Dienstag, 22. Mai 2018

Kinderperversion


Wenn man wie ich kinderlos ist, steht man immer wieder vor dem Problem, in der Öffentlichkeit auf Mütter oder Väter zu treffen, die ihre Kinder falsch behandeln.
Man kann aber nichts sagen, weil man erstens ja der Kinderlose ist, der nicht weiß wie das ist. Weil es generell sehr verpönt ist sich in die Erziehung anderer einzumischen und weil allgemeiner Konsens darüber herrscht, daß Eltern immer am besten für das Kind sind, ihnen auch nur das Beste wünschen.
Das gehört insbesondere zur konservativen DNA. Konservative lieben Homeschooling, sehen Kitas und Kindergärten skeptisch und drängen in Form der CSU darauf eine Herdprämie für die Mütter zu zahlen, die ihr Blag streng von allen staatlichen frühkindlichen Bildungsangeboten fernhalten.
Staatliche Eingriffe in die Kinderbetreuung sind so DDR.
Das mögen Seehofer und Söder gar nicht.

Offensichtlich habe ich es auch sehr verinnerlicht mich nicht in anderer Leute Kindererziehung einzumischen. Ich sehe täglich Mütter auf der Straße, die stundenlang intensiv auf ihrem Klugtelefon rumtippen, während sie ihr Gör in der Kinderkarre genau in Höhe der Auspuffgase am Straßenrand parken.
Berufsmütter, die morgens im Gänsemarsch auf den betreuten Kinderspielplatz gegenüber meiner Küche marschieren und dann grundsätzlich erst mal anfangen ihre Ableger so laut anzubrüllen, daß ich mehre geschlossene Türen und Fenster entfernt aus dem Bett falle.
Hoppla, jetzt komme ich-Elternteile, die akustisch desensibilisiert stoisch ausharren, während ihr Kind im Supermarkt sämtliche andere Kunden belästigt.
Oder die ihren adipösen Nachwuchs coram publico mit ungesündestem Junkfood füttern.
Es gibt auch das Gegenteil, Mütter, die so overprotective und hysterisch hygienisch sind, daß man sofort weiß welche unselbstständigen, hypersensiblen Stubenhocker da generiert werden. Helicoptereltern, die am liebsten noch ihre 20-Jährigen Kinder zur Uni fahren und wieder abholen. Die ihren armen Kleinen mit Desinfektionsspray und OP-Handschuhen folgen. Das sind eher die spätgebärenden Eltern, die schon vor der Geburt mehr als hundert Ratgeber gelesen haben und keinen Raum betreten, bevor sie nicht jeden Quadratzentimeter nach Gluten, Lactose und Erdnusskrümeln abgesucht haben – alles tödliche Gefahren für ihren Nachwuchs.

Und ich sage nie etwas.
Da muss es schon zu massiven Übergriffen kommen. Aber die kann ich an einer Hand abzählen. Einmal bat ich eine Mutter ihr Kleinkind zurückzurufen, nachdem dieses in der Gemüseabteilung gerade Dutzende Schalen mit frischen Himbeeren zerrockert hatte. Mama verbat sich natürlich die Eimischung.
Ein anderes mal ging ich, ebenfalls in einen Supermarkt, dazwischen, als eine sehr junge Mutter, ihr auf dem Boden liegendes, schreiendes Balg (das mich zugegebenermaßen auch schrecklich genervt hatte) grob verprügelte. Sie holte mit ausgestrecktem Arm aus und schlug dem circa Dreijährigen mehrfach mit voller Wucht ins Gesicht.
Auch sie war wütend über meine Einmischung, murmelte dann aber ob der erregten Aufmerksamkeit – es hatte sich schon ein Halbkreis aus tumb glotzenden anderen Kunden um uns gebildet – sie schlüge ihr Kind eigentlich auch gar nicht oft, aber manchmal wäre der so, da müsse das halt sein. „Sie wissen ja nicht wie das ist!“
Das ist jetzt 20 Jahre her. Ich glaube, wir hatten beide Recht. Vermutlich weiß ich nicht wie sehr einem ein renitentes Kind auf die Nerven gehen kann und wie dünn das Nervenkostüm werden kann.
Dafür weiß ich aber trotzdem, daß es erbärmlich ist, wenn ein Erwachsener auf ein Kleinkind eindrischt.

Ich hoffe immer, nicht in solche Situationen zu kommen, mache möglichst einen Bogen um Mütter mit Kindern, achte im Supermarkt immer streng darauf an der Kasse mit den ältesten Menschen in der Schlange anzustehen. Man bringe niemals seinen Einkaufswagen in die unmittelbare Nähe eines alles angrabbelnden Kindes. Solche Kinder sind üblicherweise auch Virenschleudern, husten und niesen, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, spucken vor sich hin.

Als ich vor zwei Dekaden hier einzog und fassungslos über den vormittäglichen Kinderlärmpegel in der Küche stand, habe ich erst mal abwechselnd meine Eltern eingeladen und sie peinlich genau befragt: „War ich in dem Alter eigentlich auch so?? Habe ich so rumgeschrien?“
Beide Eltern, aber auch andere Verwandte meiner Elterngeneration schworen zu meiner Beruhigung, ich hätte mich als Kind nie so renitent benommen.
Das hört man gerne.
Womöglich stimmt es sogar, weil ich tatsächlich eher kontemplativ und still veranlagt bin. In meinen Grundschulzeugnissen waren das Standardbewertungen: „ist leider noch zu still.“ – das schrieben in Abwandlungen alle Lehrer über mich.

Womöglich stimmt es auch, daß ich ruhiger als heutige Gören war, weil alle Kinder vor der Erfindung des Internets mehr Aufmerksamkeit ihrer Eltern bekamen.
Kinder wurden überhaupt weniger separiert und viel mehr in den Alltag der Erwachsenen integriert.

Der Spielplatz-Designer Günter Belzig hält Spielplätze eigentlich für pervers, weil sie Kinder vom Rest der Gesellschaft ausschlössen; schöner wäre es Kinder in der ungestalteten Wildnis spielen zu lassen, oder gar wie er selbst in der Nachkriegszeit in den Trümmern der Stadt zu toben.

In der heutigen Mopo spricht sich die Kulturwissenschaftlerin Darijana Hahn vom Deutschen Kinderhilfswerk dementsprechend auch gegen mehr Spielplätze aus.


Wir sollten uns vielleicht alle von der Vorstellung verabschieden, daß Mütter schon am besten wüsten was gut für Kind ist.
Warum sollten sie?
Es gibt keinerlei Qualifikationstest vor einer Schwangerschaft.
 Ich bin fast geneigt zu sagen, daß im Sinne des Antinatalismus‘ eher diejenigen, die keine Kinder bekommen, wissen was gut ist für die Welt.

[….] Es ist kühl draußen, frühlingskühl: frösteln im Schatten, leichte Wärme in der Sonne. Ich öffne die Tür zum Café und setze mich direkt ans Fenster ins Licht. [….] Die Chefin geht in die Küche und kommt mit der Quiche zurück. Sie fragt: Jehts jut?
Wat schreibense? Ein Buch? Na da fragense die Richtige. Mir stehts nämlich bis hier mit den Weibern hier im Prenzlauer Berg. Eins im Wagen, eins am Wagen, eins im Bauch, so schettern die hier die Straße runter. Schön is dit nich! Die Weiber hier denken doch, die sind was Besseres. Weil sie Kiiiiinder haben! Huch! Is ja ganz was Neues, dass man sich fortpflanzen kann. Gucken Se, da draußen, schon wieder zwei Rinder. Wie die aussehen! Man könnte würgen, wer geht denn über so wat noch drüber? Friseur? Braucht so eine nich. Mal wat anderet als ne Jack-Wolfskin-Jacke? Nee, is nich. Der Alte zahlt ja, den haben se sicher mit dem Blag.
Die kommen hier rein in mein Café, drei Kinderwagen auf dreißig Quadratmeter. Dann is hier dicht. Na, sag ich, einen könnse mit reinnehmen, aber die andern Wagen bitte draußen lassen. Was mir einfällt, macht mich die Olle an, das wäre ja Diskriminierung! Ja, sag ich, wenn Sie hier alle reinrollen, gibt's keinen Platz mehr für andere Gäste. Na hallo, sagt das Rind, das werd ich jetzt überall rumerzählen, dass man hier mit Kindern diskriminiert wird. Ja, sag ich, denn erzählnse dit mal weiter, dann bleiben solche wie Sie endlich weg.
Oder neulich, da kommt eine rein, Mittagszeit. Bei mir gibt's Salate, Bagels, Baguettes. Sagt se: Die Hackfleischsuppe hätt ich gern ohne Fleisch. Icke: Jeht nich, aber bestelln Se doch wat anderet. Sie: Entschuldigung, mein Baby ist hoch allergisch, können Sie verantworten, wenn das Kind einen Schock über die Muttermilch kriegt? Die hab ick rausgeschmissen, klar, is immer noch mein Café. Und dann wieder das Geseire: Ich zeig Sie an, ich wohne hier, und ich werde alle meine Freundinnen davor warnen, zu Ihnen zu kommen. Machense dit, machense, hab ick noch gesagt.
[….]  Du lieber Himmel, der Prenzlauer Berg war mal underground, schwul-lesbisch, alles, ich komm ja von hier. Jetzt setzen die sich hier im Pulk hin, holen ihre Euter raus und stillen die Kinder. Nicht dass die da mal 'ne Decke drüberlegen oder so - neeeein, das soll jetzt aber auch wirklich jeder mitkriegen, dass sie ihr Baby ernähren können, dass sie das hinkriegen mit vierzig oder wie alt die sind. Großes Getöse. Ick meine, das Wort "stillen" kommt ja wohl von STILLE. Aber dit raffen die einfach nicht, die Rinder. Ich hab schwule Stammgäste, die sehen das und sagen: Entschuldige, Tanja, mir wird schlecht, ich kann nicht mehr zu dir kommen, wenn die hier ihr ganzes Gehänge rausholen. Kann ick verstehen. Ick hab selber noch mal was Kleines bekommen, der ist jetzt fünf.    Sie glauben ja nicht, was bei den Elternversammlungen im Kindergarten abläuft. Da kommen die alle angelatscht, die Kinder natürlich dabei, und dann geht das los: Mein Sohn braucht Spanischunterricht, meine Tochter musste neulich alleine spielen, warum gibt's hier eigentlich kein Bioessen, die Erzieherin hat neulich so unfreundlich geguckt … Die Leiterin, die kenn ich noch von meiner großen Tochter, die ist heulend rausgerannt. Die drohen ja alle gleich mit dem Anwalt - mit dem sind sie ja praktischerweise auch verheiratet. [….]

Wie mich 1985 Stings Russians-Text ärgerte.

There is no monopoly on common sense
On either side of the political fence.
We share the same biology, regardless of ideology.
Believe me when I say to you,
I hope the Russians love their children too

Natürlich lieben Russen ihre Kinder.
Ich glaube, die ganz große Mehrheit der Eltern liebt ihre Kinder.
Dafür sorgt vermutlich auch die Hirnchemie, die hormonell entsprechend einstellt. Es wäre ja übel, wenn ein dummes oder häßliches Kind nicht von seinen Eltern geliebt würde.
Ein Kind großzuziehen und teuer und sehr aufwändig, man muss es also lieben.

Man sollte aber nicht denken, daß alle Kinder geliebt werden.

[…..] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von rund 18 Millionen Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind. Das sind auf Deutschland übertragen rund eine Million Mädchen und Jungen. Dies bedeutet, dass etwa 1 bis 2 Schülerinnen und Schüler in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt durch Erwachsene betroffen sind. […..]

In Amerika gehören über 50% der obdachlosen Kinder zur LGBTI-Gemeinde.
Sie alle wurden von ihren Eltern auf die Straße geworfen, als sie sich outeten.
Auch da kann es mit der Liebe wohl nicht so weit her sein.

Zudem kann man ein Kind aus Unwissenheit sehr schlecht behandeln.
Die Bibel schreibt es sogar seit 2000 Jahren ausdrücklich vor Kinder zu misshandeln und grausam zu schlagen. In den Schlägen zeige sich die Liebe.
Der jetzt so allgemein adorierte Papst Franziskus spricht sich auch für das Schlagen von Kindern aus – wenn es denn in Würde geschehe.
1,4 Milliarden Menschen hält es offenbar nicht davon ab katholisch zu sein, daß ihr Papst von der Würde der Kindesmisshandlung faselt.

Millionen Kinder werden jedes Jahr an den Genitalien verstümmelt. Vermutlich nicht, weil die Eltern sie hassen, sondern weil die Eltern schwer fehlgeleitet sind.

Schon vor Jahrzehnten gruselte ich mich, als ich erstmals TV-Berichte über Pädophilenwettbewerbe sah, die offensichtlich in der gesamten USA verbreitet sind.
Eltern, die ihre Zwei-, Drei- oder Fünf-Jährigen Töchter schminken, als Edelprostituierte ausstaffieren und dann kreuz und quer durchs Land fahren, um die Little Miss Sunshines in Schönheitswettbewerben vorzuführen.
Und da wundert sich jemand, daß die USA das Land mit der höchsten Psychotherapeutendichte sind?

Vermutlich lieben auch NRA-Anhänger ihre Kinder.

[…..] In den USA sind in diesem Jahr mehr Schulkinder erschossen worden als Soldaten im Dienst. In einer Schule in Ohio dürfen deshalb Lehrer ihre Klassen mit Pistolen schützen. […..]

Ich habe keine Kinder, wie gesagt. Aber ich bin dennoch sicher es besser zu wissen. Das ist nicht gut für Kinder:




Montag, 21. Mai 2018

Keine Kirchenkritik, nirgends.


Das ist auch nicht ganz einfach, sich zu beherrschen keine billigen Namensverballhornungen zu machen, wenn man eine WDR-Dokumentation über die katholische Kirche scharf kritisieren will und der Produzent, ein ehemaliger Stipendiat vom katholischen Cusanuswerk, Dr. Stefan Pannen heißt.

[….] Die Bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk ist das Begabtenförderungswerk der katholischen Kirche in Deutschland im Rahmen staatlicher Begabtenförderung. [….] Die Geförderten sollen befähigt werden, ihre Talente und ihr Gestaltungsvermögen in christlicher Verantwortung dort einzubringen, wo die Zukunft des Gemeinwesens entschieden wird: in Staat, Gesellschaft und Familie, Wissenschaft und Kirche, Wirtschaft, Kultur und Medien.
Wir wählen Studierende und Promovierende aus, die ihren christlichen Glauben leben, in ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl handeln und hervorragende akademische Leistungen erwarten lassen. [….] Das Cusanuswerk versteht sich als Ort der Kirche. Es ist sich der Bedeutung des christlichen Glaubens für das  Gelingen einer freiheitlichen Gesellschaft bewusst und betont den wechselseitigen Bezug von Wissenschaft und Glauben. Die Geförderten des Cusanuswerks wollen in christlichem Verantwortungsbewusstsein der Kirche  und der Welt dienen. […..]

Für den äußerst kirchenfreundlichen WDR eine Ehrensache einen Cusanuswerker zu engagieren, wenn er eine kritische (das war Ironie!) Dokumentation über die katholische Kirche in Auftrag gibt.

Ich kenne es gar nicht anders. Kaum ein deutsches Medienhaus, das es wagt die Kirche mit einem Atheisten oder gar Kirchenkritiker zu belästigen. Die Kirche wird stets in Watte gepackt.
Nur fromme Journalisten dürfen über die Frommen im öffentlichen Auftrag sprechen.

Das ist einer der von mir immer wieder beklagten Presse-Missstände.
Alle Kirchenthemen werden von frommen Gläubigen behandelt.
Dafür hat Springer Badde und Englisch, der Tagesspiegel die unvermeidliche Claudia Keller, die Zeit Frau Finger und die SZ eben Matthias Drobinski.
(……) Man stelle sich vor über die CDU würden nur noch CDU-Mitglieder schreiben. Oder nur noch Soldaten über die Bundeswehr. 

Geht es um die Grundfrage des Christentums in Deutschland – was geht da eigentlich so sagenhaft schief, daß jedes Jahr Hunderttausende aus der Religionsgemeinschaft flüchten, während aus anderen Kontinenten ein reger Zulauf herrscht – wird es bei den großen Zeitungen ganz gediegen.

Der WDR bezahlt mit den von der Majorität der kirchenfernen Gebührenzahlern finanzierten Mitteln ein ganzes Imperium aus Kirchenbauchpinselungen.
Jeden Tag gibt es ein halbes Dutzend Christen-Werbesendungen unter der Rubrik „Kirche im WDR.“

So erfuhr ich vor einigen Wochen ebenfalls im WDR in einer herzzerreißenden Langzeitreportage von Nikolas Jenke, der so VERLIEBT IN GOTT ist, daß er im Duisburger Priesterseminar hockt. 45 Minuten bejubelte der WDR den jungen Pykniker, der sein Leben einer misogynen Kinderfickersekte widmet.

Herr Pannen sollte hingegen eine dezidiert kritische Reportage machen.
Es ging um die allseits bekannte Tatsache der Gemeindeschrumpfungen, des dramatisch zurückgehenden Priesternachwuchses und den sich daraus ergebenden Friktionen zwischen frommer Basis und Kirchenfürsten, die nicht mehr jeder Gemeinde ihren eigenen Pfaff stellen können.

[……] Die katholische Kirche ist in der Krise. Mangels Nachwuchs sind inzwischen viele Priesterseminare geschlossen, Pfarrgemeinden wurden drastisch zusammengelegt, was die verbliebenen Gläubigen auf die Barrikaden bringt. Ist die Kirche in Deutschland am Ende? Kann die Kirche ohne Priester überhaupt noch funktionieren?
Die Dokumentation erkundet zudem, wo die katholische Kirche ohne Priester neue Wege erfindet: an sozialen Brennpunkten wie in Frankfurt-Höchst, wo sie sich aus dem Gotteshaus hinaus zu den Menschen begibt, im Kampf von Gemeindemitgliedern in der Eifel um den Erhalt ihrer Pfarreien, in der Schweiz, wo Frauen am Altar stehen dürfen und im Amazonasgebiet, in dem mit dem Segen aus Rom künftig verheiratete Männer die Gottesdienste leiten sollen. [….]

Zwei mögliche Ursachen der sterbenden Priesterseminare konnten ausgemacht werden: Der Zölibat und das Verbot des Frauenpriestertums.
Daran orientierte sich die 45-minütige Pannen-Reportage.


Die möglichen Auswege aus der Krise sind laut dieser Reportage Importpriester aus Afrika und Asien, Aufweichung des Zölibats, Wortgottesdienst, möglicherweise Zulassung der Eucharistie für besonders fromme und lange engagierte katholische Laien, sowie zusätzliche Verantwortung für engagierte Frauen in der Kirche.
Alle genannten Argumente kann ich schon singen. Gemeindezusammenlegungen und Kirchenschließungen aus Priestermangel sind seit Jahren ein präsentes Thema.

Schon zu Kreuznets Zeiten wurde den Pannen-artig Argumentierenden entgegengeworfen, daß die Evangelen bekanntlich keinen Zölibat verlangen, sogar mindere Weibsbilder zu Bischöfen machen und dennoch mehr Mitglieder verlieren als die Katholiken.

Man kann das nicht ganz von der Hand weisen.
Wieso gab es vor hundert Jahren und auch noch vor 50 Jahren trotz Zölibats und ohne Frauenpriestertum noch reichlich Priesternachwuchs und heute nicht mehr?
Hatten die Männer im Jahr 1918 keinen Geschlechtstrieb, fiel ihnen der Zölibat so viel leichter?

Natürlich nicht. Es spielen andere Faktoren eine Rolle:

1.) Schwulenemanzipation.

Vor 100 Jahren konnte kein bayerischer männlicher Teenager feststellen Jungs zu lieben, dazu stehen und einen normalen Lebensweg gehen. Er mußte das verheimlichen, da anderenfalls Zuchthaus drohte. Aber je älter er wurde, desto eigenartiger wurde es, daß er nicht verheiratet ist, sich nichts aus Frauen macht. Es würde getuschelt werden.
Die einzige Möglichkeit für Schwule all diesen Fragen aus dem Weg zu gehen, war das Priesterseminar. Hier würde er Gleichgesinnte treffen und niemand fragte mehr, wieso er kein Eheweib nehme.
Daß dieser Notausstieg Priesterseminar wegfällt, weil inzwischen auch Jungschwule im kleinsten katholischen Dorf Internet haben, sich outen und ein glückliches Leben führen können, ist ganz schlecht für die Regens.

2.) Sozialstaat

Vor 100 Jahren gaben viele elterliche Betriebe und Bauernhöfe nicht genug her, um alle Söhne – von denen man mangels Verhütungsmethoden reichlich hatte – zu ernähren. Da war es eine notwendige pekuniäre Entscheidung das jüngste Balg ins Priesterseminar zu schieben.
Heute hingegen ist es (theoretisch) möglich alle Kinder auf Staatskosten studieren zu lassen was sie wollen. Sie müssen dazu nicht Geistlicher werden.

3.) Bildung

Je doofer, desto gläubiger. Vor hundert Jahren waren die Menschen gottesfürchtiger, weil sie es nicht besser wußten. Die meisten besaßen Volksschulbildung und nicht mehr.
Mit der freien Verfügbarkeit von Bildungsinhalten und der immer weniger stattfindenden Sanktionierung von Fragen, kann man kirchliche Lehren hinterfragen und zu dem Schluss kommen, daß das großer Mist ist.

All diese Zusammenhänge erwähnte Cusanuswerker Dr. Stefan Pannen natürlich nicht in seiner dreiviertelstündigen Reportage.

Es wurde gar nicht erst versucht einen objektiven journalistischen Blick auf das Problem zu werfen, sondern voller Sympathie für die Kirche rein subjektiv geschildert wie sehr man sich an der Basis bemüht.
Die fromme Kirchenfreundin Christiane Florin (Rheinischer Merkur/Christ und Welt/Redaktion „Religion und Gesellschaft“ beim DLF) wurde als Hauptexpertin für die Nachwuchsprobleme instrumentalisiert.

Es wurden nur kirchliche Menschen um Meinungen gefragt und der Gedanke, daß es positiv oder richtig sein könnte, wenn die Kirchen Einfluss und Gemeinden verlieren, war so absurd, daß er noch nicht mal gestreift wurde.
Durch jeden Satz zogen sich wieder einmal die Grundgedanken:

KIRCHE IST GUT
KIRCHE MUSS ERHALTEN WERDEN
WENIGER PFARRER SIND EIN VERLUST
JEDER HAT INTERESSE DARAN DIE KIRCHE ZU STÄRKEN
KIRCHE SOLL WIEDER STÄRKER WERDEN

Selbstverständlich kam kein einziger Kirchenkritiker zu Wort.

Dabei brachte die Pannenreportage Erstaunliches fertig.
Obwohl ausführlich der Limburger Bischof Georg Bätzing interviewt wurde und Limburger Gemeindezusammenlegungen thematisiert wurden, kam nicht mit einer Millisekunde das Gespräch auf seinen Vorgänger Tebartz-van-Elst und die ungeheuerlichen Finanzskandale, die so viele Menschen in dem Bistum aus der Kirche trieben.

Lieber Herr Pannen, liebe Frau Florin, die Bischöfe müßten nicht die Anzahl der Gemeinden radikal zusammenstreichen, wenn es genügend Gemeindemitglieder gäbe.
Die gibt es aber nicht, weil die Gläubigen massenhaft austreten und wir Konfessionslosen nun die relative Mehrheit der Deutschen stellen.

Auch das wurde in 45 Minuten mit keiner Silbe erwähnt.

Kirchen werden leerer, weil sie unattraktiv und überflüssig sind in einer sozialen gebildeten Gesellschaft.
Die Menschen sind gebildet genug, um sich von der RKK abgestoßen zu fühlen.
Der Organisation, die Frauen noch nicht mal zu den minderen geistlichen Ämtern zulässt, die gegen Gleichberechtigung Homosexueller kämpft, die dreistellige Milliardensummen hortet, auf ein diskriminierendes „Juden unerwünscht“-Arbeitsrecht besteht, geschiedene Kindergärtnerinnen entlässt, sich raffgierig vom Staat unterhalten lässt, mit den rechtesten Parteien und faschistoiden Regierungen harmoniert und sich bis heute nicht dazu durchringen kann ihre kinderfickenden Priester rauszuwerfen und etwas dagegen zu unternehmen, daß die Priesterseminare gezielt sexuell verklemmte Merkwürden anziehen.
Natürlich wurde in „Kirche ohne Priester“ auch das Wort „Missbrauchsskandal“ oder Pädophilie“ nicht ein einziges Mal erwähnt.
I’ve got news for you: Viele Menschen mögen es nun einmal nicht, wenn eine Organisation sich systematisch für Kinderficker einsetzt.

Sonntag, 20. Mai 2018

Meine tiefschwarze Seele.


Zur heutigen Ausgießung des Heigei habe ich meiner fröhlich-lockeren Stimmung entsprechend ein bißchen darüber gelesen, wie fürchterlich die Menschen sind und wie man es anstellen könnte die elende Homo-Sapiens-Infektion dieses Planeten zu stoppen.
Ich bin erstaunt wie doof ich bin; ausgerechnet ich, als weltgrößter Misanthrop, der seit Jahrzehnten gerne Emile M. Cioran liest, kannte die Begriffe „Antinatalismus“ und „Efilismus“ nicht.


Auch mein Jahrgangsgenosse Théophile de Giraud war bisher an mir vorbeigegangen.
Shame on me.

Also der Reihe nach:

1.)

Der große rumänisch-französische Philosoph Cioran (* 8. April 1911 in Rășinari in Siebenbürgen, Österreich-Ungarn; † 20. Juni 1995 in Paris), Sohn eines orthodoxen Priesters im multiethnischen Transsilvanien, ist Schüler Arthur Schopenhausers und wurde nach dem zweiten Weltkrieg zu einem radikaleren und pessimistischeren Nietzsche. Pessimistisch und zynisch schrieb er schon mit 20 Jahren in „Auf den Gipfeln der Verzweiflung“:

    „Ich weiß überhaupt nicht, weshalb wir hienieden etwas tun, warum wir Freude und Bestrebungen, Hoffnungen und Träume haben müssen. […] Aber was gibt es in dieser Welt schon zu gewinnen? […] Es gibt keinerlei Argumente für das Leben.“

Auf den Gipfeln der Verzweiflung, Das Buch der Täuschungen und Die Lehre vom Zerfall sind seine bedeutendsten Werke; am bekanntesten dürfte sein Spätwerk Vom Nachteil, geboren zu sein: Gedanken und Aphorismen von 1979 sein.

Cioran, aus Vom Nachteil, geboren zu sein

 2.)

Die Philosophie des Antinatalismus betrachtet das Bevölkerungswachstum außerordentlich skeptisch und spricht sich stark für Geburtenkontrolle aus.
Der Begriff geht auch auf Arthur Schopenhauer zurück und stammt vom lateinischen natalis, „zur Geburt gehörig“, ab.

3.)

Der Begriff des Efilismus entstand aus der Umkehrung von "life“ in "efil".
Elifisten sind deutlich radikaler als Antinatalisten. Darüber weiß ich fast nichts. Offenbar ist das Wort “efilism” in Amerika gebräuchlicher. Dazu ergoogele ich:

 Life always involves suffering, in obvious and subtle forms. Even when things seem good, we always feel an undercurrent of anxiety and uncertainty inside.

Depressions-Verstärker
 Mutmaßlich handelt es sich dabei um eine promortalistische Strömung, die auch aktiv gegen lebende Menschen denkt, während Antinatalisten nichts gegen bereits geborene Menschen haben (die können ja nichts dafür), sondern in der zukünftigen Kinderlosigkeit die Lösung globaler Probleme sehen.
Das unterstützte zum Beispiel auch Helmut Schmidt, der in seinen letzten drei Lebensjahrzehnten unermüdlich die Planetare Überbevölkerung als größtes Menschheitsproblem brandmarkte.
Im Zusammenhang mit den von Deutschland nicht erreichten „Klimazielen“ tauchte kürzlich eine Gespensterdiskussion auf, als Klimaforscher die unzureichenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Reduzierung von CO2 kritisierten. Der katastrophalste CO2-Abdruck sei ein in den Industrienationen geborenes Kind.
Das stimmt zwar zweifellos, wurde aber sofort von allen erdenklichen Hohlköpfen professionell missverstanden und als Angriff auf ihre Kinder angesehen.

4.)

Der Belgier Théophile de Giraud ist offizieller Vertreter des Voluntary Human Extinction Movement, einer 1992 in den USA gegründeten Bewegung, die dem Antinatalismus einen Überbau gibt für den französischsprachigen Raum Europas. Der Dandy-Punk, Goth, Schriftsteller, Performance-Künstler und Philosoph tritt europaweit auf, um den Planeten zu retten.


Ein sehr höflicher Mensch, der sehr bestimmt auftritt, aber natürlich fast nie ernst genommen wird.
Wie sollte das auch gehen in einer Welt, die sich gegenwärtig während der sich anbahnenden Superkrisen, Superkriege und Superwahlergebnisse (Silvio Berlusconi, Brexit, Theresa May, Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Viktor Mihály Orbán, Roderigo Duterte, Mateusz Morawiecki) erst wochenlang damit beschäftigt welche Fußballmannschaften in welchen Ligen auf- und absteigen und nun seit Tagen die Berichterstattungen sämtlicher seriösen Nachrichtenportale mit Bildern einer Hochzeit flutet, da ein Ed Sheeran-Double, das gerade mal auf Platz sechs der britischen Thronfolge steht irgendein amerikanisches Seriendarsteller-Sternchen heiratete.
Das scheinen offenbar die wichtigsten Nachrichten zu sein, das scheint dem Hauptinteresse des Urnenpöbels zu entsprechen, während wir fleißig Waffen exportieren und dafür sorgen, daß täglich Myriaden Arme und Kinder krepieren.

Théophile de Giraud, unglücklich über seine Geburt, stellt diesem Irrsinn seine überaus beeindruckende Schriftstellerkarriere entgegen:

[…..] "Womit de Giraud einen Großteil seiner Zeit verbringt, zeigt auch der Schuhkarton, den er mitgebracht hat. Darin ist eine Auswahl der Bücher, die er in den letzten fast zwanzig Jahren verfasst hat. Keins davon ist übersetzt, aber die Titel sprechen für sich: Von der Unverschämtheit, sich fortzupflanzen (2000), Einhundert Haikus zur Beschwörung der Toten (2004), Die Kunst, die Fortpflanzer zu guillotinieren: Antinatalistisches Manifest (2006), Diogenesen: fluoreszente Gedichte zur Zeit zwischen zwei Genoziden (2008). Aphorismensammlung zum Nutzen künftiger Familizide (2013). Alle seine Verleger seien pleite, sagt er. Wenn jemand ein Buch von ihm bestelle, müsse er selbst ein paar Euro drauflegen, damit ein Exemplar gedruckt werde." [….]

Dabei hat der gute Mann so RECHT!

[….] Der Schmerz ist immer größer als das Glück
Wie begründet man, dass nichtleben besser ist als leben? Erstens sei der Schmerz, den man im Leben erleide, immer intensiver und anhaltender als das Wohlgefühl, sagt de Giraud. "Vergleichen Sie mal eine Migräne mit einem Orgasmus." Zweitens sei das Unglück immer schon präsenter als das Glück: "Es ist viel schwieriger und unwahrscheinlicher, glücklich zu werden, als unglücklich zu sein." Drittens brächten Glücks- und Unglücksempfinden ein jeweils anderes Zeitgefühl mit sich: "Unglück dehnt die Zeit, Glück komprimiert sie." In der Summe ergebe das eine Existenz, die man besser gar nicht erst anfangen sollte. Glücklich ist, wer nicht geboren wird. […..]