Freitag, 8. Juli 2016

Explosive Stimmungsmacher


Im Norden und Westen Europas, in den USA gibt es diese neue Klasse von bornierten Politfatalisten, die angestachelt von ihre braun-inzestuösen Informationsinzestblasen in den sozialen Netzwerken nur noch hassen.
Angefeuert durch mehr oder minder subtile Tweet-Trigger fühlen sie sich berechtigt, mitunter sogar verpflichtet auch mit Gewalt gegen Minderheiten, Schwache, anders Aussehende vorzugehen.
Leider formiert sich nirgendwo eine seriöse Gegenöffentlichkeit, weil die Linke in vielen Ländern unter Generalverschiss steht.
Die stark meinungsprägenden stramm rechten Medienriesen in den USA, England und Deutschland tun ihr übriges; insbesondere wenn die klassisch-öffentlich-rechtliche Presse so versagt, wie die Britische gegenüber den Brexiteer-Lügen oder die Deutschen ARDZDF-Talkshows, die jede rechte Raspelrübe sofort einladen und hofieren, wenn sie einen tiefbraunen Furz gelassen hat.

Es gibt keine allgemein anerkannten Figuren mehr, die gesellschaftlich Weichen stellen können.
Das Kaliber Glotz, Grass, Böll, Habermas, Dönhoff, Brandt, bzw in den USA Sontag, Vidal, Chomsky, stirbt aus; ist weitgehend schon ausgestorben.

Es wird immer leichter für Typen wie Storch, Farage, Trump oder Höcke die Viertel- und Fünftel-Gebildeten mit ihrer allgemeinen Unzufriedenheit abzuholen.
Die heutigen Rattenfänger machen nur noch Stimmung gegen andere, gegen das Establishment; allgemein dagegen.
Sie wollen durch diese Stimmungsmache selbst mächtig werden, ohne aber den Funken eines konstruktiven Gedankens in den politischen Raum einzubringen.
Es ist nur folgerichtig, daß sich neorechte Bewegungen wie die AfD-BW binnen kürzester Zeit zerlegen, daß ihre Führungsfiguren wie Johnson und Farage jämmerlich scheitern und davon laufen, wenn es ernst wird.
Diese Leute setzen auf Destruktion und Obstruktion.
Konstruktion ist ihnen zutiefst wesensfremd.

Ihre in den Gehirntod aufgepeitschten Anhänger halten inzwischen Destruktion für eine ausreichende Lösung.
Merkel, Maas, die Altparteien, die EU, Washington, der Kongress – alles muß weggefegt werden. Fertig.
Keiner denkt mehr weiter als bis zu seiner Nasenspitze.
Trump konnte sich gegen 16 Konkurrenten durchsetzen, indem er sie ausschließlich beleidigte und bei konkreten Fragen auf seine Penisgröße und sein Bankkonto verwies.
Zig Millionen Amerikanern reicht das offenbar als Qualifikation.
Wichtig ist ihnen nur der Eindruck, daß Trump bösartig und potent genug ist, um „die da oben“ alle zur Hölle zu jagen.

Die neue Frontlinie verläuft nicht mehr zwischen Links und Rechts, zwischen reich und arm, sondern zwischen doof und klug.
Zwischen denjenigen, die ihre eigenen Vorurteile im Internet verstärken und den anderen, die versuchen das Gesamtbild zu sehen.
Typischerweise sagen die überzeugtesten Trump-Anhänger, sie würden am zweitliebsten Sanders wählen, wenn Trump ausscheiden sollte.
Sanders verkörpert nach Trump am meisten das „Dagegen-Gefühl“.
Erfahrung, Kompetenz, Planung – wozu soll das gut sein?
Während die Linken heimatlos sind, weil die gemäßigt linken Parteien aus Furcht vor den rechten Populisten verstummen und die extremer Linken selbst zu populistischen Tönen wider die Fremden, die Einwanderer, die Etablierten neigen, haben es die Rechten einfacher.
Ihnen reicht es ja die Linken zu ärgern.

Rechte Intellektuelle und Journalisten, die konstruktiv denken, eigene Lösungswege vorlegen, sind ebenfalls ausgestorben. Schade.
Heutige rechte Denker genügen sich darin Linken ans Bein zu pinkeln.

Zum Beispiel der Rechte vom Dienst beim SPIEGEL.
Jan Fleischhauer, dessen Kolumnen regelmäßig online und in der gedruckten Ausgabe erscheinen.
Ich bin eigentlich ein Freund des Prinzips mehrere Kolumnisten mit klar gegensätzlichen Überzeugungen schreiben zu lassen.
Der linke Augstein gegen den rechten Fleischhauer.
Das könnte für den Leser interessant werden.

Leider wird es das aber nie wirklich, weil Fleischhauer immer mehr verbrodert und sich an seinen eigenen Bosheiten so erfreut, daß auch er den konstruktiven Aspekt seines journalistischen Schaffens inzwischen begrub.

Kostprobe?
Vor einem Monat fragte Fleischhauer angesichts des immer widerlicher werdenden Trumps, wieso der eigentlich nicht bei deutschen Linken beliebt wäre.
Man teile doch die gleichen Ansichten.

[….] Was haben sie auf der Linken bloß gegen Donald Trump? Raus aus der Nato, Annäherung an Russland, nie mehr Weltpolizist: Vieles von dem, was Trump will, wird bei uns seit Langem auf Friedensdemos gefordert.
[….] Einer der wenigen Politiker, die er respektiert, ist Wladimir Putin. Der russische Präsident sei ein starker Führer, der viel für sein Land tue. Es sei falsch, einander als Feinde zu sehen, das müsse aufhören, meint Trump.
[….] In den Zeitungen steht, was für eine Gefahr für den Weltfrieden ein Wahlsieg des amerikanischen Milliardärs bedeuten würde. Man kann dort jeden Tag lesen, wie engstirnig, rückschrittlich und bigott seine Vorstellungen seien. Ich verstehe die Kritik nicht ganz. Ich habe beim Lesen nämlich eine Entdeckung gemacht: Vieles, was Trump fordert, findet sich so oder so ähnlich auch bei der Linkspartei und ihren publizistischen Bannerträgern. [….]

Man fragt sich was wohl in dem kleinen Jan so vorgeht, wenn er so eine Kolumne abliefert.
Freut er sich einfach darüber den Linken eins reingewürgt zu haben, oder befürchtet er doch, daß man nach zehn Sekunden Nachdenken bemerkt, was für einen Unsinn er geschrieben hat.

Der Blick in die Titanic genügt:

Peace, Jan Fleischhauer!
»Was haben sie auf der Linken bloß gegen Donald Trump? Raus aus der Nato, Annäherung an Rußland, nie mehr Weltpolizist: vieles von dem, was Trump will, wird bei uns seit langem auf Friedensdemos gefordert«, schrieben Sie an üblicher Spon-Stelle. Wir verstehen: Waterboarding wiedereinführen, die »Scheiße aus Isis rausbomben« und jemanden auf der New Yorker 5th Avenue erschießen – exakt mit diesen Forderungen liegen uns die hiesigen Haßhippies ja seit Jahren in den Ohren.
Uns fällt da übrigens noch eine andere Parallele ein: Vieles von dem, was Sie machen (Fakten ausblenden, Quatsch faseln und dabei selbstsicher dreinglotzen), macht der Trump seit langem auch, Genosse Fleischhauer!
Peace out!

In der Tat, Rassismus, ständige Beleidigungen, chronisches extremes Lügen, Frauen als „fette Schweine“ bezeichnen, sich über Behinderte lustig machen, Schüler bewaffnen, antisemitische Tweets absetzen, für Folter und Krieg plädieren, sind nicht die klassischen linken Themen, Herr Fleischhauer!

Donnerstag, 7. Juli 2016

Ungerechtigkeit und Terror.



Unfassbar abartig, was ein paar einzelne Psychos in Orlando, Paris und Brüssel anrichten konnte.

Verständlicherweise schockiert das unsere westliche Öffentlichkeit; die Newssender erzielen Rekordquoten, ARD und ZDF schalten Sondersendungen des Grauens, die überregionalen Zeitungen erscheinen mit Extraseiten.

Der Terroranschlag in Istanbul am 29.06.2016, bei dem mindestens 41 Menschen getötet und 239 verwundet werden, findet schon mit deutlich gedämpfter Medienpräsenz statt.
In der Türkei gab es dieses Jahr schon so viele Anschläge und außerdem mögen wir Erdogan nicht.
Es wird zwar noch das Brandenburger Tor in türkischen Farben angestrahlt und natürlich informieren die Zeitungen. Immerhin ist die Türkei ein bei Deutschen sehr beliebtes Reiseland. Da will man schon wissen wie sicher es ist türkische Flughäfen zu benutzen.

Die Lastwagenbombe des IS, die am 03.07.2016 den Bagdader Stadtteil Karada verwüstete, forderte nach bisherigen Zählungen mehr als 250 Todesopfer.
Terror in Bagdad, in Libyen oder gar in Nigeria, wo die Boko Haram Tausende Menschen durch Anschläge tötete, nehmen wir kaum noch wahr.
Die Toten sind zu viele und zu anonym und haben außerdem eine zu dunkle Hautfarbe, als daß es uns wirklich interessierte.
Die Horrorberichte darüber erscheinen nur noch ganz hinten in den Zeitungen, irgendwo online. Total verdrängt und überlagert vom Fußball.

[…] Es ist ein Klischee, dass sich Bagdad an Gewalt und Blutvergießen gewöhnt hat. Das stimmt einfach nicht. Der Tod ist der Tod, und wenn er kommt und die Leben deiner Lieben mit sich reißt, dann ist der Schmerz hier so groß wie überall anders.
[…] 81 der geborgenen Toten sind so stark verbrannt, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen sind. Das sagt die Polizei. Sie können nur mit Hilfe von DNA-Tests identifiziert werden. In den Geschäften, die von der Explosion getroffen wurden, liegen verstreut menschliche Körperteile. Freiwillige suchen sie zusammen und legen sie in Plastiksäcke und Betttücher.
215 Tote, so ist der Stand vom Montagabend. Damit ist es der tödlichste Angriff hier seit 2003. […] Einige Menschen waren gefangen in Geschäften, die gefüllt waren mit leicht entzündlicher Kleidung, Parfum und Plastik. Ein Freiwilliger berichtet, dass der Boden eines Ladens bedeckt war mit "geschmolzenen Körpern".[…]

Xenophobe Brexiteers, Le-Pen-Fans, CSU-Hetzer, Norbert-Hofer-Epigonen und AfD-Wähler können auch nach solchen Berichten offensichtlich nicht verstehen, wieso Menschen diesem Grauen entfliehen wollen, weshalb sie versuchen im sichereren Europa Asyl zu bekommen.
Europäischer und amerikanischer Konsens ist es weitgehend den Fliehenden die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Die Tausenden Toten, die allein schon im Jahr 2016 vom Mittelmeer einfach verschluckt wurden, interessieren niemand.
Auch Papst Franziskus, der noch 2013 nach Lampedusa reiste und die Ertrunkenen beklagte, hält inzwischen die Klappe, obwohl es noch viel mehr Tote geworden sind.
Seine Diözesen in Osteuropa und USA unterstützen den fremdenfeindlichen Antiflüchtlingskurs ihrer Regierung.

Gelegentlich werden zwar ein paar Hundert Leichen geborgen, aber diese Meldungen muß man schon mit der Lupe suchen.

Italienische Marine birgt 217 Tote aus Schiffswrack
Bei den Leichen handelt es sich um Flüchtlinge, deren Boot im April 2015 gekentert war. Augenzeugen zufolge waren 700 Menschen an Bord. Nur 28 Menschen haben überlebt. […]

Was hat eigentlich diese verdammte Terrorscheiße ausgelöst?
Was ist Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts geschehen, daß weltweit zur Methode Massenterror gegriffen wird?
Diese Fragen werden mutmaßlich zukünftige Historikergenerationen noch lange beschäftigen.
In dem Antwortkomplex werden sich aber definitiv vier Stichworte finden:

·        Religion
·        Postkoloniale soziale Ungerechtigkeiten
·        Ökonomische Interessen
·        Sagenhafte Dummheit und Unverantwortlichkeit führender Politiker.

Unstrittig dürfte sein, daß die von George W Bush angezettelten Kriege in Afghanistan und dem Irak zumindest eine ideale Werbung für Al Kaida, Taliban und IS waren.
Zudem fegten Amerika und England mit dem Saddam-Regime die Struktur weg, die den Islamismus unter Kontrolle hatte und eine gewisse Säkularität garantierte.
Saddam und Hunderttausende Iraker mußten sterben, weil sie von Downingstreet 10 und dem Weißen Haus beschuldigt wurden Terroristen zu beherbergen, in die 9/11-Anschläge verstrickt zu sein und Massenvernichtungswaffen zu horten. Auf eben diese Lesart stützten sich auch Merkel und Schäuble, die vehement das US-Britische Kriegsgetrommel gegen Gerhard Schröder unterstützten.

All diese Gründe waren, daran sei erinnert, vollständig erlogen.

Ganz langsam setzt sich die Erkenntnis über das kriegsverbrecherische Handeln Bushs und Blairs auch in ihren Heimatländern durch.
Sie haben eine gewaltige Schuld auf sich geladen.

[…] Der frühere US-Präsident George W. Bush handelt offenbar nach der Devise: Es reicht nicht, ein Verbrechen zu begehen, man muss auch unfähig sein, es zuzugeben. Dafür spricht sein trotziges Bekenntnis nach dem britischen Irak-Bericht von dieser Woche, der ganzen Welt gehe es heute besser, weil Saddam Hussein in Bagdad nicht mehr an der Macht sei. Das ist nicht nur halsstarrig, sondern auch Unfug.
Als die Vereinigten Staaten unter Bush im März 2003 den Irak angriffen, um Saddam zu stürzen, konnten sie sich weder auf Selbstverteidigung noch auf eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen berufen. Daher war Bushs Krieg ein Verbrechen namens Aggression. Es zählt - neben Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - zu den Kern-Delikten des Völkerstrafrechts. Denn Angriffskriege schaffen eine schlechtere Welt. […]

[…] Tony Blairs politisches Vermächtnis ist zerstört. Demonstranten beschimpfen ihn als Kriegsverbrecher, ein Untersuchungsbericht zur Irak-Invasion bescheinigt ihm Versagen. Jetzt drohen Klagen.
Tony Blair wirkt sichtlich angefasst an diesem Nachmittag in London. […]  Ja, die Folgen des Einsatzes seien blutiger gewesen, als er es sich jemals habe vorstellen können. Für all das fühle er mehr "Trauer und Bedauern", als man es sich vorstellen könne, sagt Blair. Aber: "Die Welt war und ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein."
[…] 13 Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs ist vieles, das vermutet und spekuliert worden war, nun offiziell aufgearbeitete Gewissheit.
[…] Nicht weniger als sieben Jahre hat [John] Chilcot mit der nach ihm benannten Kommission die britische Rolle vor und während des Irakkriegs untersucht. […]
    Der Einmarsch in den Irak sei "nicht das letzte Mittel gewesen", sagt er. Die britische Regierung habe nicht "alle friedlichen Optionen für eine Entwaffnung" des Iraks ausgeschöpft.
    Geheimdienstinformationen seien mit einer Sicherheit präsentiert worden, "die nicht gerechtfertigt" war. Die Erkenntnisse waren demnach "mangelhaft". Die Kommission greift die Führung der Dienste direkt an. Sie hätten Blair darauf hinweisen müssen, dass die Angaben über vermeintliche Nuklearwaffen nicht "zweifelsfrei belegt" seien.
    Der Entscheidungsprozess vor dem Krieg sei unbefriedigend gewesen, konstatiert Chilcot. Die britische Regierung habe die Autorität des Uno-Sicherheitsrates untergraben.
    Chilcot kritisiert außerdem, dass die Planung für die Zeit nach dem Krieg "völlig unzureichend" gewesen sei. "Trotz ausdrücklicher Warnungen wurden die Folgen der Invasion unterschätzt", heißt es in dem Bericht. […]

Im Gegensatz zu den Hunderttausende Verletzten, den Millionen Vertriebenen, den Millionen Angehörigen Getöteter, scheinen die strenggläubigen Christen Blair (trat 2007 zum Katholizismus über) und Bush keine besonderen Qualen zu leiden.

Sie sind beide freie Menschen und sie sind beide Multimillionäre.
Beide werden hermetisch geschützt.

Der Rest der Welt leidet darunter auf einem Terrorplaneten zu leben, auf dem sich niemand mehr sicher fühlen kann.
Das Leben unter der allgegenwärtigen Terrorgefahr bleibt ein Thema für die Feuilletons.
Wenigstens gibt es da brillante Texte.

Der Terror wird so schnell nicht aufhören. Die Gewalt wird andauern. Aber deswegen gewöhnt man sich doch nicht daran. Das wissen alle, die schon einmal jemanden durch einen Terroranschlag verloren haben. Terroristische Gewalt wird nie normal. Nicht in Bagdad oder Dhaka, nicht in Istanbul oder Beirut, nicht in Brüssel oder Paris. Sie wird nur häufiger.

Mittwoch, 6. Juli 2016

Stimmungssache Europa.



Nach dem Brexit kommt es nun auf Deutschland an, wie es in der EU weitergeht.
Merkel ist am Zug.
Das ist ganz großer Mist, denn kaum ein Regierungschef wäre ungeeigneter für die Rolle des Mutmachers, Strategen und Ideengebers Europas.

Tiefer als in Merkels Hand kann Europa nicht mehr fallen. Das ist keine beruhigende Aussicht. Jetzt hängt das Schicksal des Kontinents von der Kanzlerin ab. Ausgerechnet. Denn Angela Merkel ist die Meisterin des Wartens. Sie wartet. Und wartet. Und wartet. Bis es zu spät ist. Schon die Finanzkrise hat Angela Merkel nicht genutzt, um Europa neu zu gründen. Sonst stünde uns der Brexshit nicht bis zum Hals. Wenn Merkel auch jetzt die Hände zur Raute in den Schoss legt, dann ist Europa erledigt.
Die Briten haben recht. Das undemokratische Europa stinkt. Aber wenn einem das Essen nicht geschmeckt hat, sollte man nicht das Restaurant anzünden und dann draußen Selbstmord begehen. Ja, das Referendum vom 23. Juni war ein vorbildloser Akt der Selbstvernichtung.

Merkel ist selbst die ewige Bremserin und tat sich am Post-Brexit-Wochenende mit ihrem Intimfeind Seehofer zusammen, um die Proeuropäer Juncker, Hollande, Gabriel und Schulz zu stoppen.
Eine Vertiefung der EU, eine Machtverlagerung nach Brüssel dürfe es jetzt nicht geben.
Konvente, Änderungen am europäischen Vertragswerk?
Nicht mit Merkel.
„Das ist jetzt nicht das Gebot der Stunde!“ stellte die Kanzlerin zur Freude ihrer EU-skeptischen Schwesterpartei in Brüssel fest.

Nachdem die zweitstärkste Volkswirtschaft England sich selbst aus der EU kegelte, ist Deutschland in Relation noch dominanter und mächtiger.
Die südeuropäischen Staaten, die bisher schon unter germanischer Dominanz litten, haben noch mehr Grund sich zu fürchten.
Allerdings ist Merkel mit London auch ihren wichtigsten Partner wider Bankenregulierung und Investitionsprogrammen los.
Die teutonische Sparwut ist der eigentliche Totengräber der proeuropäischen Stimmung.
Merkel steht in dieser Frage nun allein gegen Renzi, Hollande und Gabriel, kann nicht mehr ihren britischen Wadenbeißer vorschicken.

Frankreich ist hingegen von der ökonomischen Nummer 3 zur Nummer 2 aufgerückt. Zudem ist Frankreich jetzt die einzige Atommacht und die einzige UN-Vetomacht der Union.
Ohne den Sozialisten François Hollande, 62, geht gar nichts mehr in Europa.
Glücklicherweise ist er im Gegensatz zu Merkel ein großer Freund einer stärkeren EU und steht auch ganz offensichtlich für eine weniger ideologische und dafür effektivere Wirtschaftspolitik.
Paris sollte also zum ganz großen Spieler Europas werden und damit der EU sehr hilfreich sein.
Unglücklicherweise ist Hollande politisch sagenhaft ungeschickt und vermochte es in Rekordzeit sich zum unbeliebtesten Präsidenten aller Zeiten zu wandeln.
Ihm klebt die Seuche an den Händen; was er anpackt, geht schief.
Obwohl die oppositionellen Republikaner in einem Korruptionssumpf untergangen sind, stehen seine Chancen wiedergewählt zu werden extrem schlecht; es ist sogar höchst unklar, ob er von seiner Partei überhaupt noch mal ins Rennen geschickt wird.
Gewählt wird im April 2017 und die winzigen Chancen, die die Sozialisten überhaupt noch haben, könnte wenn überhaupt wohl nur François Hollandes Parteifreund Emmanuel Macron, 38, ergreifen.
Gegenwärtig liegt aber die rechtsradikale Kandidatin Marine Le Pen in allen Umfragen weit vorn.
Das ist das Problem bei Plebisziten wie dem Brexshit oder der österreichischen Präsidentenwahl, die jetzt wiederholt werden muß, weil die Alpenrepublik leider nicht in der Lage war ganze 4,4 Millionen Stimmen richtig auszuzählen.
Plebiszite sind die Stunde der Populisten.
Hier haben Desinformation und Angstkampagnen ihre Chance.
Bei einer direkten Demokratie können sich die Demagogen besser als bei einer indirekten Demokratie durchsetzen.
Norbert Hofer, Marine Le Pen, Donald Trump, Boris Johnson und Nigel Farage sind die besten Beispiele dafür.
Wer will schon auf Argumente und Fakten hören, wenn Springer oder Murdoch xenophobe Ressentiments schüren und die Spitzenkandidaten ebenfalls lügen wie gedruckt?
Direkte Demokratie ist die Diktatur der Inkompetenz.
Es ist nur folgerichtig, daß nach der blamablen Selbstdemontage der Chaos-Piraten nun Seehofer und seine populistische ausländerskeptische CSU für mehr Plebiszite eintreten.

Wesentliche und komplizierte Entscheidungen überlasse man lieber den Fachleuten, den professionellen Volksvertretern.

Zöge 2017 Le Pen in den Elysee ein, betriebe sie den Austritt Frankreichs aus der EU und das Projekt Europa wäre tot.
Ob es soweit kommt, hängt von der Stimmung in Frankreich ab.
 Plebiszite wie der Brexshit sind reine Stimmungssache. Rationalität und hat da keinen Platz.
Dem Front National spielt gegenwärtig eine starke antideutsche Stimmung in die Hände. Dieselbe Stimmung, die vermutlich auch in England den Ausschlag zu Gunsten des Leave-Lagers gab.
Perfiderweise kommen die starken Ängste vor deutscher Dominanz in der EU gleichermaßen von der ganz linken und der ganz rechten Seite.
Die einen hassen Merkel dafür, weil sie vermeintlich die Grenzen für Millionen Muslime öffnete und die anderen hassen sie für ihre Austeritätspolitik, die die Wirtschaft abwürgt.

Was erlaubt sich Allemagne!
In Frankreich blühen zur Griechen-Krise die tollsten antideutschen Ressentiments. Gemäßigte Kreise loben zwar Merkel, radikale empfehlen aber einen „Germexit“.

Es ist also auch eine Stimmungssache, wer in Frankreich während einer gewaltigen EU-Krise Präsident wird.
Um die wirklich miese Stimmung in Frankreich und die nach dem Britischen EU-Aus noch angestiegenen Ängste vor deutscher Dominanz zu dämpfen, wäre es äußerst wünschenswert, wenn Berlin mehr auf Hollande hörte.

Besonders unglücklich wäre es aus französischer Sicht wenn der überdominante Fußball-Weltmeister bei der EM im eigenen Lande auch noch Frankreich schlüge und womöglich auch Europameister würde.

Sport ist mir völlig egal, aber nationale Stimmungen sind auch politische Stimmungen und die können gerade sehr gefährlich sein.

Daher bete ich intensiv dafür, daß Frankreich morgen im EM-Halbfinale Deutschland deutlich schlägt und nach Hause schickt, daß Frankreich möglichst das Turnier gewinnt.
Möge sich die Stimmung bessern, so daß nicht dumpfe Nationalisten à la Le Pen eine miese Stimmung ausnutzen können.

Dienstag, 5. Juli 2016

Heterogenität!



Das war natürlich ein Fehler.
Ich sollte es besser wissen.
Mit den ccc sollte ich nicht diskutieren.
Meine Creepy Californian Cousins sind einfach zu borniert, zu ungebildet, zu arrogant, um mit ihnen ernsthaft über Politik zu sprechen.
Ihre Weltsicht ist ganz einfach: We do things right!
USA ist das beste Land der Welt, jeder muß rund um die Uhr bewaffnet sein, der liberal press kann man nicht trauen, Washington ist total verkommen und alle Demokraten sind schwule Kommunisten, die Amerika zerstören wollen.

Unglücklicherweise posten diese Menschen dann in ihrer Grundschulgrammatik auch ihre Ansichten über den Rest der Welt.
Dabei sind sie voll auf Trump-Linie. Deutschland ist dem Untergang geweiht, weil erstens sowieso alles Nazis sind und zweitens die verrückte Kommunistin Merkel das Land mit kriminellen Muslims flutet.

Am Brexit-Tag wußte Trump- und Farage-Fan J. natürlich Bescheid.

 
(Brits, bureaucracy – aber zwei Fehler in einem Satz sind schon recht gut für diese West-GOPer)
Ich konnte es mir dann doch nicht verkneifen und mußte dem Fettsack den Kopf waschen.
Natürlich hatte das zur Folge, daß seine Geschwister ihm beisprangen und das übliche Gepöbel losließen, daß ich gefälligst meinen US-Pass abzugeben hätte, weil ich bei den Nazis in Europa lebte und deswegen kein Recht hätte von den social benefits zu profitieren.
Das ist immer schön. Von Rechtsaußen als Nazi beschimpft zu werden und ausgerechnet von Deutschland aus die gewaltigen sozialen Wohltaten der USA zu verprassen.

Überraschend sprang mir aber einer meiner New Yorker Cousins bei, der offensichtlich Trump mindestens genauso verabscheut wie ich.
Schnell wandelte es sich in einen grundsätzlichen Kampf NY gegen L.A.

Das ist durchaus faszinierend. Weswegen westdeutsche Linke Amerika hassen – Turbokapitalismus, Dummheit, Rücksichtlosigkeit, Waffenwahn, Rassismus, Militarismus, Bildungsfeindlichkeit – wird von anderen Amerikaner noch viel mehr gehasst.
Was antiamerikanische Westeuropäer für Amerika halten, ist aber nur ein Teil Amerikas.
Ein Teil, der durch die Dauermedienpräsenz der republikanischen Vorwahlen leider viel zu sehr im Rampenlicht steht.
Vermutlich kennen das alle Menschen, die in den USA leben, oder die dort Verwandte haben, daß sich auch in der eigenen Familie die Leute politisch/gesellschaftlich nicht nur uneinig sind, sondern daß sie die jeweils andere Seite zutiefst verachten.

Es ist offensichtlich wichtig in Europa immer mal wieder daraufhin zu weisen, wie anders es in einigen Orten der U.S.A. zugeht.
Die meisten Deutschen wissen, daß es an den Colleges der Ostküste und natürlich in der schwulen Stadt San Francisco sehr liberal zugeht.

The city of San Francisco holds a unique and storied place in liberal America. It’s the place where radically liberal ideas that never see the light of day in the rest of the county come to fruition. Ten years ago, the city became the first municipality in the country to issue same-sex marriage licenses. It has among the strongest tenants rights in the whole country, the highest minimum wage at $10.68, and universal healthcare. A list of banned items in the city include: happy meals, plastic bags, the sale of tobacco products in pharmacies, and the mixing of compostable trash with regular trash. It’s the home of the beat movement, the Summer of Love and Harvey Milk.
In the 2003 runoff mayoral election, Matt Gonzalez, the Green Party candidate, earned 47 percent of the vote and scared the opposition (Gavin Newsom) so much so that one of Newsom’s financial backers, Walter Shorenstein, personally flew in Bill Clinton to campaign for Newsom. This is a town where perennial right-wing boogeyman Nancy Pelosi is considered a moderate and in some circles, a conservative. And if you need more reason to be convinced why San Francisco is America’s most important and iconic liberal city, then let me ask you this: Have you ever heard the term “New York Values” or “Seattle Values”?

Möglicherweise ist die Information auch schon veraltet, S.F. soll inzwischen konservativer werden.

Es gibt aber mehr sehr liberale und verrückte Städte in den USA.

Je weiter südlich, desto entspannter und gelassener der Lebensstil. Und diese Ruhe und Gelassenheit ist ansteckend, sagen die Menschen auf der Inselkette der Florida Keys.
[….] Nirgends in den USA ist das Leben freizügiger, sind die Menschen toleranter als auf Key West. Der südlichste Punkt der USA ist seit Hemingways Zeiten Anziehungspunkt für Aussteiger und Lebenskünstler. 1987 hat die Insel den USA den Krieg und sich selbst für unabhängig erklärt. Ein Mediengag, aber einer, der das Lebensgefühl der Bewohner widerspiegelt und bis ins Detail zelebriert wird. Das Filmteam hat den Staatssekretär der unabhängigen Conch Republic besucht, seinen Luftwaffengeneral beim Kunstflug über die Insel kennengelernt und an den Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum der Mikronation teilgenommen. Einer der Höhepunkte: ein Zeitrennen von Dragqueens mitten durch die Straßen von Key West. Und das in den sonst für ihre Prüderie bekannten Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Conch Republic hat sich schon vor fast 30 Jahren für „unabhängig“ von der USA erklärt und frönt dem Anderssein.

Viel weiter entfernt von Key West als Portland, Oregon, geht es nicht.
Portland ist nicht weit entfernt von den tumben ccc, die mich mit ihren Waffen-Selfies auf Facebook nerven.
Wie Ingo Zamperoni letztes Jahr in einer netten Reportage zeigte, sind dort alle Klischees, die Linke vom bösen Amerika haben, in ihr Gegenteil verkehrt.
Hier gilt es Energie zu sparen, sich für die Umwelt einzusetzen und liberale Werte zu leben.

"Keep Portland weird - Portland bleibt anders!" lautet das Motto der Hauptstadt Orlandos. Hier lebt man gerne nackt und nachhaltig.



Sich so wie ich aus sicherer Entfernung über Trump, Ryan und Cruz zu gruseln, ist das eine.
Die armen Leute in San Francisco, Key West oder Portland, die mit den Trump-GOPern in einem Land leben müssen!