Donnerstag, 10. Juli 2025

Demokratieproblem

Sofern es in 100 oder 200 Jahren überhaupt noch eine Zivilisation in Deutschland geben wird, existieren vielleicht auch noch akademische Bildungsanstalten. Möglicherweise scrollen KIs durch Datensätze über das frühe 21. Jahrhundert und versuchen zu ergründen, was die klimapolitischen und demokratischen Kipppunkte waren. Was wurde an den entscheidenden Punkten falsch entschieden? Was wurde nicht erkannt, so daß es zu den Katastrophen kommen musste, die im späten 21. Jahrhundert die Menschheit fast aussterben ließ?

Die „bürgerliche Mitte“ die aus Verblendung, Lethargie und Raffgier auf das falsche Pferd, also das Rechte, setzte, wird in diesen Betrachtungen sehr schlecht wegkommen. Denn schon damals, 2025, mangelte es nicht an Erkenntnis. Die Wissenschaftler der verschiedenen Disziplinen hatten längst ergründet, was die Polkappen schmelzen lässt, wie Medieninkompetenz des Demokratie zerstört. Linke, ökologisch und humanitär orientierte Parteien verstanden durchaus die Dramatik, warnten, zeigten Alternativen auf. Sie konnten aber keine Mehrheiten mehr für die Vernunft generieren.

Im 23. Jahrhundert wird man es nicht verstehen, aber tatsächlich bildeten sich in mehreren großen demokratischen Industrienationen Regierungen, die so von Egoismus und Ignoranz getrieben waren, daß sie sich sehenden Auges dafür entschieden, die Zukunft ihrer eigenen Kinder und Enkel hemmungslos zu ruinieren. Die Weltdurchschnittstemperaturen waren bereits um 1,5°C gestiegen und dennoch gaben sie den Klimaschutz auf, setzten auf Gaskraftwerke und „drill, baby, drill!“

Ein Kanzler der damaligen Zeit, Friedrich Merz hieß er, stellte in jedem Politikfeld die Weichen so katastrophal falsch, daß ihn einige Historiker des 22. Jahrhunderts für einen bösartigen Scherz der herrschenden Ostasiatischen Zentral-KI hielten. Es galt als unergründlich, wieso die Erdenbewohner ausgerechnet zur Zeit ihrer größten Verbreitung – damals gab es 100 mal so viele Individuen wie im 23. Jahrhundert, nämlich fast neun Milliarden – gleichzeitig an ihrem intellektuellen Minimum anlangten. Dabei graben Historiker immer abstrusere Details aus der Merz-Zeit aus.

So versuchten die Bürgerlichen damals nicht etwa den entstehenden faschistoiden Parteien, deren Gewaltherrscher in der Mitte des 21. Jahrhundert den nuklearen Holocaust auslösten, zu widerstehen, sondern sie kopierten sie. Sie kooperierten.

So läuteten die Merz-Parlamentarier das Ende der freien Justiz ein, indem sie bei den relevanten Richterwahlen demonstrativ das Gespräch mit den demokratischen Linken verweigerten und stattdessen den antidemokratischen AfD-Faschisten Einflussnahme gewährten.

[….] Wie die Union fahrlässig die AfD stärkt

Die Unionsführung will partout nicht mit den Linken reden. Bei der Wahl der neuen Verfassungsrichter könnten deshalb die Rechtsextremen profitieren. [….] Die Union scheint es aus der Hand zu geben, ob und wie der von ihr unterstützte Kandidat fürs Bundesverfassungsgericht am Freitag die Zweidrittelmehrheit im Bundestag erreicht: mithilfe der Linken? Ohne die Linken? Oder gar mit Unterstützung der AfD? [….] Strategisch wäre es gewesen, frühzeitig mit der Linken zu sprechen, sie einzubinden. Aber das hat die Führung der Unionsfraktion um Jens Spahn bislang ausgeschlossen. Stattdessen wird nun wohl Vabanque gespielt: Lieber Mehrheiten mit den Rechtsextremen riskieren als mit den Linken reden. Aber ein Verfassungsrichter, der mithilfe einer rechtsextremen Partei ins Amt gewählt wird – was für ein Signal wäre das? Wie würden sie in den Reihen der AfD feixen, feiern?

Es wäre die Wiederauflage der Situation im Januar, als die Rechtsextremen einem Antrag zur Verschärfung der Asylpolitik des damaligen CDU-Oppositionsführers Friedrich Merz zur Mehrheit verhalfen. Nur dass es damals um einen folgenlosen Entschließungsantrag ging, an diesem Freitag geht es um die Integrität des höchsten deutschen Gerichts. Das wird noch dadurch verstärkt, dass der Kandidat Spinner von den Richtern des Verfassungsgerichts selbst vorgeschlagen wurde, die Unionsfraktion hat sich diesen Vorschlag nur zu eigen gemacht. [….] [Es] gilt, dass demokratische Parteien untereinander gesprächsfähig sein müssen, um Angriffe auf Verfassung und Rechtsstaat gemeinsam abzuwehren.  Dass die Union das bislang nicht einsehen will, schwächt das demokratische System. [….]

(Spiegel Leitartikel, Sebastian Fischer, 10.07.2025)

Schwer zu glauben, aber tatsächlich reichten die Christdemokraten damals freiwillig den Henkern der Demokratie ihre Hand.

Eine besonders abstruse Rolle spielte die damalige Nummer Zwei im Staat, eine gewisse Julia Klöckner, die ihren Einfluss ebenfalls für die AfD-Agenda einsetzte und manisch gegen Homosexuelle vorging.

[…]  Sie hat, und zwar ausgerechnet am Osterwochenende, in einem Interview mit der Bild am Sonntag die Kirchen gerüffelt und ihnen mehr tagespolitische Zurückhaltung angeraten. Sie hat verhindert, dass zum Christopher Street Day die Regenbogenfahne am Bundestag gehisst wird. Sie hat mit der Kraft ihres Amtes unterbunden, dass es schnelle Sondersitzungen der zuständigen Bundestagsausschüsse zur Corona-Masken-Affäre um den früheren Gesundheitsminister und heutigen Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn gab, wohlgemerkt ihren langjährigen Parteifreund. Und sie hat nach dem Scheitern von Friedrich Merz im ersten Durchgang der Kanzlerwahl nicht für Orientierung gesorgt. Stundenlang war unklar, ob noch am selben Tag ein zweiter Wahlgang stattfinden kann.

Das ist keine Liste, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Sie setzt fort, was man schon im Wahlkampf erleben konnte. Als Klöckner zum Beispiel auf Instagram postete: „Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“ Sie wollte sicher nicht sagen, dass die CDU die AfD light sei. Aber es klang so. Klöckner hat diesen Post später gelöscht, aber man konnte sich schon fragen: Ist sie eine Politikerin, die zwar sagt, man müsse wie die frühere Kanzlerin Angela Merkel alles vom Ende her denken, die dabei aber manchmal nicht über den Anfang hinauskommt? […]  

 Die Regenbogenfahne? „Die Regenbogenfahnen-Debatte hat an Maß und Mitte verloren. Man kann nicht bei jedem guten und wichtigen Anlass Fahnen hissen. Es gibt zum Beispiel den Orange Day gegen Gewalt gegen Frauen – ein wichtiges Anliegen, aber da hissen wir auch nicht die dazugehörige Fahne“, sagt Klöckner. [….] Bei den Linken und den Grünen ist Klöckner, vorsichtig gesagt, nicht die beliebteste Unionspolitikerin. Die haben auch ihren Umgang mit dem Nestlé-Konzern nicht vergessen. Vor sechs Jahren hatte sie als Agrarministerin über den Account ihres Ministeriums ein Video twittern lassen, in dem sie zusammen mit dem Nestlé-Deutschland-Chef die Zucker-, Fett- und Salzreduktionsstrategie des Konzerns lobte.

Die Linken-Chefin Ines Schwerdtner klagt, Klöckner habe bei vielen Entscheidungen parteipolitisch agiert und nicht neutral als Bundestagspräsidentin. […..] In der vergangenen Legislaturperiode sei sie eine Beißerin gewesen. Abgesehen von Jens Spahn habe niemand Robert Habeck so hart kritisiert wie Julia Klöckner. „Sie haben Tag und Nacht gewütet gegen meinen Minister. Habeck kriegt schon einen Mörder-Puls, wenn er ihren Namen nur hört“, sagt der Grüne.

Klöckner und Spahn, sie waren so etwas wie die Terrier von Merz, die der CDU-Chef ständig auf Habeck und die Ampelkoalition gehetzt hat. Unter anderem hatte Klöckner Habeck vorgeworfen, einen Scherbenhaufen zu hinterlassen, Unternehmen gingen wegen seiner Politik pleite oder ins Ausland. Ein anderes Mal sagte sie, Deutschland brauche keinen „Bundes-Schamanen, der auf gutes Wetter hofft“. Das war der Ton, Monat für Monat. Vielleicht hat Merz auch deshalb Spahn und Klöckner aufsteigen lassen, den einen zum Fraktionschef, die andere an die Spitze des Bundestags. [….]

(SZ, 10.07.2025)

Aber nichts bringt Klöckner so in Rage, wie Regenbogenfahnen. Sie lässt auch kleine private Fahnen einzelner Abgeordneter in ihren Büros abhängen.

[…] Mehrere Bundestagsabgeordnete sind von der Bundestagsverwaltung aufgefordert worden, Regenbogenflaggen zu entfernen, die an oder in ihren Büros hängen. Betroffen waren unter anderem Stella Merendino, Abgeordnete der Linken, und Lina Seitzl von der SPD.

Die Bundestagsverwaltung betont, dass sich die Anordnung nicht speziell auf queere Symbole beziehe. Das Anbringen von Fahnen sei "grundsätzlich und unabhängig von der konkreten Symbolik nicht gestattet", sagte ein Sprecher des Bundestags. "Es geht nicht konkret um die Kontrolle von Regenbogenfahnen."

Seitzl, die selbst nicht zur queeren Community gehört, hatte laut Tagesspiegel anlässlich des Berliner Pride Month zwei Regenbogenfahnen in ihrem Büro aufgehängt - als Zeichen für Vielfalt und Respekt. Sie sei telefonisch aufgefordert worden, die Flaggen abzuhängen. "Ich bin mir nicht sicher, ob man die Flaggen von außen sehen konnte, aber das war wohl der Grund", sagte Seitzl der Zeitung. [….]

(Tagesschau, 10.07.2025)

Zu Linken und Schwulen brach die CDU des frühen 21. Jahrhunderts die Kontakte ab und suchte aktiv die Nähe zu den Nazis.

[….] Bei dem Sommerfest der AfD in Mecklenburg-Vorpommern feierten auch eine FDP-Landtagsabgeordnete und ein CDU-Politiker mit. Bilder, die der AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns, Nikolaus Kramer, auf Facebook teilte, zeigen: Thomas Diener (CDU) und Sandy van Baal (FDP) sitzen bei dem AfD-Sommerfest am 4. Juli neben dem Rechtsaußen-Mann. Landtagsabgeordnete anderer Parteien sind schockiert.

Auf dem Bild zu sehen sind außerdem die AfD-Landtagsabgeordneten Jens Schulze-Wiehenbrauk, Horst Förster und Michael Meister. Auf Instagram löschte Kramer das Bild laut der Ostsee Zeitung kurz nach der Veröffentlichung wieder, doch auf Facebook blieb es online.

Trotz gesichtert rechtsextremistischer AfD: CDU- und FDP-Abgeordnete besuchen Sommerfest

Im Landtag war Kramer immer wieder aufgefallen. Wie der Spiegel berichtete, hatte der Greifswalder 2018 mehrfach das N-Wort genutzt und 2024 einem SPD-Abgeordneten vorgeworfen, er wolle Kramer und die AfD in ein „Internierungslager“ stecken, wenn er könne. Der AfD-Politiker ruderte später zurück und unterschrieb eine Unterlassungserklärung. Im Juni erinnerte Kramer auf Facebook an die Sommersonnenwende als angebliche deutsche Tradition. Der Tag wird besonders in rechtsextremen und völkischen Szenen, die sich in eine Tradition mit den Germanen stellen, groß gefeiert.  [….]

(Lisa Mahnke, 10.07.2025)

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