Dienstag, 27. Juni 2017

Homoparty



Ordentlich was los heute beim rechten Flügel der Union und den Ratzinger-Epigonen. Hat Merkel sich beim Brigitte-Plausch, als sie eigentlich mal wieder alle politischen Aussagen verweigerte, aus Versehen verplaudert und mal eben die Homo-Ehe erlaubt?

[….] Zunächst sah es noch nach einer spürbaren, aber wenig wetterentscheidenden klaren Brise aus, als die Grünen die Ehe für alle zu einer Koalitionsbedingung erklärten; dann wurde es deutlich stürmischer, als kurz darauf SPD und FDP in dieser Frage mit den Grünen faktisch gleichzogen. Und kaum hat die Bundeskanzlerin – im Brigitte Talk (!) – verkündet, dass diese Frage doch eine Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang im Parlament sein solle, da stürmen die Sozialdemokraten erneut weiter vor, da ja die deutschen Parlamentarier nicht erst ab dem Herbst mit einem Gewissen ausgestattet sind und die Gesetzesvorlage durch den Bundesrat ja schon da ist. So möchte die SPD nun gleich in dieser Woche darüber im Bundestag zur Abstimmung kommen – und die CDU/CSU wird da wohl nolens volens mitziehen. […..]

Wenn eine Bundestagsabstimmung „freigegeben wird“ tut mir immer Hildegard Hamm-Brücher leid, die schon vor 50 Jahren unermüdlich auf Artikel 38 hinwies und 1987 ihr Standardwerk „Der Politiker und sein Gewissen. Eine Streitschrift für mehr parlamentarische Demokratie“ vorlegte.



In den 1980ern und 1990ern verschlang ich Hamm-Brüchers Bücher und kann es kaum fassen, daß jetzt immer noch grundgesetzwidrig so getan wird, als ob Abgeordnete nur frei abstimmen dürften, wenn die Kanzlerin es ihnen erlaubt.

[…..] [Das Scheitern der Weimarer Republik] war am 23. März 1933 mit der Zustimmung aller Parteien (außer der SPD) zum "Ermächtigungsgesetz" besiegelt worden.
Nach 1945 rechtfertigten sich integre Demokraten wie Theodor Heuss mit dem "Fraktionszwang", den Parteiführung und Fraktionsmehrheit ihnen auferlegt hätten. Sie seien von ihrer Partei quasi "gezwungen" worden, gegen ihre Überzeugung und für das Gesetz zu stimmen. Dieses Einknicken hat sich Theodor Heuss, der 1933 Abgeordneter der Deutschen Staatspartei war, nie verziehen. Zwar hätte er mit seiner Stimme nichts bewirken können. Aber er sagte, er habe es nie verwunden, wider besseres Wissen und Gewissen gestimmt zu haben.
Aus den Erfahrungen des Versagens und Scheiterns wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes Konsequenzen ziehen. Deshalb sind dort einklagbare Grundrechte aufgeführt, deshalb haben sie bestimmt, dass der Bundespräsident nicht durch das Volk, sondern durch eine Bundesversammlung gewählt wird.Und deshalb gibt es den ersten Absatz des Artikels 38, in dem die Gewissensfreiheit des Abgeordneten garantiert wird.
Darin heißt es: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Für diese Formulierung lässt sich den Protokollen des Parlamentarischen Rates folgende Begründung entnehmen: Man habe eine Formulierung gewählt, die die Gewissensentscheidung und auch die persönliche Freiheit des Abgeordneten - anders als in der Weimarer Verfassung - ausdrücklich garantieren solle. [….]

Aber was ist schon das Grundgesetz? Nichts, das Merkel kümmern müßte.

Der schwule Merkel-Bewunderer Ulli Köppe bewirkte mit seiner Frage, daß Merkel nun den Fraktionszwang, den es gar nicht gibt, aufhebt – was sie gar nicht darf – und alle Homos sind glücklich.

Die SPD ist noch glücklicher, weil sie glaubt die taktierende Kanzlerin kalt erwischt zu haben, indem sie jetzt in Lichtgeschwindigkeit eine Abstimmung zur rechtlichen Gleichstellung für Schwule und Lesben ansetzt.

[….] SPD-Vorstoß zur Ehe für alle: Endlich mal Merkel ausgetrickst?
Hat Angela Merkel sich beim Thema Ehe für alle verkalkuliert? Die SPD-Spitze glaubt, die CDU-Chefin endlich einmal gestellt zu haben - Kanzlerkandidat Schulz hofft auf neuen Schwung. [….]

Als Sozi bin ich mal wieder verblüfft über die Blödheit meiner Parteiführung.
Die SPD hat nicht Merkel ausgetrickst, sondern Merkel trickste die SPD aus, indem sie wie immer alle ihr potentiell gefährlich werdenden Oppositionsthemen selbst übernimmt.

Merkels Erfolgsrezept ist ihre Konzeptions- und Überzeugungslosigkeit. Sie besetzt Themen immer nur unter machtaktischen Gesichtspunkten.
Kein Kanzleramt hat jemals so viele Umfragen erstellen lassen. Merkel lässt sich mehrmals wöchentlich von Demoskopen detailliert über die Befindlichkeiten des Volkes unterrichten und hält an Positionen genau so lange fest, wie es der CDU und ihrer Macht nützt. Bahnt sich eine andere Meinungsmehrheit an, die womöglich bei Wahlen schaden könnte, fällt Merkel blitzschnell um und räumt das Thema ab, um der Opposition die Munition zu nehmen.
Ihr persönlich sind Wehrpflicht, Atomkraft oder Schwulenehe völlig egal.
Sie wägt einfach ab, ob das (finanzielle) Wohlwollen der Atomkonzerne wichtiger ist als der Unmut eines Teils der Wähler. Als die Stimmung nach Fukushima kippte, kippte die flexible Merkel einfach mit.

Merkels offene Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren war wichtig für sie, um den konservativen Flügel der Union bei Laune zu halten. Ihr selbst ist das Wohlergehen Schwuler und Lesben völlig egal.
 Da aber die Meinung der Bevölkerung nun so eindeutig wird, daß die Homodiskriminierung der Union eher schadet als nützt, weil sie damit der Opposition auf jeder Wahlkampfveranstaltung ein simples und klares Argument liefert, muß das Problem aus der Welt.

Sicherlich, ein paar Ultrakonservative und die CSU werden maulen, aber das hilft auch Seehofers Ewiggestrigen, die damit ein identitätsstiftendes Thema wider die verhasste CDU haben.
Auch die tobenden Rechts-Religioten von Hedwig Beverfoerde, Gabriele Kuby, Birgit Kelle bis Martin Lohmann, die jetzt gegen Merkel wettern, haben endlich wieder einen Grund sich zu inszenieren.
So kommt ihnen als selbsternannten Märtyrern für die Familien noch mehr Bedeutung zu.
Das gilt auch für Menschenhasser wie Joseph Ratzinger und Gerhard Ludwig Müller, die offiziell für die RKK die gleichgeschlechtliche Ehe als „Kultur des Todes“ brandmarken.
Sie haben wieder ein Aufregerthema und können sich als Glaubensbewahrer wider des bösartigen „Relativismus“ aufspielen.

[….] Martin Patzelt, CDU:
"Die Ehe ist von alters her eine selbstbestimmte, von der Kirche bestätigte Verbindung zwischen Mann und Frau. Unverzichtbare Voraussetzung für ihre Wirksamkeit war und ist der Wille zu leiblichen Kindern. Wenn die Politik zu einer 'Ehe' zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen nun die Zustimmung geben will, löst sie sich völlig von dem tradierten kirchlichen Eheverständnis.“ [….]

Peter Ramsauer, CSU:
"Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben!“ [….]

Barbara Woltmann, CDU:
"Der Artikel 6, Absatz 1 des Grundgesetzes schützt die Ehe und Familie. Mit dem Begriff Ehe ist die auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss und Gleichberechtigung beruhende und förmlich geschlossene Lebensgemeinschaft zwischen Frau und Mann gemeint. Das ist durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts mehrfach bestätigt.
[….] Wenn von Benachteiligung gesprochen wird, kann ich das nicht nachvollziehen. […..]

Merkel ist der Beifall der Vielen aber wahltaktisch wichtiger, als ein paar homohassende CDUler, die nun aus Frust AfD wählen. Merkel führt in allen Umfragen so komfortabel, daß sie das locker verschmerzen kann.

Sollte nächste Woche tatsächlich „Ehe für alle“ gelten, wäre das gut für alle Schwulen und Lesben, die als Paar Kinder adoptieren wollen.
Es wäre aber sehr schlecht für R2G, weil ihnen ein wichtiges Wahlargument im Kampf gegen die Schwarzen verloren ginge.

Meistertaktikerin Merkel hat die Roten kalt erwischt.

[…..]  Und wieder ist eine dieser alten CDU-Positionen Geschichte - abgeräumt ganz nebenbei kurz vor Ende eines lockeren Talks auf dem Podium der Frauenzeitschrift "Brigitte", als verschwurbelte Reaktion auf eine Zuschauerfrage. Angela Merkel beharrt nicht mehr auf dem Nein der Union zur Ehe für alle, spricht plötzlich von einer "Gewissenentscheidung". Bedeutet: Stimmt der Bundestag ab, kommt die Homo-Ehe.
[….]  Doch wenn die CDU-Vorsitzende nun beklagt, dass andere Parteien die Ehe für alle zum Gegenstand von Parteipolitik machen und CDU und CSU "anders" darauf reagieren wollten, dann ist das ziemlich dreist. Die Wahrheit ist wohl viel profaner: Merkel agiert taktisch.

Die Idee, das Thema über parteiübergreifende Gruppenanträge ins Parlament einzubringen, ist schließlich alt. Eine Abstimmung unter Aufhebung der Fraktionsdisziplin wäre längst möglich gewesen - wenn sich nicht die Unionsspitze aus Rücksicht auf die Traditionsehe-Verteidiger dagegen gesträubt hätte.
Nun aber wird bald wieder gewählt. Und SPD, Grüne und FDP haben die Ehe für alle zur Bedingung gemacht für eine mögliche Regierungsbeteiligung - in dem Wissen, dass die Union sich damit schwertut. Merkel erkennt, sie könnte sich in möglichen Koalitionsverhandlungen einer Lösung nicht weiter verweigern. Also will sie das Thema lieber jetzt vom Tisch haben, bevor es nach dem 24. September zum Problem wird. […..]

[…..] Man könnte das Geschacher um die Ehe für alle für zynisch halten: Jahrzehntelang wurde einer Minderheit ein Grundrecht verweigert, jetzt plötzlich gesteht man es ihr zu - aber nicht aus Einsicht der Ungerechtigkeit, sondern aus rein wahltaktischen Erwägungen. Wo bleibt da der Respekt, wo die Ernsthaftigkeit angesichts der lebensverändernden, historischen Tragweite dieser Änderung für Schwule und Lesben? [….]

Die organisierten deutschen Schwulen tanzen heute auf der Straße, feiern die Liberalisierung in diesem Lande.
Dabei ist in Wahrheit eher das Gegenteil passiert. Merkel hat ihre Macht gefestigt und wird nun mutmaßlich bis 2021 schwarzgelb regieren können.
Wir haben heute den Schritt in eine noch konservativere Zukunft getan, in der Bürgerrechte weiter abgeschafft werden.
Bundestrojaner, Videoüberwachung, Einschränkungen bei Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht, sowie ein brutalerer Kurs gegen Flüchtlinge werden nun noch wahrscheinlicher.