Sonntag, 18. Oktober 2015

Gysi tritt zurück



1989 ging es auf einmal ganz ganz schnell; der eben noch allmächtige DDR-Staatsapparat implodierte einfach.
Die fünf Parteien des „Demokratischen Blocks“, die zuvor alle Pfründe untereinander aufteilten, zerfielen in Rekordtempo.

    SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
    CDU Christlich-Demokratische Union Deutschlands
    LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
    DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands
    NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands

CDU und DBD wurden von der West-CDU wegfusioniert; LDPD und NDPD riss sich die FDP unter den Nagel.
Vier von fünf tragenden Säulen ersparten sich also jede Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Die Namen verschwanden, das Parteivermögen kassierten West-CDU und West-FDP.

Der schwarze Peter verblieb allein bei der SED, die sich die nächsten 25 Jahre Vorwürfe anhören mußte.
Eine der größten Witze der Vereinigungsgeschichte ist die Kritik an der Umbenennung in „SED-PDS“, bzw später „PDS“, sie würde sich darum drücken die Vergangenheit anzuerkennen. Ihr ginge es nur darum, das Vermögen zu behalten.
Das Geschrei kam ausgerechnet von den „Bürgerlichen“, die selbst das komplette Parteivermögen von vier Blockparteien abgegriffen hatten und überhaupt gar keine Vergangenheit vor 1989 anerkannten.
Die einzige Partei, die sich nicht aus der DDR-Konkursmasse bediente, die keine Immobilien, Bankkonten und Parteimitglieder an sich raffte, war die SPD. Und diese SPD wurde von der CDU über 20 Jahre mit einer Rote-Socken-Kampagne überzogen.

Gregor Gysi war mutig und ehrlich den undankbaren Job anzunehmen, sich den geballten Anfeindungen aller West-Parteien und fast der gesamten Presse über so lange Zeit zu stellen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die höhnischen Sprüche der CDU/CSU- und FDP-Politiker nach der Bundestagswahl von 1990, als die PDS dank einer einmaligen Sonderregelung von der 5%-Hürde befreit mit 2,4% im Bundestag saß.
Man war sich ja so sicher „gewonnen“ zu haben und spätestens bei der Wahl 1994, wenn die 5% erreicht werden müßten, um in den Bundestag einzuziehen, wäre die PDS endgültig Geschichte.

Heute liegt die Linke bundesweit recht stabil um die 10%, war in mehreren Landesregierungen beteiligt und stellt sogar einen Ministerpräsidenten.

Das ist in erster Linie Gregor Gysi und seinen bekannten rhetorischen Fähigkeiten zu verdanken.
Man kann natürlich einwenden, daß er es mit der Einbindung Oskar Lafontaines wesentlich verbockt hat ein besseres Verhältnis zur SPD aufzubauen und somit der CDU das Regieren zu ermöglichen.
Aber außer seinen enormen Verdiensten für die Anerkennung seiner Partei im Westen, die im Wesentlichen durch seine TV-Auftritte erreicht wurde, bleibt von Gysi, daß er in sozialen, gesellschaftlichen, finanziellen und insbesondere außenpolitischen Fragen oft die richtigen und wichtigen Dinge im Parlament gesagt hat.
Die Ansichten der Linkspartei wurden oft erst verachtet, aber später gelegentlich durchaus übernommen. Man denke nur an Gysis Kritik der Militäreinsätze, seine Forderungen nach Gesprächen mit außenpolitischen „Gegnern.“

Sich nach 25 Jahren freiwillig zurück zu ziehen, ist ebenfalls eine Leistung Gysis.
Etwas wohlfeil nörgeln immer noch die großen Zeitungen im Westen herum; auch wenn es sich um die wenig verbohrte „Süddeutsche Zeitung“ handelt.

[…]  Mit Gysi geht aber auch einer, der fürs Gestern steht, der es nie gewagt hat, Tacheles zu reden über Irrwege und Verstrickung in der DDR. Das können seine Leute jetzt nachholen, weshalb der Abschied auch Befreiung ist.
Schade nur, dass jetzt kein Neubeginn kommt, sondern der nächste Schlingerkurs. Sahra Wagenknecht hat ihre kommunistische Sekte zwar verlassen. Bei ihrem Lieblingsthema Euro aber laviert sie gefährlich nah an Positionen nationalistischer Europa-Verächter. […] Dietmar Bartsch, der schon vom Gestus her den Apparatschik in sich nie ganz bezwungen hat, wird seine Not haben mit dem Furor der roten Sahra. […]

Gähn, Gysi als denjenigen darzustellen, der die Verstrickungen in die DDR nicht aufgelöst hätte, ist wirklich so was von Peter Hintze 1994.
Mehr fällt Ihnen nicht ein?


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