Dienstag, 19. April 2016

Verschwörungstheorien streuen



Die Tatsache, daß wir in Deutschland, aber auch in Gesamteuropa derzeit so viele unsolidarische Typen in den Regierungen haben, die relativ willfährig die Wünsche der Großindustrie und Finanzwirtschaft auf Kosten der Armen und der Umwelt durchsetzen, deprimiert mich gar nicht so sehr.
Immerhin geht es in den allermeisten EU-Ländern (noch) so demokratisch zu, daß man diese Erfüllungsgehilfen des Geldadels in den Regierungssitzen auch recht einfach nach Hause schicken könnte.

Schwere Depressionen löst aber die Erkenntnis aus, daß der europäische Urnenpöbel aus Doofheit, Desinteresse und devoter Zustimmung gar nicht willens ist, die Verhältnisse zu ändern.
Die Informationsmöglichkeiten des Internets haben offenbar sogar die Schwarmdummheit noch verstärkt.
Von Katzenvideos paralysiert laufen dann mal ein Viertel der Wähler in Sachsen-Anhalt einer völkischen Partei hinterher, die mit einem knallhart-neoliberalen Programm die Wohlhabenden noch mehr fördern will.

Dabei war es nie so einfach wie heute sich darüber zu informieren, was wirklich schief läuft.
Allein, der gemeine Wähler will es nicht und adoriert genau die Typen, die sich ebenfalls hartnäckig den Realitäten verweigern und durch Phlegma im Amt ansehen generieren.

Die Umfragekönige Merkel und Schäuble drücken sich seit zehn Jahren um ihre eigentliche Arbeit.
Da können sie von noch so gewaltigen Skandalen tangiert sein; der Wähler vergisst es im Handumdrehen und generiert vermehrten Speichelfluss bei dem vorfreudigen Gedanken wieder sein Kreuz bei der CDU zu machen.

[….] Zugleich gerät Wolfgang Schäuble in den Sog der Panama Papers. Unter seiner Mitwirkung verhinderte die Bundesregierung offenbar ein Transparenzregister von Offshoreunternehmungen. Während die ihm unterstellte Bundesdruckerei - ein hundertprozentiges Staatsunternehmen - mit Offshorefirmen und mutmaßlich verschobenen Millionenbeträgen geradezu jonglierte. Ein Aufklärungsversuch im Jahr 2015 wurde per Anwaltsdrohung niedergerungen, und Schäuble schweigt. Der Mann also, der 100.000 Mark Barspenden für die CDU in einem Hotelzimmer von einem steuerhinterziehenden Waffenhändler entgegennahm und dann leider vergaß. Der Mann, der trotz dieses Umstands nicht müde wird, aller Welt Lektionen in Finanzmoral zu erteilen - dieser Mann hat Offshorefirmen seines eigenen Hauses nicht im Griff und schweigt dazu. Ein Superskandal, beinahe begraben.
Diese sehr essenziellen Entwicklungen sind weitgehend aus dem sogenannten News Cycle in Deutschland verschwunden [….]
(Sascha Lobo, 13.04.2016)


Zu komisch, Schäuble profiliert sich jetzt als Vorkämpfer gegen Steuerflüchtlinge mit einem Programm, das 2009 schon einmal beschlossen wurde und durch das Eingreifen der deutschen Bundesregierung absolut keine Wirkung entfalten konnte.

[…..] Gerade Schäuble und seine leitenden Beamten sind es, die alle machbaren Fortschritte immer wieder verhindern. So verweigern sie bis heute, die Finanzerträge von Nicht-EU-Ausländern zu besteuern, auch wenn diese die Erfüllung ihrer Steuerpflicht im Heimatland nicht nachweisen.
Kleptokraten aller Länder sind in Deutschland weiterhin willkommen. Zudem sperrte sich ausgerechnet Schäuble im EU-Ministerrat über Jahre gegen die Einrichtung von Unternehmensregistern, in denen die „wirtschaftlich Berechtigten“ genannt werden. Nur weil das EU-Parlament darauf bestand, müssen nun EU-weit „Transparenzregister“ geschaffen werden. Aber selbst jetzt noch möchte der Minister diesen „Schlüssel“ allein den Behörden überlassen. Journalisten und Aktivisten dagegen sollen keinen Zugang haben, obwohl es ohne deren Arbeit keinerlei Aufklärung gegeben hätte. Das sind die Taten, an denen Schäuble zu messen ist. Alles andere ist nur Show. […..]

Obschon man Schäubles Rolle als Schutzpatron für Steuerkriminelle seit vielen Jahren kennt, hält der Urnenpöbel ihn hartnäckig für einen grundehrlichen und kompetenten Minister, der in jüngster Zeit sogar noch einmal zum Merkel-Nachfolger hochgejazzt wurde, falls sie doch über ihre Flüchtlingspolitik stolpern sollte.

Sogar Schäubles eigene Firma, die Bundesdruckerei machte illegale Geschäfte mit Panamaischen Briefkastenfirmen. Das Bundesfinanzministerium wurde von Whistleblowern geradezu mit Hinweisen auf das Treiben überschwemmt.
Aber Schäuble blockte alles ab.

Der Panama-Papers-Whistleblower versuchte immer wieder vergeblich, Wolfgang Schäuble über Steuerschlupflöcher zu informieren. […..] Warum hat Finanzminister Wolfgang Schäuble jahrelang das Gespräch mit einem Whistleblower verweigert, der bei ihm über die mutmaßlich schmutzigen Geschäfte der staatlichen Bundesdruckerei mit Briefkastenfirmen in Panama auspacken wollte? […..] Ein Whistleblower sei in der Hauskultur der Bundesdruckerei offenbar nicht willkommen. "Wie ich schon in früheren Mails an Sie geschrieben habe, verfüge ich über 30.000 Mails und Dokumente in diesem Fall. Man könnte mich ja mal kontaktieren. Die Tür zum Dialog hat immer offen gestanden." […..]

Was gewinnt der beim Wähler so sagenhaft beliebte Schäuble dadurch, daß er hartnäckig, geradezu verbissen darauf besteht, daß hunderte Milliarden Euro dem Fiskus verloren gehen?

Und hier geraten wir in den Bereich der Verschwörungstheorie.
Ist es ein Zufall, daß deutsche Privatbanker, die besonders von den dreckigen Panama-Deals profitierten, fleißige CDU-Spender sind?

[…..] Panama-Banker finanzierten CDU 
[…..] Briefkastenfirmen und offenbar Geschäfte mit Kriminellen – die Hamburger Privatbank Berenberg gerät weiter in Bedrängnis. Und das Geschäft mit dem Geld bekommt nun auch eine politische Dimension: Seit 2004 hat die Bank mehr als eine Million Euro an die CDU gespendet. […..] Allein im Jahr 2009 hat die Bank 250.000 Euro an die CDU überwiesen, das geht aus einer Spendenübersicht der Berenberg Bank hervor. […..]  „Wenn man tief blickt, werden die Abgründe deutlich“, sagt Grünen-Fraktions-Chef Anjes Tjarks. „Die Spenden zeigen, dass die Beziehungen zwischen der CDU und einer fragwürdigen Bank zu eng sind.“ Insbesondere die Tatsache, dass mit Wolfgang Schäuble ein CDU-Mann das Finanzministerium führt, findet Tjarks bedenklich: „Man stellt sich die Frage, wie ernsthaft Herr Schäuble seine Pläne zur Bekämpfung der Steuerflucht und Austrocknung von Steueroasen durchsetzt.“ […..]

Es kostet nur ein paar Klicks das nachzulesen. Es steht in ganz normalen Zeitungen. Aber die Schwarmdummheit siegt. Die CDU ist die mit Abstand stärkste Partei und Schäuble der beliebteste Politiker überhaupt  in der Tagespolitik.
Man sollte die Deutschen nicht mehr als nötig an die Wahlurnen lassen.

Montag, 18. April 2016

Eierei



Daß einem unter Stress stehenden Bundesminister, der 24 Stunden am Tag unter Beobachtung steht, gelegentlich auch mal ein richtig blöder Satz rausrutscht, kann ich verzeihen.
Das kann man entweder jovial-pampig wie einst FJ Strauß wegwischen – was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern? – oder aber man versucht es als intellektuellen Weiterbildungsprozess zu kaschieren – auch ich war nicht immer so klug wie jetzt, auch ich lerne dazu.

Ein Verballapsus kann auch im Handumdrehen mit einem Nebensatz getilgt werden; entschuldigen Sie bitte meine gestrige Bemerkung; da habe ich Unsinn geredet.
Auch das wäre souverän.

Mir ist unklar wieso Merkel sich aufgrund ihres eigenen Fehlers, nämlich der Bewertung des Böhmermann-Textes als „bewußt verletzend“, über zwei Wochen hartnäckig weiter in den Sumpf reitet, statt einfach ihren ZDF-Seibert erklären zu lassen „die Bundeskanzlerin räumt ein versehentlich eine Vorverurteilung vorgenommen zu haben, so daß nun leider Ermittlungen nach § 103 StGB nicht mehr möglich sind.“

       

Aber nein, sie will nicht zugeben sich auch irren zu können und so wird sie nun zum Gespött der internationalen Presse, muß sich abertausende Karikaturen gefallen lassen, die sie beim Kriechen vor Erdogan zeigen.
Durch ihr elendes Geiere bietet sie hundert mal so viel Angriffsfläche als es das schlichte Zugeben eines Fehlers geboten hätte.








Der König des Rumeierns ist aber Sigmar Gabriel.

Nach den Koalitionsverhandlungen des Herbstes 2013 verkündete er der skeptischen SPD-Basis er habe sich in allen Punkten durchgesetzt.
Ich erinnere mich, wie er stolz die neuralgischen Punkte Doppelpass und Homoehe als Erfolg verbuchte.
Als Homos dann feststellten, daß sie immer noch nicht richtig heiraten und immer noch nicht Kinder adoptieren können, als Ausländer (wie ich) feststellten, daß zwar für wenige junge Ausländer die Optionspflicht wegfällt, daß aber den meisten Doppelstaatsbürgerschaft doch blockiert bleibt (ich kann noch nicht mal Deutscher werden!), wollte Gabriel partout nicht als Trickser dastehen.
Nein, er hätte nicht übertrieben, der größte Schritt sei ja gemacht, für den Rest sei es nur noch eine Frage der Zeit.
Gabriel, das nervt!
Ich hätte es gut verstanden, wenn die SPD sachlich erklärt hätte, daß man aufgrund der Mehrheitsverhältnisse leider nur einen Anfang machen konnte, aber die eigentliche Homoehe und der eigentliche Doppelpass am Widerstand von CDU und CSU gescheitert sei. Die Union hat nun einmal fast doppelt so viele Sitze wie die SPD; da begreift es jeder Depp, daß das Regierungsprogramm nicht völlig kongruent mit dem SPD-Wahlprogramm ist.
Was ich nicht verstehe ist allerdings wieso sich die SPD-Spitze rühmt etwas durchgesetzt zu haben, das de facto eben nicht durchgesetzt ist.
Es gibt keine deutsche Staatsbürgerschaft für Tammox.

TTIP passt da bestens ins Bild.
Zunächst war Gabriel wie Merkel und Obama ein großer Befürworter des Abkommens – und zwar während unter größter Geheimhaltung verhandelt wurde, was offenbar kein Journalist und kein Bürger erfahren dürfen.
Nachdem der Widerstand in seiner eigenen Partei anschwoll, war Gabriel angeblich auch einer der Kritiker, der Sonderrechte für Konzerne und geheime Klagemöglichkeiten verhindern wollte.
Das war wieder nicht sehr glaubwürdig. Wie soll man drauf vertrauen, daß nicht solche Dinge ausgeheckt werden, wenn die Vertragstexte so hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden?
Wie eierte sich der Wirtschaftsminister aus der Affäre, indem er verkündete selbst für Transparenz zu sorgen. Er ließ den jetzt schon legendären „Leseraum“ in seinem Ministerium einrichten. Ein echter Schildbürgerstreich, denn wer ihn einmal betreten hat, darf überhaupt nicht mehr über TTIP reden, noch nicht einmal über das was er schon vorher wußte.
Nun glaubt niemand mehr dem Vizekanzler.
Wieso hat er sich in diese Situation geeiert, statt einfach zuzugeben, daß er keine volle Transparenz durchsetzen konnte und dann zu benennen wer genau eigentlich die Geheimhaltung verlangt.
Angeblich „die Amerikaner“ – allerdings höre ich aus Amerika, daß sie genauso skeptisch sind und sich über die verstockten Europäer ärgern.

Gestern gab es wieder einen typischen Gabriel.
Er befindet sich auf einem großen Nord-Afrika-Trip, konferierte mit dem ägyptischen Präsidenten Sisi.
 So weit, so richtig. Sisi ist wichtig, es ist elementar notwendig mit Kairo im Gespräch zu sein.
Menschlich völlig verständlich wie der mächtige Vizekanzler es genießt im Ausland hofiert zu werden, wenn ihn zu Hause niemand mehr leiden kann.
Im Überschwang erklärte er Sisi zu einem „beeindruckenden Präsidenten“.
Das, allerdings, war überflüssig.

General Abd al-Fattah as-Sisi (*1954) hatte sich 2013 gegen die demokratisch gewählte Regierung Mursi an die Macht geputscht und ist nicht gerade ein Menschenrechtsaktivist.
Zunächst ließ er sich selbst zum Feldmarschall befördern und begann dann radikal politische Gegner auszuschalten.
Hunderte Demonstranten in Kairo und Gizeh wurden einfach erschossen, gegen 500 weitere verhängte Präsident Sisi Todesurteile. Er schaltete alle Medien gleich, setzte Freiheitsrechte aus und verfolgt jeden Kritiker als Terrorist.

Nicht sehr verwunderlich, daß Gabriels Einschätzung der Mann sein „beeindruckend“ verwundert.

Grünen-Chef Cem Özdemir hat Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) für seinen Umgang mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi gerügt. "Ich weiß nicht, was Herrn Gabriel beeindruckt hat an Präsident Sisi - ist es die Folter, ist es die Unterdrückung, ist es die Zensur, ist es der Umgang mit deutschen Stiftungen?", sagte Özdemir am Montag im ARD-"Morgenmagazin".
Gabriel hatte bei einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo am Sonntag gesagt: "Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten."
Die Bundesregierung habe ein Problem beim Umgang mit autoritären Herrschern, sagte Özdemir. Das sei auch am Verhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sichtbar. Es brauche keine Unterwerfungsgesten, sondern Kritik. "Ein starkes Ägypten gibt es nur als demokratisches Ägypten", sagte Özdemir. […..]

Özdemir hat leicht reden von seiner Oppositionsbank aus.
Nicht überall herrschen demokratische Verhältnisse nach westeuropäischem Vorbild und aussuchen kann man sich nicht mit wem man spricht.
Gabriel sollte bei so einem brutalen Machthaber wie el-Sisi aber auch nicht unbedingt in Schwärmerei verfallen; insbesondere wenn es 48 h nachdem die Kanzlerin vor Erdogan kroch, geschieht.

Statt aber zu erklären, daß die Gäule in dem Moment ein bißchen mit ihm durchgegangen wären und er das Lob „beeindruckender Präsident“ zurücknähme, eiert Gabriel natürlich wieder rum.

Nein, so wie es jeder verstanden habe, wäre es gar nicht gemeint gewesen.

 […..] Wirtschaftsminister Gabriel, zurzeit auf Delegationsreise in Ägypten, war am Sonntag mit Sisi zusammengetroffen. […..] Der Gast aus Berlin war offenbar so angetan von der Offenheit, in der Sisi über diese Themen sprach, dass er am Ende seiner Äußerungen sagte: "Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten."
[…..] Aber so ist das mit der freien Rede, insbesondere bei einem Schnellredner und -denker wie Gabriel: Sein Satz ging mächtig daneben.
[…..] Dabei hatte der Wirtschaftsminister schon vor seinem Besuch in Ägypten die schlechte Menschenrechtslage dort kritisiert und Verbesserungen für Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschafter, Presse und ausländische Stiftungen angesprochen; […..] Auch in der Vergangenheit hatte der SPD-Politiker bei Besuchen in autoritären Ländern mitunter Menschenrechtsverletzungen so offen angesprochen, dass man im Auswärtigen Amt schlucken musste. Unter anderem deshalb hält Gabriel die aktuelle Kritik für unangemessen. "Es soll gelegentlich vorkommen, dass Zitate, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, Anlass zu Missverständnissen geben", sagte Gabriels Ministeriumssprecher. […..]

Herr Gabriel, Sie müssen doch nicht unfehlbar sein wie der Papst.
Jeder haut mal einen dummen Satz raus. Dann bittet man um Entschuldigung und korrigiert sich.
Das ist menschlich, macht womöglich sogar sympathisch.
Großer Mist ist es aber öffentlich Fehler zu machen und anschließend hartnäckig darauf zu bestehen, man sei nur missverstanden worden, alle anderen hätten also den Fehler gemacht. Womöglich gar zu schmollen und andere deswegen zu beschimpfen.
Das kommt nicht gut an bei der Sozi-Basis.

Sonntag, 17. April 2016

Bis zur Nasenspitze gedacht.



Na toll, jetzt ist der Frust der SPDler so gewachsen, daß Köpfe rollen sollen.
Die Sozi-Funktionäre sind ratlos, frustriert und fühlen sich ungerecht behandelt.
Da regiert man solide und skandalfrei, setzt gegen die 2013 übermächtige CDU/CSU eine Menge sozialdemokratische Kernanliegen durch – Rente mit 63, Mindestlohn, Mütterrente, Mietpreisbremse – und dennoch zeigen die Daumen der undankbaren Wähler kontinuierlich nach unten.
Natürlich ist es auch ungerecht, wenn man bedenkt, daß andere Parteien wie die AfD ganz ohne irgendwelche Arbeit, ohne Programmatik, ohne durchgesetzte Gesetze, ohne Anstand mal eben 15, 20 oder mehr Prozent einfahren.
Nun soll einer büßen.

Gabriel, das Kassengift, der I-Gitt-Faktor an der Wahlurne soll weg.
Seine eigene Partei hat genug von ihm.

 [….] Selbst wenn Gabriel bis 2017 im Amt bleiben sollte, ist das Ende lediglich aufgeschoben.
Man muss sich nur die Intervalle ansehen, in denen zuletzt über einen Rücktritt oder Sturz Gabriels spekuliert wurde - und zwar nicht aus journalistischer Erfindungslust, sondern unterfüttert vom Getratsche und Geraune in einer tief verunsicherten Partei. Nach Gabriels 74-Prozent-Klatsche beim Parteitag im Dezember, vor dem absehbaren Debakel bei den Landtagswahlen im März und nun nach zwei miesen Umfragen: Jedes Mal galt ein Rückzug des Vorsitzenden ebenso als Option wie ein Putsch. Das vermittelt eine Vorstellung davon, wie es um Gabriels Autorität noch bestellt ist. Und das soll jetzt eineinhalb Jahre so weitergehen?
Dann wird nach jetzigem Stand der Bundestag gewählt, und man vermag sich derzeit nicht vorzustellen, wie die SPD für Gabriel mit der nötigen Begeisterung in den Wahlkampf ziehen soll. Gabriel hat es sich durch Positionswechsel, Unbeherrschtheiten, Alleingänge mit dem Rest der Parteispitze verdorben. Er hat durch Beschimpfungen weite Teile der Funktionärsschicht gegen sich aufgebracht. Er hat den Jusos seine Verachtung gezeigt und sich mit ihrer Vorsitzenden auf offener Parteitagsbühne eine Art verbaler Schulhofklopperei geliefert. Ausgeblendet hat er die Tatsache, dass die Jusos noch immer das logistische Rückgrat jedes SPD-Wahlkampfs bilden. Sollen sie im nächsten Jahr ernsthaft mit "Sigmar wählen"-Shirts durch die Gegend laufen? Die Junge Union könnte so etwas - wenn es um die Macht geht, sind die Konservativen immer diszipliniert. Die SPD ist anders. Wenn sie übel nimmt, dann richtig. [….]

Und welcher einigermaßen an Bürgerrechten und Gerechtigkeit Interessierte wäre nicht von Gabriels Alleingängen genervt?

Hypothetische Geschichte ist sinnlos, aber ich nehme durchaus an, daß eine SPD in der Konstellation von 2013 unter einer Kanzlerin Merkel deutlich besser dastehen könnte, wenn der Parteichef klare Alternativen verkörpert hätte.
Leider gab aber Gabriel Waffenexportgenehmigungen wie Schwarzgelb, besuchte privat die Pegida-Pest, überstimmte Industrie-hörig die Kartellbehörde im Tengelmann-Fall, mäanderte erbärmlich um TTIP, poltert gegen Flüchtlinge und zwang Maas dazu die Vorratsdatenspeicherung einzuführen.
So wird die eigene Partei natürlich nicht beliebt. Aber das liegt an Gabriel und nicht der politischen Konstellation insgesamt.

Nach sechseinhalb Jahren Gabriel gibt es tatsächlich genügend Gründe ihn nach Hause zu seiner jungen Familie nach Goslar zu schicken.

Die Väter des Grundgesetztes haben dafür gesorgt, daß der Staat nicht handlungsunfähig werden kann, falls frustrierte Abgeordnete den eigenen Kanzler stürzen wollen.
Für einen Kanzlerwechsel gibt es außer Neuwahlen nur die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums. Man schickt einen Regierungschef also nur dann in die Wüste, wenn man gleichzeitig einen Neuen bestimmt.

Stünde wie vor 21 Jahren in Mannheim ein dynamischer zupackender Lafontaine bereit, um die Lusche Scharping abzulösen, wäre ich der erste Sozialdemokrat, der das unterstützte!

Aber wer, bitte schön, sollte das machen?

Gabriels sechs Stellvertreter stecken allesamt den Kopf in den Sand.
Hannelore Kraft und Olaf Scholz, die beiden Mächtigsten haben deutlich erklärt nicht zur Verfügung zu stehen.
Manuela Schwesig ist im Mutterschaftsurlaub und zu jung, Thorsten Schäfer-Gümbel gilt als ewiger Wahlverlierer und notorisch uncharismatisch, Aydan Özoğuz gilt als profillos und monothematisch, Ralf Stegner schließlich ist der Unsympath, der weiten Teilen der Partei nicht vermittelbar ist.
Allen sechs Personen gemein ist, daß sie nicht wollen.

Demonstrativen Unwillen bekunden auch die SPD-Bundesminister.
Steinmeier gilt seit 2009 als verbrannt und schielt auf den Job des Bundespräsidenten. Maas beugte sich bereits mehrfach deutlich Gabriels Willen, auch wenn er dezidiert anderer Meinung war. Die fromme Nahles intrigiert im Hintergrund für 2021, hält sich aber feige aus der Tagespolitik heraus.
Manuela Schwesig ist zu jung, Barbara Hendricks zu alt und zu unbekannt.

Anders als die SPD-Ministerpräsidenten von vor 20 Jahren, sind die heute Amtierenden fast alle reine Landesgewächse, die außerhalb ihrer Scholle niemand kennt und die sich auch so gut wie nie bundespolitisch äußern.

Michael Müller (Berlin), Dietmar Woidke (Brandenburg), Carsten Sieling (Bremen), Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern), Stephan Weil (Niedersachsen), Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Torsten Albig (Schleswig-Holstein) sind alle einige Nummern zu klein.
Nur Scholz (Hamburg) und Kraft (Nordrhein-Westfalen) kämen überhaupt in Frage, aber beide haben sich glaubhaft immer wieder dazu verpflichtet in ihren Ländern zu bleiben.

Bliebe noch ein Blick auf die Landesvorsitzenden, aber da muß man die notorisch Erfolglosen, die bereits bewiesen haben, daß sie an der Wahlurne immer bloß abgestraft werden auch schon streichen:

Nils Schmid (Baden-Württemberg), Florian Pronold (Bayern), Jan Stöß (Berlin), Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen), Martin Dulig (Sachsen), Burkhard Lischka (Sachsen-Anhalt) und Andreas Bausewein (Thüringen).

Zwei SPD-Ministerpräsidenten regieren ohne zugleich Landeschef zu sein, die dortigen Parteivorsitzenden sind sogar noch schwächer: Dieter Reinken (Bremen) und Roger Lewentz (Rheinland-Pfalz).

Es bleibt nur noch Saarlands SPD-Vorsitzender Heiko Maas übrig, dessen Landesverband immerhin im Verhältnis zu Gesamtbevölkerung die höchste Mitgliederzahl hat.

Auch wenn Maas inzwischen einige zweifelhafte Entscheidungen mittrug, ist er für mich gegenwärtig der beste Bundesminister. Außerdem ist er an der Parteibasis beliebt.
Aber wie sollte sich der nette Maas gegen das Schwergewicht Gabriel in der Partei durchsetzen, nachdem er sich schon so von ihm in der Regierung dominieren ließ und es noch nicht einmal zum stellvertretenden Parteivorsitzenden brachte?
Wird schwer.
Im Ausschlussverfahren komme ich trotzdem zu dem Schluß, daß nur Maas Gabriel ersetzen könnte und halbwegs erfolgreich die Partei in den Wahlkampf 2017 führen könnte.
Aber der Bundesjustizminister lässt diesbezüglich keinerlei Ambitionen erkennen.

Daher müssen wir wohl Gabriel behalten, mit dem sich die SPD 2017 entweder nur schwer gerupft in ein Kabinett Merkel IV rettet, oder gleich in die Opposition geschleudert wird. Vielleicht als vierte Kraft hinter Union, Grünen und AfD?

Merkel wird definitiv eine vierte Legislaturperiode anstreben. Sollte sie sogar 2021 noch einmal antreten, kann die SPD sich auch nach Torsten Albigs Rat richten und gleich darauf verzichten einen eigenen Kandidaten aufzustellen.

Vielleicht hat aber auch Volker Pispers Recht: Der deutsche Urnenpöbel ist unfähig nicht Merkel zu wählen. So lange sie möchte, wird sie auch Kanzlerin bleiben. Die Wahlen könnte man sich also sparen und die deutsche Demokratie darauf reduzieren die Kanzlerin alle vier Jahre zu fragen, mit wem sie regieren möchte.