Donnerstag, 13. August 2015

Schlägernation Amerika

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Die Bürgerrechtsorganisation „Fatal Encounters“ zählt die Menschen, die durch Polizeigewalt getötet wurden.
Innerhalb des letzten Jahres überlebten 1091 Menschen den Kontakt mit den US-Cops nicht. Damit erschießt die amerikanische Polizei drei Menschen am Tag. Mindestens. Denn es handelt sich um keine offizielle Statistik. Die könnten nur die US-Behörden oder die Polizei selbst erstellen. Das tun sie aber wohlweislich nicht.
Daher dürfte es sich bei den 1091 dokumentierten Toten um eine Mindestzahl mit unbekannter Dunkelziffer handeln.
Natürlich gibt es Fälle, in denen Polizisten gerechtfertigt schießen oder zurückschießen; allein darüber gibt es keine Statistik. Niemand weiß wie hoch der Prozentsatz der nicht gerechtfertigten tödlichen Polizeigewalt ist.
Das einzige, das man sicher sagen kann, ist daß schwarze Amerikaner ein dreifach höheres Risiko haben von der Polizei ermordet zu werden.

A few of the more disturbing highlights: Black people are three times more likely to be killed than white people by a police officer. Roughly one-third of Black victims are unarmed when they are shot. In 17 of the largest American cities, police killed Black men at higher rates than the total U.S. murder rate in 2014. What's more: It's not getting better. It's actually getting worse. […] Put another way: We can’t leave it up to the police to police themselves. If the data set is right, 314 Black people were killed by police since one year ago today. Next August, it could be more. Something very clearly must change.

Manchmal wundert man sich angesichts der überquellenden US-Gefängnisse, daß die Cops überhaupt noch Schwarze zum Erschießen finden.

Keine andere Nation der Welt hat so viele Gefängnisinsassen wie Amerika, derzeit über 2.2 Millionen.
Auf den Plätzen folgen China (1,6 Millionen) und Russland (0,6 Mio).
Bezogen auf die Bevölkerung ist die US-Gefangenen-Quote weltweit unübertroffen. 25% aller Gefangenen des Planeten sind Amerikaner – bei einem US-Weltbevölkerungsanteil von 5%.
Schlimm genug, aber zudem bilden die USA auch noch ein rassistisches System.

Auch die Inhaftierungszahlen für schwarze Amerikaner sprechen für einen systematischen Rassismus der amerikanischen Institutionen. So sind 37 Prozent der amerikanischen Gefängnisinsassen schwarz, obwohl sie nur 13,2 Prozent der Bevölkerung ausmachen (Zahlen von 2013). Die Soziologin Michelle Alexander spricht deshalb von einem "Kastensystem", durch das insbesondere männliche Schwarze dauerhaft von der Teilhabe an der amerikanischen Gesellschaft ausgeschlossen werden. […]
So schreibt der schwarze Essayist Ta-Nehisi Coates, dass "Amerika auf einem Fundament weißer Suprematie ruht". Die amerikanische Gesellschaft ist laut Intellektuellen wie Coates und Alexander zutiefst und unabänderlich rassistisch verfasst. Daran hätten weder die Bürgerrechtsgesetze der sechziger Jahre noch die Wahl Obamas wirklich etwas geändert. "Man hat das Messer, das 20 Zentimeter tief in unserer Schulter steckt, einen Zentimeter weit herausgezogen", so Coates.

Wie ist es aber zu erklären, daß die durchaus dynamische US-Gesellschaft, die rasend schnell bunter wird und sich bei anderen sozialen Fragen wie der Marihuana-Freigabe und der Gay Marriage so liberal zeigt, gleichzeitig so
ignorant auf das offensichtliche krasse Unrecht in ihren Gefängnissen reagiert?

[….] Erstmals in der Geschichte der USA befindet sich ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung im Gefängnis. Zu Beginn des Jahres saßen etwa 2,32 Millionen Menschen in den USA in Haft, teilte das unabhängiges Wissenschaftsinstitut PEW in Washington mit.
[….] Jeder neunte schwarze Amerikaner im Alter zwischen 20 und 34 Jahren sei im Gefängnis, verweist die PEW-Studie auf jüngste Angaben des US-Justizministeriums. Bei weißen US-Bürgern dieser Altersgruppe befinde sich nur einer von 30 in Haft. Derzeit seien 13 mal so viele Männer im Gefängnis wie Frauen. Deren Zahl steige aber stetig.
Die amerikanische Zeitung USA Today berichtete hingegen im Internet, dass immer weniger neue Insassen in Haft kommen. Vielmehr verbüßten die Häftlinge längere Strafen und würden seltener früher entlassen.
Die Kosten für die 50 US-Bundesstaaten zum Unterhalt der Haft- und Justizvollzugsanstalten belaufen sich auf 49 Milliarden Dollar (32 Milliarden Euro) jährlich, heißt es in der Studie. Vor 20 Jahren hätten die Kosten nur 11 Milliarden Dollar betragen. Damit seien die Haftkosten sechsmal so stark gestiegen wie die Ausgaben für Bildung.

Müßte es nicht auch genügend Amerikaner geben, die es für völlig wahnsinnig halten deutlich mehr Geld für Gefängnisse als für Bildung auszugeben?
Müßten sie nicht begreifen, daß drakonische Strafen bis zur Todesstrafe offenbar eben keine wirksame Abschreckung sind, daß die Mordrate in den USA exorbitant höher als in allen anderen vergleichbaren westlichen Nationen ist?
Müßten Amerikaner nicht irgendwann zur Kenntnis nehmen, daß ihre Gefängnisse nur Kriminalität statt Schutz vor Kriminalität erzeugen?
Müßten die Amis nicht irgendwann kapieren, daß die nahezu wöchentlichen Traueransprachen ihres Präsidenten nach Mass-shootings in einem Zusammenhang mit dem erotisch-fanatischen Verhältnis zu Waffen stehen?
Müßte eine Nation, die sich als so christlich versteht nicht mehr Mitleid und Vergebung gegenüber den Millionen ihrer inhaftierten Landsleute aufbringen?
Wieso sind die Amerikaner so knallhart und mitleidslos?

Einen Erklärungsansatz dazu bietet der weltbekannte Niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer, derzeit Gastprofessor am John Jay College of Criminal Justice in New York.

Aus einigen simplen Zahlen leitet Pfeiffer eine Frage ab:

1) In Amerika sitzen prozentual zehn Mal mehr Menschen im Gefängnis als in Deutschland.
2) In den letzten 20 Jahren haben sich die polizeilich registrierten Straftaten der USA um 45 % verringert.
3) Im selben Zeitraum verdoppelte sich dennoch die Anzahl der Gefangenen, weil die Haftstrafen exorbitant länger wurden.
4) Zwei Drittel der Amerikaner halten die Gefängnisstrafen für nicht hart genug. Vor 20 Jahren fanden sogar 90% der Amerikaner die Strafen allgemein zu gering.

Offensichtlich sind also die Strafen extrem viel härter geworden und werden dennoch von der Bevölkerung als zu lasch empfunden.
Woher kommt dieser völlig mitleidslose Wunsch nach drakonischen Strafen? Was läuft da falsch in den Köpfen der Amis?

Nach Pfeiffers Mutmaßungen spielt die gewalttätige Erziehung der amerikanischen Kinder die entscheidende Rolle. Viel mehr Kinder als in Europa werden mit Schlägen erzogen und wer in seiner eigenen Jugend Prügel erlebt, prügelt selbst und neigt zu der Ansicht Prügel und harte Strafen wären richtig.
In 19 US-Bundesstaaten dürfen sogar Lehrer in der Schule immer noch Schüler verprügeln.

[….] Nach einer 2010 von Liz Gershoff veröffentlichten Untersuchung wurden nur 15 Prozent der damals erwachsenen Amerikaner völlig gewaltfrei erzogen. Dazu passt, dass in den letzten vier GSS-Befragungen jeweils 70 Prozent der amerikanischen Bevölkerung folgender Aussage zugestimmt haben: "Manchmal ist es nötig, ein Kind mit ein paar guten, harten Schlägen zu disziplinieren."
In Europa wurde dagegen seit 1979 (Schweden) das elterliche Züchtigungsrecht in 22 Ländern abgeschafft. Den Lehrern ist es durchweg verboten, Kinder zu schlagen.
Zwei 1992 und 2011 vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) durchgeführte Repräsentativbefragungen zeigen nun: Im Verlauf der 19 Jahre ist der Anteil derjenigen, die völlig gewaltfrei erzogen wurden, von 26 auf 52 Prozent angestiegen. Bei den 16- bis 20-Jährigen liegt er inzwischen schon bei 63 Prozent, in Schweden sogar bei 86 Prozent.
[….] Schlagende Eltern vermitteln ihren Kindern zwei klare Botschaften. Erstens: Strafe muss sein. Zweitens: der Stärkere darf und soll sich mit Gewalt durchsetzen. Im Grunde wird so das Selbstkonzept einer autoritären Persönlichkeit gefördert, die ein möglichst hartes Strafrecht fordert.
Hinzu kommt: Wer mit viel Schlägen und wenig Zuwendung groß geworden ist, entwickelt ein buchstäblich angeschlagenes Selbstbewusstsein. Solche Menschen sind häufig von Misstrauen und Angst geprägt. Auch das stärkt bei ihnen den Wunsch nach harten Abschreckungsstrafen. Zudem fühlen sie sich durch fremde, andersartig aussehende Menschen eher bedroht. Das aber schafft einen Nährboden für Rassismus.
Eltern, die auf Schläge völlig verzichten, sind hingegen darauf angewiesen, ihren Kindern die Befolgung von Regeln durch geduldiges Erklären und durch Vorbild zu vermitteln. Im Vordergrund steht die beharrliche und liebevolle Kommunikation über richtiges und falsches Verhalten. Eine derartige Erziehung fördert zwischenmenschliches Vertrauen, Toleranz und Empathie.   Unsere Untersuchungen zeigen ferner, dass solchermaßen geprägte Menschen eher ein maßvolles Strafrecht bevorzugen, in dem das Ziel der Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft hohe Bedeutung hat. [….]

6 Kommentare:

  1. Ich bin beim Zappen zufällig auf die Serie "Bait Car" gestoßen, die ein fundamentales Problem der amerikanischen Gesellschaft offenlegt. Offenbar sind die Amis so dämlich, dass sie keinen Zynismus darin erkennen, völlig verarmten Mittellosen eines bekannt kriminellen Milieus, ein unverschlossenes Auto mit steckendem Zündschlüssel unbewacht vor der Nase abstellt. Wer tatsächlich glaubt, dass die dann so rechtstreu sind, es nicht anzurühren, die gehören eigentlich ins Gefängnis. Erwartet man das wirklich von Menschen, die ihr Leben lang nur Arschtritte bekommen haben und verwarlost aufgewachsen sind? Doch nicht wirklich, oder?

    Offenbar tut man das schon. In Amerika wird Eigenverantwortung eben sehr ernst genommen. Das hat ebensowenig mit Zynismus zu tun, wie die hässlichen Kommentare der Fahnder der Sendung. Die lästern und schimpfen übelst über die Autodiebe ab, wenn sie die einzige Chance ergreifen, die man ihnen lässt, auch nur ein bisschen Wohlstand zu erreichen. Nämlich, indem sie das Auto klauen, dass man extra für diesen Zweck dahin verbracht hat. Mich ekelt das richtig an. Weil es die Opfer einer Gesellschaft zusätzlich herabwürdigt.

    Die vergessen nämlich Eines: Wenn du in der South Bronx von einer perma-zugedröhnten Cracknutte ausgeschissen wirst, wartet kein Elite-Collage auf dich. Nicht mal ein Mittagessen, wenn du aus der Schule kommst. Und Liebe mal gar nicht. Nur Arschtritte und die Ignoranz deiner Familie und des Staates. Und vielleicht irgendwann die erlösende Kugel eines Cops. Aber sicher nicht mehr.

    Klar, Ausnahmen gibt es immer wieder. Auf die wird bei jeder Gelegenheit verwiesen. Footballstars, Rapper oder von Weißbrot-Eltern Adoptierte, schaffen den Absprung nicht selten. Aber sonst erwartet dich derselbe Zynismus, wie er in der Sendung "Bait Car" vorgeführt wird. Das ist Amerika. Die Raten beißen sich gegenseitig tot.

    Und weil das Prinzip da so wunderbar funktioniert, verbreitet es sich überall in der Welt. KITA-Plätze für Kinder von asozialen Arbeitslosen? Nein, danke!!! Wunderbar, wie leicht man Menschen in einer Neidgesellschaft manipulieren kann. Aber hey, es liegt alles nur an einem selbst....

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  2. Bei der Gelegenheit möchte ich auf die Showtime-Serie "Shameless" verweisen.
    Die liebe ich heiß und innig wegen der Dialoge und der Storylines, aber eben auch wegen der Darstellung der untersten sozialen Schicht in Chicagos Southside.
    Da lernen die Kinder auch ganz selbstverständlich (und irgendwie auch zu Recht), daß sie es mit legalen Mitteln nicht schaffen zu überleben. Da muß man tricky und brutal sein, um durchzukommen.

    Faszinierend.

    LGT

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  3. Shameless habe ich (danke bs.to) schon durch. Fand ich anfangs total witzig. Allerdings sind da auch sachen dabei, die ich extrem anstößig finde. Wenn Frank die Transplantierte um ihr Herz linkt zum Beispiel. Also das ist negativ rübergekommen.

    Aber klar, die Serie ist Gesellschaftskritik pur. Weil es tatsächlich in den Familien so abgeht. Nur ist das sehr verklärt dargestellt. Ein Alkoholiker wird seine Kinder nicht nur beklauen, wie Frank das tut, sondern auch noch runtermachen, sie bei jeder Gelegenheit als emotionalern Punchingball benutzen und sie komplett als nutzlose Last empfinden, weil er mit der Verantwortung für sich selbst schon überfordert ist. Und das wird er ihnen auch vermitteln. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Da fehlen die echt fiesen Arschtritte, die jede Freude aus dem Leben der Kids treibt.

    Aber man hat das Thema natürlich nett verpackt. Die kommen alle gut zurecht, haben sich mit der Situation arrangiert. Das ist im wahren Leben anders. Aber das weiß man nur, wenn man so leben musste wie die. Mich würde wirklich interessieren, was die Southside-Kids über Shameless sagen. Gleich mal Google fragen...

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  4. Dir ist aber schon klar, daß das Fiktion ist und daß es die Gallaghers nicht in echt gibt?
    ;)
    Das sind Schauspieler, die nach Drehbuch agieren.

    LGT

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  5. Natürlich weiß ich das. Aber solche Familien gibt es tatsächlich. Nur eben, dass die nicht so souverän mit der Situation umgehen, wie die Gallaghers. Familie Milkovich ist deutlich lebensnaher. Wohnung und Kids voll versifft und der Vater Terry ein fieser Schläger, der seine Tochter fickt und dauernd im Knast ist.

    Genial auch die zweite Tochter von Frank, die mit ihrem Sohn in dem Trailer wohnt. Das ist auch typisch USA. Überall Armut und unzumutbare Zustände. Und den Staat interessiert es nicht.

    Hast du schon alle Folgen gesehen?

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  6. Das Milieu ist authentisch. Deswegen fasziniert die Serie. Und weil sie technisch brillant gemacht ist - mit extrem guten Schauspielern (bis in die kleinsten Nebenrollen), mit raffinierten Regieeinfällen bis in die Details und super Drehbüchern.
    Aber deswegen ist noch nicht jede einzelne Storyline realistisch. Das ist immer noch eine SHOW.

    Bin bei Anfang Staffel 4 und finde es immer noch großartig.

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