Donnerstag, 31. Oktober 2013

Halloween


 Daß man als Amerikaner endgültig zum Europäer geworden ist, merkt man immer daran, wenn freudig aufgeregte Verwandte anrufen und zu den wichtigen Feiertagen gratulieren.
Zunächst herrscht peinliche Stille, dann überschlägt sich in Panik das eigene Hirn und spuckt „Thanksgiving, Fourth of July, Halloween, Superbowl“ aus und man tippt blind auf eine der vier Möglichkeiten.
Jetzt ist man spätestens enttarnt. Man hat wieder nicht dran gedacht und hat sehr enttäuschte Amis am Apparat.
Der Amerikaner an sich kann nicht abstrahieren. Daß Thanksgiving oder Superbowl irgendwo keine überragende Rolle spielen könnten, geht ihnen nicht in den Kopf.
Und ich weiß noch nicht mal um welche Sportart es sich beim Superbowl handelt. Ich habe in den letzten Jahrzehnten lediglich gelernt, daß es sich dabei um ein Einschaltquotenrekordevent handelt, bei dem Justin Timberdings ganz aus Versehen und völlig ungeplant Janet Jacksons Busen freilegt, woraufhin durch die gesamte Nation ein Entsetzensschrei hallte und in der Folge Live-Events nur noch mit Verzögerung „on air“ gehen, damit notfalls noch eingegriffen werden kann, bevor ein derartiges Verbrechen  publik wird.
Dem Gesetz der Vergrößerung von Dummheits-Entropie folgend schwappt natürlich der Halloween-Schwachsinn über Amerikas Außengrenzen. Man merkt es inzwischen auch sehr deutlich in deutschen Breitengraden.
Heute ist also Halloween.
Das konnte ich eindeutig feststellen, da ich heute in einem großen Supermarkt war, in dem es vor kreischenden, schlecht geschminkten Blagen wimmelte, die sich um die letzten Dosen mit Sprühschlagsahne und Rasierschaum kloppten.

Um mein Empfinden gegenüber Halloween zu beschreiben, würde ich einen Vergleich zu einer dieser besonders widerlichen Sexualpraktiken, von denen man im Netz hört, ziehen. „2 Girls 1 Cup“ zum Beispiel: Absolut würg und auf völlig falsche Weise provozierend.
Allein die Vorstellung bei so etwas mitmachen zu müssen führt dazu daß sich alle meine Fußnägel hochbiegen.
Schon als kleines Kind habe ich Fasching und Verkleiden in der Schule gehasst wie die Pest. Dieses sich selbst rausputzen und präsentieren, widerspricht diametral meiner Persönlichkeit. Ich glaube, ich habe erstmals als Siebenjähriger Krankheiten simuliert, um diese Tortur nicht mitmachen zu müssen.
Halloween ist allerdings noch mal eine Stufe grottiger, weil es eine amerikanisch adaptierte Konsum-Methode der billigsten Art ist.
Wenn demnächst mal eine Fee erscheint, die mir den Wunsch erfüllt ein Ärgernis aus dieser Welt zu entfernen, käme Halloween auf meine Top-Fünf-Auswahlliste neben der INSM; Merkel, der RKK und der FDP.
Aber ich würde 2G1C-Sex oder Halloween nie verbieten wollen, weil mir das nicht zusteht.

Das ist der Unterschied zu Bizarra Käßmann und anderen hardcore-Religioten wie Gabriele Kuby.
Sie halten ihren eigenen Gott für so schwächlich und ihr eigenes Glaubenskonzept für so mickrig und hilfsbedürftig, daß sie sofort nach dem Staat rufen, der die Konkurrenz ausschalten soll.

Die Kirchen stehen dem Geister- und Hexenboom mit „heidnischem“ Ursprung kritisch gegenüber. Katholiken fürchten, dass das besinnliche Totengedenken zu Allerheiligen von der allgegenwärtigen Spaß- und Konsumkultur verdrängt wird. Protestanten sehen ihren am 31. Oktober begangenen Reformationstag bedroht.[….]
Ebenfalls nicht lustig findet die frühere evangelische Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann das orangefarbene Treiben. Sie empfindet Halloween in Deutschland als kommerziellen Humbug, wie die dpa meldete. Man könne überall nachlesen, wie der Halloween-Trubel in Deutschland entstanden sei: „Es ging darum, irgendwo im Kalender zwischen den Sommer-Grillpartys und dem 1. Advent noch ein Verkaufsevent mit allem möglichen Schnickschnack zu etablieren“, sagte Käßmann den „Ruhr Nachrichten“.
Sie betonte, Halloween sei gegen alle Grundüberzeugungen der Reformation: „(Reformator Martin, Anm.) Luther wollte Angst nehmen - vor Geistern, Gespenstern, dem Bösen, dem Teufel. Und heute? Da sind am 31. Oktober die Kinder in Gruselkostümen unterwegs. Das kann ich nicht ernst nehmen“, erklärte Käßmann.

Moral- und Konsumexpertin Käßmann (ging im Alter von 52 Jahren auf Steuerzahlerkosten in den Ruhestand) sticht selbst im Vergleich zu anderen Bischöfen durch extreme Selbstverliebtheit, Selbstüberschätzung und Aufdringlichkeit hervor.
Man wird wohl nicht Bischof, wenn man sich nicht selbst gerne reden hört und sich dazu berufen fühlt anderen seine Sicht der Dinge aufzudrängen. Aber man muß schon lange suchen, um eine Karrieretheologin zu finden, die geistig so minderbemittelt wie Käßmann ist.
Und wenn sie noch so wenig vom Thema versteht, Käßmann drängt immer allen ihre irrelevante Meinung auf – am liebsten in der Zeitung, die ihrem Intellekt am besten entspricht: Der BILD-Zeitung.
Käßmanns Bücher sind solch verworrenen Plattitüden-Ansammlungen, daß die Rezensenten wie Denis Scheck eigentlich Schmerzensgeld einfordern sollten.

Halloween ist für die EX-EKD-Chefin immer ein willkommener Anlaß sich in Szene zu setzen.

"Heute hängt das Herz der meisten Menschen anscheinend am Geld, am Haben", kritisierte Margot Käßmann mit deutlichen Worten übertriebenes Konsumdenken. "Konsum wird zur großen Religion: Ich konsumiere, also bin ich." Es fehle eine "Ethik des Genug."
Käßmann wies in ihrer Rede besonders auf die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft hin, auch die des einzelnen Unternehmers. "Die Einzelperson hat Bedeutung, sie muss ihr Gewissen schärfen und Verantwortung übernehmen." Gerade aus Sicht der Reformatoren sei weltliches Leben nicht etwa weniger wert gewesen als priesterliches oder klösterliches, vielmehr gehe es darum, "im Glauben zu leben, im Alltag der Welt." Niemand sei "Macher des eigenen Lebens, des Erfolgs", sagte die Theologin. Vielmehr solle jeder dankbar sein, dass er leisten und zum Gemeinwohl beitragen könne.

Die Millionärin Käßmann – alle ihre Bücher sind Bestseller – arbeitet übrigens nicht etwa ehrenamtlich als „Lutherbotschafterin“ der EKD, sondern sie wird von der EKD für Amt mit einem Büro in Berlin und einer zusätzlichen Personalstelle ausgestattet, ihr Gehalt – „anfangs“  ein halbes Bischofsgehalt – zahlt die Hannoversche Landeskirche.

Nun ist es eigentlich irrelevant und wenig ärgerlich, was Käßmann zu Halloween zu vermelden hat.
Die Welt wimmelt vor Irren mit bizarren Ansichten.
Wirklich schlimm an der Causa Käßmann ist, daß sie nach wie vor von der Presse wie das Orakel von Delphi behandelt wird.
Das Hamburger Abendblatt, immerhin eine der auflagenstärksten überregionalen seriösen Zeitungen widmet ihr gleich drei Seiten.
Schon auf dem TITEL grinst sie einem mit der Frage „Dürfen Christen Halloween feiern?“ entgegen. Nahezu wortgleich meldete sie sich auch schon 2008 in der WELT.
Auf Seite Zwei des heutigen Abendblattes folgt der Leitartikel von Edgar S. Hasse zur Käßmann-Halloween-Kabale.
Schließlich im Hamburg-Teil auf s.9 noch mal ein ausführlicher Artikel über Margots Konsum-Schelte.
Das ist wahrer Halloween-Horror.





Mittwoch, 30. Oktober 2013

Fast so gut wie Toto Papa.


Auf die Inhalte kommt es an! Über das Personal sprechen wir ganz zu Schluß!“
 
Diesen Spruch hört man immer wieder. Er wird mit so viel Überzeugung ausgesprochen, daß man ihn fast glauben möchte.

Aber natürlich ist das diametrale Gegenteil richtig. Die alles überstrahlende Frage ist immer „wer soll es machen?“
Das gilt für Berlin, das gilt für Rom.

Die Kardinäle behaupten natürlich ALLE, daß sie selbst keinerlei Ambitionen hätten und versuchen hinter den Kulissen alles, um bloß nicht als „Papabile“ zu gelten. Die Papabile, also diejenigen, die mögliche nächste Päpste gelten, werden üblicherweise eben NICHT Papst. Allerdings gilt keine Regel ohne Ausnahme. Joseph Ratzinger und Eugenio Pacelli waren Kardinaldekane und somit als mächtigster aller Kardinäle ein natürlicher Nachfolgekandidat. Als Präfekt der Glaubenskongregation, respektive Kardinalstaatssekretär standen sie jeweils an erster Stelle der Papstanwärter.

Bei den augenblicklichen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union wird von allen Seiten ebenfalls eisern geschwiegen. Keiner hat jemals „hier“ geschrien.
Man ringt schließlich intensiv und seriös um „die Inhalte“.
Natürlich.
Dabei geht es jetzt schon um die entscheidenden Weichenstellungen für die Nach-Merkel-Ära. Erst dann kann die SPD wieder Hoffnung schöpfen eine Regierung zu führen und wer dann Kanzlerkandidat sein wird, hängt von den Profilierungsmaßnahmen in den nächsten vier Jahren ab.
Noch wichtiger ist es aber für die Politiker der zweiten CDU-Reihe sich jetzt in Stellung zu bringen. Bisher verblasst alles hinter der allmächtigen Merkel. Niemand weiß wer sich durchsetzen wird, wenn sie mal keine Lust mehr hat.
Der starke Mann an Merkels Seite ist eindeutig Wolfgang Schäuble, der auch weiterhin Finanzminister sein will. Das ist für die Personaltaktiker in der Union natürlich ganz schlecht, weil damit das wichtigste Gestaltungsamt nach der Kanzlerin wegfällt.
Und so sinnlos; denn Schäuble wird bei der nächsten Bundestagswahl 75 Jahre alt sein und damit als Kandidat definitiv nicht mehr in Frage kommen.

Fragt sich mit welchem Ministerium man sich sonst noch gut in Szene setzen kann.

Wie ich gerade schon berichtete, wirtschaftete der unglücksselige Westerwelle das Außenamt so gnadenlos herunter, daß die einst herausragende Bedeutung längst Geschichte ist.

Früher galt es als Privileg, Außenminister zu werden. Heute heißt die bange Frage, wer es machen muss. Das Auswärtige Amt liegt auf dem Grabbeltisch der Koalitionsverhandlungen. Es ist zur Ramschware verkommen. [….]  Willy Brandt glänzte fast drei Jahre lang als Außenminister einer Großen Koalition, bevor er selbst Bundeskanzler wurde. Hans-Dietrich Genscher war sagenhafte 18 Jahre im Amt und überlebte sogar einen Koalitionswechsel. Joschka Fischer beanspruchte selbstverständlich das Außenministerium, nachdem Rot- Grün 1998 die Bundestagswahl gewonnen hatte. Dann kam Guido Westerwelle. Auch er wählte nach dem Erfolg der FDP im Jahr 2009 das prestigeträchtige Auswärtige Amt. Er sorgte in seinen ersten beiden Amtsjahren durch viele Fehler dafür, dass das Ansehen des Ministeriums demontiert wurde. „Der schwache Außenminister hat dazu beigetragen, dass sich die Machtverhältnisse in der Regierung zu Lasten des Auswärtigen Amts verschoben haben“, sagt Eberhard Sandschneider, der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Heute gilt das Finanzministerium als begehrteste Trophäe im Berliner Regierungsbetrieb. [….]  Auch andere wichtige SPD-Politiker rennen Richtung Ausgang, wenn irgendjemand das Wort „Außenminister“ ruft. Parteichef Sigmar Gabriel interessiert sich für den Posten nicht. Er will nicht in Asien oder Afrika unterwegs sein, wenn seine Partei sich in Berlin zerlegt. Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann zieht es ins Innenministerium. So haben sich die Zeiten seit Adenauer geändert. Dabei brauchte das Amt einen starken Minister so dringend wie nie zuvor. Schon vor Westerwelle gab es schwache Außenminister. Sein Parteifreund Klaus Kinkel, von Helmut Kohl als „Außen- Klaus“ verspottet, galt in den neunziger Jahren als Fehlbesetzung. [….Die Beamten des Außenamts]  bekümmert vor allem, dass der nach Merkel wichtigste Mann der deutschen Außenpolitik in der Regierungszentrale und nicht im Auswärtigen Amt sitzt. Er heißt Christoph Heusgen und ist außenpolitischer Berater Angela Merkels. Nur ein selbstbewusster Außenminister hätte eine Chance, sich gegen Heusgen zu behaupten. Wie das geht, hat Joschka Fischer gezeigt. Der sprach seinerzeit vom ehrgeizigen Kanzlerberater Michael Steiner nur als „dem Beamten“, von dem er sich nicht auf die Schuhspitzen pinkeln lasse. Nach so einem Minister sehnen sich die Diplomaten.
(DER SPIEGEL 28.10.13)

Man wagt es kaum zu sagen, weil es so ungewöhnlich ist: Aber die SPD verhält sich gegenwärtig recht geschickt und demokratisch vorbildlich.
Sie informiert ihre Mitglieder täglich mit einem Bericht über die Verhandlungen, lädt auf eigens geschaffenen Plattformen dazu ein mitzudiskutieren und läßt die Basis am Ende entscheiden.
Die Toppleute um Gabriel sind ausnahmsweise auch nicht damit beschäftigt sich gegenseitig in der Presse anzuschwärzen, sondern reden eigentlich gar nicht mit Medienvertretern. Sie machen schlicht und ergreifend ihre Arbeit – und das auf transparente Weise. Das klingt beispielsweise so.

….heute haben wir in der „Großen Koalitionsrunde" das Thema Europa debattiert. Das Gespräch hat gezeigt: Es gab und gibt grundsätzliche Gemeinsamkeiten in der Ausrichtung deutscher Europapolitik, aber auch noch eine Vielzahl von Differenzen in der Sache. Diese werden zwischen den beiden großen Parteienfamilien in Europa auch bei der kommenden Europawahl politisch deutlich sichtbar bleiben. Klar ist aber auch, dass eine zukünftige Bundesregierung in Europa verlässlich agieren und die Verantwortung wahrnehmen muss, die der Rolle und Bedeutung Deutschlands als größter Volkswirtschaft in Europa entspricht. Die künftige Bundesregierung wird zudem eine große Verpflichtung haben, zu verhindern, dass europafeindliche Parteien in Deutschland und in Europa insgesamt weiter Zulauf erhalten. Dafür ist die nächste Bundesregierung gehalten, eine Politik zu betreiben, welche die Menschen mitnimmt und zugleich entschieden darauf hinarbeitet Fortschritte für ein soziales und demokratisches Europa zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund sind folgende Beschlüsse der heutigen Sitzung für uns besonders wichtig:
Wir konnten uns darauf verständigen, dass die öffentliche Daseinsvorsorge, insbesondere die Daseinsvorsorge auf regionaler und kommunaler Ebene (z.B. Wasserversorgung) eines besonderen Schutzes bedarf. Das bedeutet: Eine zukünftige Bundesregierung würde jeder Einschränkung der Daseinsvorsorge durch EU-Politiken offensiv entgegentreten. Lokale und regionale Besonderheiten in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die zu unserer Identität gehören, wollen wir bewahren.
Im EU-Haushalt wollen wir weitere Schritte gehen, um den Haushalt stärker auf die Prioritäten Wachstum, Beschäftigung und Innovation auszurichten.
Wir konnten auch Einigung darüber erzielen, dass sich eine Bundesregierung mit SPD-Beteiligung dafür einsetzen würde, dass zügig eine Finanztransaktionssteuer zur Besteuerung von Finanz-Spekulationen in Europa eingeführt wird.
Die Europapolitik soll in der großen Verhandlungsrunde erneut aufgerufen werden. Dann geht es konkret noch einmal um die Banken- und Finanzmarktregulierung in der Europäischen Union.
[…] Aber auch die Verhandlungen in den Arbeitsgruppen gehen weiter. Heute tagen noch die Arbeitsgruppen für die Themen „Arbeit und Soziales" und „Finanzen, Haushalt, Finanzbeziehung Bund-Länder (Kommunen)". Und morgen geht es weiter mit Verhandlungen in sieben weiteren Arbeits- und Unterarbeitsgruppen.
Wir halten Dich auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße von Sigmar Gabriel und Andrea Nahles
(Mitgliederbrief 30.10.13)

Aber was auch immer die Koalitionäre sagen; die Presse spekuliert natürlich DOCH über Posten.

Gabriels persönliches Interesse gilt dem neu zu schaffenden Energieressort. Es würde aus dem bestehenden Wirtschaftsministerium entstehen und könnte um Zuständigkeiten aus dem Umwelt- und Verkehrsministerium erweitert werden. So könnte der SPD-Chef Manager der bedeutendsten innenpolitischen Aufgabe dieser Jahre werden – der Energiewende. Als Vizekanzler wäre er dann in einer Art Pole-Position für die SPD-Kanzlerkandidatur 2017. Den Verzicht aufs Finanzministerium will sich Gabriel teuer abkaufen lassen: mit inhaltlichen Forderungen, mit dem Anspruch auf ein siebtes Ressort und mit dem Zugriff auf Gestaltungsministerien wie das Verkehrsressort. Und das Auswärtige Amt fiele der SPD am Ende wohl ohnehin zu. Allein: Der eigentlich naheliegende Kandidat dafür wäre Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der aber will vorläufig lieber Fraktionschef bleiben. Das sind jedenfalls die Signale, die er seit dem Wahltag aussendet. So dreht sich alles um das Duo Gabriel/Steinmeier. Es wird in jedem Fall das zentrale Scharnier der SPD-Seite in einer Koalitionsregierung bleiben. Beide verbindet eine sympathiefreie Zweckgemeinschaft. In der Stunde der Wahlniederlage stützten sich die beiden angeschlagenen Spitzengenossen. Am Tag nach der Bundestagswahl saß Gabriel eine Stunde lang bei Steinmeier im Büro im Berliner Jakob-Kaiser-Haus, er wollte reden.
(DER SPIEGEL 28.10.13)

Auch die SPON-Kolumnist Münchau meint, die SPD könne ohne Finanzministerium auskommen.

Die SPD riskiert alles - und könnte doch gewinnen
[…]  Mit Peer Steinbrück hatte die SPD in den Jahren 2005 bis 2009 einen Finanzminister in einer Großen Koalition. Politisch genützt hat ihr das nicht. Auch nicht geschadet. Der Grund für die verlorene Wahl 2009 war der Zustand der Partei. In der Großen Koalition 1967 bis 1969 hatte die SPD nur das Wirtschaftsministerium inne - und stellte nach der Wahl 1969 den Bundeskanzler. Auch das war kein Grund für den Regierungswechsel 1969. Ob die SPD die nächsten Wahlen gewinnt, wird von vielen Faktoren abhängen - vom Finanzministerium wohl eher nicht.
[…]   Es sprechen aus Sicht der SPD aber auch gewichtige Gründe dagegen, auf das Amt des Finanzministers zu bestehen. Zum ersten Mal interessieren sich die Spitzenpolitiker der SPD für dieses Amt nicht sonderlich. […]
Der zweite Grund liegt darin, dass die SPD es möglicherweise vorzieht, sich in Euro-Fragen hinter der Union zu verstecken. Wenn die SPD keine Euro-Bonds will und auch keine ambitionierte Bankenunion, dann spricht auch tatsächlich nicht viel dagegen, Wolfgang Schäuble nach Brüssel zu schicken. Man kam ihm schließlich einen SPD-Staatssekretär als Aufpasser an die Seite stellen. [….]
Wahrscheinlich ist es sogar aus taktischer Sicht besser, Merkel und Schäuble die Konsequenzen ihrer eigenen Politik verantworten zu lassen. Wenn es im Euro-Raum knallt, dann wird man sie in erster Linie verantwortlich machen. Und knallen wird es so oder so. Hält der Euro zusammen, kommt es unausweichlich zum Schuldenschnitt. Wenn nicht, knallt es irgendwo politisch, und der Euro bricht zusammen. Merkel und Schäuble werden dann irgendwann von ihrer eigenen Rhetorik eingeholt. Für die SPD mag es durchaus reizvoll sein, sich hier in zweiter Reihe aufzustellen und sich mit sozialpolitischen Reformen und Investitionsprogrammen zu profilieren.

Wenn die SPD aber die Bereiche Arbeit, Soziales und Wirtschaft übernimmt, was soll die CDU dann bloß mit der eifrigsten Möchtegern-Merkelnachfolgerin von der Leyen machen?
Ihr bisheriges Ministerium wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an die SPD verlieren. Welchen Posten soll sie sonst übernehmen, nachdem die Unions-Frauen bisher kaum zum Zuge kamen?

Seit der Wahl bestand die Aufgabe der Unionsparlamentarierinnen fast nur darin, Männer in Ämter zu heben. Fraktionschef Kauder, den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Michael Grosse- Brömer, Bundestagspräsident Norbert Lammert – und nun zwei männliche Vizepräsidenten. Besonders frustriert die Damen der Blick auf den Geschäftsführenden Fraktionsvorstand, der kommissarisch im Amt bleibt, bis die Koalition steht. In dem 19-köpfigen Gremium sitzen nur drei Frauen. Von 16 Landesgruppenchefs sind 13 Männer. Niemand rechnet damit, dass die ehrgeizigen Herren im Dienste der Gleichberechtigung freiwillig ihren Platz räumen.
(DER SPIEGEL 28.10.13)

Von der Leyen würde gern Außenministerin sein. Sie schert sich ohnehin nicht um politische Inhalte und geht in Deckung, wenn es konkret wird. Aber bella figura machen, gefiele ihr und als Ex-Außenministerin hätte sie 2017 die allerbesten Chancen Merkel zu beerben.

Der Nachteil für die CDU: Bekämen die Sozis weder Finanz- noch Außenministerium, müßte das extrem teuer kompensiert werden. Merkel hätte in der Innen- und Sozialpolitik viele Zugeständnisse zu machen.


Dienstag, 29. Oktober 2013

Ordnung



Marion Gräfin Dönhoff ist vermutlich immer noch die Person der jüngeren Zeitgeschichte, die ich am meisten bewundere.
Ihr haben wir die besten Zeiten „der ZEIT“ zu verdanken. Als Chefredakteurin und später als Herausgeberin sorgte sie dafür, daß die großen weltpolitischen Themen intensiv diskutiert und analysiert wurden. Sie scheute sich dabei nicht Minderheitenmeinungen anzunehmen. Ihre klare Unterstützung von Willy Brandts Ostpolitik, ihr Eintreten für den endgültigen Verzicht auf alle Ansprüche in ehemaligen deutschen Ostgebieten brachte ihr bei Konservativen breite Ablehnung.
Gerade hier in Norddeutschland kannte eigentlich jeder ehemalige Ostpreußen, die ihren stattlichen Grundbesitz an die anrückende Rote Armee verloren hatten und in Westdeutschland bei Null anfangen mußten. Irgendwie schon ungerecht, daß die Deutschen so ungleichmäßig mit persönlichem Landverlust für die Verbrechen der Nazizeit zahlen mußten.
Und dieses Ostpreußen war ja eine echte landschaftliche Schönheit – und zudem riesengroß. Rechnet man die Flächen aller verlorenen Güter zusammen, kommt man zu dem Ergebnis, daß Ostpreußen ca drei Mal so groß wie Australien war.
Marion Dönhoff war eine der wenigen, die nicht beklagte was sie verloren hatte und nicht absurd übertrieb. Das Dönhoffsche Schloß Friedrichstein war eins der Größten Europas und galt neben Versailles als eins der Schönsten. Die Kaiserfamilie kam gern zu Besuch und bewunderte die sehr viel gebildeteren Dönhoffs. 800 Jahre lebten die Grafen Dönhoff in Ostpreußen. Marion verwaltete jahrelang allein das riesige Schloss Quittainen und das zugehörige Gut, die sich seit dem Jahr 1744 im Besitz der Familie Dönhoff befanden.
Die promovierte Dönhoff hatte schon als Gymnasiastin in den 1920er Jahren Hitler auf einer kleinen Veranstaltung kennengelernt. In einer Diskussionsrunde saß sie nur zwei Plätze neben ihm und fällte schon damals ein Urteil: Der Mann ist ein Verbrecher, wird Europa in einen Krieg stürzen und dafür sorgen, daß sie alle ihre Heimat verlieren.
Sie wurde zur „Roten Gräfin“, weil sie in den Kommunisten die einzigen Verbündeten fand, die wirklich gegen Hitler aktiv waren. Später im Krieg verlor sie als aktive Widerstandskämpferin fast ihren gesamten Freundeskreis, da die meisten im Zuge des Attentatsversuches vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurden. Es grenzt an ein Wunder, daß Marion Dönhoff nicht nur Hitlers Rache überlebte, sondern später auch noch wohlbehalten zu Pferde nach einem 1200 Kilometer langen und sechs Wochen andauernden Ritt bei arktischen Temperaturen bei den Grafen von Metternich auf dem Wasserschloss in Vinsebeck bei Steinheim (Westfalen) ankam.

Als ZEIT-Chefin führte sie später die Tradition ein Themen zur Diskussion zu stellen. Es wurden dann zwei konträre Meinungen veröffentlicht, so daß sich der Leser aufgrund der seriös redigierten Kommentare selbst eine Meinung bilden konnte.
Damals. Es gab noch kein Internet, kein RTL-II und keine Smartphones. Das Bildungsbürgertum LAS tatsächlich die ZEIT, nahm sich die Zeit dafür. Man rätselte eine Woche an dem legendären ZEIT-Rätsel und diskutierte die politischen Artikel.
Inzwischen ist die ZEIT ein Teil des Holtzbrinck-Konzerns, die Artikel werden immer kürzer und dafür poppig bunt illustriert. Der Chefredakteur ist ein katholischer Religiot.
Es kommt zwar immer noch vor, daß ein Pro und ein Contra abgedruckt werden, aber insbesondere bei den religiösen Themen der Rubrik „Glauben und Zweifeln“ wird nur oberflächlich argumentiert und zu 95% eine sehr kirchenfreundliche Sicht eingenommen.
In der Regel wird gleich einem Bischof der Platz überlassen.

Vielleicht hat sich das Konzept der neutralen Herausgeberschaft, die sich Kolumnisten mit unterschiedlichen Überzeugungen leistet auch einfach überholt.
Möglicherweise sind auch die Themen nicht mehr kontrovers.
Marion Dönhoff schrieb schon in den 1990er Jahren ihr bedeutendes Werk „Zivilisiert den Kapitalismus“ und legte damals schon dar, was uns dann richtig offensichtlich 2008 mit der Weltfinanzkrise ereilte.
Welche Gegenmeinung soll man da noch einnehmen, wenn jemand so offensichtlich voll ins Schwarze getroffen hat.
Bezweifelt denn noch irgendeiner, daß den internationalen Spekulanten das Handwerk gelegt werden muß? Ich würde dazu gern eine SERIÖSE Stellungnahme lesen, die mir erklärt weswegen das Derivatehandeln und Spekulieren mit Lebensmitteln eigentlich sein muß.
Es gibt auch Menschen, die sich dafür einsetzen.
So schrieb CDU-Darling Friedrich Merz, den heute noch fast die ganze Partei zurücksehnt, im Jahr 2008 sein Buch „Mehr Kapitalismus wagen“.
Wenn jemand so rechts argumentiert, merkt man allerdings meistens sehr schnell wieso das so ist. In Merz‘ Fall hängt das offenbar damit zusammen, daß er für den Hedgefonds „TCI“ arbeitet und persönlich damit sehr reich geworden ist.
Darauf läuft es fast immer hinaus.
Wenn jemand etwas offensichtlich Unsinniges beschließt, wie zum Beispiel den Merkel’schen Freifahrtschein für CO2-verschleudernde schwere Limousinen, dann erfolgte dies natürlich nicht aus Überzeugung, sondern auf Druck.
Eine Millionenschwere Lobby ist sehr effektiv.
Waffenexporte, AKW-Subventionen, tierquälerische Geflügelzucht – wieso so etwas erlaubt ist, kann relativ leicht beantwortet werden.
Gier, Geld, Macht.
Aber auch bei den eher gesellschaftspolitischen Themen vermisse ich die dezidiert konservativen Argumente.
Ich würde mich gern mit Argumenten PRO Genitalverstümmelung, PRO Kirchensteuer, PRO Marihuana-Verbot  oder PRO Meisterzwang auseinandersetzen.
Es hapert aber daran, daß es solche Argumente oft gar nicht gibt.
Man konnte das sehr gut an der Penis-Beschneidungsdebatte im letzten Jahr sehen. Ja, es gab viele prominente Stimmen, die sich massiv dafür einsetzen.
Aber ihnen war allen gemeinsam, daß sie in Ermangelung von echten Argumenten einfach logen. Da wurden antisemitische Motive unterstellt, geltende Kinderschutzkonventionen negiert und die medizinisch klar erwiesenen und dokumentierten Gefahren bestritten.
Ohne Lüge kommt der Konservative von heute gar nicht mehr aus.
Wer konservativ und ehrlich ist, bekommt irgendwann das Problem des Herausgebers der stramm konservativen F.A.Z.:

Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“
Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der größten Gegner zuzutreffen scheinen.

Da ist es nur natürlich, daß sich die immer noch überwiegend seriösen Blätter irgendwann von ihren rechten Enfant-terrible-Kolumnisten trennen.

Die Süddeutsche Zeitung gab im Jahr 2010 den Feuilleton-Redakteur und zunehmend fanatischer werdenden Ratzinger-Fan Alexander Kissler an den Focus ab. Inzwischen schreibt er für den Cicero, die Beilage Christ und Welt der Zeit und das Vatican Magazin.

Im selben Jahr trennten sich auch DER SPIEGEL und der eigentlich hochbegabte, aber leider wahnsinnig gewordene Henryk M. Broder.
Der immer mehr in bräunlichen Gewässern fischende Broder schreibt inzwischen exklusiv für die stramm konservative WELT-Gruppe. Dort passt er auch besser hin.

Der wahnsinnigste aller Mainstream-Kolumnisten ist sicherlich der Megachrist Matthias Matussek.
Er lügt nicht nur ungeniert, sondern beeindruckt mit extremer Aggressivität, die durchaus auch zu Handgreiflichkeiten führen kann.
Klar möchte ich auch mal die Sicht eines rechten Katholiken lesen, weil ich verstehen möchte, wieso er so ist denkt.
MM ist dazu aber ungeeignet, da er nie bei der Wahrheit bleibt und zudem auch noch sehr schlecht schreibt.
Vor einem Jahr vermutete ich bereits, Matussek müsse den SPIEGEL offensichtlich erpressen, da er immer noch dort angestellt ist.
So einen kann aber eigentlich kein halbwegs seriöses Blatt beschäftigen.

Und siehe da, nach 15 Jahren Seelenpein ist es jetzt tatsächlich passiert:
Der SPIEGEL ordnet sich um. Matussek gesellt sich ab sofort zu Henryk M. Broder zur „WELT“-Gruppe.
Sehr gut. Da ist dann inzwischen wirklich alles versammelt, was man garantiert nicht lesen muß.

Matthias Matussek wechselt zur "Welt"
Der langjährige "Spiegel"-Redakteur Matthias Matussek wechselt zum 1. Februar 2014 zur "Welt". Er wird für uns exklusiv als Autor schreiben.
Nach Henryk M. Broder ist Matussek, der auch zahlreiche erfolgreiche Sachbücher verfasst hat, der nächste profilierte Autor, der vom Hamburger Nachrichtenmagazin zur Axel Springer AG wechselt. "Welt"-Chefredakteur Jan-Eric Peters kommentierte die Personalie: "Ich freue mich auf kraftvolle Texte."
(Die Welt, 28.10.13)

Montag, 28. Oktober 2013

Wenn Scheiße beklatscht wird.



Was man durch Untätigkeit erreicht, breitete ich gestern mal kurz am Beispiel Außenpolitik aus.
Merkels Mikado-Taktik auf internationaler Ebene hat ihr zwar die Wiederwahl gebracht, weil es der Urnenpöbel schätzt, wenn sich nichts bewegt.
Unglücklicherweise dauert es viel länger als vier Jahre, um das verlorene Renommee wieder zu erlangen.
Das wird eine Herkules-Aufgabe für zukünftige Bundesregierungen.

In der Rückschau wird wohl niemand bestreiten, daß Entwicklungshilfeminister Niebel, Außenminister Westerwelle, Familienministerin Schröder, Verbraucherverarschungsministerin Aigner oder auch Innenminister Friedrich zu den schlechtesten Ressortchefs aller Zeiten gehören.

Das ist insofern aber ungerecht, weil auch Merkels Liebling, Lügenminister de Maiziere zum außenpolitischen Schaden Deutschlands ordentlich beigetragen hat.

Das war nun wirklich gar nichts, was die immer noch geschäftsführend im Amt befindliche Bundesregierung bei ihren internationalen Einsätzen erreicht hat.
Wo es womöglich sinnige Operationen gab – Mali und Libyen beispielsweise – wollte man nicht mitmachen und konzentrierte sich dafür auf aussichtslose Unternehmen.

Es hatte schon seinen Grund weswegen sich Merkel insbesondere nach dem Kundus-Debakel öffentlich so gut wie gar nicht mehr zu den internationalen Bundeswehreinsätzen geäußert hat.
Das sind No-Win-Themen, die nach dem Motto der früheren Hamburger Diskothek „Teuer und Scheiße“ funktionieren.
Es gab viele Tote, viele versagende Kommandeure, traumatisierte Soldaten und ein Land, dem es schlechter denn je geht.

Wie kommt es, daß eine Kanzlerin, die in so einem extrem wichtigen Bereich so schwer versagt und durch ihre Mikado-Strategie die Situation am Hindukusch für alle Beteiligten kontinuierlich verschlimmert, dennoch als Bundeskanzlerin geliebt wird?

Das liegt vermutlich daran, daß nach dem traurigen Ende der Stahlhelm-Postille „Der Landser“ nicht etwa der Deutschen Begeisterung für das Militär vergangen wäre, sondern von Merkels Claqueuren begeistert transportiert wird.
Mit ihrer 13-Millionen-Leserschaft (täglich) jubelt die BILD die größten Pleiten zu deutschen Heroengeschichten hoch.
Wenn Goebbels-Vergleiche nicht so politisch inkorrekt wären…
Man sollte überhaupt viel öfter die grotesken BILD-Kommentatoren (Reichweite 12,4 Mio Leser täglich) zitieren, wenn man verstehen will wieso die demoskopische Lage so ist wie sie ist.
Springers Kommentatoren generieren Wählerstimmen und nicht die Blogosphäre.

Heute möchte ich den JULIAN REICHELT vorstellen.
Ein ganz famoser Schreiberling; Chefreporter seines Zeichens. Ganz BILD-konform begeistert er sich für ATOM-Waffen und pflegt ein kompliziertes Verhältnis zu Fakten.
Aber das sind ja die Basics, wenn Springer die Welt erklärt: Bitte immer peinlichst genau vermeiden die Wahrheit zu schreiben.
Selbst Reichelt kommt allerdings nicht ganz drum herum zuzugeben, daß es gelegentlich etwas suboptimal läuft am Hindukusch.

Nachricht eins: Ein US-Soldat ermordet 16 schlafende Afghanen. Darunter neun Kinder und drei Frauen.

Nachricht zwei: Der afghanische Präsident Hamid Karzai genehmigt in einer offiziellen Erklärung Gewalt gegen Frauen. Sie dürfen „belästigt oder geschlagen“ werden, wenn sie gegen Regeln des Islam verstoßen.
Zehn Jahre nach Beginn dieses Krieges müssen wir feststellen: Wir wollten Gutes und haben ein Monster geschaffen. Wir wollten aus Afghanistan ein besseres Land machen und stehen nun ratlos vor dem Chaos. […] Wir sehen, wie Gewalt immer mehr Gewalt entfesselt. Wir spüren, wie kurz wir davor sind, am Hindukusch furchtbar zu scheitern.

Was hier scheinbar nüchtern und faktenorientiert beschrieben wird, ist eine abstrakte und weit entfernte Geschichte. Reichelt erwähnt wohlweislich nicht die Vokabeln „deutsch“, „Bundesregierung“, „Merkel“ oder „de Maizière“.
Verantwortliche werden nie genannt. Konsequenzen nicht gefordert, Fehler nicht analysiert.

Anderthalb Jahre später weiß der BILD-Chefreporter immer noch, daß Afghanistan ein Schlachthaus ist.
Eine immer noch mangelhaft ausgerüstete Armee verschanzt sich in ihren Stützpunkten, vermeidet jeden Kontakt mit Afghanen und kommt kein bißchen beim Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte weiter.
Millionenschwere Ausrüstung wird einfach am Hindukusch liegengelassen und den Taliban geopfert, weil die Bundeswehr in zwölf Jahren noch nicht mal in der Lage war, ein Transportsystem anzuschaffen.

Es ist leicht, eine verheerende Bilanz des Afghanistan-Krieges zu ziehen: Nach einem blutigen Jahrzehnt zieht die Bundeswehr ab, ohne Stabilität zu hinterlassen.
Die Taliban sind auf dem Vormarsch, die afghanische Regierung ist erschütternd korrupt, das Land taumelt einem Bürgerkrieg entgegen. Schmerzhaft haben wir erfahren, dass wir unsere Demokratie nicht so einfach exportieren können.

Schlimmer geht nimmer?
Was soll man auch sagen über eine Deutsche Bundeswehr, die so offensichtlich auf ganzer Linie gescheitert ist?

Nun, Herr Reichelt weiß die richtigen Schlüsse zu ziehen:

Feuerprobe bestanden!
[…] Die Bundeswehr hat sich in Afghanistan unter schwersten Bedingungen, im Gefecht, bewiesen!   Der Krieg am Hindukusch hat eine völlig neue Generation junger, kampferprobter Offiziere hervorgebracht, die die Bundeswehr über Jahrzehnte prägen wird. Und Deutschland hat gelernt, den Dienst seiner Soldaten wertzuschätzen.
Die Bundeswehr hat die Feuerprobe Afghanistan bestanden!

Sieg H…, äh, falsche Zeit.

Meint Reichelt das Posieren mit afghanischen Skeletten?
Das Schänden von Toten?
Vielleicht das Kundus-Debakel mit fast 200 toten Zivilisten?
Spricht er von den Alkoholexzessen?

Im Feldlager Masar-i-Scharif in Afghanistan häufen sich Fälle von Alkoholmissbrauch: Betrunkene Soldaten lagen im Graben, Schüsse lösten sich ungewollt, es kam zu Unfällen. Seit Mitte Februar schickte der Kommandeur nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen 14 Soldaten vorzeitig nach Hause.

Vielleicht meint Reichelt ja auch die Schießkünste der völlig neuen Generation junger, kampferprobter Offiziere.

Durch einen ungewollten Kopfschuss aus der Waffe eines Kameraden ist ein Bundeswehrsoldat in Nordafghanistan schwer verletzt worden. Der Schießunfall ereignete sich bereits am Dienstagabend im regionalen Hauptquartier der internationalen Schutztruppe in Masar-i-Scharif. Der Schuss löste sich nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr aus einer Pistole des Typs P8 versehentlich bei einer "Sicherheitsüberprüfung".
[…] Es handelt sich um den zweiten schweren Schießunfall innerhalb von neun Monaten. Im vergangenen Dezember war in einem Vorposten der Bundeswehr in der Unruheprovinz Baghlan ein Soldat durch einen Schuss aus der Waffe eines Kameraden getötet worden. Eine Feldjäger-Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Unfall handelte.