Montag, 23. Februar 2015

Kommunikationsunfähigkeit.



War das bei Monitor oder Panorama, daß die CSU-Bundesminister nach Christian Schmidts Ausfällen über den amerikanischen Schwarzwälderschinken gefragt wurden wofür eigentlich TTIP steht und dann blamiert rumeierten?

Also TTIP ist schon lange ein Triggerwort geworden, das seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat.
Nur der Vollständigkeit halber; TTIP steht für "Transatlantic Trade and Investment Partnership" und ist auf beiden Seiten des Atlantiks ungefähr so beliebt wie Fußpilz und Mundfäule zusammen.

Ich will an dieser Stelle gar nicht erst anfangen auf die inhaltlichen Kritikpunkte einzugehen; das kann man überall detailliert nachlesen – zum Beispiel hier.


Letztendlich ist es doch alles nur eine Frage der Ehrlichkeit.
Statt über die Vor- und Nachteile von Genmais und Chlorhuhn zu reden, lautet die eigentliche Frage an alle Befürworter:
Weshalb versucht Ihr den Verbraucher so massiv zu täuschen?
Wenn Gen-veränderte Produkte tatsächlich so völlig unbedenklich sind und wenn es hier tatsächlich um FREIhandel geht, dann könnte die Lösung ganz einfach sein.
 Genmais ins deutsche Lebensmittelregal, aber mit einer riesengroßen Aufschrift:

„genetically engineered / genetisch manipuliert“

Ich kann mir gut vorstellen wie beliebt das Zeug bei den Kunden wäre.
Die Lebensmittelindustrie wehrt sich so exzessiv gegen die Kennzeichnungspflicht, wie sich die TTIP-Befürworter gegen öffentliche Verwandlungen wehren.
Was eigentlich genau ausgehandelt wird, wissen wir genauso so wenig, wie wir wissen wo genau verhandelt wird und wer da eigentlich verhandelt.
Ja, Herr Gabriel, es mag ja theoretisch sein, daß TTIP Vorteile bringt, aber durch ihre exzessive Geheimniskrämerei haben sie leider alles zunichte gemacht.

Mir geht es fast gar nicht mehr um das Abkommen und die dubiosen Klagemöglichkeiten einzelner Konzerne gegen Steuerzahler vor dubiosen Geheimgerichten, sondern um das sagenhafte Kommunikationsdesaster der Bundesregierung. Wie kann man nur derart unfähig sein?
Der Urnenpöbel ist ohnehin nicht besonders helle und zudem immer gerne bereit die größten Sauereien wie Waffenexporte und Tierquälereien stoisch zu schlucken.
Es überhaupt zu schaffen diese phlegmatische Masse durch noch nie dagewesene Dumm-PR zu 97% gegen TTIP aufzubringen, ist eine große Leistung!

Herr Vizekanzler, daß sie nun beim Umgang mit dem Wähler offiziell auf die Methode „Champignon“ setzen – im Dunkeln halten und mit Scheiße füttern – wirft ein ganz schlechtes Licht auf Sie.

Bei der neuesten PR-Peinlichkeit von Muttis größten Fan; Steffen Seiberts Bundesregierungsfacebookseite; sieht man sehr schön, auf welch unterirdischem Niveau gedacht wird:
Man zeigt Gabriel als einsichtigen Mann, der die TTIP-Kritiker ausdrücklich lobt.

Das Freihandelsabkommen TTIP soll den transatlantischen Handel beflügeln - gut für beide Seiten. Der öffentlichen Kritik bekundet Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Respekt. Und sie wirkt: „Wir werden entschlossen und konsequenter nachsteuern“, sagt Gabriel.

Was der Vizekanzler und Wirtschaftsminister im nächsten Halbsatz sagte, wird lieber vertuscht.

Immer mehr Deutsche misstrauen dem Handelspakt zwischen EU und den USA, jetzt verschärft sich der Streit über TTIP: SPD-Chef Gabriel wirft der Protestbewegung Panikmache vor - und die Aktivisten brüllen einen Parteigenossen nieder.
Die Freihandelsfans sitzen im Trockenen, auf Polsterstühlen und Flüsterteppichen, zum Lunch gibt es Karotten-Ingwer-Suppe und gedämpftes Geflügel. Die Freihandelsgegner stehen im Regen, es sind ein paar Grad über null, Funktionsjacken und Schirme helfen leidlich. Protest ist unbequem. Selten wurde das so deutlich wie am Montag in Berlin.
[….] Die vier Buchstaben TTIP sind längst zum Reizbegriff für viele Deutsche geworden. Nirgendwo in Europa ist der geplante Pakt so unbeliebt wie hier, dabei spielt Deutschland eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen zwischen EU und USA. Die Bundesregierung will das Handelsabkommen unbedingt, allen voran Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
[….] Aus Sicht der Befürworter sind die Gegner immun gegen alle Argumente. Man müsse "Horrorszenarien und Mythen mit Fakten begegnen", sagt Gabriel bei der Veranstaltung der Wirtschaftsverbände. Er kritisierte die TTIP-Bewegung am Montag scharf, warf ihr Angstmacherei vor - und wenig Faktenwissen. Der Attac-Slogan "TTIP ist böse" etwa sei ziemlich platt, dagegen seien bayerische Bierzelt-Reden "ein Kongress für feinsinnige Argumentation".   [….]

So kreiert man Politikerverdrossenheit.
Es ist zwar nicht zu rechtfertigen sich verdrießen zu lassen, weil Verdruss letztendlich nur politische Apathie ist, die wiederum genau die Zustände festigt, die einen abstoßen.
Aber umso fahrlässiger ist es diesen Verdruss noch zu fördern.

[….]  Die Europäische Kommission wird im Frühling einen neuen Vorschlag zum Investorenschutz im Rahmen des geplanten transatlantischen Handelsabkommen TTIP vorlegen. Das kündigte Handelskommissarin Cecilia Malmström am Dienstagabend im Europaparlament in Straßburg an, wo sie den 140 Seiten umfassenden Bericht einer öffentlichen Befragung der Bevölkerung zu TTIP vorstellte.
Seit dem vergangenen März hatte die Behörde die Bürger befragt. Genau 149 399 Antworten gingen bis Mitte Juli ein. Mehr als 145 000 Absender lehnten das Handelsabkommen entweder komplett ab oder den Teil zum Investorenschutz, kurz ISDS. "Aus der Konsultation geht klar hervor, dass gegenüber dem Instrument der ISDS äußerste Skepsis herrscht", sagte Malmström. In den nächsten Wochen werde beraten, wie der Investorenschutz, auf den sowohl Unternehmen als auch die Mehrzahl der EU-Länder bestehen, aussehen könnte. Leicht wird das nicht: 97 Prozent der gerade Konsultierten lehnen solche Klauseln komplett ab. Vier Fünftel der Antworten kamen aus Großbritannien, Österreich oder Deutschland.
Die Gegenseite ist ebenfalls laut: der Lobbyverband der europäischen Industrie will die Klauseln unbedingt verabschieden. [….]  

97% massive Ablehnung und Gabriel glaubt sein TTIP-Baby mit ein paar lockeren Sprüchen auf Facebook durchdrücken zu können und damit seine Wähler zu begeistern. Der Mann reitet ein Pferd, das schon am 22.09.2013 längst gestorben war.

Unsere Wahlen sind jetzt schon nicht mehr repräsentativ. Davon profitiert Angela Merkel überproportional.

Der SPD-Parteichef sollte diese Entwicklung nicht noch unterstützen.
Er sollte sich aber auch nicht wundern, wenn es seine Partei nicht mehr auf über 23% schafft.

[….]  Die soziale Spaltung in der Stadt ist die Hauptursache für die niedrige Wahlbeteiligung an der Bürgerschaftswahl. Zu diesem Ergebnis kommt die Bertelsmann Stiftung in einer aktuellen Studie. Die Autoren der Studie sprechen daher davon, dass das Wahlergebnis "sozial nicht repräsentativ" sei. Von den mehr als 560.000 Wahlberechtigten, die am Sonntag vor einer Woche auf ihre Stimmabgabe verzichteten, kommen danach überproportional viele aus sozial schwachen Milieus. Wie berichtet lag die Wahlbeteiligung bei 56,9 Prozent – so niedrig wie nie zuvor.
Für die aktuelle Wahlanalyse gelte: Je prekärer die soziale Lage eines Stadtviertels, desto weniger Menschen gehen wählen. In den Hamburger Nichtwählerhochburgen wohnen laut Studie fast 36 Mal so viele Haushalte aus sozial schwächeren Milieus, fünf Mal so viele Arbeitslose und doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung. [….] In den Hamburger Wählerhochburgen dominierten das "konservativ-etablierte" und das "liberal-intellektuelle" Milieu. Im Ergebnis der Bürgerschaftswahl seien diese Milieus damit deutlich überrepräsentiert. Dazu gehören etwa Wohldorf-Ohlstedt (76,7 Prozent) oder Groß Flottbek (75,2 Prozent). "Das soziale Umfeld bestimmt die Höhe der Wahlbeteiligung", sagt Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung. "Ob jemand wählt, hängt stark davon ab, wo und wie er wohnt und ob in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld gewählt wird oder nicht."  Zudem verschärfe das 2011 eingeführte neue Wahlrecht die Ungleichheit. [….]


Sonntag, 22. Februar 2015

Ökonomie versus Krämerseele



Seit vor 15 Jahren die stramm neoliberalen Typen à la Gabor Steingart und Hans-Ulrich Jörges die Macht in den Chefredaktionen übernommen haben, ist das simple neoliberale Denken bei den Wirtschaftsjournalisten nie hinterfragt worden.
Man ist immer noch auf Linie, frönt dem Sparen, der schwarzen Null, den Liberalisierungen, der Lohnzurückhaltung.
Mindestlohn und Rentenerhöhungen gelten als Teufelszeug.

Es ist fast unmöglich andere Meinungen zu finden – es sei denn es handelt sich um grundsätzliche Betrachtungen in den Feuilletons. Dort wird der Kapitalismus durchaus gegeißelt.
Konsequenzen bleiben aber aus.

In der aktuellen Morgenpost erscheinen dann solche Kommentare wie die von Maternus Hilger. Er drischt auch nicht anders als die BILD auf „die frechen Griechen“ ein.


Die sollen sich Schäuble fügen und basta. Soweit die herrschende veröffentlichte Meinung.


Dabei muß man wahrlich nicht Ökonomie studieren, um zu verstehen, daß Deutschlands Diktat nicht funktionieren kann.


Schäuble ist der Kassenwart eines Landes mit einem riesigen Handelsbilanzüberschuss. Die enorme Exportstärke Deutschlands wird heutzutage durch ein Heer von Niedriglohnjobbern ermöglicht.
Der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttosozialprodukt schrumpft kontinuierlich.
Die Armut wächst, die Reichen werden reicher.
Handelsbilanzüberschuss geht nur, wenn andere Länder ein Handelsbilanzdefizit haben. Das gebietet schon die Mathematik.
Es können nicht alle Länder einen Exportüberschuss und damit solche Haushaltszahlen wie Deutschland erreichen.

Mein heutiges Posting ist im Grund nur eine Leseempfehlung.

Man möge sich bitte die Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Heiner Flassbeck (*1950) zu den aktuellen griechischen Politik durchlesen.

Flassbeck war zwei Jahre beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen unter Oskar Lafontaine und später zehn Jahre lang Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf.

Flassberg publiziert viel; man kann auf seiner Web-Plattform FLASSBERG-ECONOMICS viele kritische Analysen finden, die man in den üblichen Periodika eher selten kommuniziert sieht.

Apropos Medien, nachdem die Financial Times Deutschland platt gemacht worden ist und die Frankfurter Rundschau vor dem Aus steht, gibt es bis auf einige kleine Nischen auch nicht einmal im Ansatz mehr den Versuch in den deutschsprachigen Medien, die Wirtschafts­politik zu hinterfragen und überkommene Dogmen wie die extreme Exportorientierung oder die Schuldenphobie in Frage zu stellen. In der Nachkriegsgeschichte gab es noch nie so viele Versuche der Verharmlosung, der Verschleierung und der offenen Manipulation. Ohne das Internet und Plattformen wie die Nachdenkseiten wäre die Meinungsfreiheit schon des­wegen massiv gefährdet, weil es ohne alternative Denkansätze auch keine freie Meinungs­bil­dung geben kann. Das bei den Politikern so beliebte TINA Prinzip (There Is No Alternative) ist grund­falsch, ja, es ist die indirekte Leugnung der menschlichen Fähigkeit zu kritischer Analyse und damit des zentralen Grundsteins von Demokratie und Rechtsstaat.

Zur aktuellen Problematik Varoufakis versus Schäuble empfehle ich dieses Interview – bitte ganz durchlesen!

[….]
Frage: Der deutsche Finanzminister ­Schäuble hat sauer auf die Vorschläge des griechischen Finanz­ministers Varoufakis reagiert. Er hat erklärt, man könne nicht dauernd über seine Verhältnisse leben und dann immer Vorschläge machen, was andere noch bezahlen sollen.

Flassbeck: Die griechische Position ist vernünftig. Wenn etwas unvernünftig ist, ist es die Position der deutschen Regierung. Griechenland fordert das eigentlich Selbstverständliche, nämlich dass eine gescheiterte Politik eingestellt wird. Diese Politik, die in den letzten fünf Jahren von den Gläubigern auferlegt wurde, ist grandios gescheitert. Sie hat zum stärksten Absturz einer Wirtschaft geführt, den wir überhaupt seit der grossen Depression gesehen haben. Sie hat in Griechenland katastrophale Zustände verursacht.

Frage: Nur: Griechenland hat doch über seine Verhältnisse gelebt, da hat Schäuble recht.

Flassbeck: Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt, Deutschland hat unter seinen Verhältnissen gelebt. Wer hat den grösseren Fehler begangen? Eindeutig Deutschland. Gemessen an dem, was einmal vereinbart worden ist, eine europäische Währungsunion mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Da muss man sich mit seinen Löhnen an die Produktivität anpassen. Das hat Deutschland nach unten getan, Griechenland nach oben. Deutschland hat aber quantitativ mehr gesündigt als Griechenland. Dieser Hinweis fehlt im Brief von Varoufakis, aber er weiss das, ich habe es ihm persönlich gesagt.
[….]
(Interview Schweizer Tages Anzeiger 21.02.2015)

Samstag, 21. Februar 2015

Doof und arm und faul.



Nun fragen sie mich wieder; wie konnte das denn bei euch passieren? Hamburg ist doch eine liberale Stadt und nun sitzen da die AfD im Parlament und zudem auch noch eine inhaltslose FDP, die wir endlich überwunden gehofft hatten.

Die Erklärung: Schuld ist der Urnenpöbel.
Damit meine ich aber nicht in erster Linie die wenigen Wähler, die tatsächlich bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben. Jene zähle ich zu dem rechten Bodensatz, den es nun mal derzeit hier gibt – wie in vielen anderen Bundesländern; was die Sache keineswegs besser macht. Aber wir hatten schon vorher erstaunliche Erfolge von Schill, Statt-Partei und DVU.

Das ist aber eine überschaubare Zahl.
Wir hatten diesmal 1.299.411 Wahlberechtigte, die über die Landesliste mit je fünf Stimmen über die Zusammensetzung der Bürgerschaft bestimmten.
Es gab also 6.497.055 Stimmen zu vergeben. Davon erhielt die AfD 214.401 Stimmen. Absolut sind es also ~ 3% ~ 43.000 Menschen.
Ekelig, aber so ist das nun mal in einer Millionenstadt.
Diese gut 40.000 Blödmänner fielen aber sehr viel weniger ins Gewicht, wenn die knappe Hälfte der Hamburger nicht zu phlegmatisch wäre überhaupt zu wählen oder zu doof wäre das neue Wahlrecht zu verstehen.

Hamburgs Wahlrecht ist zu komplex. Erfahrene Fachpolitiker scheitern am Wahlrecht. Kompetenz wird nicht honoriert
[….] Zwei Stimmzettel, zehn Stimmen und 887 Kandidaten, dazu die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens und schließlich Wahlkreisbewerber, die sich am Ende gegen Kandidaten auf den Landeslisten durchsetzten – zu behaupten, dass vielen Hamburgern das Wahlrecht komplex erscheint, ist noch eine Untertreibung. Das schlägt sich nicht nur in der nochmals gesunkenen Wahlbeteiligung nieder. 21.981 Hamburger gaben am Sonntag ungültige Wahlzettel ab, dreimal so viele wie 2008 bei der letzten Wahl nach altem Recht.
Die Absicht ist löblich: Das neue Wahlrecht soll dem Volk mehr direkten Einfluss auf die Auswahl der Personen einräumen, die sie im Parlament vertreten. Das setzt aber voraus, dass sich die Bürger zumindest in Ansätzen mit den Kandidaten beschäftigen, die in ihrem Wahlkreis antreten, mit ihren Programmen und ihrer Leistungsbilanz. Und das scheint im wahren Leben nicht (immer) der Fall zu sein. Stattdessen machen viele Wähler bei demjenigen Kandidaten ihr Kreuz, den sie zumindest dem Namen nach kennen (Theatermacherin Isabella Vértes-Schütter bekam 9169 Stimmen), der einen Vertrauen einflößenden Beruf angibt ("Sanitäter" Hauke Wagner) oder schlicht mit einem Doktortitel beeindruckt.
[….]  Gedacht war das Wahlrecht, um den Einfluss der Parteien auf die Auswahl der Kandidaten einzuschränken. In der Praxis werden aber nicht nur die Parteien geschwächt. Das Wahlrecht schwächt das Parlament selbst, wenn statt kompetenter Fachpolitiker, die in die immer komplexer werdende Materie eingearbeitet sind, unerfahrene Neulinge in der Volksvertretung sitzen[….] Und schließlich dürften auch die Abgeordneten selbst ihre Lehre aus dem Wahlverhalten der Hamburger ziehen: Fleiß im Hintergrund zahlt sich nicht aus, das Ringen um Themen in langen Ausschusssitzungen bringt den Einzelnen nicht voran, eine noch so hohe Anerkennung in Fachkreisen verschafft nicht ausreichend Stimmen. Wer wiedergewählt werden will, muss sich bekannt machen, nach vorn drängen, schnell bei der Hand sein mit Einschätzungen und Forderungen – ins Rampenlicht, egal wie.

Das Wahlrecht ist nicht nur an sich eher gut gemeint als gut gemacht, sondern es hilft den Kaspern, den Hallodris und nicht unbedingt den seriösesten Parlamentariern.

Noch schlimmer ist aber die Betrachtung der Wahlbeteiligung, die sich in den einzelnen Stadtteilen ERHEBLICH unterscheidet.
Es gibt dabei eine klare Korrelation von Einkommen und Wahlfaulheit.
Je ärmer die Menschen, desto weniger gehen sie zur Wahl.
In den reichsten Stadtteilen stimmten über 70% der Menschen ab. Bei den ganz Armen und Abgehängten waren es teilweise nur 20%.
Damit hat dieses komplizierte Wahlrecht genau das bewirkt was es nicht sollte.
Es hat Wählen nicht etwa attraktiver gemacht, sondern im Gegenteil dazu geführt, daß die Bedürftigen sich selbst aus der Demokratie ausklinken und dafür die Mächtigen und Besitzenden weit überproportional ihren Willen durchsetzen.

Genau daran krankt auch der Irrweg der plebiszitär orientierten Piraten. Volksabstimmungen und Direktwahlen führen dazu, daß gut organisierte Reiche ihre Partikularinteressen gegen den Willen der Habenichtse durchsetzen.
Wir haben den Beweis bei den sogenannten „Gucci-Protesten“ erlebt, als  die Millionäre der Elbvororte gegen den Willen von Grünen, Linken, CDU und SPD die Stadtteilschulen zu Fall brachten, weil sie ihre begüterten Söhne und Töchter weiterhin von den armen Kindern isolieren wollten.
Möglich machten es die Eltern der Armen, die gar nicht begriffen worum es ging und daher nicht an der Abstimmung teilnahmen.

Daher also noch einmal mein dringender Appell den Unsinn mit den Volksbefragungen endlich sein zu lassen.
Der Urnenpöbel ist schon mit einem Kreuz für eine Partei überfordert. Macht es nicht noch schlimmer, indem die Diktatur der Inkompetenz den Walter Scheuerles dieser Welt ermöglicht mit einer Armee von Anwälten und PR-Beratern die Demokratie zu kaufen.

Leider sind die Reichen nicht nur motivierter zur Wahl zu gehen, sondern auch gesünder und langlebiger, weil sie auch besser gebildet sind.
Sie wissen ihren Einfluss besser zu nutzen.
Je mehr man das Wahlrecht diversifiziert, je mehr man Möglichkeiten zu panaschieren und kumulieren eröffnet, desto überproportional erhöht sich der Einfluss der Reichen und Mächtigen – schon allein, weil die HarzIV-Empfänger und Migranten gar nicht mehr wählen. LEIDER.
Man sehe sich die detaillierten Ergebnisse aus den einzelnen Wahllokalen an. FDP und CDU lagen in vielen armen Stadtteilen (Veddel, St Pauli, Altona Nord, Schanze,..) erbärmlich abgeschlagen. Auch die CDU hatte  Ergebnisse unter fünf Prozent (sic!) – aber das viel vergleichsweise wenig ins Gewicht, weil genau dort auch die Wahlbeteiligung niedrig war. Die besten Ergebnisse holten CDU und FDP in den reichen Stadtteilen, die auch die höchste Wahlbeteiligung hatten und somit besonders stark ins Gesamtergebnis einflossen.
Die Armen sind also nicht nur arm, sondern auch doof und faul.

Es ist ein Treppenwitz, daß gerade LINKE und Grüne für mehr direkte Demokratie werben. Damit erweisen sie AfD und FDP den größten Dienst und schaden den sozial Schwächsten. Nun, für die Grünen mag das ja erwünscht sein, aber Linke und SPD sollten aufhören nach plebiszitären Elementen zu verlangen.

[….]  Armes Hamburg, reiches Hamburg – das sind auch mit Blick auf die Bürgerschaftswahl zwei Welten. So lag die Wahlbeteiligung in den 20 Stadtteilen mit den niedrigsten Einkommen und den höchsten Anteilen an Hartz-IV-Empfängern nur bei 43,6 Prozent, in den Stadtteilen mit den höchsten Einkommen und dem niedrigsten Hartz-IV-Anteil hingegen bei 70,2 Prozent. Das geht aus der Analyse hervor, die das Landeswahlamt und das Statistikamt Nord am Dienstag vorstellten. [….] Das zeigt sich auch an den Ergebnissen der Parteien in diesen Stadtteilen, und hier besonders bei CDU, FDP und Linkspartei. So holte die CDU in den "besseren" Stadtteilen im Schnitt 18,2 bis 21,1 Prozent und damit deutlich mehr Stimmen als die 15,9 Prozent in Gesamt-Hamburg. [….] Noch krasser ist es bei der FDP: Sie holte in den Stadtteilen mit hohen Einkommen und wenig Hartz-IV-Empfängern im Schnitt 13,8 Prozent, in den "armen" Gegenden aber nur 4,4 Prozent – und untermauerte damit ihren Ruf als "Partei der Besserverdiener". Nimmt man alle Faktoren zusammen, bedeutet das: Wäre die Wahlbeteiligung in den ärmeren Gegenden Hamburgs so hoch wie in den reicheren, hätte die FDP den Einzug in die Bürgerschaft wohl verpasst, und die CDU hätte noch schlechter abgeschnitten.
Ganz anders ist es bei der Linkspartei: Sie holte in den besser situierten Gegenden nur 4,7 Prozent, aber dort, wo viele Geringverdiener und Leistungsempfänger wohnen, kommt sie auf durchschnittlich 13,8 Prozent – satte 3,8 Prozent mehr als 2011. [….] SPD und Grüne können hingegen von sich behaupten, in allen Teilen der Stadt etwa gleich stark zu sein. Die Sozialdemokraten waren in ihren klassischen Milieus mit durchschnittlich 45,4Prozent nur leicht stärker als in den "besseren" Gegenden mit 43,4 Prozent. [….]
Ungültige Stimmen: Der Anteil ungültiger Stimmzettel lag wie 2011 bei 3,0 Prozent, während er bis 2008 stets bei rund 1,0 Prozent gelegen hatte. Landeswahlleiter Willi Beiß sagte, dass 2011 das relativ komplizierte Wahlrecht, das es den Wählern ermöglicht, bis zu zehn Stimmen in zwei Heften zu vergeben, für etwa zwei Prozent der ungültigen Zettel verantwortlich war. [….] Scholz-Effekt: Vor allem SPD-Wähler haben die Möglichkeit genutzt, auf der Landesliste der Parteien direkt einen Kandidaten zu wählen. Von gut 1,6 Millionen Stimmen, die die SPD hier erhielt, gingen 929.000 oder 57,8 Prozent direkt an Personen. Davon wiederum erhielt allein Bürgermeister Olaf Scholz als Spitzenkandidat unglaubliche 735.737 Stimmen – damit wurden fast 21 Prozent aller 3,5 Millionen Kreuze direkt bei dem Namen "Olaf Scholz" gemacht. Das ist noch mehr als 2011, als Scholz 622.000 Personenstimmen bekommen hatte. Zum Vergleich: Sein Herausforderer Dietrich Wersich von der CDU kam auf 134.584 Direktstimmen.
[….] Stadtteile: In Billbrook war die Wahlbeteiligung mit 26,3 Prozent am niedrigsten, gleichzeitig holte die AfD hier mit 13,3 Prozent ihr bestes Ergebnis und die Grünen (4,1) ihr schlechtestes. In Nienstedten dagegen war die Wahlbeteiligung mit 75,6 Prozent am höchsten, außerdem errang die FDP hier ihr bestes Resultat und wurde mit 22,9 Prozent sogar zweitstärkste Kraft hinter der SPD (36,1) und noch vor der CDU (20,0).

Freitag, 20. Februar 2015

Grüne Quo Vadis?


Wenn Wahlforscher aus Umfragen und Nachwahlbefragungen die Zusammensetzung der Wählerschaft analysieren, gibt es doch signifikante Unterschiede.
CDU-Wähler haben den niedrigsten Bildungsstand, Linken-Wähler haben das niedrigste Einkommen, FDP-Wähler sind tatsächlich hauptsächlich Kleinselbstständige wie Apotheker und Makler. Das höchste Einkommen haben inzwischen die Grünenwähler.
Sie sind deutlich wohlhabender als die Anhänger der „großen“ Parteien.
Logisch. Sie wurden vor 30 Jahren als Studenten für die Grünen sozialisiert und leben heute weitgehend als promovierte Doppelverdiener in den Vorstädten.
Da lebt man in einem schönen Haus, mehreren Autos – darunter natürlich eins mit Hybridantrieb, kauft beim teureren Bioschlachter – auf Fleisch verzichten will man doch nicht, isoliert seine Bude, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren –verzichtet allerdings nicht auf die mindestens drei Flug-Urlaubsreisen pro Jahr, bei denen man auf einen Schlag 100 mal so viel CO2 durch verbranntes Kerosin in die Atmosphäre einbringt, wie der Hybridwagen in zehn Jahren spart, man fühlt leidenschaftlich mit den armen Bürgerkriegsflüchtlingen mit – will die aber im Zweifelsfall nicht unbedingt genau neben sich wohnen haben (wegen der Grundstückspreise und so), man lehnt immer noch das Spießertum ab, traut sich im Jack Wolfskin-Outfit zur Arbeit, aber als Ü40er klopft man wieder bei der Kirche an, die doch auch so viel Gutes tut und außerdem irgendwo vor vier Jahren schon ein lesbisches Paar gesegnet hat; leidenschaftlich frönt man den medizinischen Ratschlägen von Heilpraktikern, Homöopathen, Akupunkteuren und Kinesiologen – legt aber Wert auf seine private Krankenversicherung, weil man nicht unbedingt mit dem Plebs zusammen in einem Zimmer hocken möchte, wenn man wegen des eingewachsenen Zehennagels mit dem Chefarzt spricht; man bejaht Inklusion und frühkindliche Bildung, fürchtet aber immer stärker, die Abkehr vom Frontalunterricht, Sitzenbleiben und Noten bei 6-Jährigen könnte der eigenen Brut irgendwie schaden.

Es passt eigentlich, daß sich Grüne im Saarland, in Hamburg und in Hessen lieber an die CDU pressten, statt irgendwas Linkeres in die Regierung zu bringen.
Bei Schwarzgrün kann man das ökologische Fähnchen hochhalten, ohne daß die gesettleten Grünenwähler sich ernsthafte Sorgen machen müssen ihrem Lebensstil werde etwas zugemutet.
Da werden grüne Kerninhalte nicht nur bis zur Unkenntlichkeit verbogen, sondern in ihr diametrales Gegenteil verkehrt.
Schwarzgrün ist für die grünen Großväter mit Doktor-Titel und mit fünfstelligen Monatsgehalt sehr viel angenehmer, als die Thüringer Variante mit den quirligen Linken, bei denen sich noch echte Fundamentalpazifisten tummeln, die gar keine Waffenexporte, gar keine Kriegseinsätze akzeptieren und ernsthafte Umverteilung anpeilen.

[…] Die hessische Koalition mit der CDU ist für die Grünen ein Modell für die Bundestagswahl 2017 - Pannen und Fehler schweigen sie deshalb tot. […] Die Grünen? Das ist der Atomausstieg. Über Jahrzehnte hat die Partei dafür gekämpft, die deutschen Kernkraftwerke abzuschalten. […] Diese Glaubwürdigkeit setzen sie nun aufs Spiel.
In Hessen beweisen die Grünen seit einem Jahr, dass Schwarz-Grün funktionieren kann. So wollen sie sich eine Chance eröffnen, 2017 auch im Bund mit der Union regieren zu können. Doch bevor es mit Angela Merkel in Berlin etwas werden kann, muss es mit Volker Bouffier in Wiesbaden klappen. Die hessischen Grünen mit ihrem Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir an der Spitze haben dafür ein Rezept: Was stört, wird ignoriert.
Ministerpräsident Volker Bouffier hatte in der vergangenen Woche vor CDU-Kommunalpolitikern grundsätzliche Bedenken gegen den Verlauf der geplanten Stromtrasse "SuedLink" geäußert. Prompt kassierte er von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im SPIEGEL einen Rüffel, weil die Trasse zentraler Bestandteil der Energiewende ist. Und was machen die hessischen Grünen? Sie schweigen.
Auch die Bundes-Grünen sind nicht mutiger: Wer auf das Problem mit Bouffier und der Trasse angesprochen wird, gibt sich ahnungslos, verweist auf windelweich relativierende Sätze des hessischen Regierungssprechers oder darauf, dass sich doch auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer seit geraumer Zeit gegen den Leitungsausbau stelle. […] Noch im Landtagswahlkampf waren die Grünen hier vehement gegen ein drittes Terminal für den Frankfurter Flughafen eingetreten. Jetzt sitzen sie in der Regierung - dass das neue Terminal kommt, scheint inzwischen klar.
Mittlerweile wirkt die Politik grüner Minister in Hessen so wie die der Konkurrenz: Wie der SPIEGEL berichtet, hat Umweltministerin Priska Hinz Behörden-Warnungen vertuscht, wonach die Salzabwässer des Konzerns K+S eine größere Gefahr fürs Grundwasser bedeuten, als bisher bekannt. Wirtschaft vor Öko. […]

Grüne Parteitage, die im Chaos unterzugehen drohten, weil sich Fundis und Realos leidenschaftliche Debatten lieferten und nebenher noch die Weltrevolution planten sind lange vorbei. 

Obschon sie fünf Jahre lang Bundesvorstandssprecherin war, trat Jutta Dittfurth bereits vor 24 Jahren (sic!) bei den Grünen aus. Mit Angelika Beer kehrte eine weitere Grünen-Chefin der Partei den Rücken und sitzt heute für die Piraten im Kieler Landtag. Der ehemalige Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion Thomas Ebermann verließ die Partei 1990. Harald Wolf, prominentes Grünen-Mitglied der Berliner AL, sagte ebenfalls 1990 „Tschüß“ und war später, von 2002 bis 2011 Berliner Wirtschaftssenator und Bürgermeister für die LINKE.
Im Mai 1999 traten die fünf Bürgerschaftsabgeordneten Susanne Uhl, Heike Sudmann, Norbert Hackbusch, Lutz Jobs und Julia Koppke geschlossen aus Protest gegen den Kosovokrieg aus der Hamburger GAL-Fraktion aus.
Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof und prominente Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković trat 2005 bei den Grünen aus und wechselte zu den Linken.

Ein Dilemma, denn mit jedem Austritt haben es die neokonservativen Grünen-Führer Özdemir, Peters, Hajduk, Al-Wazir, Kerstan, Fegebank, Göring-Kirchentag, die russophoben Bellizistinnen Marie-Louise Beck und Rebecca Harms, sowie Hofreiter leichter sich an die CDU ranzurobben.

Generell muß man aber zugestehen, daß die Grünen bemerkenswert ruhig die Metamorphose ihrer Partei hinnehmen.
Die SPD mußte in der Zeit das Aufkommen der WASG aus ihrem Fleische ertragen und wird heute noch täglich für Hartz IV gescholten, während niemand den Grünen die Arbeitsmarktreformen verübelt – obwohl Rezzo Schlauch, Joschka Fischer, Corinna Scheel, Margaretha Wolf, Fritz Kuhn und Oswald Metzger sogar noch vehementer für die Arbeitsmarktreformen eingetreten waren, als SPD-Politiker.

Offensichtlich passte der Wandel und zunehmende Wohlstand der Grünen-Basis besser zur Veränderung ihrer Politik als das bei der SPD der Fall war.
Die Sozis leiden unter einer generellen Auflösung ihrer klassischen Milieus.
Die SPD-Wählerschaft ist heute womöglich die Heterogenste aller Parteien, so daß sie auch immer wieder den stärksten Widerstand aus ihren eigenen Reihen aushalten muß.

In der vierten Dekade ihres Bestehens geht es den Grünen demoskopisch besser denn je. Sie haben kaum jemals Probleme in einen Landtag einzuziehen, sind im Bund stabil zweistellig und stellen inzwischen sogar Großstadtbürgermeister und Ministerpräsidenten.

Erstaunlich, daß es doch noch so etwas wie ein kleines gallisches Dorf in der Grünen-Basis gibt.
Der vielgescholtene Trittin, den ich für einen der meistunterschätztesten Politiker Deutschlands und den besten Umweltminister in der Geschichte der Bundesrepublik halte, soll nun wieder aus dem Abklingbecken geholt werden.
Hört, hört!

[…] Bei den Grünen rumort es: In einem Brandbrief an die Partei- und Fraktionsführung mahnen Basisvertreter einen linkeren Kurs an. Sie verlangen mehr sozialpolitische Akzente, eine Absage an Ukraine-Waffenlieferungen - und ätzen gegen Schwarz-Grün.
[…] Das Schreiben von linken Basis-Grünen, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, und den Adressaten am Sonntagabend zugehen soll, mahnt die Partei- und Fraktionsführung zu einer deutlichen Kurskorrektur.
Inzwischen unterzeichneten das als "Offener Brief" deklarierte Papier mehr als 200 Mitglieder, darunter auch Mandatsträger wie Silke Gajek, Schweriner Landtagsabgeordnete und ehemalige Spitzenkandidatin in Mecklenburg-Vorpommern. […] Die Verfasser eint die Sorge, dass sich die Partei zu weit in die politische Mitte bewegt und sich damit von grünen Positionen verabschiedet. "Wir wenden uns an Euch, da wir mit sehr großer Sorge die Entwicklung unserer Partei betrachten und meinen, dass es dringend geboten ist, wieder mehr Visionen zu entwickeln", heißt es zu Beginn des Briefs. "Das Profil unserer Partei wird von einigen immer konservativer definiert und bewegt sich in der öffentlichen Wahrnehmung daher im Parteienspektrum immer weiter nach rechts."
[…] Fest gemacht wird die Befürchtung eines Rechtsrucks vor allem daran, dass die Grünen aus Sicht der Verfasser die Sozialpolitik vernachlässigten. Man werde inzwischen "nicht als soziale Partei wahrgenommen, und das ist ein sehr großes Problem", heißt es. "Es ist sehr wichtig, über Tierschutz oder gutes Essen zu sprechen, nur, arme Menschen haben ganz andere Probleme, auch diese müssen wir aufgreifen." Zuletzt hatte die Grünen-Führung einen großen Schwerpunkt auf das Thema "Gute Ernährung" gelegt.
Auch in der Friedenspolitik sehen die Verfasser Korrekturbedarf, was sie am Beispiel des Ukraine-Konflikts erläutern. Auf dem Bundesparteitag vergangenen November habe man "klar beschlossen, dass es eine Lösung ohne Waffen geben muss, und wir fragen uns, wozu sind Beschlüsse gut, wenn sie scheinbar niemanden interessieren." In der Ukraine-Debatte haben in den vergangenen Wochen auch Grünen-Politiker Sympathien für Waffenlieferungen erkennen lassen.[…]

Eine Spaltung der Grünen!
Das wäre doch mal was.
Kommt es womöglich zu einer Wiederbelebung des alten Dittfurth-Plans einer „ökosozialistischen Linken“, die bisher nie über den Status einer Splitterpartei hinauskam?
Für Frau Merkel wäre das wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag:
Eine weitere Zersplitterung im linken Parteienspektrum würde der SPD das Regieren noch einmal erheblich schwerer machen und sie hätte in den rundgelutschten christlichen konservativ tickenden Rudimentgrünen einen perfekten weiteren Mehrheitsbeschaffer.

Basis-Grüne warnen vor Rechtskurs
In einem offenen Brief sprechen sich Parteimitglieder gegen eine Koalition mit der Union aus
[…] »Wir werden spätestens in 15 bis 20 Jahren eine Welle von Rentnerinnen und Rentnern bekommen, die auf Grundsicherung angewiesen sein werden«, heißt es in dem Schreiben. Um dies zu verhindern, sollen die Grünen aus Sicht der Unterzeichner die soziale Frage wieder stärker in den Fokus ihrer Politik stellen. Doch der geforderte Kurswechsel ist derzeit nicht in Sicht. »Die Sozialpolitik wurde bei uns – zumindest in den öffentlichen Kampagnen, aber auch auf der letzten BDK – weitgehend ignoriert«, kritisieren die Basis-Grünen.
[…]  Eine Koalition mit der Union, wie sie derzeit in Hessen regiert, würde im Bund zum Untergang der Grünen führen. Das »überlebt diese Partei nicht«, heißt es in dem Brief.
Auch mit der Außenpolitik gibt es eine große Unzufriedenheit. Das beziehen die Basis-Grünen vor allem auf den Konflikt in der Ukraine. Nationalistische und rechte Kräfte seien dort indirekt von den Grünen unterstützt worden, indem ihre Rolle nicht ausreichend kritisiert und ihre Existenz zum Teil sogar als »russische Propaganda« abgetan worden sei. […]