Dienstag, 30. September 2025

Fritze brennt der Hintern.

Die tägliche Presseschau liest sich für die Fans des Blackrock-Mittelschichtlers mit den Privatflugzeugen, wie ein Hiobsbotschaften-Contest:

Massenentlassungen, Zusammenbruch der Exporte, Vertrauensverlust, Inflation.

[….] Die Inflationsrate in Deutschland ist im September auf den höchsten Stand im laufenden Jahr gestiegen. Waren und Dienstleistungen verteuerten sich um durchschnittlich 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt auf Grundlage vorläufiger Zahlen mitteilte.  [….]

(SZ, 30.09.2025)


[….] Gleich zum Wochenstart gab es die nächste Hiobsbotschaft: 4000 Jobs will die Lufthansa streichen, den Großteil davon in Deutschland. Diese Nachricht reiht sich ein in viele andere: Jobs werden abgebaut, Unternehmen straucheln. Die Arbeitslosenzahl ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr – trotz Fachkräftemangel.  […..]

(Tobias Kisling, Wirtschaftskorrespondent HH Abla, 30.09.2025)

Die ökonomischen Einschläge kommen wenig überraschend, da unglücklicherweise ein Polit-Azubi im Kanzleramt sitzt, der rein gar nichts von Wirtschaftspolitik verstehtund von vernunftsantagonistischen, zukunftsfeindlichen Fossillobbyhuren umgeben ist. Mit Verve und Freude versetzen sie der deutschen Wirtschaft den Todesstoß.

[…] Der deutsche Staat hat durch das beschlossene kreditfinanzierte 500 Milliarden Euro „Sondervermögen“ für Investitionen so viel Geld wie nie zuvor zur Verfügung. Die Auftragsbücher der Unternehmen müssten in Erwartung des vielen Geldes übervoll sein, allerorten müsste Aufbruchstimmung herrschen.  Aber Fehlanzeige. Die Wirtschaft kommt im dritten Rezessionsjahr noch immer nicht richtig in Fahrt, die Arbeitslosenzahlen steigen, und Pessimismus breitet sich aus.

Das liegt nicht nur daran, dass die Milliarden noch immer nicht fließen und die Furcht vor Donald Trump und Wladimir Putin Politik groß ist. Verantwortlich dafür sind mit Bundeskanzler Friedrich Merz und seinem Finanzminister Lars Klingbeil auch diejenigen, die das Sondervermögen auf den Weg gebracht haben.  Mit ihrem ständigen Predigen vom Kürzen und Sparen sorgen sie für Verunsicherung und Stillstand. Sie konterkarieren ihren Plan für den Aufschwung. So machen sie die Rechtsextremen immer stärker, statt ihnen das Wasser abzugraben. […] Ausgerechnet Millionär und Privatflieger Merz erklärt, Deutschland könne sich den Sozialstaat und die Energiewende nicht mehr leisten. Mit dieser Kahlschlagsrhetorik verunsichert er die Bürger:innen. Arme müssen Merz’ Auslassungen als Kampfansage begreifen.  Auch die Übrigen müssen fürchten, dass ihr Leben teurer wird, weil Gebühren und Zuzahlungen steigen könnten oder Leistungen gekürzt werden. Das macht nicht nur notorisch schlechte Laune, sondern sorgt auch für Konsumverzicht – was der Wirtschaft schadet. Gleichzeitig stecken Manager:innen in einer Zwickmühle. Sie fragen sich bei Investitionen, ob sie wie Merz weiter das Fossile forcieren oder klimagerecht umbauen sollen. Das setzt keine Kräfte frei, sondern blockiert sie. […]

(Anja Krüger, 25.09.2025)

CDUCSU zwingen gleichermaßen die Ökonomie in die Knie, wie sie die Nazis auf immer neue Höhen boosten. Inzwischen sehen die meisten Institute die AfD vor CDUCSU. Bei FORSA sind es stabile drei Prozentpunkte Abstand.

Fritze Merz, der Realität offenkundig inzwischen völlig entrückt, schiebt es auf enttäuschte Hoffnungen, nicht erfüllte Versprechen, Ankündigungen, denen keine Taten folgten.

Welcher ominöse Kanzler ist noch mal dieser "Ankündigungskanzer", der dann nie liefern kann?

Selbst die vielen rechten kleinen Merz-Epigonen der CDUCSU-Fraktionen pullern sich angesichts der Dunkel-Demoskopie inzwischen kräftig in die Hosen. Mit Verspätung zwar, aber letztlich begreifen auch sie: Merz kann es einfach nicht.

 [….] Die Umfragen [sind] katastrophal, weshalb der Blick der eigenen Leute zunehmend Richtung Kanzleramt wandert.

Eigentlich finden sie in der Union, dass sie nicht viel falsch gemacht hätten. Okay, die vergeigte Richterwahl vor der Sommerpause und die Strompreissenkung, die nun doch nicht für alle kommt: Das habe geschadet. Andererseits habe es immer geheißen, über Migration dürfe man nicht ständig reden, sondern müsse wirkungsvoll etwas ändern. Das passiere jetzt – trotzdem wachse die AfD. Es habe auch geheißen, Deutschland brauche wieder einen Kanzler, der innen- und außenpolitisch führt. Den habe man jetzt – trotzdem ist die Zufriedenheit mit der Regierung mäßig. [….] Seit dem 6. Mai ist Merz nun Kanzler, die Aufgabe, von der er damals sprach, ist somit seine. Er kann sich nicht mehr damit herausreden, Opposition in der CDU oder Opposition im Land zu sein. Bisher aber bleibt er eine Lösung schuldig. Die AfD legt zu, und seine eigenen Beliebtheitswerte sind im Keller. [….]  Vergangene Woche, in seiner Regierungserklärung, hatte der Kanzler schon mal „sehr konkrete Entscheidungen“ angekündigt, „bereits am zweiten Tag“ der Klausur.

Denn von diesen Ankündigungen aus dem Kanzleramt, stets versehen mit recht präzisen Zeitangaben, gibt es inzwischen schon einige. In seiner ersten Regierungserklärung am 14. Mai sagte Merz: „Ich möchte, dass Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, es geht voran.“ [….] Jetzt aber sei der Herbst offenkundig da, sagt einer aus der Fraktion, und sie würden nach den Reformen gefragt. Es sei keine kluge Idee gewesen, die Messlatte so hoch zu hängen. Andere sprechen bereits hämisch vom „Herbst der Reförmchen[….] Das Problem mit dem Erwartungsmanagement des Kanzlers fasst einer aus der Unionsfraktion so zusammen: Wenn Generalsekretär Carsten Linnemann und Kanzler Merz nicht ständig versprechen würden, dass sich in 100 Tagen die Welt verändern lasse, gäbe es auch nicht ständig Enttäuschungen. Unter CDU-Abgeordneten hört man in diesen Tagen regelmäßig die Klage, dass der Kanzler nicht klug agiere. [….] „Ich finde es extrem unglücklich, wenn wir immer so tolle Ankündigungen machen – und dann wieder zurückrudern müssen.“ Wenn man sage, „bis zu den Sommerferien gibt’s spürbare Verbesserungen in diesem Land, sodass es wirklich jeder spürt, und dann spürt’s halt keiner, dann ist es doof“. [….] (Henrike Roßbach und Robert Roßmann, 28.09.2025

Die Union muss jetzt die Notbremse ziehen und sich von den offenkundigen Totalversagern Merz, Reiche, Söder, Klöckner, Dobrindt und Spahn trennen.

Anderenfalls geht es weiter drastisch bergab und die C-Parteien werden bestenfalls  als Junior-Schoßhündchen am Kabinettstisch von Kanzler Bernd Höcke enden.

Es stimmte zwar nie, aber Wirtschaft wurde immer für die Merz-Kernkompetenz gehalten. Wenn selbst in dem Bereich kollektiv die Daumen gesenkt werden, sagt das schon einiges aus.

[….] Experten mahnen seit Langem Reformen in Deutschland an. Auch die Bundesbürger beurteilen die aktuelle wirtschaftliche Lage mehrheitlich als schwierig, wie eine aktuelle Umfrage des Bankenverbandes ergibt, die dieser Redaktion vorab vorliegt. Und sie erwarten, dass es sogar schlechter wird – obwohl die schwarz-rote Bundesregierung zahlreiche Reformen versprochen hat.

Dramatisch für das Team um Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): Zwei Drittel der Deutschen glauben nicht, dass die Politik die Probleme lösen kann, der schlechteste Wert seit 15 Jahren.

„Wenn nur noch ein knappes Drittel der Bevölkerung der Politik zutraut, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen, muss uns das Sorgen machen“, sagt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, der die repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben hat.  [….] 70 Prozent der Befragten bewerten die wirtschaftliche Lage hierzulande als nicht so gut oder sehr schlecht. Und auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft sehen 77 Prozent Deutschland schlecht oder sehr schlecht vorbereitet. „Das ist ein alarmierendes Signal, das zum Handeln gemahnt“, sagt Herkenhoff. Im vergangenen Jahr lag der Wert noch bei 55 Prozent. Auch der wirtschaftliche Ausblick ist düster. 57 Prozent der Befragten geben an, dass es mit der Wirtschaft am Standort D derzeit bergab geht; wer unter 30 ist, etwas mehr (62 Prozent) als die über 60-Jährigen (53 Prozent). […..]

(Björn Hartmann, FUNKE, 30.09.2025)

Tja, Urnenpöbel, das hättest Du vorher wissen können, daß man nicht CDUCSU wählt, wenn Dir irgendetwas am Wohle Deutschlands liegt.

[…] „Ich fasse mal die letzten 20 Jahre deutsche Wirtschaftspolitik zusammen:

1. Die UNION regierte 16 Jahre und hinterlässt eine riesige Baustelle.

2. Die Ampel versuchte, diesen Schutthaufen zu beseitigen.

3. Die UNION sabotierte diesen Versuch gemeinsam mit der FDP indem sie Gelder zurückhielt. (mieser Move)

4. Die UNION benötigt die Hilfe der Grünen und der Linken um das GG zu ändern, damit sie nach Machtergreifung die Beseitigung des Schutthaufens finanzieren können. (Auch ein mieser Move)

5. Die Union unterlässt die Beseitigung des Schutthaufens und widmet die Gelder mit Hilfe der ehemaligen Sozialdemokraten der Befriedigung der eigenen Klientel.

6. Der dt. Steuerzahler gibt den Grünen die Schuld und wählt die 𝕬𝖋𝕯...

Fortsetzung folgt.“ […..]

(Hagen Koblitz, 24.09.2025)

Montag, 29. September 2025

Die Einschläge kommen näher – Teil II

Mein größter Spaß, den Presseclub, respektive den internationalen Frühschoppen, zu gucken, war gestern etwas eingetrübt, weil er von Jörg Schönenborn moderiert wurde, der seinen drei weiblichen Moderationskolleginnen hoffnungslos unterlegen ist.  Es ging aber um sein äußerst interessantes Thema:

[….]  Putins hybrider Krieg: Wie bedroht sind wir?

Luftraumverletzungen durch Drohnen und Kampfflugzeuge, Sabotage, Cyberangriffe: Auch wenn nicht in allen Fällen eindeutig nachweisbar ist, wer dafür verantwortlich ist, vermuten viele Experten Russland als Drahtzieher. Wie groß ist die Gefahr? Und wie können wir uns gegen solche Angriffe wehren? 

Was will Putin?

Erst flogen russische Drohnen über Polen, dann drangen russische Kampfjets in den estnischen Luftraum ein. Auch die deutsche Fregatte Hamburg wurde diese Woche in der Ostsee von einem Militärflugzeug aus Russland überflogen. Diese Vorgänge setzen die NATO in Alarmbereitschaft, weil das Bündnis einen russischen Angriff an seiner Ostflanke fürchtet. Was bezweckt Putin mit diesem Vorgehen? Ist es eine offene Kriegsdrohung; wäre die NATO dagegen gewappnet? Oder geht es Putin um gezielte Provokationen, um Angst und Unsicherheit zu schüren?

Drohnenalarm in Polen und Dänemark

Mit einer Stimme spricht die NATO auf jeden Fall nicht: Während Verteidigungsminister Pistorius meinte, man müsse besonnen reagieren, appellierte US-Präsident Trump diese Woche in New York dafür, russische Kampfflugzeuge über NATO-Territorium im Zweifelsfall abzuschießen. Drohnenalarm gab es diese Woche auch in Dänemark, weshalb der Flugbetrieb teilweise lahmgelegt wurde. Anders als in Estland und Polen ist bisher noch offen, wer die Drohnen gelenkt hat. Von den 550 bestätigten oder vermuteten russischen Hybrid-Aktionen seit 2022 in Europa ist Deutschland das häufigste Ziel. Warum wir, hat das mit der militärischen Unterstützung der Ukraine zu tun?

Deutschlands Sicherheitslücken

Fakt ist: Die NATO und die Bundeswehr sind gegen solche Attacken nicht ausreichend gewappnet. Relativ blank stehen wir auch beim Schutz unserer kritischen Infrastruktur da. Das zeigen Anschläge auf die Deutsche Bahn ebenso wie Cyberangriffe an Flughäfen und Anschläge auf Energienetze. Während die Bundesregierung das Sondervermögen vor allem für die militärische Aufrüstung verwendet, klaffen beim Bevölkerungs- und Katastrophenschutz riesige Lücken. Geht die neue Bundesregierung diese Probleme an? Adressiert die Politik die Gefahren deutlich genug oder ist die Zurückhaltung angemessen, um keine Panik zu schüren? [….]

(WDR Presseclub, 28.09.2025)


2022 war die Ukraine Russland bei den Drohnen noch überlegen. Man schauderte, wenn Putin mal in einer Nacht ein Dutzend mit Sprengstoff bestückte Drohen in den Ukrainischen Luftraum brachte. Der Kreml begriff aber sehr schnell, wie relevant Drohnen für die moderne Kriegsführung sind. Viel wichtiger als Kampf-Flugzeuge, die hunderte Millionen Dollar pro Stück kosten. Viel wichtiger als Kampfpanzer, die auch rund 30 Millionen Dollar pro Stück kosten. Eine einsatzfertige Kampfdrohne bekommt man für 10.000 Dollar.  Das angeblich so unter 18 europäischen Sanktionspaketen ächzende Russland verstand und reagierte genauso flexibel, wie effizient. Und schraubte seine Drohnenproduktion in enorme Höhen. Heute kann Putin in einer Nacht 500 Drohnen gen Kiew schicken.

Deutschland hingegen steckt gefangen in seiner verkrusteten Bürokratie mit abstrusen NATO-Zulassungsverfahren.

Das Neueste, das Pistorius sein Eigen nennt, sind von der Universität Hamburg entwickelte Abfangdrohnen, die ein Netz über andere anrückende Drohen abwerfen. Letzte Woche wurden die Ersten geliefert. Das Projekt startete die Entwicklung mit Hilfe des Verkehrsministeriums im Jahr 2020. Im September 2025 erhält die Bundeswehr den ersten Prototyp. Selbst bei einem eigenen Projekt dauert es also fünf Jahre. Gibt es erst Ausschreibungen, oder werden Waffensystem in anderen Ländern gekauft, dauert die Zertifizierung noch wesentlich länger

Bundeswehr- und Sicherheitsexperte Thomas Wiegold berichtete völlig gelassen von der stoischen Bummelei Deutschlands, mit der wir in jeder Hinsicht den Anschluss an die internationale Drohnentechnik verpasst haben. Die Anzahl der Kanonen, über die die Bundeswehr verfügt, mit denen man Drohnen abschießen kann, beträgt genau Null.

Aber das totale Scheitern der deutschen Politik beginnt schon viel früher. Wir können nicht nur keinen Drohen abschießen, wir können auch nicht detektieren, ob Drohnen kommen. Baltische und Skandinavische Länder haben bereits Drohnenüberwachungssysteme, wir nicht.


Und wenn per Zufall eine Drohne im deutschen Luftraum gesehen wird, können wir nicht unterscheiden, ob sie von einem Hobby-Piloten gesteuert wird, der für sein Instagramprofil Content generiert, oder ob eine nordkoreanische Überwachungsdrohne aktiv ist. Selbst wenn wir das wüßten, würde es uns auch nichts nützen, da noch nicht mal die Zuständigkeit geklärt ist, wer sich um feindliche Drohnen kümmert. Zunächst muss sich die lokale Polizei darum kümmern, die aber gar kein Instrumentarium hat und dann anfangen sollte, zu telefonieren. Die Ampel hatte dazu ein Gesetz vorgelegt, welches das Zuständigkeitswirrwarr auflösen sollte. Aber dann sprengte die FDP lieber die Koalition, das Gesetz kam nicht mehr zur Abstimmung in den Bundestag und modert seither in der Schublade, weil Merz es nicht anfasst. Es muss schließlich erst geklärt werden, ob in der Kantine des Familienministerium das Genderverbot durchgesetzt wurde. Und der Agrardiesel musste von der Steuer befreit werden, Und die CSU-Mütterrente von 20 Euro. Und die Senkung der Gastrosteuer. Und mehr Pendlerpauschale. Da muss der Russe halt mal warten


Selbstverständlich piesackt Putin Deutschland mit Drohen; so doof wie wir sind.

Das kostet ihn fast nichts und verwandelt die NATO in einen Hühnerhaufen.

Aber der Militärhistoriker Prof Sönke Neitzel macht Hoffnung, wie die deutsche Bundeswehr sich gegenüber der russischen Armee verhalten könnte.

[…] Historiker über die Nöte der Bundeswehr „Putin lacht sich über uns kaputt“ […] taz FUTURZWEI  Herr Neitzel, Sie haben der Bundeswehr wiederholt Versagen attestiert. Die Soldaten könnten im Kriegsfall nur eins tun und das sei „mit Anstand sterben“. Gilt das auch noch nach allen Anstrengungen, die Bundeswehr zu ertüchtigen?

Sönke Neitzel: Das war eine provokante Aussage. Aber sie würde sich bewahrheiten, müsste die Bundeswehr jetzt gegen Russland in den Krieg ziehen. Wir haben natürlich Soldaten, die kämpfen können. Aber es hängt eben sehr davon ab, in welchem Szenario. Ein Grenzscharmützel von 200 grünen Männchen könnte die Bundeswehr locker bestehen. In einem modernen Krieg gegen Zehntausende Gegner aber würde sie sehr hohe Verluste erleiden. Es fehlen Drohnen und Flugabwehrsysteme, es mangelt an elektronischer Kampfführung und Führungsfähigkeiten. Die Russen haben derweil in den letzten Jahren gerade im Drohnenkrieg massiv dazugelernt.

[…] taz FUTURZWEI: In der Kommunikation aus dem Verteidigungsministerium heraus will man den Eindruck erwecken, dass seit der sogenannten Zeitenwende vor drei Jahren unfassbar viel passiert ist. Stimmt das?

Neitzel: Wäre ich Verteidigungsminister, würde ich das auch sagen. Und ja: Es gibt jetzt bewaffnete Drohnen. Fünf große Heron-Drohnen wurden aus Israel geleast. […]

taz FUTURZWEI: In der Öffentlichkeit sieht man nur die Mobilisierung von ungeheuren Geldmengen. Nach jetziger Planung soll der Wehretat 2029 schon 153 Milliarden Euro betragen – gegenüber heute mehr als eine Verdoppelung. Was und wem nützt das viele Geld?

Neitzel: Das Geld braucht es für Drohnen, technische Innovationen, elektronische Kampfführung und die Entwicklung von Software, die von den USA unabhängig ist. Mit dem Geld können wir Fortschritte erzielen, aber wir werden wohl auch eine unendliche Verschwendung erleben. Eine marode Firma würde man auch erst einmal sanieren und die Strukturen überprüfen, bevor man investiert. Die Bundeswehr hat mehr als 50 Prozent des Personals nicht in der unmittelbaren Auftragserfüllung eingesetzt. Also nicht in Brigaden, Flottillen oder Geschwadern. Man weiß nicht, wohin mit den Berufssoldaten, die nicht mehr verwendet werden können, und dann schiebt man sie halt in die Stäbe und Ämter. Etwa 30.000 Unteroffiziere und Offiziere müssten eigentlich frühpensioniert werden. […][…] Ohne Geld wird es nicht gehen, aber wir müssen ganz hart an die Personalstrukturen ran. Eine Verwaltung kriegt man nicht mit PowerPoints oder Schönreden effizienter. Personalreduzierung zwingt eine Organisation zu neuen Verfahren. Etwa dazu, Entscheidungen stärker nach unten zu delegieren. Die Preußische Armee war weniger technisiert, aber das Grundprinzip waren gebildete Offiziere, die Entscheidungen trafen und denen vertraut wurde. Die Bundeswehr hat 6.800 Stellen in der Personalverwaltung. Das ist gigantisch. In der Verwaltung der Wehrmacht gab es dafür 277 Stellen. […]

Putin lacht sich doch über uns kaputt. Er und der russische Geheimdienst wissen ganz genau, wie ineffizient wir sind. Die Russen haben in den letzten zwölf Monaten rein quantitativ eine gesamte Bundeswehr neu hingestellt. Die sind sicherlich nicht so gut ausgebildet wie unsere Soldaten, aber Quantität ist auch eine Qualität. Wir schaffen es nicht einmal, von 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 aufzuwachsen. Ich kenne viele, die Reserveoffiziere oder Reserveunteroffiziere werden wollen. […] Die Verwaltung tut alles, um die abzuschrecken. Das ist Kabarett.

taz FUTURZWEI: Jetzt lässt sich in einer defätistischen Logik leider erwarten, dass mit dem ganzen Geld doch einfach mehr Personal für die Verwaltung eingestellt wird.

Neitzel: Klar, immerhin hat das Verteidigungsministerium jetzt auch noch einen dritten Staatssekretär. In den 2000er-Jahren war der Richtwert 1.500 Dienstposten für das Verteidigungsministerium. Wir haben heute 3.000. […] (taz, 29.09.2025)

Ein anderer Aspekt unseres enormen deutschen Versagens wurde ebenfalls im gestrigen Presseclub detektiert: Merz und Dobrindt. Wir befinden uns bereits in einem hybriden Krieg, die deutsche kritische Infrastruktur wird massiv angegriffen. Aber die schwarzbraunen Unionsminister verschließen fest die Augen vor der Realität und konzentrieren sich ausschließlich darauf, der AfD den Hintern zu küssen. Und so richtet sich die ganze Aufmerksamkeit des CSU-geführten Bundesinnenministeriums auf die Grenzen zu unserem NATO- und EU-Nachbarn Polen und den EU-Nachbarn Österreich, um mit aberwitzigen personellen Aufwand die Grenzübergänge zu überwachen, falls doch einmal ein Türke oder Albaner, der womöglich schwarz am Hamburger Hafen gefrorene Hühnerteile entladen will, über die Grenze kommt. Das Merzsche Totalversagen ist nicht mehr in Worte zu fassen.

[…] Drohnen über Europa CDU-Politiker Kiesewetter will Spannungsfall ausrufen lassen

In der CDU gibt es angesichts der mutmaßlich russischen Provokationen am europäischen Himmel erste Stimmen, den sogenannten Spannungsfall festzustellen. Der Mechanismus würde unter anderem bedeuten: sofortige Wehrpflicht. Der sogenannte Spannungsfall müsste über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag festgestellt werden. Er gilt als Vorstufe des Verteidigungsfalls; spezielle Sicherstellungsgesetze wie das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz könnten angewandt, die Bundeswehr verstärkt eingesetzt werden. In einer Kurzinformation des Bundestags von 2024  heißt es etwa, die Feststellung eines Spannungsfalls lasse die Wehrpflicht »ohne weiteres Zutun wiederaufleben«.

Laut Kiesewetter könnten damit »wesentliche Infrastrukturen durch die Bundeswehr geschützt und der Polizei an anderer Stelle mehr Optionen für den Schutz der Bevölkerung geboten werden«. Außerdem würden »Zuständigkeitsketten gestrafft und Optionen effizient genutzt«, wie Kiesewetter dem »Handelsblatt« sagte .

Der Schritt sei notwendig, damit Drohnen von der Bundeswehr »sofort abgewehrt werden können«, sagte Kiesewetter. Und zwar nicht nur über militärischen Liegenschaften, sondern auch im Bereich der kritischen Infrastruktur. Hybride Angriffe ließen sich nicht eindeutig nach äußerer und innerer Sicherheit trennen, sagte der Bundestagsabgeordnete weiter. Russland nutze die Drohnenüberflüge als Teil der Lagebildgewinnung, um »das Schlachtfeld vorzubereiten«. Auch wolle Russland mit den Drohnenüberflügen Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung erzeugen. […]

(SPON, 29.09.2025)

Ju, die Einschläge kommen jetzt wirklich näher!

Kaum bin ich Deutscher geworden, holen die mich in die Wehrmacht, oder was?!

Fuck.

Was sollte ich dann tun, gegen Cyber- und Drohnenangriffe? Ich könnte natürlich ein Fax an das Bezirksamt schicken oder mich mit einer Steinschleuder bewaffnen. Oder ich werfe mit Kastanien nach den Drohnen.

Sonntag, 28. September 2025

AfD-Framing.

Die Tagesschau und der SPIEGEL lassen heute trotz des Bemühens um Neutralität eine gewisse Erleichterung durchblicken. 150 Stichwahlen in NRW und kein einziger AfD-Nazi gewann.

In meiner Social Media-Blase wird jubiliert. 

Bei den Kommunalwahlen des größten Bundeslandes, das allein weit mehr Einwohner als alle Ost-Bundesländer zusammen hat, gab es ordentlich eins auf die Nase für die Rechtsextremen; nur Niederlagen.


[….] AfD verliert haushoch

Die AfD, die in Hagen, Duisburg und Gelsenkirchen im letzten Rennen um das Oberbürgermeisteramt stand, konnte sich dagegen nirgendwo durchsetzen: In Gelsenkirchen unterlag Kandidat Norbert Emmerich mit 33,1 Prozent gegen Herausforderin Andrea Henze von der SPD (66,9 Prozent). In Duisburg gewann Sören Link (SPD) mit 78,6 Prozent haushoch gegen den AfD-Kandidaten Carsten Groß (21,4 Prozent). In Hagen konnten die Wähler zwischen Dennis Rehbein (CDU) und Michael Eiche (AfD) entscheiden. Dort unterlag der AfD-Bewerber mit gut 28 Prozent, Konkurrent Rehbein gewann das Oberbürgermeisteramt mit klaren 71,7 Prozent der Stimmen. [….]

(Tagesschau, 28.09.2025)

Offenbar wird mit der „Es hätte schlimmer ausgehen können“-Schablone geframt.  Das ist zulässig. Es ginge in der Tat schlimmer. Jede weitere Stimme für die AfD wäre noch schlimmer und der Schlimmheit-Quantensprung wären >50%, also ein Bürgermeisteramt für die Nazis gewesen. Wie schön, daß es noch mal gut ging.

[….] Das Ruhrgebiet ohne blaues Rathaus

Wie groß die Sorge war, dass »die blaue Welle« gerade in den strukturschwachen Regionen des Ruhrgebiets ankommen und erste Rathäuser in Zukunft AfD-regiert würden, konnte erfahren, wer sich vor dem ersten Wahlgang mit roten, grünen oder schwarzen Politikern unterhielt. Da war einerseits oft von »Ratlosigkeit« die Rede, von »Fehlern« aus der Vergangenheit, auch mal von »Entfremdung vom Wähler«. Andererseits von einer AfD, die die vorhandenen Strukturprobleme für sich nutze, Stimmen aus ihnen zöge und nicht nur keine konstruktiven Vorschläge machen würde, sondern auch kein Interesse daran habe, am Status quo etwas zu ändern. »Mir wird schlecht, wenn ich an den Wahlabend denke«, sagte jemand aus der NRW-SPD-Spitze damals.

Die größte Sorge hat sich, das ist seit heute Abend klar, nicht bewahrheitet: Es gibt kein blaues Rathaus in NRW. Dennoch hat die Partei gewonnen: Die AfD ist im Westen angekommen und sie hat teils starke Fraktionen in den Stadträten, die Macht ist in greifbare Nähe gerückt. In Gelsenkirchen etwa sitzen genauso viele AfD- wie SPD-Ratsmitglieder im Rathaus. Beschlussfähige Mehrheiten zu finden, wird in Zukunft deutlich schwieriger, als es in der Vergangenheit schon war. Brandmauer-Diskussionen werden zwangsläufig aufkommen.  [….]

(SPIEGEL, 28.09.2025)

Die Spiegel-Redakteure Tobias Großekemper und Miriam Olbrisch sprechen hier schon ein anderes Framing an.

In der (einstigen) roten Herzkammer der Republik, wo die SPD über Jahrzehnte locker absolute Mehrheiten holte, stehen die Nazis ante portas und es interessiert niemanden. Über die Hälfte der Wahlberechtigten konnte sich gar nicht aufraffen, überhaupt wählen zu gehen. Die niedrige Wahlbeteiligung ist eine Schande für Nordrhein Westfahlen. Was haben die NRWler an „Aufstehen für die Demokratie“ nicht verstanden? Sehen sie nicht, was sich in den USA und Ossistan abspielt? Begreifen sie nicht, auf was für wackeligen Füßen unsere Demokratie steht? Ist das für mehr als fünf Millionen bei den Stichwahlen Wahlberechtigte dermaßen irrelevant, daß sie noch nicht mal gewillt sind, ein kleines Kreuz zu machen? Stört es sie gar nicht, welche ekelhaften großen braunen Prozentzahlen sie damit produzieren?

Reihenweise einst rote Großstädte im westlichsten deutschen Westen, in denen ein Viertel bis ein Drittel der Wähler Nazis wählen. Und die meisten NRWler verschlafen die Wahl.

[….] Sören Link (SPD) bleibt Duisburgs Oberbürgermeister

Der amtierende Oberbürgermeister Sören Link (SPD) wurde mit klarer Mehrheit wiedergewählt: Er kommt auf 78,57 Prozent der Stimmen. "Ich bin gerührt und stolz auf dieses Ergebnis. Es ist ein deutliches Zeichen für den Zusammenhalt in unserer Stadt", sagte er dem WDR am Abend. In Duisburg sind seit 19:01 Uhr alle Stimmen ausgezählt.

Der Herausforderer um das Oberbürgermeisteramt, Carsten Groß von der AfD, kommt auf 21,43 Prozent der Stimmen. Laut infratest dimap liegt die Wahlbeteiligung in Duisburg bei 44,2 Prozent. [….]

(WDR, 28.09.2025)

[….] Endergebnis Oberbürgermeisterwahl Gelsenkirchen, Stadt

Andrea Henze (SPD) erhält 66,9 Prozent der gültigen Stimmen.  Norbert Emmerich (AfD) erhält 33,1 Prozent der gültigen Stimmen. [….] Im Landesvergleich war die Wahlbeteiligung mit 43,6 Prozent in Gelsenkirchen hoch. [….]

(WDR, 28.09.2025)

[….] Endergebnis Oberbürgermeisterwahl Hagen, Stadt

Dennis Rehbein (CDU) erhält 71,7 Prozent der gültigen Stimmen.

Michael Eiche (AfD) erhält 28,3 Prozent der gültigen Stimmen. [….] Nach derzeitigem Stand haben 43,6 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bei der Stichwahl abgegeben. [….]

(WDR, 28.09.2025)

Damit bleibt der AfD-Chaot Sesselmann, mit seiner verheerenden Bilanz im 55.000-Einwohner-Lanbdkreis Sonneberg der einzige AfD-Regent; wenn man von Hannes Loth, der AfD-Bürgermeister des Sachsen-Anhaltinischen 8.000 Seelen-Kaffs  Raguhn-Jeßnitz, absieht.

Aber nun holt die AfD in Duisburg mit seinen 504.000 Einwohnern 21%.

In Gelsenkirchen mit seinen 268.000 Einwohnern 33%.

In Hagen mit seinen 190.000 Einwohnern 28%.

 Das sind verdammt viele Nazis in Westdeutschland.

Samstag, 27. September 2025

Das mache ich wegen der AfD

Als ich 1999 in meine jetzige Wohnung zog, war es noch üblich, sich mit einem kleinen Blümchen in der Hand, den Nachbarn vorzustellen. Daher habe/hatte ich immer ein gutes Verhältnis zu den Leuten, mit denen ich Wand an Wand wohne. Natürlich quatsche ich auch mit den Menschen, denen ich in meiner Nähe begegne.

Besonders die ältere Frau, die direkt über mir wohnt, hat ein enormes Mitteilungsbedürfnis und erklärt jedem, was „diese Ausländer!“ nun schon wieder Schlimmes getan haben. Sie fühlt sich regelrecht verfolgt. Überall, wo sie sich bewegt; im Bus, bei Einkaufen, im Arzt-Wartezimmer; sitzen haufenweise dunkelhäutige Ausländer und starren sie an. „Diese Ausländer“ haben alle kein Benehmen und viel zu viel Zeit, weil die alle nicht arbeiten und vom Staat finanziert werden. „Diese Ausländer“ sind von Rundfunkgebühren, Mieten und Krankenkassenbeiträgen freigestellt und leben nur auf Kosten der fleißigen Deutschen. Nach mittlerweile 26 Jahren, weiß ich gar nicht mehr genau, wie lange ich höflich widersprochen habe und ihre Abstrusitäten richtigstellte. Laut wurde ich nie, aber irgendwann stellte ich sehr deutlich klar, selbst Ausländer zu sein und deswegen noch nie von einer Zahlung befreit worden zu sein. Selbstverständlich zahle ich Wasser, Strom, Telefon und Rundfunkgebühr aus meiner Tasche.

Nach meiner Erinnerung, war es das erste mal, daß ich auf das heute dominante Phänomen der Fakten-Ignoranz traf. Es war noch vor dem Internet, aber meine Nachbarin hatte ihre eigenen Fakten und wußte eins sicher: Wenn Tagesschau oder „die Zeitung“ oder der Ausländer-Nachbar unter ihr, etwas anderes sagten, als sie glaubte, mussten die alle lügen.

Sie empfahl mir, mehr Fernsehen zu gucken und rückte keinen Millimeter von ihren Standpunkten ab. Ich begann, ihr aus dem Weg zu gehen. Bis heute horche ich einen Moment an der Wohnungstür, bevor ich raus gehe. Der Frau möchte ich möglichst nicht mehr begegnen.

Mit dem Aufkommen der AfD und den Flüchtlingsjahr 2015 bekam sie Oberwasser und war sich nun sicherer denn je: „Diese Ausländer“, die alle zu faul zum arbeiten sind, nehmen den Deutschen nicht nur die Jobs, sondern auch die Wohnungen weg. Empört blaffte sie mich an, ihr Sohn habe sich für eine Wohnung beworben, sie aber nicht bekommen. Das läge offensichtlich an seiner biodeutschen Natur. Der Staat verlange schließlich von den Vermietern, nur noch Ausländern Wohnungen zu geben.

Klar, das wurde schließlich in unzähligen Blindtests bewiesen: Bei Bewerbungen um Jobs und Wohnungen, werden Menschen afrikanischer Herkunft oder mit türkischen Namen immer sofort angenommen, während Max und Erika Mustermann draußen bleiben müssen.

33 und 36 Quadratmeter groß sind die beiden Wohnungen, die mir mittlerweile gehören. Naja, genauer gesagt, gehören sie weitgehend der Bank, aber ich stehe schon mal im Grundbuch und kassiere die Mieten. (Ich verstehe bis heute nicht, wie ich zu dieser kapitalistischen Bauernschläue fähig war und ins Lager der Vermieter wechselte.) Aber nun brachte mich meine Nazi-Nachbarin auf eine Idee. Statt mit ihr darüber zu argumentieren, wie enorm People Of Color auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind, was ohnehin zum Scheitern verurteilt war, handelte ich „wegen der AfD“. Sollte die Hexe über mir doch Recht bekommen. Ich kontaktierte eine Flüchtlingshilfsorganisation, um Mieter zu bekommen.

Finanziell ist das nicht der lukrativste Weg, weil ich in Hamburg durchaus höhere Mieten erzielen könnte, aber für mein Gewissen und meine Zufriedenheit, war es herrlich, schließlich in beiden Wohnungen Eritreer als Mieter zu haben.

In beiden Fällen übernahm zwar zunächst die Arge die Mietkosten, aber nachdem sie sich im Vergleich zur Sammelunterkunft so deutlich verbessert hatten, fanden sie schnell Jobs und kommen selbst für ihren Lebensunterhalt auf.

Wenn ich heute meiner doofen Nachbarin begegne, reden wir gar nicht mehr, aber innerlich lächele ich bei der Vorstellung, daß ausgerechnet sie, zwei von „diesen Ausländern“ indirekt eine Wohnung verschaffte.

Bei einem weitere Wohnungswechsel schaltete ich „Abrigo“ ein. Die bemühen sich um die dringendsten unter den dringenden Fällen.

[…..] Das spanische Abrigo steht für „Obdach“: Wir suchen und vermitteln Wohnraum für Geflüchtete – insbesondere LSBTI* (Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexuelle), die in Hamburg in öffentlicher Unterbringung leben und dort einer Gefährdungslage ausgesetzt sind. In eigenem Wohnraum können sie Sicherheit finden und in Ruhe ankommen.

Kompetente Beratung

Wir beraten die Mieter_innen in allen Fragen, die das Mietverhältnis betreffen und sind beim Bezug der Wohnung behilflich. Unsere dreimonatige Intensivberatung nach Einzug sowie weitere Beratung und Begleitung während des Mietverhältnisses unterstützt die Mieter_innen bei ihrer Integration im Wohnumfeld. Unser Leistungsangebot umfasst auch die Begleitung zu Terminen und Besuche in der Wohnung. Bei Bedarf stellen wir Kontakt zu weiteren Angeboten im Hamburger Hilfesystem her.

Unsere Angebote für Vermieter_innen

Finanzielle Sicherheit gewährleistet unser Absicherungsvertrag.

Bei Bedarf stehen wir mit unserem Knowhow und Engagement bei Beratungen, Interventionen und Moderationen während eines Mietverhältnisses zur Verfügung.

Für die schutzsuchenden Menschen erfolgt der Zugang zu unserem Projekt über die Opferschutz Koordinierungsstelle savîa steps against violence (verikom e.V.), das Magnus-Hirschfeld-Centrum e.V. und Intervention e.V.

In der Regel verfügen die bei Abrigo gemeldeten Wohnungssuchenden über eine von der Bezirkliche Fachstelle für Wohnungsnotfälle ausgestellte Dringlichkeitsbestätigung.

Das Projekt Abrigo wird seit 2016 im Auftrag der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (BAGSFI) umgesetzt.[….]

(Lawaetz Stiftung)

Abrigo empfehle ich mit Überzeugung und Freude weiter. Ich habe nur die allerbesten Erfahrungen gemacht. Wer eine Wohnung zu Verfügung stellen kann, wende sich bitte an sie.

2023 geschah dann etwas Ungeheuerliches. Nach nur einem guten halben Jahrhundert, wurde ich für würdig befunden, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Ich bin zwar immer noch auch Ausländer. Aber inzwischen mit deutschem Pass. Der AfD gefällt es gar nicht, daß jemand wir ich „Passdeutscher“ werden kann, nur weil er in den 1960ern in Hamburg von einer deutschen Mutter geboren wurde, die aus einer 500 Jahre in Norddeutschland ansässigen Kaufmannsfamilie kommt und ich in Deutschland Abitur machte und studierte. So gut wie ein „Biodeutscher“ kann ich natürlich niemals werden und daher planten CDU- und AfD-Politiker auf ihrer berüchtigten Wannsee-II-Konferenz bereits meine „Remigration“. Passentzug für die Passdeutschen, die zu wenig arisches Blut in sich tragen.

Ungefähr zum Zeitpunkt meiner Einbürgerung gingen Berichte über die Neubesetzung der 60.000 Schöffenstellen durch die Presse.

[….] In Deutschland werden aktuell Schöffinnen und Schöffen gesucht. Was ist ihre Funktion, warum ist die Besetzung schwierig und welche Rolle spielen dabei Rechtsextreme?

⚖️ Was machen Schöff/-innen?

·        Die Bezeichnung tragen ehrenamtliche Richter/-innen, die bei bestimmen Strafverfahren die Berufsrichter/-innen ergänzen. Sie stimmen über Tatnachweis (Schuld) und Strafhöhe mit ab.

·        Der Arbeitsaufwand variiert je nach Verfahren – Schöff/-innen nehmen nur an Hauptverhandlungen Teil.

·        Die Amtszeit beträgt fünf Jahre. Für die nächste Amtszeit (2024-28) werden derzeit ca. 60.000 Schöffen/-innen in Deutschland gesucht.

📝 Wer kann sich bewerben?

·        Bewerben können sich deutsche Staatsangehörige zwischen 25 und 69 Jahren, die u.a. gesundheitlich geeignet und nicht schwerwiegend vorbestraft sind.

·        Die Bewerbungsphase für die nächste Amtszeit läuft bereits. Informationen zum Verfahren und Bewerbungsfrist (oft 31.3.) findest du bei deiner Kommune.

·        Es fehlt aktuell an Bewerber/-innen. Hat eine Kommune zu wenig Kandidat/-innen, werden Bürger/-innen nach dem Zufallsprinzip für das Ehrenamt verpflichtet.

💭 Schöffenamt und Rechtsextreme

·        Zwei Schöff/-innen können eine/-n Berufsrichter/-in überstimmen. Das ist viel Verantwortung und Macht.

·        Rechtsextreme Akteur/-innen wollen diesen Einfluss nutzen – und rufen unter Gleichgesinnten zur Bewerbung auf das Ehrenamt auf.

·        Nach einem neuen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sollen sich ehrenamtliche Richter/-innen zur Verfassungstreue bekennen müssen.

Ausführliche Informationen zum Schöffenamt findest du in unserem Buch:
Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp1899
 [….]

(bpb, 13.03.2023)

Das Thema kannte ich auch von meiner Nazi-Nachbarin. „Diese Ausländer“ werden vor Gericht grundsätzlich freigesprochen, weil alle Richter linksgrünversiffte Alt-68er sind. Deswegen nahm die AfD massiv Einfluss und versuchte, rechtsextreme Gleichgesinnte auf die Richterbänke zu bugsieren.

[….] Rechte Begeisterung für die Schöffenwahl

Rechtsextreme und Querdenker rufen Gleichgesinnte auf, sich als Schöffen zu bewerben. [….] Die rechtsextreme Partei Die Heimat – die frühere NPD – ist eigentlich schon viel zu spät dran, als sie Ende Juli über Telegram aufruft: "Für unsere Heimat als Schöffe einstehen!" Wer sich daraufhin als Schöffe bei Gericht bewerben will, hat vielerorts Pech. Die meisten Bewerbungsfristen sind längst verstrichen.

Doch es gibt viele solcher Aufrufe, auch ältere, zur rechten Zeit. Vom AfD-Bundestagsabgeordneten Mike Moncsek etwa, oder von den Querdenkern Markus Haintz und Christian Dahlmann, denen auf Telegram Zigtausende Menschen folgen. In einer Gruppe mit über 150.000 Abonnenten haben die rechtsextremen Freien Sachsen Anfang des Jahres appelliert, bei der alle fünf Jahre stattfindenden Schöffenwahl mitzumachen: um "den grünen Richter zu überstimmen, der bei Neubürgern wieder einmal kulturellen Strafrabatt geben will".  Zumindest theoretisch können sie das. Schöffen sind Menschen ohne juristische Vorbildung, die bei Prozessen an Gerichten unterer Instanz eingesetzt werden. Dabei haben sie die gleiche Stimme wie Berufsrichter. In der Konstellation des sogenannten Schöffengerichts, bei der zwei Schöffen mit einem Berufsrichter urteilen, können sie ihn überstimmen.

Schöffen sind Bürger ohne juristische Vorerfahrungen, die an Strafprozessen in Amts- und Landgerichten beteiligt sind. Dabei haben sie das gleiche Stimmrecht wie Berufsrichter, entscheiden aber niemals allein. Sie urteilen in den Verhandlungen immer mit mindestens einem Berufsrichter und einem zweiten Schöffen. [….]

"Der Rechtsstaat lebt von der Gleichberechtigung. Wenn Sie aber eine Ideologie der Ungleichwertigkeit haben, wird es dazu kommen, dass Sie das Grundprinzip der Gleichheit nicht aufrechterhalten können", sagt Rechtsextremismusforscher Dierk Borstel. "Dann werden Menschen unterschiedlich bestraft für die gleiche Tat im gleichen Kontext, weil sie zum Beispiel Migranten oder Jüdinnen oder schwul sind."

Am Amtsgericht, wo viele Schöffen zum Einsatz kommen, gibt es einen ziemlich großen Entscheidungsspielraum. Da kann es um die Länge der Freiheitsstrafe gehen, aber auch um die Frage, ob es überhaupt Gefängnis sein muss oder doch nur eine Geldstrafe. [….] Die Aufrufe sind kein neues Thema. Auch bei der vergangenen Wahl vor fünf Jahren hatte unter anderem die NPD aufgerufen – woraufhin nach Beobachtungen des NRW-Verfassungsschutzes niemand aus den Reihen der Partei Schöffe geworden ist. [….]

(Die Zeit, 17.08.2023)

Es gilt also mit bürgerlichem Engagement dagegen zu halten.

Ich bewarb mich, wurde gewählt und richte.

Als hauptamtlicher Schöffenrichter an einem Hamburger Amtsgericht.

Da sitze ich nun einmal im Monat auf der Richterbank. Dank meiner Nachbarin und der AfD.

Freitag, 26. September 2025

Gebärstreik

Das heutige, schwäbische, teure Hauptstadt-Berlin kenne ich gar nicht. Aber in der Dekade ab ca 1985 war ich alle zwei, drei Wochen da und liebte die Stadt.

Ich übernachtete bei irgendwelchen Freunden, bzw Bekannten, die teilweise in absurd riesigen Wohnungen lebten, die einen Bruchteil der Hamburger Mieten kosteten. In den Stadtteilen, in denen ich mich rumtrieb, war es ungeheuer schmuddelig. Für Hamburger Verhältnisse geradezu verkommen. Häuserfassaden mit Einschusslöchern aus dem Endkampf des Zweiten Weltkrieges.

Ich wurde schon mit dem Mauerfall etwas nostalgisch, weil ich sofort begann, meine geliebte isolierte Insel West-Berlin zu vermissen. Diesen wundersamen isolierten Ort, zu dem man nur gelangte, indem man mit dem Auto 250km durch eine dystopische, graue, nach Zweitakter-Abgasen riechende Mondlandschaft fuhr und von furchteinflößenden Grenzern wegen seines US-amerikanischen Passes durchsucht wurde. In der eigenartigen Zwischenwelt Westberlins, die man immer noch bei Sven Regener nachlesen kann oder in Mark Reeders B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989, erleben darf, wirbelten Mark Reeder, Gudrun Gut, David Bowie, Iggy Pop, Annette Humpe, Blixa Bargeld, Nena, Nick Cave, Westbam, Joy Division, Zazie de Paris, Die Toten Hosen, Der wahre Heino, Einstürzende Neubauten, Die Ärzte, Die Unbekannten und Malaria! durch das Nachtleben.

 

Ich kannte fast niemanden, der einem „normalen“ Job nachging. Die Hälfte der Berliner war queer und mindestens 80% waren Künstler.

Ich vertrat damals offensiv die These, es gäbe keinen gebürtigen Berlin, die Stadt bestünde zu 100% aus Zugezogenen. Es war zu auffällig; je mehr einer Berlinerte, „icke“ sagte und inflationär den Plusquamperfekt einsetzte, desto sicherer stammte er aus der bayerischen und pfälzischen Provinz.

Kaum eine der urberlinerischen Ikonen hatte in Berlin das Licht der Welt erblickt. Gudrun Gut stammt aus Celle, Annette Humpe aus Hagen, Amanda Lear (mutmaßlich) aus Saigon, Rosa von Praunheim aus Riga, Sven Regener aus Bremen.

Das ist das Großartige an der Heterogenität Deutschlands und deswegen sollen sich die Lebensverhältnisse bitte niemals angleichen.

In einem kleinen katholischen bayerischen Bauerndorf geht es engstirnig, provinziell, geregelt und voller Vorurteile vor sich. Aber nicht jeder, der dort geboren wurde, ist auch so. Auch in einem konservativen Kaff werden Künstler, Schwule, Exzentriker, Atheisten und sonstige Nonkonformisten geboren. Die verlassen aber ihre kleine, enge Scholle, sobald sie können und ziehend beispielsweise ins Westberlin der 1980er Jahre. Dort treffen sie auf die internationale Musikszene und Wehrdienstmuffel aus Westdeutschland.

Deswegen stammten auch alle Berliner, die ich damals kennenlernte, aus anderen Städten und auffällig vielen Provinznestern – auch wenn sie das nicht gern zugaben.

Es ist ja schön, in Cloppenburg-Vechta zur Welt zu kommen, wenn man zum Rechtsaußen-Flügel der CDU gehört und leidenschaftlich gern Schweine züchtet. Dann hatte man Glück und kam genau dort zur Welt, wo man auch bleiben will. Andere gebürtige Cloppenburger verziehen sich aber spätestens nach dem Schulabschluss in die nächste Großstadt. Das Schöne daran: Die deutsche Binnenmigration funktioniert in beide Richtungen. Menschen, die in einer Millionenstadt geboren wurden, finden es möglicherweise irgendwann zu hektisch, zu teuer, zu anonym, zu laut, zu schmutzig. Auch sie können wegziehen und sich im Grünen, wo sich Hase und Igel Gute Nacht sagen, eine Bleibe suchen.

Das Stadtleben und das Dorfleben haben jeweils viele Vor- und Nachteile. Wer das beste von beiden Welten für sich in Anspruch nimmt, pendelt.

Meistens sind Pendler aber Stadt-Parasiten. Sie nutzen die Jobs und die gute Bezahlung in der Stadt, wollen aber dafür nicht die hohen Gebühren und Mieten zahlen und entsolidarisieren sich von ihren urbanen Kollegen in den Speckgürtel. Da Pendeln enormen Verkehr verursacht und massiv das Klima schädigt, sollten Pendler steuerlich schlechter gestellt werden. Kurioserweise werden sie stattdessen sogar drastisch steuerlich begünstigt. Just wurde erst die klimaschädigende Pendlerpauschale erhöht.

Die Binnenmigration kann die Vor- und Nachteile eines Ortes verschieben. Das „Arm, aber Sexy“-Berlin, in dem eine Wohnung fast nichts kostete, jeder sich ein riesiges Atelier leistete und das Leben generell extrem billig war, ist zu einem miserabel verwaltetem Moloch mutiert, in dem die explodierenden Mieten, sich von den viel langsamer steigenden Löhnen entkoppelt haben. Ein eher ungeeignetes Pflaster für finanzschwache junge Lebenskünstler aus aller Welt.

Hamburg funktioniert politisch viel besser, hat ein viel höheres Prokopfeinkommen, als Berlin.  Aber seit den 1980ern, als Hamburgs Bevölkerung auf 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen gesunken war, haben wird eine halbe Million mehr Menschen gewonnen und kratzen an der 2-Millionenmarke. Wenn man auf derselben Fläche die Einwohner um ein Drittel vermehrt, muss man die Stadt massiv verändern. Daher fühlt es sich so an, als ob man auf einer Baustelle lebt. Es ist immer Stau und wenn man in eine eigentlich vertraute Gegend möchte, die man aber nicht jeden Tag sieht, erkennt man nichts wieder, weil überall neue Gebäude stehen und sich die Straßen veränderten.

Aber noch scheint die Attraktivität Hamburgs nicht gekippt zu sein; es wächst weiterhin, hat weiter Zuzugsdruck und ein stark überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum.

Ebenfalls stabil ist der Trend in Ossistan. In den dunkeldeutschen Problembundesländern wurde enorm viel investiert, die Infrastruktur ist sehr gut, die niedrigen Lebensunterhaltskosten sind ein Standortvorteil; die ausgedünnte Bevölkerung führt zu Leerstand bei den Vermietern. Das Mieter-Schlaraffenland. Wer sich um eine Wohnung bewirbt, wird mit Kusshand genommen und bekommt sie das erste Vierteljahr als Bonus mietfrei. Finanziell betrachtet, spricht also sehr viel dafür, nach Thüringen oder Sachsen-Anhalt zu ziehen.

Leider überkompensieren die Nachteile die finanziellen Argumente. Es wimmelt dort nämlich von unangenehmen Klischee-Jammerossis, die AfD wählen, keinerlei Sinn für bürgerliches Engagement entwickelt haben, sich mit Vorliebe rechtsextremen Schwurbelideen verschreiben und ihre chronische Untervögelung kurieren, indem sie irgendjemanden verprügeln.

„Der geborene Ossi“ ist aber nicht generell schlecht. So wie im erzkatholischen Bayern-Kaff auch nette Menschen geboren werden (die dann nach dem Abi nach Berlin ziehen), kommen auch in Sachsen oder Meckpomm engagierte liberale vorbildliche Menschen zur Welt. Einige wenige, wie der 1987 in Greifswald geborene Benjamin Fredrich, bleiben dort und gründen 2015 das großartige Katapult-Magazin, dessen Abonnent der ersten Stunde ich bin.

Die Mehrheit der vernünftigen Ossis sucht aber schon das Weite, bevor sie Twens werden. Insbesondere junge Frauen, die sich das Ehemann-Potential in Ossi-Käffern angucken und dabei auf „die Ritters aus Köthen“-Typen stoßen, bleiben natürlich nicht dort. Daher gibt es in Ossistan nicht nur einen generellen Bevölkerungsunterschuss, sondern in erster Linie zu wenig junge Leute und in zweiter Linie zu wenig Frauen, so daß die hormonell eskalierenden Teen- und Twen-Jungs des Ostens, immer frustrierter werden, sich Maximilian-Krahs Tiktok-Datingtipps ansehen, zu sexuell frustrierten Incels mutieren, damit noch abschreckender auf Frauen wirken, die umso dringender rüber in den Westen machen. Ein Teufelskreis.


Während im Westen Kita-Plätze hart umkämpfte Mangelware sind, werden sie in Ossistan gleich mangels Nachfrage geschlossen.

[…] Im Osten Deutschlands schließen die ersten Kindergärten, Erzieherinnen müssen um ihre Jobs bangen. Der Geburtenrückgang kommt mit größerer Wucht als erwartet. Er könnte bald auch für Familien im Westen Folgen haben.

Kita-Krise, Kita-Kollaps – für Eltern, vor allem im Westen Deutschlands, waren diese Schlagworte in den vergangenen Jahren gelebte Realität. Da sah man sich in Großstädten genötigt, schon mit Babybauch zum Tag der offenen Tür der Kita zu gehen und ein handgeschriebenes Bewerbungsschreiben einzureichen, nur um dann monatelang zu bangen, ob man auch wirklich einen der raren Plätze ergattert.

Nun droht sich der Trend umzukehren: Bald könnte es in Deutschland zu wenige Kinder für zu viele Kitas geben – mit ebenfalls dramatischen Folgen für Familien, aber auch für Länder und Kommunen. In ersten ostdeutschen Bundesländern und in Berlin ist von einem „Kita-Sterben“ die Rede. Dort müssen inzwischen Gruppen oder auch ganze Kindergärten schließen, weil ihnen die Kinder fehlen. […] So erging es diesen Sommer zum Beispiel den Eltern in Magdeburg-Buckau, die ihre Kinder bisher in der Kita St. Norbert betreut wussten. Im Frühsommer kamen Gerüchte auf, dass die Kita im Innenhof der St.-Norbert-Kirche unweit der Elbe schließe. Schon seit einiger Zeit ist sie nicht mehr ausgelastet. Rund 70 Kinder hätten in St. Norbert betreut werden können, besucht wurde die Kita zuletzt von 35 Kindern. Aus Sicht des Trägers, des Bistums Magdeburg, war eine Zusammenlegung mit der ebenfalls nur zu 60 Prozent ausgelasteten Kita St. Sebastian im benachbarten Stadtteil die beste Lösung. Allerdings mit der Folge, dass die Eltern nun mitunter einen drei Kilometer längeren Weg bis zur Kita haben und acht Mitarbeiterinnen gekündigt wurde. […] Auch die Kita „Käferwiese“ mit Platz für 229 Kinder war zuletzt nur mit 67 Kindern ausgelastet. Auch sie wird vom Träger, der privatwirtschaftlichen Independent-Living-Stiftung, zum Jahresende geschlossen. Die Schließung von Kita-Gruppen und ganzen Kindergärten betrifft weite Teile Sachsen-Anhalts. Die Geburtenrate in dem Bundesland sank im vergangenen Jahr das achte Mal in Folge, laut Statistischem Landesamt wurden 2024 nur 12 526 Kinder in Sachsen-Anhalt geboren, Tiefstand seit der Wiedervereinigung. […]

677 000 Kinder wurden 2024 in Deutschland geboren, rund 100 000 weniger als noch fünf Jahre zuvor. Weil es in Ostdeutschland bisher quasi eine Vollversorgung mit Kita-Plätzen gab, wird der Geburtenrückgang dort nun unmittelbar spürbar. Im Westen hingegen mildert der Rückgang der Geburtenzahlen zunächst vielerorts den Mangel an Betreuungsplätzen ab. […]

(SZ, 25.09.2025)

[….] Die Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer1 ist seit der Wiedervereinigung stark zurückgegangen. Seit 1990 verringerte sich die Zahl der Einwohner*innen um insgesamt 2,2 Mio. Personen (vgl. Tabelle 1). Das entspricht einem Rückgang um 15 %. Besonders gravierend war die Entwicklung in Thüringen (– 18 %) und Sachsen-Anhalt (– 24 %). Brandenburg konnte dagegen seinen Bevölkerungsstand weitgehend konstant halten (– 2 %).

Vor allem in den Jahren vor 2011 verringerte sich die Bevölkerungszahl in den ostdeutschen Bundesländern. Der Rückgang der weiblichen Bevölkerung lag dabei deutlich über jenem der männlichen.

Vor allem in den Jahren zwischen 1990 und 2010 ging die Bevölkerung der ostdeutschen Flächenländer zurück. In diesem Zeitraum verzeichnete Ostdeutschland 85 % (– 1,9 Mio. Personen) des gesamten Bevölkerungsrückgangs nach der Wiedervereinigung. Auch in den anderen Bundesländern betrug der Rückgang zwischen 80 % und 90 % des gesamten Bevölkerungsverlustes (vgl. Tabelle 1). Eine Ausnahme bildete Brandenburg, dessen Bevölkerungszahl im Jahr 2010/2011 seinen Tiefpunkt erreichte. In den vergangenen Jahren konnte es jedoch  einen Teil des ursprünglichen Rückgangs kompensieren. In den anderen Bundesländern waren die Bevölkerungszahlen seit 2011 nahezu konstant und sanken nur noch leicht.

Deutliche Unterschiede gibt es im Geschlechtervergleich. Der Rückgang der weiblichen Bevölkerung war größer als jener der männlichen Bevölkerung. Insgesamt waren 61 % des gesamten Bevölkerungsrückgangs auf Frauen zurückzuführen. Einem Rückgang von 1,4 Millionen Frauen stand ein Rückgang von 0,9 Millionen Männern gegenüber. Während die männliche Bevölkerung in Ostdeutschland zwischen 1990 und 2019 um 12 % zurückging, betrug der Rückgang bei den Frauen 18 %.  [….]

(Zukunftszentren, 17.02.2021)


Es wäre angebracht, aufgrund der schrumpfenden Ossi-Bestände, die Vertreter der Ost-Bundeländer im Bundesrat zu kürzen. Weniger Macht für die AfD, wenn Höcke und Co demnächst in die Staatskanzleien einziehen.

Donnerstag, 25. September 2025

Finanzpolitische schwarze Ahnungslosigkeit

Deutschland leidet massiv unter gelben und schwarzen Juristen, die sich zu Finanzpolitikern aufschwingen, nicht die allergeringste Ahnung von Volkswirtschaft haben, dafür aber umso besserwisserischer anderen erklären, man dürfe nicht über seine Verhältnisse leben, keine Schulden machen, keine staatlichen Investitionen tätigen und solle sich an der Schwäbischen Hausfrau orientieren.

Mit dieser Haltung wurde nicht nur das deutsche Wachstum abgewürgt, sondern wir verloren auch bei allen relevanten Zukunftstechnologien den Anschluss.

Ob Schäuble, ob Lindner, ob Merz – sie alle verwechseln Zukunft mit Vergangenheit und woll(t)en Deutschland mit 100 Jahre alten Techniken ins Industriemuseum faxen.

(…..) Immer noch ist es in Deutschland sehr populär ein alter garstiger knochenkonservativer Finanzminister zu sein, der den vermeidlichen faulen Mittelmeer-Ländern dauernd ungefragt von ganz oben herab erklärt, sie müßte mehr sparen.

Immer noch wird die Legende aufrechterhalten, Deutschland überweise viel Geld nach Athen, um Griechenland zu retten.

In Wahrheit ist Deutschland der ganz ganz große Profiteur der Finanzkrise in Europa. Die überschuldeten Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen sparen einen dreistelligen Milliardenbetrag durch die Nullzinspolitik und die deutsche Wirtschaft boomt, weil ohnehin schon finanziell gebeutelte Länder im Süden Europas wie verrückt Waren aus dem Niedriglohnland Deutschland importieren.

Dinge aus Deutschland zu beziehen, die nicht von der heimischen Wirtschaft selbst produziert werden können, weil durch das Brüsseler Spardiktat auf Schäubles Befehl, Infrastruktur, Bildung und Sozialsystem in Griechenland geschliffen werden.

Yannis Varoufakis hatte Recht, Schäuble hatte Unrecht. Das beweist die völlig kaputtgesparte griechische Wirtschaft, die ihre besten Stücke ausverkaufen mußte – so zum Beispiel den Athener Flughafen, der billig von der Fraport (Miteigentümer: BRD, vertreten von Dr. Wolfgang Schäuble) aufgekauft wurde.

Die Milliarden wurden nur durchgeleitet, um damit steinreiche Gläubiger Griechenlands zu befriedigen, die sagenhafte Zinsgewinne eingefahren.

Bei der griechischen Bevölkerung kommt nichts an, die Athener Regierung ist weitgehend machtlos dem EU-Berserker Schäuble ausgeliefert.

[….] Griechenland braucht wieder sieben Milliarden Euro – um alte Schulden zu tilgen.

Bis 2018 ist auch das dritte Hilfspaket (86 Mrd.) aufgebraucht. Insgesamt sind dann fast 300 Milliarden nach Athen geflossen.  Und der Laie reibt sich die Augen: Der Schuldenstand der Griechen beläuft sich auf 316 Milliarden Euro – mehr als je zuvor.

Trotzdem verweigert Wolfgang Schäuble auch jetzt den längst überfälligen Schuldenschnitt. Denn dann müssten Merkel und Schäuble den Deutschen gestehen, dass ihre Politik, die den Griechen rund zehn Rentenkürzungen, den Kollaps des Gesundheitssystems und eine jahrelange Depression eingebracht hat, gescheitert ist.

Ihr Versprechen, die Griechen-Rettung werde den deutschen Steuerzahler am Ende wenig bis nichts kosten, war eine Lüge. […..]

 (Dierk Rohwedder, 16.06.2017)

Und das kommt so gut an! Der deutsche Urnenpöbel liebt Merkel und Schäuble für dieses bösartige unsolidarische Verhalten. Deutschland mag die Obstruktion.

[….] Der 8,5 Milliarden Euro schwere Hilfskredit, den die Eurogruppe am Donnerstagabend in Luxemburg freigegeben hat, löst erneuten Streit aus. Vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der den Deal eingefädelt hatte, gerät unter Druck.

Der Streit kreist um das Last-minute-Engagement des Internationalen Währungsfonds (IWF). Eigentlich sollte sich der Fonds schon 2015 am laufenden dritten Hilfsprogramm für Athen beteiligen. Doch Schäuble weigerte sich, eine zentrale Bedingung des IWF – einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung – zu erfüllen. [….]

(Eric Bonse, 17.06.2017)

Schäuble, der gerade erst durch radikale Doofheit den verantwortungslosen deutschen Atomkonzernen über sechs Milliarden Euro zu Lasten des Steuerzahlers zuschanzte ist obenauf und die CDU liegt in Wahlumfragen wieder ganz weit vorn. (….)

(Griechisches Opfer, 16.06.2017)

 

Acht Jahre später gibt es zwar, selbstredend, keinerlei Einsicht und Erkenntnisgewinn bei den CDUlern, aber dafür harte ökonomische Daten.

[….] Als Griechenland vor zehn Jahren die Staatspleite drohte, wurde es von Deutschland regelmäßig belehrt. Nun steckt Deutschland in der Rezession, die griechische Wirtschaft wächst. [….] Jahrelang konnte sich Griechenland nicht mal mehr auf dem Kapitalmarkt Geld leihen, es war auf die Hilfe seiner Euro-Partner und des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen. Die verlangten für jede neue Kredittranche weitere Kürzungen und Reformen, mit einem Fokus auf Ersteres. Bis Sommer 2018 war die griechische Regierung im Prinzip entmündigt.

Hört man sich an, was Kyriakos Mitsotakis nun in Thessaloniki sagte, klingt das Trauma der Krise sehr weit weg. Mitsotakis kündigte an, dass es Steuersenkungen geben wird, vor allem für Familien und junge Leute. Menschen unter 25 mit einem Jahreseinkommen von weniger als 20 000 Euro sollen in Zukunft gar keine Einkommensteuer mehr zahlen.

Mitsotakis ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, zu berichten, wie weit Griechenland seit der Krise gekommen sei. Der griechische Finanzminister, so Mitsotakis, könne sich inzwischen für einen niedrigeren Zinssatz Geld leihen als der französische. Deutschland, sagte der Premier, bereite Reformen vor, die in Griechenland längst umgesetzt seien, und sowieso wachse die griechische Wirtschaft viel schneller als die der Euro-Zone insgesamt: um 2,3 Prozent im vergangenen Jahr – während Deutschland, das Griechenland während der Krise gern belehrte, eine Rezession erlebt. [….] Verändert hat sich vor allem der Staat selbst. Die verstaubten Amtsstuben, in denen sich schlecht gelaunte Beamte hinter sehr vielen Stempeln verschanzten, sind innerhalb weniger Jahre fast überflüssig geworden. Der Staat hat sich digitalisiert, der zuständige Minister versprach der in Athen erscheinenden Griechenland Zeitung soeben, dass bald kein Grieche mehr auf irgendein Amt müsse. Künstliche Intelligenz beantwortet die Fragen der Bürgerinnen und Bürger, sie soll bald auch viele behördliche Entscheidungen übernehmen, im Kampf gegen Steuerflucht hilft sie bereits. Sie erkennt zum Beispiel, wenn ein Geschäft kaum Quittungen ausstellt, während Handydaten zeigen, wie viel Publikumsverkehr in dem Laden herrscht. [….]

(Raphael Geiger, 24.09.2025)

Durch den Schwarze-Null/keine Schulden-Wahn ist Deutschland das Wachstums-Schlusslicht in der EU.

Ein entsprechendes Bild bietet sich auf nationaler Ebene: Dort, wo die Unions-Großsprecher regieren, geht es bergab. Unter Rot-Grün, Rot-Rot-Grün und Rot-Rot geht es aufwärts.

[….] In kleineren Bundesländern wächst die Wirtschaft

Im ersten Halbjahr verzeichnete Bremen das größte Wachstum. In den drei wirtschaftlich stärksten Bundesländern ging die Wirtschaftsleistung zurück.

[….] Die Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder hat im ersten Halbjahr insgesamt stagniert. Wie aus vorläufigen Zahlen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder hervorgeht, verzeichneten sieben Bundesländer in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vorjahresvergleich einen Rückgang der Wirtschaft. Darunter fallen auch die wirtschaftlich stärksten Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. [….] Dagegen verzeichneten acht Bundesländer ein Wirtschaftswachstum. Am stärksten war dies in Bremen, welches im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Prozent zulegte. Es folgen Mecklenburg-Vorpommern mit 2,0 Prozent, Berlin mit 1,3 Prozent, Hamburg mit 1,1 und Niedersachsen mit 1,0 Prozent. [….] Insgesamt sind die Aussichten auf das zweite Halbjahr jedoch nicht die besten: Der wichtige ifo-Geschäftsklimaindex ist im September überraschend gesunken, wie das Münchner ifo Institut am Mittwoch mitteilte. [….]

(ZEIT, 24.09.2025)

CDUCSU können eben keine Wirtschaft.

[…] Der deutsche Staat hat durch das beschlossene kreditfinanzierte 500 Milliarden Euro „Sondervermögen“ für Investitionen so viel Geld wie nie zuvor zur Verfügung. Die Auftragsbücher der Unternehmen müssten in Erwartung des vielen Geldes übervoll sein, allerorten müsste Aufbruchstimmung herrschen.  Aber Fehlanzeige. Die Wirtschaft kommt im dritten Rezessionsjahr noch immer nicht richtig in Fahrt, die Arbeitslosenzahlen steigen, und Pessimismus breitet sich aus.

Das liegt nicht nur daran, dass die Milliarden noch immer nicht fließen und die Furcht vor Donald Trump und Wladimir Putin Politik groß ist. Verantwortlich dafür sind mit Bundeskanzler Friedrich Merz und seinem Finanzminister Lars Klingbeil auch diejenigen, die das Sondervermögen auf den Weg gebracht haben.  Mit ihrem ständigen Predigen vom Kürzen und Sparen sorgen sie für Verunsicherung und Stillstand. Sie konterkarieren ihren Plan für den Aufschwung. So machen sie die Rechtsextremen immer stärker, statt ihnen das Wasser abzugraben. […] Ausgerechnet Millionär und Privatflieger Merz erklärt, Deutschland könne sich den Sozialstaat und die Energiewende nicht mehr leisten. Mit dieser Kahlschlagsrhetorik verunsichert er die Bürger:innen. Arme müssen Merz’ Auslassungen als Kampfansage begreifen.  Auch die Übrigen müssen fürchten, dass ihr Leben teurer wird, weil Gebühren und Zuzahlungen steigen könnten oder Leistungen gekürzt werden. Das macht nicht nur notorisch schlechte Laune, sondern sorgt auch für Konsumverzicht – was der Wirtschaft schadet. Gleichzeitig stecken Manager:innen in einer Zwickmühle. Sie fragen sich bei Investitionen, ob sie wie Merz weiter das Fossile forcieren oder klimagerecht umbauen sollen. Das setzt keine Kräfte frei, sondern blockiert sie. […]

(Anja Krüger, 25.09.2025)