Samstag, 15. Februar 2020

Plädoyer für Friedrich Merz


Annegret Kramp-Karrenbauers Rücktrittsgrund war die von Merkel angeordnete Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur, bzw Bundeskanzleramt. Das habe nicht funktioniert und daher solle der nächste CDU-Bundesvorsitzende auch Kanzler/Kanzlerkandidat sein.
Was für eine fadenscheinige Scheiße, die von dem eigentlichen Grund – „ich bin unfähig und noch nicht mal der CDU-Vorstand unterstützt mich“ – ablenken soll.
Das Thema Kanzlerschaft steht nicht zur Debatte. Kein CDU-Politiker kann ohne Neuwahlen Angela Merkel im Kanzleramt beerben, weil dazu eine Kanzlermehrheit im Bundestag notwendig ist, die vollkommen ausgeschlossen ist.

Es gäbe sie nur in drei Konstellationen:
1.) Schwarzrot, aber das wird garantiert kein einziger SPD-Abgeordneter mitmachen, weil damit dem Neuen der ungeheure Vorteil eines Amtsbonus‘ für die nächste Bundestagswahl geschenkt würde.
2.) Jamaika, aber das ist nach Lindners Nein auf der FDP-Seite ohnehin unwahrscheinlich und von den Grünen ausgeschlossen; würden sie doch damit ihre 8,9% im Bundestag zementieren, während sie bei Neuwahl stabil über 20% erreichen könnten.
3.) Kemmerich-Koalition, aber auch das ist nach dem Erfurter Desaster ausgeschlossen.

Abgesehen von dieser mathematischen Unmöglichkeit einer neuen Kanzlermehrheit, wäre das auch taktisch für die CDU desaströs, da Merkel immer noch die beliebteste CDU-Politikerin ist und zudem zwei Drittel der Wähler wünschen, daß sie in der Groko bis zum Ende der Legislatur amtiert.

Ein CDU-Vorsitzender kann also vor dem Herbst 2021 maximal die Kanzlerkandidatur erreichen.
Dazu hätte aber AKK das Vorschlagsrecht. Wenn sie davon so überzeugt ist, hätte sie einfach ihren eigenen Anspruch anmelden müssen.
Ihre Theorie von der Zusammenführung der beiden Ämter ist aber löcherig, denn auch als zukünftige Kanzlerkandidatin hätte sie sich in Erfurt in der CDU-Landtagsfraktion eine blutige Nase geholt. Den Ostlern sind widersprüchliche Vorgaben aus dem Konrad-Adenauer-Haus inzwischen egal.
AKKs Unehrlichkeit bei ihrer Rücktrittsbegründung und ihr vollkommen idiotischer Zeitplan bis Ende Dezember, der erneut ihr strategische Naivität belegt, hat nur ihrer Partei erneut geschadet. Nun hat sie eine veritable Führungsdebatte mit Flügelstreit an der Backe. Dazu kommen eine lame-duck-Verteidigungsministerin, eine Kanzlerin in völlig erlahmter Ideenlosigkeitsendphase und eine autoritätslose Parteichefin mit nur noch sehr begrenzter Restlaufzeit.

Dem gemeinen Konservativen an der CDU-Basis gefällt das nicht.
Er wünscht sich einen Helmut Kohl zurück, der mit allen CDU-Gliederungen so verwoben ist, daß er sich problemlos durchsetzen kann. Der politisch die Richtung vorgibt, so daß man nicht selbst denken muss und sich einfach wieder auf das träge Dasein als Kanzlerwahlverein einlassen kann.

Kohl ist aber tot. Wer sollte so eine Führungsfigur geben können?
Wolfgang Schäuble wird dieses Jahr 78. Zu alt.
Spahn ist zu unstet, erst 39 und dazu auch noch schwul – das gefällt immer noch nicht jedem an der homophoben Basis.
Armin Laschet gilt zu sehr als Landespolitik und Merkel-Klon.
Bleibt also Friedrich Merz, den man mit seinen markigen Sprüchen erinnert und der bei den konservativsten Gliederungen JU, Wirtschaftsrat und Werteunion als Messias gefeiert wird.
Der würde endlich wieder klare Kante zeigen, wünschen sich die CDU-Rechten.
Merz mag keine Homos, Merz erfüllt kompromisslos alle Wünsche der Finanzlobbyisten. Merz schafft jeden sozialen Schnickschnack ab. Merz findet Ausländer blöd. Merz ist deutschnational.


 Die jungen Rechten der CDU – Kuban, Ploß, Amthor – lieben Merz dafür und freuen sich darauf, daß mit ihm die alte Sozialisten-fressende CDU der 1950er und 1960er Jahre wieder aufersteht.
Endlich müsste man sich nicht mehr vorhalten lassen einer in Wahrheit sozialdemokratisierten Union anzugehören. Endlich könnte man nach Herzenslust gegen Vegetarier, Tierschützer und Klimakämpfer wettern. Endlich wäre Schluß mit der Leisetreterei bei der Rüstungsproduktion.
Endlich Schluß mit Windrädern, Tofu und lahmen E-Autos. Endlich wieder Atomstrom, spritschluckende SUV-Benziner und dreimal am Tag Nackensteak.

[….] „Ich schäme mich nicht dafür, dass ich die Leute vertrete, die mit einem Verbrennungsmotor unterwegs sind, Nackensteak essen und fleißig sind. Diese Leute sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Und mit ihnen zusammen und nicht gegen sie möchten wir als Union in die Zukunft gehen“ [….]

Nie war ich mir mit den stets zu feisten, zu schwitzenden, zu betrunkenen, zu frauenlosen JU-Führern um Tilman Kuban einiger.

Es wäre nämlich auch ein Geschenk für Rotrotgrün so eine Figur wie Merz als Gegenkandidaten bei der Bundestagswahl 2021 zu haben.
Kaum einer könnte so verdeutlichen wie wichtig es ist wählen zu gehen und auch bei ungeliebten Grünen oder SPD-Kandidaten einen davon zu wählen, um die Macho-maskuline maximal materialistische Merz-Kanzlerschaft zu verhindern.

Frauen, Schwule, Urbane, Migranten, Geringverdiener, Ökobewußte, Tierschützer könnten ihren Flirt mit der Merkel-CDU endlich beenden und wüßten mit einem Kreuz bei der CDU sicher gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen.

Merz polarisiert und elektrisiert damit tatsächlich die Rechten. Aber ich bezweifele sehr stark, daß die CDU damit am rechten Rand mehr gewinnt, als sie auf der liberalen Seite verlieren würde.
Der Mittsechziger kommt aus einer ganz anderen Zeit und steht zudem auch noch mustergültig für die negativsten Seiten des kapitalistischen Kollappses. Blackrock, tci, Hedgefonds, Heuschrecken, Steuertrickser – kurzum allen, denen Reichtum in den Schoß fiel und die durch hartnäckiges Nichtstun immer reicher werden wollen, während diejenigen, die dieses Geld erwirtschaften und jeden Tag arbeiten gehen, immer ärmer werden.
Mit Merz wäre Schluß mit Kündigungsschutz und Mindestlohn, mit staatlichen Rentenzuschüssen, Respektsrente und allen Versuchen dem Gesundheitssystem wenigstens oberflächlich den Anschein zu geben, als ob auch Kassenpatienten gut behandelt würden.

Als Sozialdemokrat kann ich so einen CDU-Kandidaten nur begrüßen. Endlich wäre nämlich auch Schluß mit der asymmetrischen Demobilisierung.
Träge Linksliberale könnten sich nicht mehr leisten nicht wählen zu gehen, weil Merkel ja ohnehin niemand wehtut.

(…..) Merz, der auch im Herbst 2018 noch genau so einen Unsinn von sich gibt wie vor 15 Jahren, ist gedanklich seit seiner großen Zeit in der Bundespolitik einfach stehengeblieben.


[….] Jetzt sind Experten gefragt. Merz könnte Bundeskanzler werden. Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) wollte „nicht alles kommentieren“, was auf Regionalkonferenzen der CDU gesagt wird. Tom Schreiber (SPD), Fachmann seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus für Polizeithemen, sagt: „Es ist immer problematisch, wenn der Merz im Dezember ausbricht. Der Vorschlag zeugt davon, dass Merz null Ahnung davon hat. Das kann man unter Klamauk verbuchen.“ [….]

Er sieht die Wirtschafts- und Sozialpolitik noch genauso durch die radikal neoliberale Brille wie vor 20 Jahren:
Sozialausgaben radikal kürzen, alle Regulierungen abschaffen, Steuerrecht ausmisten und massiv von unten nach oben umverteilen, damit die Unternehmer investieren.

So steht es auch in seinen Prä-Finanzkrise-Büchern „Mut zur Zukunft. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt“ (2002), „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion“ (2004), „Mehr Kapitalismus wagen – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ (2008), in denen er Düsteres prognostizierte.

[…] Die Diagnose, die Merz in dem Buch [Vom Ende der Wohlstandsillusion] macht […]: Deutschland erlebe einen "historischen Niedergang"; die "Position der Exporteure auf den Weltmärkten verschlechtert sich ständig"; der Staat steckt in der "Schuldenfalle"; der Sozialstaat belohnt Faulheit; die "Überregulierung" des Arbeitsmarkts ist "schlicht eine Katastrophe", ebenso wie das böse Tarif- und Verbändekartell; die Lohnfindung ist "verkrustet"; dazu kommt, dass die Unternehmen ohnehin keinen einstellen, weil der Kündigungsschutz zu streng ist; unser Steuersystem ist schlechter als das von Gambia und Uganda; und überhaupt arbeiten wir zu kurz, und die Eliten verstehen nicht den Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn; und die Gutmenschen haben uns zu bequem werden lassen.
Was es braucht, schien für Merz ebenso klar: die Deutschen müssen (fast) alle irgendwie verzichten. Und "länger arbeiten". Und flexibler. Und im Normalfall ohne Wohltaten vom Staat auskommen. Und ihre Rente am Kapitalmarkt gefälligst selbst verdienen. Für über 50-Jährige sollte es am besten gar keinen Kündigungsschutz mehr geben. Die Leute müssen ihren "Konsum beschränken" (damit - angeblich dann - mehr Geld für die Unternehmen übrig bleibt). Abgesehen davon braucht es weniger teure Beamte. Und weil "die Marktwirtschaft ihre Überlegenheit längst bewiesen hat", muss natürlich irgendwie (fast) alles den Märkten überlassen werden. [….]

Es gibt zwei Probleme an dieser hanebüchenen, einseitigen Sichtweise.

Zum einen hält Merz an diesen Rezepten und Prognosen bis heute fest und zeigt damit Starrsinn und Realitätsblindheit.
Zum anderen haben sich alle seine düsteren Unkenrufe als völlig falsch erwiesen. Nichts trat davon ein, obwohl Angela Merkel in 13 Jahren das Gegenteil einer Reformerin war und keine der radikalen Merz-Forderungen umsetze.
Hätte Merz Recht behalten, wäre Deutschland inzwischen untergegangen.

[….] Wenige Monate nach Merz' düsterem Gequassel über den angeblich so heillos verkrusteten Arbeitsmarkt begann die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu fallen - bis heute fast ohne Unterbrechung. Und trotz des angeblich so furchtbaren Kündigungsschutzes haben deutsche Unternehmen mehr als fünf Millionen zusätzliche Stellen geschaffen.
All das, ohne dass sich in der kurzen Zeit noch viel geändert hätte, im Merz'schen Sinn. Kein radikal vereinfachtes Steuersystem. Keine Bierdeckelsteuerberechnung. Bis heute nicht. Im Gegenteil: im Frühjahr 2005 kündigte Gerhard Schröder Neuwahlen an, womit monatelang eigentlich nichts mehr groß entschieden wurde; und im Herbst - vor genau 13 Jahren - kam mit Angela Merkel die Kanzlerin, die das Nicht-groß-Reformieren zum Markenzeichen gemacht hat.
[….] Ein Teil der Forderungen, die Ultras wie Merz damals stellten, klingen mittlerweile bizarr, wo klargeworden ist, dass auch ohne Merz' Träume schon viel zu viel öffentliche Gelder gekürzt wurden - und jetzt überall die Infrastruktur kippt. Ziemlich gaga klingt im Nachhinein auch der damalige Befund, dass deutsche Exporteure angeblich immer weniger wettbewerbsfähig wurden (weil wir zu teuer und zu faul sind); dafür haben deutsche Exporteure zu viel Gutes zu bieten. In Wirklichkeit gab es schon zu der Zeit, als Merz sein Buch schrieb, einen historisch einmaligen Exportaufschwung.
Und wir haben in der Zeit, wenn überhaupt, zu wenig konsumiert, nicht zu viel, wie es Merz damals fehldiagnostizierte: sonst hätte Deutschland nicht seit Jahren jetzt dieses brisant gefährliche Ungleichgewicht zwischen Export und Import, das die nächste Krise auslösen könnte - und Donald Trump jetzt Vorwände für Wirtschaftskriegsspiele liefert. Ziemlich viel ökonomischer Unsinn. [….]

Das ist also das Wirtschaftssuperhirn, dem die CDUler nun begeistert nachlaufen?

Zehn Jahre Politik gingen an Friedrich Merz spurlos vorbei. Er klammert immer noch an seinen altbackenen und längst von der Realität widerlegten Rezepte und ist zudem auch noch polittaktisch so unfähig, daß er simple und vorhersehbare Attacken nicht parieren kann.
Rechte Publizisten wie Jan Fleischhauer geben sich große Mühe ihr einstiges Idol hochzuschreiben und AKK zu verhindern. (……)

Neben der inhaltlichen Merzschen Irrlichertei kommt hinzu, daß er in den anderthalb Jahrzehnten seiner politischen Abstinenz als Politstratege nie liefern konnte. Immer wieder vergaloppierte er sich, lieferte schwache Reden.
Seine gewaltiger Ehrgeiz und die sagenhafte Arroganz treiben ihn immer wieder dazu sich alles zuzutrauen und Spitzenämter zu beanspruchen.
Ihm fehlen dazu aber Mut und Killerinstinkt.
Immer wenn es drauf ankommt, kneift und schwächelt er, unterliegt weiblichen Kandidaten, spielt anschließend die beleidigte Leberwurst, die sich nicht in den Dienst der Sache oder der Partei stellen will.
Merz hat kein Rückgrat, kein Durchhaltevermögen und kann als Mann des letzten Jahrtausends einfach nicht damit umgehen, wenn ihm widersprochen wird; insbesondere wenn die Gegenrede von einer Frau kommt.
Dann zieht er sofort den Schwanz ein und verschwindet jammernd – wie zuletzt auch auf dem Leipziger Parteitag im November 2019, als AKK plötzlich die Machtfrage stellt und Merz sich blitzartig ins tiefste Erdloch duckte.
Bei Gegenwind wegzulaufen ist ein Merzsches Verhaltensmuster. So kniff er als Merkel ihn beim Kampf um den Bundestagsfraktionsvorsitz 2002 überrumpelte, so lief er nach dem Hamburger Parteitag 2018 weg und auch wieder in Leipzig.
Merz taucht dann unter und lässt sich erst wieder vor seinen gereuen Fans in Wirtschaftskreisen oder der JU blicken, wo er keinerlei Kritik befürchten muss.

Ein idealer Kanzlerkandidat also für SPD und Grüne. Das könnten lustige TV-Debatten werden, wenn sich Friedrich, der Möchtegern-Große jedes Mal einnässt, wenn man ihm seine Irrtümer vorhält.

Ich befürchte nur, daß mir mein Wunsch nach einem Kandidaten Merz nicht erfüllt wird.
Auch der CDU dämmert, daß der Mann völlig ohne Regierungserfahrung, der anderthalb Jahrzehnte im politischen Abklingbecken kauerte, Blackrock-Millionen und zwei Flugzeuge an sich raffte und weniger denn je zu solidarischer Parteiarbeit fähig ist, sich zur lose cannon entwickeln könnte, die das Konrad-Adenauer-Haus weniger in den Griff bekommt als AKK, die immerhin vorher sehr gut vernetzt war, als Generalsekretärin die volle Rückendeckung Merkels genoss.
Zu allem Übel mag die CSU ihn nicht.

[….] Denn die Implosion der CDU gefährdet auch die CSU. In Hamburg steht die CDU in der jüngsten Umfrage bei 13 Prozent, in Thüringen bei 14. Dabei hat die Partei in beiden Bundesländern schon mit absoluter Mehrheit regiert.    In München sprechen sie längst von "Erosion" und "disruptiver Entwicklung", wenn sie über ihre Schwesterpartei reden[….] Nicht einmal die größten Optimisten in der Union können sich vorstellen, dass ein CDU-Chef Merz mit Merkel zusammenarbeiten könnte, ohne dass es zu Verwerfungen kommt. Zu groß sind die Unterschiede zwischen beiden, und zu gewaltig ist das Ego des Sauerländers. Merz hat schon mit seinem Verhalten in den ersten Tagen nach Kramp-Karrenbauers Rücktrittsankündigung gezeigt, dass Mannschaftsspiel nicht seine größte Stärke ist.   Das ist einer der Gründe, warum man trotz des öffentlichen Schweigens der CSU-Spitze eine Tendenz erkennen kann: Merz scheint man sich in München bestenfalls als Teil einer Teamlösung vorstellen zu können. Das liegt auch daran, dass sie in der CSU-Spitze Zweifel an der Professionalität und Erfahrung von Merz haben. Er war noch nie Minister oder gar Ministerpräsident. In der ersten Reihe der Politik stand er nur zwei Jahre - und das ist zwei Jahrzehnte her. Die vielen Fehler, die Merz seit seiner Rückkehr gemacht hat, zeigen, dass eine Entscheidung für ihn riskant wäre. Und die Zeit, in der Söder leichtfertig ins Risiko ging, ist vorbei. […..]