Freitag, 24. Mai 2013

Wenn es einmal ins Rutschen gerät… Teil II



Das journalistische Herdentier pflegt seine Automatismen.

Politikern und anderen Promis werden Etiketten verpasst und fortan kommt kein Schreiberling mehr ohne das feste Konnotationsmuster aus.
Viele Personen schleppen ein festes Adjektiv-Korsett mit sich herum, das brav von der Presse aufgesagt wird, wenn sie über denjenigen berichten.
Man wird so gut wie nie einen Artikel über Claudia Roth lesen, in dem nicht eingeflochten wird, daß sie eine Nervensäge sei. Jürgen Trittin wird immer ein „arrogant“ untergeschoben, Schäuble ist „kompetent“, Steinbrück „beratungsresistent“, Käßmann „moralisches Vorbild“, von der Leyen „ehrgeizig“, etc.
Man kann es schon singen.
Das ist wie bei schlechten Comedians, deren Witze immer darauf hinauslaufen, daß Günther Strack dick, Inge Meysel alt und Verona Feldbusch dumm ist.

Ein Minister mit einem immer wieder aufgesagten Adjektiv-Korsett ist Verteidigungsminister de Maizière. 
Kein Journalist würde einen längeren Artikel  über ihn schreiben, ohne die drei Stichworte „seriöser Arbeiter“, „Merkels bester Mann“ und „unterscheidet sich wohltuend von Hallodris wie Guttenberg“.
Ich vermute, es handelt sich beim Abspulen dieser Phrasen um einen reinen Automatismus. 
Es geschieht unbewußt. Der Schreiberling überprüft diese Behauptungen nicht, wenn er sie wieder und wieder niederschreibt.
Die ständigen Wiederholungen haben eine konditionierende Wirkung.
Irgendwann glauben sie es selbst und verteidigen diese Ansicht.

Was soll denn so großartig sein an Thomas de Maizière?
Daß er als Kanzleramtsminister all die legendär schlechten Personalentscheidungen Merkels mitverantwortete?
 
Blicken wir weiter zurück.
Der Kriegsminister ist der Sohn des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr Ulrich de Maizière. Sein älterer Bruder Andreas de Maizière ist Bankmanager. Da kommt schon ordentlich Vitamin B zusammen.

Von 1994 bis 1998 leitete Thomas de Maizière die Staatskanzlei des Schweriner CDU-Ministerpräsidenten Bernd Seite.
Die Regierungsbilanz wurde als so desaströs angesehen, daß die CDU anschließend die Mehrheit verlor und der Sozi Harald Ringstorff Ministerpräsident wurde.
1994 hatte die CDU MeckPomm 37,7% erreicht (SPD = 29,5%). Nach vier Jahren de Maizière verlor sie 7,5 Prozentpunkte und landete 1998 bei 30,2% (SPD = 34,3%).

De Maizière wechselte 1999 in die Sächsische Staatskanzlei, nachdem dort die CDU bei der Landtagswahl am 19.09. gigantische 56,9% erreicht hatte.
In der folgenden Legislatur der CDU-Alleinregierung, war de Maizière zunächst Staatskanzleichef, von 2001 bis 2002 Sächsischer Staatsminister der Finanzen und von 2002 bis 2004 Sächsischer Staatsminister der Justiz. Anschließend wurde gewählt und wieder erlebte die CDU nach so viel de Maizière in der Regierung einen beispiellosen Absturz. 
Sie verlor 15,8 Prozentpunkte (sic!) und erreichte 2004 gerade noch 41,1%.
Köpfe rollten, aber „Merkels Bester“ fiel schon wieder nach oben. 
Er wurde zunächst noch ein Jahr lang Justizminister in Sachsen und übernahm ab 2005 Merkels Kanzleramt. Dort fiel er wenn überhaupt, nur mit kruden Thesen zur Internetzensur auf.

Kann das Internet völlig frei sein? Müssen wir nicht die Menschen vor Denunziation, Entwürdigung oder unseriösen Geschäften schützen wie im Zivilrecht? Ähnlich wie auf den Finanzmärkten brauchen wir mittelfristig Verkehrsregeln im Internet. Sonst werden wir dort Scheußlichkeiten erleben, die jede Vorstellungskraft sprengen. Vieles geht da übrigens nicht nur national.

Während seiner Amtszeit als Kanzleramtsminister 2005 - 2009 sank die CDU von 35,2% auf 33,8%.
Nach einer Phase als Bundesinnenminister wurde der mittlerweile zu „Merkels Allzweckwaffe“ geadelte Hugenotte schließlich am 03.03.2011 neuer Chef der Hardthöhe.
Als Innenminister hatte er auch versagt.

Die Panne um die bislang unbekannte MAD-Akte des Neonazis Mundlos zieht weitere Kreise. Verteidigungsminister de Maizière wusste bereits vor Monaten von ihrer Existenz. Nur gab er diese Information nicht an den Untersuchungsausschuss weiter.

So sehr ich mich anstrenge; ich kann keine verteidigungspolitischen Erfolge des CDU-Vorstandes erkennen.
International duckte er sich weg und überließ es Guido Westerwelle Deutschland in der Libyenfrage zu blamieren. 
Einfluß auf Entscheidungen im Nato-Rat nimmt er auch nicht.
Zu keinem der internationalen militärischen Megakonflikte hat de Maiziere irgendeinen positiven Beitrag geleistet.
Mali, Syrien? Merkels bester Mann sagt nichts dazu. 
Er hat auch offensichtlich keine Ahnung, wie die Bundeswehr jemals aus Afghanistan rauskommen soll und was dann eigentlich dort passiert.
Das einzige, das man überhaupt von ihm mitbekommt, ist seine positive Einstellung zu weiteren militärischen Abenteuern Deutschlands.

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière hält Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich überall für möglich. Dem Sender MDR INFO sagte de Maizière am Sonntag, prinzipiell gebe es keine Regionen, in denen Deutschland nichts zu suchen habe.

Die Lesart der notorisch de Maizière lobenden Journalisten lautet, er sei eben mit der Bundeswehrreform beschäftigt.
Aber auch dort bleiben die Erfolge aus. 
Die Soldaten sind unzufrieden und frustriert wie nie. 
Zudem plagen de Maizières Armee massive Nachwuchssorgen. In den Laden möchte niemand freiwillig gehen.
Wie der CDU-Mann die Einsatzfähigkeit der demoralisierten Truppen aufrechterhalten will, bleibt sein Geheimnis.

Und nun das Drohnendesaster.
Dazu ist schon so viel geschrieben worden, daß ich nicht alles nacherzählen muß.
 Die Kurfassung lautet: De Maizière hat ein nichtzulassungsfähiges amerikanisches Waffensystem mit vielen hundert Millionen Euro Steuergeld vorangetrieben und die sich abzeichnenden Probleme einfach vertuscht.
Die Unterlagen über die Finanzierung des Projektes ließ er schwärzen, bevor er sie an den Bundesrechnungshof rausgab.

De Maizière soll laut einer Bundestagsstudie Informationen zurückgehalten haben. Der Steuerzahlerbund fordert: "Im Verteidigungsministerium müssen Köpfe rollen."
Nach dem Scheitern des Drohnenprojekts "Euro Hawk" gerät Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) immer stärker in Erklärungsnot. Laut einer Bundestags-Studie soll es rechtswidrig gewesen sein, dass das Ministerium dem Bundesrechnungshof Informationen dazu vorenthielt.
Selbst der Koalitionspartner FDP kritisierte das Vorgehen als "politisch inakzeptabel". Der Bund der Steuerzahler forderte angesichts des Verlusts von Steuergeldern in dreistelliger Millionenhöhe Konsequenzen. "Im Bundesverteidigungsministerium müssen Köpfe rollen", sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel der "Passauer Neuen Presse".

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) vorgeworfen, bei dem Rüstungsprojekt "Euro Hawk" gegen das Gesetz verstoßen zu haben. "Es ist offensichtlich auf der höchsten Ebene des Bundesverteidigungsministeriums entschieden worden, dass der Bundesrechnungshof über die Vertragsbestandteile nicht komplett und korrekt informiert wird. Das ist ein Verstoß gegen das Gesetz", sagte Trittin am Dienstag im ARD-Morgenmagazin.
"Hier wird offensichtlich mit falschen Karten gespielt." De Maizière müsse "ganz schnell" erklären, wer da die Entscheidung getroffen habe.

Aufklären will der Gescholtene aber immer noch nicht. Er spielt auf Zeit.
Das Lustigste ist aber WEN der liebste Minister der Deutschen den Skandal aufarbeiten lassen will.

Man muss sich das mal vorstellen: Im Verteidigungsministerium ist im Wortsinn etwas verbockt worden; es geht beim Debakel um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk mindestens um eine Fehlinvestition in dreistelliger Millionenhöhe. Und zentral mit dem Projekt befasst war in den vergangenen Jahren (schon richtig, neben anderen) jener Abteilungsleiter, der nun die Arbeitsgruppe Aufarbeitung leiten soll - oder, genauer: jene Arbeitsgruppe, von deren chronologischer Aufarbeitung des Debakels sich Minister Thomas de Maizière wohl eine Art Befreiungsschlag erhofft. Da kann man nur fragen: Geht's noch?
[…] Es bleibt ein Bild, wie es verheerender nicht ausfallen könnte, ganz unabhängig davon, welches Ergebnis am Ende der hausinternen Aufklärung stehen wird: Die für das Debakel Verantwortlichen, das sagt dieses Bild aus, dürfen nun bis Mitte übernächster Woche ihre Version des Debakels ausarbeiten. Man mag sich gar nicht ausmalen, welche Reflexe das bei Soldaten auslöst, die sich beispielsweise angetrunken im Wachdienst haben erwischen lassen und wahrscheinlich auch ganz gern Herren des folgenden Verfahrens wären. […]
Als Gegenmittel hilft nur Transparenz. Selbst manche Rüstungslobbyisten haben inzwischen eingesehen, dass sich etwa beim Thema Waffenexporte das Heimlichkeitsgewese zumindest in der jetzigen Form nicht länger durchhalten lässt. Und was macht das Ministerium, was macht Thomas de Maizière? Er macht einen zumindest des bocksmäßigen Handelns Verdächtigen zum Gärtner. Besser kann man es in diesem Fall nicht sagen.
(Christoph Hickmann, SZ, 23.05.13)