Geld vom Bund zu fordern, sagt ihr Geschäftsführer, Georg Janßen. Er appelliert an die Solidarität der Bauern untereinander und die der Abnehmer ihrer Erzeugnisse. "Faire Preise würden uns viel mehr helfen als die Unterstützung vom Staat", sagt er. [….]

Derzeit erleben wir eine Rekordhitze in Deutschland.
Jeder kann mit eigenen Augen sehen, wie die Natur leidet.
In Hamburg schöpft die Umweltbehörde täglich tonnenweise tote Fische aus der Alster ab, die Straßenbäume werfen die Blätter ab und die Grünflächen sind braun.
Wie so oft, klagen natürlich auch die Bauern.
Nicht so gerne erwähnt wird dabei, wie heterogen das Bild ist. Einigen nützt die Hitze. Und alle können sich über höhere Preise freuen.

[….] "Beim Obst überwiegen die positiven Effekte der Witterung", sagt Michael Koch vom Agrarmarktinformationsdienst (AMI). Die Apfelbäume hängen in diesem Sommer recht voll. Auch melden Obstbauern in diesem Jahr eine deutlich größere Kirschen- und Pflaumenernte. Bereits im Frühsommer hat die Branche sechs Prozent mehr Erdbeeren geerntet als im Vorjahr. [….] Die Winzer profitieren bislang vom langen und warmen Sommer 2018. Die Trauben sind etwa drei Wochen schneller gereift als im langjährigen Durchschnitt, die Rebstöcke reichlich behängt. "Die Ertragsaussichten der Winzer sind gut in diesem Jahr", sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Bereits in einer Woche wollen erste Betriebe mit der Weinlese für Federweißer beginnen. Einen so frühen Erntetermin habe es noch nie gegeben. [….]

Die politischen Bauern sind allerdings nicht mehr gewöhnt Risiken zu tragen und vorausschauend zu planen.
Sie kennen es nicht mehr anders, als immer vom Steuerzahler üppige Zulagen zu erhalten.
Fällt die Ernte also mal schlechter aus, ist es ein natürlicher Reflex sofort nach dem Bund zu quaken. Der soll für die Verluste aufkommen.
Eine Milliarde Euro Soforthilfe darf es schon sein. CDU-Rechtsauslegerin Klöckner, ehemalige Weinkönigin und Landwirtschaftsministerin, prüft es wohlwollend. Ist ja nicht ihr Geld und außerdem waren die Bauern schon immer die treuesten CDU/CSU-Wähler.

 [….] Wann immer die Natur nicht will, wie die Landwirtschaft hofft, kommt bald der Staat ins Spiel. Kein Wunder, schließlich sitzen an den Kabinettstischen in Bund und Land genügend Agrarminister, um auf das Wohlergehen der Bauern zu achten. Einen so direkten Draht hat keine andere Branche. Wenn Bauernpräsident Rukwied daher jetzt schon eine Milliarde Euro für „wünschenswert“ hält, um besonders hart getroffene Bauern für die Ernteausfälle zu entschädigen, lässt das politische Echo nicht auf sich warten.
[….]  Auch ist es Kernaufgabe jeden Landwirts, seinen Betrieb gegen Wetterschwankungen zu wappnen.
Es ist seine Sache, das Risiko auf verschiedene Standbeine (etwa Ökostrom oder Tourismus) zu verteilen, Pflanzen entsprechend auszuwählen und zu mischen, Kapitalreserven zu bilden oder sich zu versichern. Doch gerade am Aufbau von Versicherungsschutz scheint der Bauernverband wenig interessiert. Offenbar ist es einfacher, für die Wetterlaunen öffentliche Hilfen zu mobilisieren.[….]

Leider wurde in der Landwirtschaftspolitik längst wieder der Bock zum Gärtner gemacht, nachdem es unter Gerd Schröder mit Renate Künast eine Bundesministerin gab, die Strukturen aufbrach, auf Ökologie setzte und die bäuerlichen Großbetriebe und Monokulturen kritisierte.
Allein, der Wähler wollte das nicht und wählte lieber wieder C-Politiker auf den Posten, die tun, was die Agrar-Großlobby will.

Die Bauern haben zwar zum Teil selbst Schuld an ihrer Misere, aber ihre politischen Vertreter in der Union befördern eine Vollkasko-Mentalität, die ein ökologisches Umdenken unmöglich macht.

[…] Landwirte bekommen staatliche Beihilfen, die knapp die Hälfte ihres Einkommens ausmachen. Und sie können sich auf eine starke Interessenvertretung verlassen. Wie sehr, das zeigt sich in diesen Tagen wieder. Eine Milliarde Euro vom Staat verlangt der Deutsche Bauernverband, um dürregeplagten Erzeugern zu helfen - eine Forderung, die einerseits verständlich, andererseits aber auch dreist ist. Verständlich ist sie, weil tatsächlich Existenzen auf dem Spiel stehen. Dreist, weil ein Teil des Problems hausgemacht ist. Es kann nicht angehen, dass die Agrarlobby einerseits offene Märkte fordert, andererseits aber sofort nach staatlicher Hilfe ruft, wenn sich Markt und Wetter einmal von ihrer schlechten Seite zeigen. [….]
Was auf Äckern und in Ställen geschieht, hat auch Einfluss aufs Klima. In der Tierhaltung entstehen schädliche Treibhausgase; Böden können dagegen CO₂ speichern.
An diesen Stellschrauben muss die Agrarpolitik drehen. Weniger Tiere in Ställen, das bedeutet unter dem Strich weniger Emissionen. Ein Ackerbau, der auf Vielfalt statt auf Monokulturen setzt, wenig Pestizide und Kunstdünger verbraucht, entlastet die Klimabilanz. Wie empfindlich riesige Felder reagieren, zeigt sich in diesem Sommer in Nord- und Ostdeutschland. Wo vor Jahrzehnten noch Bäume und Hecken kleinere Äcker säumten und so ein stabiles Mikroklima schufen, wächst heute Mais, Getreide oder Raps, so weit das Auge reicht. Böden trocken so schneller aus, erodieren leichter. Insekten und andere Tiere können in solche Agrarwüsten nicht überleben. [….]