Dienstag, 19. Februar 2013

War wieder nichts.



In meinem greisen Alter schlägt man sich mit über Dekaden eingeübten Gewohnheiten herum.
Man freut sich immer noch auf Montag und Donnerstag, weil man die großen Titelgeschichten in SPIEGEL und ZEIT lesen möchte.
Jene beiden wöchentlichen Periodika, die einem schon so viele Bauchschmerzen verursacht haben, die aber immer noch die besten sind, die es in Deutsch gibt.
„Früher“ waren die Titelgeschichten irgendwie besser. Informativer und mit mehr Lesevergnügen.
Ich weiß nur nicht, ob „früher alles besser war“, oder ob ich als Leser durch das Internet, das TV und qualitativ verbesserte Tagespresse einfach auf einem höheren Wissensniveau bin, so daß ganz natürlich die langen Geschichten der Wochenblätter keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen können.
Immer wieder falle ich darauf rein bei meinen Lieblingsthemen tolle Geschichten zu erwarten. Gestern, also der aktuellsten SPIEGEL-Ausgabe, gab es selbstverständlich eine große Vatikan-Titelgeschichte, „der Kampf um Rom“.
Zehn Seiten. Prima. Inklusive der besten Graphik, die ich bisher zum Kardinalskollegium gesehen habe. Ratzi hat in seinen knapp acht Jahren Regentschaft 20 (zwanzig!!) papstwahlberechtigte Italiener kreiert. Aber nur drei Brasilianer und sechs Afrikaner – obwohl dort natürlich erheblich mehr Katholiken leben als in Italien.
Weltkirche mag der Bayer unter der Tiara eben gar nicht!
 Für ihn sind nur Europäer und Nordamerikaner vollwertige Gläubige. Hierin liegt übrigens der Hauptunterschied zu seinem Vorgänger Woytila. 
Der Pole war zwar genauso konservativ, aber dafür kein Rassist. Ihm lagen Menschen aller Farben am Herzen und auch die Homosexualität ängstigte ich nicht zu Tode wie Benedikt. Unter JP-II wurde das Kardinalskollegium viel bunter. 
Ratzinger aber drehte die Zeit zurück, erhob überproportional Europäer und vor allen Dingen Weiße!
 Die im Konklave versammelten Wahlberechtigten spiegeln eben nicht die Gläubigen wider.
Obwohl in Nord- und Südamerika mit 560 Millionen doppelt so viele Gläubige leben wie in Europa (~270 Millionen), stellen sie nur halb so viele wahlberechtigte Kardinäle (Lateinamerika 19, Nordamerika 14) wie Europa (61)
Daß Nordamerika mit gut 80 Millionen Katholiken fast genauso viele Kardinäle wie Südamerika mit 480 Millionen, spricht ebenfalls eine deutlich rassistische und materialistische Sprache.
Selbstredend ist das aber kein Thema in den zehn Seiten SPIEGEL-Titelgeschichte.

Ein Blick auf die Autoren, zu denen der theologisch ungebildete, aggressive Fanatiker Matthias Matussek gehört, erklärt weswegen diesen Artikel ein weinerlicher Ton, ob des Bedeutungsverlustes der RKK in Europa durchzieht.
Absurd, denn der Rückzug des Katholizismus aus Deutschland ist selbstverständlich eine sehr gute Nachricht.
Aber auch das nehme ich hin – schließlich sind fast alle Berichte über die Kirche in Deutschland stark tendenziös. In 99% der Fälle wird mit einer deutlichen „Kirche ist gut, Kirche darf nicht untergehen“-Intention geschrieben.
Mainstreammedien eben.

Ärgerlich ist aber, daß der SPIEGEL mit seiner weltberühmten Dokumentation so viele Fehlinformationen einbaut.
Ich habe beim flüchtigen Lesen schon als Laie neun inhaltliche Fehler entdeckt.

Wie kann das passieren bei so einem wichtigen Thema?

Ist das der vielbeschworene SPIEGEL-Qualitätsverlust, oder ist man als Leser einfach kritischer und stolperte im prä-Internetzeitalter gar nicht über diese Unzulänglichkeiten?


Ein paar Beispiele:
    Warum legte Benedikt bei seiner Abruzzenreise ausgerechnet das Pallium, die päpstliche Wollstola, vor den Reliquien des heiligen Coelestin nieder? Dem einzigen seiner Vorgänger, der sein Amt freiwillig abgegeben hatte und dafür von Dante wohl in die Hölle verbannt wurde. Sah Benedikt in dem Eremiten einen Wahlverwandten?
    (DER SPIEGEL 8/2013 s.84)
Ein unsinniger Vergleich, der offenbar einfach der Boulevardpresse nachgeplappert ist.
Der spätere Papst Pietro del Morrone war ein Eremit, der mit dem Vatikan nichts zu tun hatte und nach zweijähriger Sedivakanz im greisen Alter von mindestens 85 Jahren 1294 zum Kurzzeitpapst gewählt wurde. Er wurde in Abwesenheit per Akklamation „gewählt“, weil die zerstrittenen Orsini und Colonna sich nicht einigen konnten. Coelestin V. war ungebildet, sprach kein Latein und war eben deswegen erkoren worden, weil er keine Ahnung von Kirchenpolitik und Theologie hatte. Eine absurde Vorstellung, daß Professor Ratzinger sich in ihm wiedererkannte.
Auf seinem Deutschlandbesuch hatte er die Ökologie der Schöpfung angemahnt und die grüne Idee erklärt.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.85)
Genau das hat Benedikt natürlich nicht getan. 
Er hat sogar ausdrücklich gesagt, daß er NICHT die Grünen unterstützt. Stattdessen sprach er von einem „Naturrecht“, welches aber das diametrale Gegenteil der Grünen Parteiprogrammatik bedeutet.
Als „krasse Geschichtsverfälschung“ wertete Schmidt-Salomon, dass der Papst vor dem Parlament behauptete, „dass die Idee der Menschenrechte und die Idee der Gleichstellung aller Menschen von der Überzeugung eines Schöpfergottes her entwickelt worden sei. Denn diese Rechte mussten von säkularen Kräften gegen den erbitterten Widerstand der kirchlichen Schöpfungsgläubigen erstritten werden. Über viele Jahrzehnte haben Päpste, Kardinäle, Bischöfe die Menschenrechte als gotteslästerliche Selbstanmaßung verdammt. Dies ist eine ebenso unbestreitbare Tatsache wie der scharfe Protest der katholischen Kirche gegen die Gleichstellung von Mann und Frau im deutschen Grundgesetz. […]

Seriöse Journalisten sollten, so Schmidt-Salomon, auch wissen, warum Benedikt XVI. ausgerechnet das „Naturrecht“ zum zentralen Thema seiner Bundestagsrede machte:  „Das Insistieren auf eine naturrechtliche Begründung von Rechtsnormen hat selbstverständlich nichts mit den Überzeugungen eines ‚grünen Papstes‘ zu tun, wie schlecht informierte Medienleute in die Welt hinausposaunten. Tatsächlich geht es hier um die vermeintliche ‚Natürlichkeit‘ beziehungsweise ‚Widernatürlichkeit‘ menschlicher Verhaltensweisen. Homosexuelle Handlungen beispielsweise gelten aus Sicht der katholischen Naturrechtslehre als ‚widernatürlich‘, da sie angeblich dem ‚göttlichen Heilsplan‘ widersprechen. Als Benedikt XVI. in seiner Rede gegen den Positivismus und für das Naturrecht argumentierte, verteidigte er damit nicht nur eine längst widerlegte philosophische Position. Letztlich rief er dazu auf, die säkularen Rechtsreformen der letzten Jahrzehnte, etwa die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Gleichstellung  homosexueller Partnerschaften, rückgängig zu machen. Schließlich beruhte die Aufhebung der alten Sittlichkeitsparagraphen, die ab den 1970er Jahren eine Liberalisierungswelle in Deutschland einleitete, auf der Überwindung eben jener Naturrechtsidee, für die der Papst so energisch im Bundestag eintrat.“
Nächstes Beispiel  
Er hat seinen langjährigen Vertrauten und loyalen Freund Georg Gänswein zum Erzbischof gemacht und hat dafür gesorgt, dass mit dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller ein konservativer Dogmatiker die Geschäfte der Glaubenskongregation übernimmt.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.85)
Das ist zwar formal halbwegs richtig (Gänswein ist Kurienerzbischof, aber vor allem der Präfekt des Päpstlichen Hauses – daher seine Macht), aber es wird so dargestellt, als ob Ratzi damit die Weichen für lange Zeit gestellt hätte.
Tatsächlich ist aber davon auszugehen, daß der nächste unfehlbare Papst ganz schnell einen anderen Präfekten der Glaubenskongregation einsetzen wird und auch Gänswein absägt.
 Es wäre absurd, wenn Benedikts Nachfolger, der ohnehin mit dem Makel leben muß, daß es noch einen zweiten Papst gibt, sich auch noch personell in das DEUTSCHE Dogmatik-Korsett Gänswein und Müller einspannen ließe.
Denn Sodano werde das Konklave leiten, schon jetzt schare er seine Purpurträger um sich, dasselbe tut Bertone, der als  Camerlengo die Güter und Rechte des Heiligen Stuhls verwaltet.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.85 f.)
Das ist bullshit.
Die Heimtücke hatte ihren Weg in die eigenen Gemächer gefunden. Jener 17. Dezember, der Tag, an dem drei Kardinäle dem Papst den Geheimreport mit Zeugenaussagen über die Hintergründe von Vatileaks überreichten, so berichtete vergangene Woche das Maiänder Nachrichtenmagazin „Panorama“, soll dann auch der Moment gewesen sein, in dem er entschieden habe zu gehen. Zuvor habe Benedikt von „Zuständen in der Kurie erfahren, die er nie für möglich gehalten hatte“.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.87)
Das ist zumindest höchst unwahrscheinlich. 
Denn Ratzinger war seit 30 Jahren „Mr. Kurie“, Kardinaldekan, Präfekt der Glaubenskongregation, engster Vertrauter von Johannes-Paul II und fast acht Jahre selbst Papst. Keiner kennt die Kurie so gut und so lange wie er, keiner hat effektiver Strippen gezogen und mehr Gefolgsleute installiert.
Und er soll als einziger nicht gewußt haben, welche Intrigen und kriminelle Energie es in der Kurie gibt, obwohl das sowieso jeder weiß, ohne jemals einen Fuß in den Vatikan gesetzt zu haben? Absurd.
Die Reden in Regensburg, in Paris und vor den Parlamenten in Berlin und London waren Einladungen an die nichtkatholische Welt, zusammen über die ethischen Grundlagen des Politischen nachzudenken, gemeinsam weiterzudenken, über Naturrecht und einen erweiterten Vernunftbegriff.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.87)
Aber auch davon abgesehen, ist es natürlich unsinnig ausgerechnet Ratzingers Ökumene-feindliche Agenda als „Einladungen an die nichtkatholische Welt“ zu bezeichnen.
Ratzinger stand für das diametrale Gegenteil. 
Er hat gerade bei seinem Deutschlandbesuch die Tür zur Ökumene demonstrativ zugeknallt („Ich bringe keine Geschenke!“), schon in schon in seiner berühmt-berüchtigten DOMINUS ISUS-Schrift aus dem Jahr 2000 den Protestanten ein „Extra Ecclesiam Nulla Salus“ entgegengeschleudert und ihnen damit mitgeteilt, daß sie gar kein ebenbürtiger Gesprächspartner sein können.
Der Bedeutungsverlust der Kirche folgt dieser Entwicklung. Ihr Einfluss auf Gesetzgebungen, wichtige Debatten oder die Kultur ist nur noch begrenzt. „Die Kirche befindet sich in einer Glaubens-, Vertrauens-, Autoritäts-, Führungs- und Vermittlungskrise“, heißt es in einer Analyse des aktiven Katholiken Mitschke- Collande.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.88)
Schön wäre es ja! Der Einfluß der Kirchen als „gesellschaftlich relevante Gruppe“ auf die Politik und Kultur ist nach wie vor extrem überproportional. 
Die Kirche ist NICHT wie es das GG eigentlich verlangt vom Staat getrennt, Kirchenvertreter sitzen in Rundfunkräten, Ethikkommissionen und führen gesetzlich vorgeschriebene Schwangerschaftsberatungen durch.
Wie man unter anderem in der Eva-Müller-Dokumentation „Gott hat hohe Nebenkosten“ lernen konnte, nimmt die Zahl der Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Pflegeheime in Kirchlicher Trägerschaft rapide und kontinuierlich zu. 
In NRW gibt es weite Landstriche, in denen die Bürger überhaupt keine Auswahl mehr haben und nur katholische Einrichtungen zur Verfügung stehen.
Die Anzahl der Beschäftigten bei Caritas und Diakonie ist gewaltig angeschwollen auf inzwischen 1,3 Millionen.
Bis eine Zweidrittelmehrheit gefunden ist, können Tage vergehen, früher waren es sogar Wochen und Monate. Viel Zeit bleibt ihnen diesmal jedoch nicht. Am Gründonnerstag bereits soll der neue Papst die traditionelle Fußwaschung vollziehen, …
(DER SPIEGEL 8/2013 s.89)
Das hat sich Papstsprecher Lombardi gewünscht. 
Es besteht aber nicht der geringste Zwang!
Theoretisch können die Kardinäle auch bis Gründonnerstag 2014 oder 2015 weiter im Konklave abstimmen.
Bleibt der Papst ein Mann der Restauration, wie Ratzinger einer war, oder wird es ein Reformer, wie Christoph Schönborn, 68, aus Wien.[...] ?
(DER SPIEGEL 8/2013 s.89)
Auch das ist sehr gewagt. 
Schönborn ist ein enger Freund Ratzingers und mitnichten ein Reformer.
Nach der Aufregung um die Weinviertler Pfarre Stützenhofen hat der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, bekräftigt, dass die Kirche ihre Haltung gegenüber Homosexuellen nicht ändere. Gegenüber homosexuellen Paaren müssten sich die Pfarrer streng an die Lehren der Kirche halten. "Wir sind überzeugt, dass diese Lehren den Weg zum Glück führen. Wir müssen jedem helfen, ein Leben zu führen, das diesen Lehren entspricht", sagte Schönborn im Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Stampa" am Donnerstag.
Schönborn ist sogar noch rückwärtsgewandter, lehnt beispielsweise die Evolution ab.
Für Verwirrung sorgte Schönborn im Juli 2005 mit seinem in der New York Times veröffentlichten Text „Finding Design in Nature“, sowie mit vielen weiteren öffentlichen Äußerungen, in denen er seine Gedanken über die Evolutionstheorie äußerte. Darin bezeichnet er die Auffassung, dass der Zufall die primäre Komponente der Evolution sei, als Dogma und Ideologie. Seiner Meinung nach ist ein der Evolution innewohnender göttlicher Plan und Zweck erkennbar (siehe theistische Evolution). Heute verbreitete materialistische und naturalistische Interpretationen der Evolutionstheorie bezeichnete er abwertend als „Evolutionismus“ und „Neodarwinismus“. Sie seien, wie jede Interpretation, die einen solchen Plan nicht anerkennt, „in keiner Weise wissenschaftlich, sondern ein Abdanken der menschlichen Intelligenz“.

Auch bei den Missbrauchsfällen vertrat Schönborn als Weihbischof eines der schlimmsten Kinderficker des Jahrhunderts, nämlich Kardinal Groer, der sich sogar an schwer kranken Knaben im Hospital verging, eine scharfe Antiaufklärungslinie.
Schönborn hat 1995 - damals Weihbischof - nach der Veröffentlichung der Missbrauchanschuldigungen gegen Kardinal Groer in der Zeitschrift Profil diese in scharfer Form zurückgewiesen. In einer Stellungnahme hatte er unter anderem erklärt: Seit der Zeit des Nationalsozialismus, als Priesterprozesse unter dem Vorwand homosexueller Verfehlungen geführt wurden, hat es in Österreich derlei Verleumdungspraktiken gegen die Kirche nicht mehr gegeben.
(Wikipdedia)
Letztes Beispiel für heute:
Hippler würde den 64-jährigen Peter Kodwo Appiah Turkson für eine gute Wahl halten. Der Ghanaer, schon „Obama des Vatikan“ genannt, vielsprachig, seit mehr als drei Jahren in der römischen Kurie, liegt bei den Wettbüros hoch im Kurs. Turkson ist relativ jung und sozialen Themen gegenüber aufgeschlossen. Er vertritt Positionen der Befreiungstheologie und plädiert für eine vorsichtige Kurskorrektur in der Kondomfrage.
(DER SPIEGEL 8/2013 s.92)
Turkson als „aufgeschlossen“ zu bezeichnen, kann auch nur einer Redaktion einfallen, die Matussek-umnebelt ist.
Turkson hat die TODESSTRAFE für Schwule in Ghana sogar ausdrücklich gegen den UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon verteidigt.
Ghanaian Cardinal Peter Turkson, president of the Pontifical Council for Justice and Peace, said some of the sanctions imposed on homosexuals in Africa are an “exaggeration,” but argued that the “intensity of the reaction is probably commensurate with tradition.”

Referring to the issue of stigma surrounding homosexuality in Africa, the cardinal said it is important to understand the reasons behind it. “Just as there’s a sense of a call for rights, there’s also a call to respect culture, of all kinds of people,” he said. “So, if it’s being stigmatized, in fairness, it’s probably right to find out why it is being stigmatized.”

Moreover, the cardinal called for a distinction to be made between moral issues and human rights.
Das soll “aufgeschlossen” sein?

Dies alles sind Informationen, die ein Laie wie ich mit wenigen Klicks im Internet finden kann.

Wieso eine große und reiche Redaktion des SPIEGELS mit gleich acht Redakteuren nicht dazu in der Lage ist, verstehe ich nicht.

IONA EHLERS, JENS GLÜSING, BARTOLOMÄUS GRILL, FRANK HORNIG, MATTHIAS MATUSSEK, CONNY NEUMANN, ALEXANDER SMOLTCZYK und PETER WENSIERSKI – das war echt nichts!