Samstag, 16. Februar 2013

Der Unangenehme



Das war eindeutig Fipsis glücklichster Moment seit er Bundesminister wurde: Er hatte Gauck gegen die sich sträubende Merkel durchgesetzt und der schier übermächtigen Kanzlerin einmal gezeigt was eine Harke ist.
Natürlich, der frömmelnde, konservative, manchmal sogar reaktionäre Gauck passt ganz gut ins FDP-Weltbild, aber das war nur ein angenehmer Nebeneffekt. 
Viel wichtiger war dem Vizekanzler, daß Merkel sich gegen Gauck festgelegt hatte und er ihren Willen brechen konnte. Dafür hätte er auch Lothar Matthäus als Bundespräsidenten durchgedrückt.
Ein zweiter für die FDP positiver Nebeneffekt ist Gaucks enorme Beliebtheit im gemeinen Volk. Endlich konnte die gelbe Geldelitenpartei einmal mit der Mehrheit schwimmen.

Gegen Gauck gackern nur ganz wenige.
Denn Gauck ist nicht der Kandidat aller Herzen, wie von Bild bis Grünen-Spitze jetzt viele suggerieren. Im Gegenteil: Dieser Präsident wird das Land stärker spalten, als es die meisten seiner Vorgänger vermocht hätten.  Gauck polarisiert - und das schon lange.
 […] Ob in Sachen Hartz IV, Afghanistankrieg oder Finanzkrise, ob im Streit über Atomkraft oder Stuttgart 21 - Gauck stand stets eher auf der Seite jener Politiker, die ihre "Wahrheiten" gegen andersdenkende Mehrheiten durchzusetzen suchten. Mit ihm zieht ein Mann ins Schloss Bellevue, dessen oberflächlicher Freiheitsbegriff dem der FDP weit nähersteht als dem Denken der beiden Parteien, die ihn schon 2010 auf den Schild gehoben haben. 
Und in der taz-Kolumne geht es richtig hoch her.
 Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu machen. Dabei trieb ihn keineswegs ein sympathisches grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen im Allgemeinen und Geheimdiensten im Besonderen, das zuweilen unter amerikanischen Konservativen zu finden ist.
Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus. So meinte er im Sommer vorigen Jahres zur Beobachtung von Politikern der Linkspartei: "Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt." Alles, was Joachim "Behörde" Gauck an Intellektualität, Freiheitsliebe und kritischem Geist zu bieten hat, steckt bereits in diesen zwei Sätzen.
 Freilich hat sich Gauck nicht erst nach seiner gescheiterten ersten Kandidatur ideologisch zwischen Martin Walser, Erika Steinbach und Stefan Effenberg verortet. Ein reaktionärer Stinkstiefel war er schon vorher.
So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit "allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen", will das "normale Gefühl" des Stolzes aufs deutsche Vaterland "nicht den Bekloppten" überlassen, missbilligt es, "wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird", besteht darauf, dass der Kommunismus "mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus", trägt es den SED-Kommunisten nach, das "Unrecht" der Vertreibung "zementiert" zu haben, indem "sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", und fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, "ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen".
(Deniz Yücel 20.02.12)
Nun ist Gauck ein Jahr im Amt.
Gesagt hat er eigentlich noch nichts.
 Zum Rechtsradikalismus, zur Finanzkrise, zu den Missbrauchsskandalen, zum kirchlichen Auspresserarbeitsrecht, zu der immer noch nicht erfolgten Entschädigungszahlungen für gequälte Heimkinder, zu Kriegen in Syrien und Libyen, zur Aufrüstung mit Drohnen, zu deutschen Waffenexporten in alle Welt, zur Ablehnung von Mindestlöhnen, zur Altersarmut, zur Weigerung katholischer Krankenhäuser Vergewaltigungsopfern zu helfen, zur Homo-Adoption, zur skandalösen NPD-Verstrickung der Geheimdienste, zur Aktenvernichtung in den Verfassungsschutzämtern, zum Steuersplitting gleichgeschlechtlicher Paare, zu den  katastrophalen Zuständen in Pflegeheimen, zum Export von Dementen nach Osteuropa, zur sozialen Schieflage, zu Lebensmittelskandalen, zur Kultur, zur mutwilligen Verelendung und Asylbewerbern – diese Liste ließe sich fortsetzen – zu alledem hat Gauck nichts gesagt. Der, der sich so gerne reden hört, redet nicht.

In Erinnerung geblieben ist mir lediglich, daß Gauck die Genitalverstümmelung kleiner wehrloser Jungs unterstützt und damit Todesfälle billigend in Kauf nimmt und natürlich, daß er Ratzinger, den Hauptvertuscher von kirchlichen Missbrauchsfällen, ganz toll findet.


Etwas anderes nimmt ihn völlig in Beschlag.
Das Gauck-Sein an sich!
Gott ist ja auch Gott und niemand würde erwarten, daß ER noch nebenbei Knöpfe annäht oder Differentialgleichungen löst.  Ernüchterung ergreift die FDP, nachdem sie nun bemerkt, daß Gauck gar keine FDP-Werbung betreibt.
Der Präsident suche weder den Austausch mit der Partei, noch binde er systematisch das Parlament ein, heißt es. Gauck sehe vor allem Gauck. Ein Liberaler, der in unterschiedlicher Funktion mehrfach in Schloss Bellevue zu Gast war, berichtet, dass Gauck ihm versichert habe, wie schön es gewesen sei, sich endlich mal persönlich kennengelernt zu haben. Bei jeder der vier Begegnungen. Seitdem fragt sich der Liberale, ob Gauck so sehr mit seinem Gaucksein beschäftigt ist, dass er andere kaum wahrnimmt. Jedenfalls keine Liberalen.

Auch inhaltlich haben sich die Freidemokraten mehr von einem Präsidenten versprochen, der habituell als Konservativer daherkommt und wie ein Liberaler klingt. Eine Grundsatzrede zu Europa etwa. Die Liberalen monieren, dass Gauck seine Beliebtheit, sein Ansehen nicht dafür einsetze, für die in die Krise geratene Idee von Europa zu werben.
Für so etwas Läppisches, wie die Angehörigen des von der NSU ermordeten Dutzend kann Gauck natürlich auch nicht mal eben so sein intensives Gaucksein unterbrechen.
Diese NSU-Opfer sind ja ohnehin keine echten phänotypischen Deutschen und dieses Multikulti ist bei Konservativen von Flensburg bis Garmisch nicht sehr beliebt.

Jakob Augstein hat dazu anlässlich des Grünen Durchmarsches in Stuttgart (und BW) ein paar treffende Sätze formuliert.
Die Grünen sind für die Moderne zuständig, die CDU für das Ressentiment. Darum siegt die Öko-Partei in Stuttgart. Und die Union führt Wahlkampf auf dem Rücken von Asylbewerbern.
Die Nächte sind jetzt kalt. Aber die Berliner Polizei ist noch kälter: Sie hat den Asylbewerbern, die seit Tagen vor dem Brandenburger Tor ausharren, die Decken weggenommen. Nach Polizeiangaben verstoße der "Einsatz von Übernachtungs-Utensilien" gegen geltendes Recht. So geht eine CDU-geführte Behörde gegen die Ärmsten der Armen vor. Das passt. Gleichzeitig hat Merkels Innenminister Friedrich den Kampf gegen angeblichen Asylmissbrauch entdeckt. Er will Sinti und Roma daran hindern, nach Deutschland zu flüchten. Trotz allen Geredes von der modernisierten Union: CDU und CSU sind immer noch die Parteien des Ressentiments.
[…] Die Grüne Claudia Roth musste nicht übertreiben, als sie am Wochenende sagte: "Zur Union fällt mir Mappus ein, fallen mir Plagiate ein, fällt mir die Art und Weise ein, wie sie mit Griechenland in der Euro-Krise umgehen. Das ist alles andere als bürgerlich und anständig." Das ist das Problem der Union: Vom Plagiator Guttenberg über den Schnäppchenjäger Wulff bis zum Innenminister Friedrich, der seinen Wahlkampf auf dem Rücken von Sinti und Roma führen will, hat die Union vergessen, was sich gehört.

Seine Eitelkeit, Bundespräsident Gauck geht mit ganz schlechtem Beispiel voran.

Die Hinterbliebenen des NSU-Terrors will Merkels Mann in Schloß Bellevue nicht sehen.
Gauck lehnt Treffen mit Hinterbliebenen ab.
Die Türkische Gemeinde hatte zum Jahrestag der NSU-Morde einen besonderen Wunsch: ein Treffen mit Bundespräsident Gauck. Doch in einem Brief aus Bellevue heißt es, man wolle von einem solchen Treffen "absehen". Die Hinterbliebenen sind verwundert und enttäuscht.
[…] Die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des Neonazi-Terrors, Barbara John, zeigte sich verwundert über Gaucks Absage. "Ich finde es schade, dass ein solches Treffen mit Bundespräsident Gauck nicht zustande kommt. Mich sprechen immer wieder Hinterbliebene der Opfer an und berichten mir, wie wichtig ihnen das Treffen bei Bundespräsident Christian Wulff war", so John gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Ex-Bundespräsident Wulff hatte die Opferfamilien im November 2011 zu sich ins Schloss Bellevue geladen und sich für einen offiziellen Festakt für die Opfer der NSU-Mordserie stark gemacht.
Auch diesen Staatsakt hatte Gauck damals abgelehnt. "Von dem Vorschlag, für die Opfer der gerade bekannt gewordenen Mordserie von Neonazis einen Staatsakt zu veranstalten, halte ich nichts", sagte er damals in einem Zeitungsinterview. Ein Trauergottesdienst oder ein staatlicher Trauerakt schienen ihm nicht "die richtige Form zu sein, um Toter zu gedenken, deren Ermordung schon so lange zurückliegt".
Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland kritisierte Gaucks Absage. "Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundespräsident ein Zeichen gesetzt hätte", so der Vorsitzende Kenan Kolat gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: "Viele Hinterbliebene der NSU-Opfer sind enttäuscht über die Aktenvernichtungen der Geheimdienste, die der NSU-Untersuchungsausschuss ans Licht gebracht hat. Der Gesprächsbedarf wäre also groß gewesen. Es wäre deshalb schön gewesen, wenn der Bundespräsident Interesse gezeigt hätte."
Aber Gauck brauchte nun einmal Zeit für sich. 
Und siehe da – nach drei Monaten den Intensiven Beschäftigung mit dem Gaucksein, hat der Bundespräsident sich doch dazu herab gelassen die Terror-Hinterbliebenen einzuladen. 
Zu großzügig. 
Man hatte ihnen ja auch gerade mal 12 Jahre auf den Nerven rumgetrampelt und es dabei belassen, daß diese Türken schon irgendwie selbst schuld sein müßten, wenn sie sich ermorden lassen. 
"Milieu-typisch" vermutlich.
Und nun erdreistet sich die Schwester des Hamburger NSU-Opfers Süleymann Tasköprü an seine Gauckigkeit zu schreiben, daß sie nicht kommen wolle!
So was von undankbar!
Aysen Tasköprü kann nicht mehr: "Im Sommer 2001 töteten die Neonazis meinen Bruder", schreibt die Hamburgerin in einem Brief, der tagesschau.de vorliegt, an Bundespräsident Joachim Gauck. Im Spätsommer 2011 - also zehn Jahre später - habe die Kriminalpolizei bei ihr geklingelt. "Sie brachten mir die persönlichen Gegenstände meines Bruders. Ich fragte die Beamtin, warum jetzt die Sachen kämen; ob es etwas Neues gibt. Sie sagte nur, man habe nur vergessen mir die Sachen zurückzugeben."

Aysen Tasköprü habe stundenlang vor den Sachen ihres toten Bruders gesessen: "Ich habe tagelang gebraucht, um mich zu überwinden meinen Eltern davon zu erzählen", berichtet sie.

[…] Aysen Tasköprü weist die Einladung zurück - kritisiert Gauck, weil er nicht die Rechtsanwälte der Betroffenen, die im NSU-Prozess als Nebenkläger auftreten, als Begleitung und Unterstützung dabei haben wolle. "Sie möchten nur ihre Empathie ausdrücken, aber keine Anwälte auf diesem Treffen sehen", schreibt Aysen Tasköprü an Gauck. Doch sie fühle sich dem allein nicht gewachsen. Das Bundespräsidialamt hatte die Anwesenheit von Rechtsanwälten als Vertrauenspersonen abgelehnt, da es in dem Treffen nicht um rechtliche Fragen gehen solle.

[…] An dem Tag, als die NSU-Terrorserie bekannt wurde, sei auch ihre Großmutter gestorben. "Ich habe in dieser Nacht nicht geschlafen, ich musste mich ständig übergeben. […] Dann sei der Abend gekommen, an dem im Fernsehen das Bekennervideo des NSU gezeigt wurde. "Ich habe angefangen zu schreien und konnte nicht wieder aufhören. Da lag mein Bruder in seinem eigenen Blut auf den rotweißen Fliesen, die ich so gut kannte." An diesem Tag sei ihr Bruder "ein zweites Mal gestorben und etwas in mir ist zerbrochen".

[…] Noch im März 2011 habe sie darüber lachen können, als eine Sachbearbeiterin auf einem Hamburger Amt zu ihrem Sohn sagte, er sei kein Deutscher. "Der Kleine war ganz erstaunt", so Tasköprü, und habe der Beamtin sehr ernsthaft erklärt, dass er sehr wohl Deutscher sei. Mittlerweile könne sie darüber nicht mehr lachen.

"Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren?", fragt sie Gauck. Die Familie lebe in Angst: "Wir haben eine Telefonkette und wenn sich jemand nicht meldet, sind wir alarmiert." […] Es helfe ihr wohl kaum, wenn Gauck nun betroffen sei, schreibt die 38-Jährige. Stattdessen fordert sie Antworten, doch das Misstrauen ist groß: "Wer sind die Leute hinter dem NSU? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?" Gauck solle als erster Mann im Staat lieber helfen, Antworten zu finden, fordert Tasköprü.

[…] Das Misstrauen der Angehörigen kommt nicht von ungefähr: Wie verbissen auch die Ermittler in Hamburg in der Mordserie über Jahre von einem Verbrechen im "Milieu" ausgegangen waren, zeigen Recherchen von tagesschau.de. So geht aus Ermittlungsakten hervor, dass die Polizei die Theorie aufstellte, Süleymann Tasköprü sei "aus Wut" über angebliche Schulden in Höhe von weniger als 2000 Euro von zwei professionellen Auftragskillern erschossen worden.

Um diese Theorie zu belegen, wollten die Ermittler einen angeblichen Verdächtigen in den Niederlanden, der von einem zwielichtigen Informanten belastet worden war, noch im Jahr 2007 überwachen lassen. Die Ermittler wollten gleichzeitig noch einmal "Personen aus dem Umfeld" von Süleymann Tasköprü vernehmen und hofften, dass diese danach Kontakt zu dem Verdächtigen in den Niederlanden aufnehmen würden. Ein Vorgehen, das ohne Ergebnis blieb.
Immerhin hat Gauck großes Glück. 
Glück, daß Aysen Tasköprü so eine höfliche und beherrschte Person ist.

Wäre ich an Ihrer Stelle, hätte sich Gauck deutlich schärfere Kritik anhören müssen!