Samstag, 29. Juni 2013

Deutschland, I Gitt.


 Obwohl das deutsche Recht nicht vorsieht mir eine deutsche Staatsbürgerschaft zu geben, bin ich nur ein mittelschlimmer Undeutscher.
Im Schriftverkehr sieht es allerdings immer übel aus. Vor-, Zu- und Nachname sind bei mir uneinheitlich. Polnisch, Russisch und Ostfriesisch. Alle drei so ungewöhnlich, daß die meisten das noch nie gehört haben.
Fast immer, wenn ich meinen Namen nennen muß, oder einfach jemand meine EC-Karte in der Hand hat, heißt es „Wie spricht man DAS DENN aus?“ oder „Woher kommt DAS DENN?“. Schreiben kann das erst recht keiner und die Verwirrung wird komplett, wenn ich meine amerikanische Staatsbürgerschaft erwähne und dies in offensichtlich deutscher Muttersprache tue.
Das kommt dann oft als nächstes. 
Ein großzügiges „Sie sprechen aber wirklich gut deutsch“. Die Betonung schwankt dabei von ehrlich anerkennend über völlig verblüfft bis zu mürrisch-herablassend.

Mein Vater hat es in ähnlichen Situationen schon deutlich schwerer, weil er sofort als Ausländer enttarnt wird, wenn er spricht. Sein Akzent ist unverkennbar schwer amerikanisch und sein deutsch gewöhnungsbedürftig.

Aber wir sind beide hellhäutig. Das macht es natürlich generell leicht.
Zumindest „sieht“ man das Undeutsche nicht sofort.
Nationalismus ist eine starke Empfindung. 
Aber der Rassismus geht noch tiefer und ist unüberwindlicher.
Ein Türke oder Maghrebiner wird immer ein Migrant oder „Kanake“ bleiben – egal wie lange er schon die deutsche Staatsbürgerschaft hat und seit wie vielen Generationen man Deutschland als Heimat empfindet und deutsch spricht.
Natürlich IST Deutschland ein Einwanderungsland. Immer gewesen.
Aber anders als in Australien und den Vereinigten Staaten hat das deutsche Establishment dieses Faktum nie aussprechen wollen.
 Fest wurden die Augen vor der Realität zugedrückt, damit man ungestört mit der eigenen Nation „blond, blauäugig und arisch“ konnotieren konnte.
All die Namen, die auf slawische oder hugenottische oder südlichere Vorfahren hinweisen (Buschkowsky, de Maiziere, Sarrazin, Schickelgruber, Hinteregger..) werden in Verkennung der Realität als „deutsch“ assoziiert.

Migranten in der Politik gelten als Exoten.
 Irgendwie widernatürlich. Da geht es ans Eingemachte. Kanaken als Volksvertreter? Das können viele Wähler nicht ertragen.
 Wieso sitzen denn eigentlich Ausländer in deutschen Parlamenten?
Dabei können selbstverständlich nur Deutsche in den Deutschen Bundestag.
Herr Özdemir ist eben KEIN Türke, sondern Deutscher.
Das geht aber in den Schädel vieler Dumpfteutonen nicht hinein.
Der Hass der braven Bürger.

Beschimpft und bedroht: Migranten in der Politik sind für viele Wähler längst nicht selbstverständlich. Die Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour, Aydan Özoguz und Serkan Tören erzählen, wie sie mit den unzähligen Schmähzuschriften leben.

Man könnte einen launigen Leseabend veranstalten mit den Zuschriften, so strotzen manche vor Irrsinn. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour solle sich "erst mal über fünf Generationen" in unsere "germanisch-keltische Mehrheitsgesellschaft" assimilieren, "dann dürfen Sie mal nachfragen", schreibt einer, der sich "Dr. Rückl" nennt und betont: Er sei "Kerndeutscher". Bei der SPD-Vizevorsitzenden Aydan Özoguz seufzt einer: "Ach, die Moslems sind unverschämt." Und wettert weiter: "Wenn Ihnen das Vorgehen des Innenministers nicht passt, dann verlassen Sie doch unser Land!" Und Serkan Tören von der FDP durfte zur Straffreiheit von Beschneidungen lesen: "Ich nehme stark an, Sie haben sich inzwischen Ihren Schwanz abschneiden lassen und dazu beigetragen, dass sich Ihre Sippe nicht weiter vermehren kann."

[….]  Gut zwanzig Abgeordnete aus Zuwandererfamilien haben die Deutschen 2009 in den Bundestag gewählt, so viele wie nie zuvor. [….] Die Eltern der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden [Aydan Özuguz] wanderten einst aus der Türkei ein, sie selbst kam in Hamburg zur Welt und bezeichnet sich als "Hamburger Deern". Im Alltag fallen ihr vor allem die Kleinigkeiten auf: Wenn Bürger danach fragen, wie man Özoguz ausspricht - man verschluckt das "og" - oder gerade ihre Plakate in einem Hamburger Viertel besonders häufig zusammengetreten werden. Dann sind da noch die Anfeindungen, per Mail, auf Facebook, in Internetforen. Sie zeigen, wie wenig normal der Migrant im Bundestag für viele Bürger noch ist, wie verhasst. Im Netz konzentriert man sich gerne darauf, dass Özoguz Deutsch-Türkin und gläubige Muslimin ist. "Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag", mailt einer. "Unser Trost ist, dass genügend Lampen in den Straßen stehen, an denen wir euch aufknüpfen werden", ein anderer.

[….] Omid Nouripour wurde in Iran geboren. [….] Auf seiner Facebook-Seite liest man [....] solche Einträge: "Einer mit dem Namen Nouripour sollte mal besser die Finger von deutschen Militärangelegenheiten lassen."

Der Frankfurter Abgeordnete kann nach sieben Jahren im Bundestag gut einordnen, was wann so reinregnet. Am meisten Hass kommt nach Fernsehauftritten bei ihm an, an zweiter Stelle stehen Online-Medien, auf Gedrucktes reagieren die Leute weniger aggressiv. Den meisten Mist senden Rechtskonservative und Rechtsextreme, aber auch Linke, denen er nicht links genug ist, Islamisten und Exil-Iraner, die ihn "Landesverräter" nennen. Er darf sich von allen Seiten beleidigen lassen. Von rechts fasst man eine schlichte Botschaft in immer neue Variationen: Ein "Ausländer" darf hier nicht mitreden, er soll gehen, "zurück ins Ali Land".

Am heftigsten reagiert die Klientel, wenn sich Nouripour der deutschen Geschichte annimmt. Wenn er fordert, Kasernen nicht nach dem Wehrmachts-Helden Erwin Rommel zu benennen, "geht die Post ab". Humor hilft, sagt Nouripour, der Deutsch-Iraner hat eine Lieblingsbeschimpfung, die eines Ahnungslosen: "Du scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!" Nicht alles prallt an ihm ab, es gibt auch Dinge, die kränken. "Die Unterstellung, ich mache etwas nur aufgrund meiner Herkunft und nicht, weil ich denken kann." [….]
(Roland Preuß, SZ, 29. Juni2013)

5 Kommentare:

  1. Der "Neue-Deusche-Rassismus" ist auch in politischen Foren deutlich zu spüren. Da bin ich lange unterwegs gewesen um mich mit anderen auszutauschen. Aber seit längerem, werden die Themen zunehmend ausländerfeindlich. Weil ich die braunen Parolen einfach nicht mehr lesen kann und wegen meines Protestes dort gemobbt wurde, diskutiere ich nicht mehr dort.

    Denn wenn die Moderation nicht nur zulässt, dass man Menschen als "Neger" bezeichnet, sondern selbst gleiches tut, kann ich einfach nicht schweigen. Sie reduzieren Menschen auf ihre Hautfarbe. Und genauso verhält es sich bei Rassisten. Wenn sie einen Menschen sehen, der nicht hellhäutig sind, greifen die konditionierten Denkmuster. Der "Neger" ist kriminell und gewalttätig. Diese Vorurteile werden von rechten Propagandandisten geschürt.

    Ich habe das gemeldet und einen Hilferuf an Claudia Roth gesandt, mit der Bitte, sich der Problematik anzunehmen. In solchen Foren radikalisiert sich die Bevölkerung. Und niemand schreitet ein. Wohin das führt, wissen wir von vor 1933.

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  2. Ich habe auch schon oft von prominenten Juden oder Muslimen oder Linken gehört, daß sie es natürlich schon immer kennen beschimpft zu werden und üble Post zu bekommen.
    Aber früher war das immerhin noch etwas verschämt und anonym.
    Heute kommt das konkret mit gewalttätigen Drohungen und mit vollem Namen und Adresse als Absender.

    Daß Leute wie Michel Friedmann, Lea Rosh, Volker Beck oder Dieter Graumann rund um die Uhr Polizeischutz haben müssen, wird hier gar nicht mehr als erwähnenswert erachtet.
    So ist das eben in Deutschland.
    Und wenn ein Jude auf der Straße verprügelt wird, heißt es gleich: Was läuft der auch mit Kipa rum?

    Da hat er ja quasi selbst schuld.

    Entsprechendes gilt für Dunkelhäutige in Brandenburg oder Schwule, die händchenhaltend in der falschen Gegend unetrwegs sind.
    Da haben die OPFER Schuld, weil es als selbstverständlich erachtet wird, daß man eben nur in einigen Gebieten Deutschlands nicht um sein Leben fürchten muß.

    KOTZ

    LGT

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    1. Richtig. Das ist ein entscheidender Baustein im Komplex der Problems: Es ist die Untätigkeit der zuständigen Regierungsvertreter.

      Man schaut weg oder macht sogar noch mit. Du hast ja schon Friedrichs "Zigeuner-Reden" thematisiert. Und kurz vor jeder Wahl, wird nochmal explizit das "Problem Zuwanderung" angesprochen. Wenn es nur Stimen bringt, spielt man mit dem Leben anderer. Die einen hetzt man auf, die Anderen macht man zur Zielscheibe.

      Natürlich sind es die Parteien mit dem "C" im Namen. Die FDP will auch nicht auf die 2-3% tiefbraunen Stimmen verzichten, die eine Debatte um das Thema einbringt. Dieses Mal insbesondere auch nicht. Wir werden das erleben. Spätestens im August, wird Zuwanderung wieder "zum Problem gemacht".

      KOTZ²

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  3. "Germanisch-Keltische Mehrheitsgesellschaft"? Auf welchem Planeten lebt der Kerl?

    Meine Familie stammt natürlich sowohl mütterlicher als auch väterlicherseits aus den "Deutschen Ostgebieten" in Ostpreußen (mit polnischem Namen) und Siebenbürgen (mit französischem Namen). Ausländer halt.

    Und was haben die Kelten mit alledem zu tun? Denen hatte ja schon ein gewisser Cäsar das Ende bereitet. In Mitteleuropa leben schon seit 2000 Jahren keine Kelten mehr. (Die Inselkelten sind mit den Festlandkelten nicht kulturell verwandt, sie übernahmen nur deren Sprache)

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  4. @ Mr Hyde, bedauerlicherweise funktioniert die Strategie ja auch.
    So ist Roland Koch („Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“) MP geworden und dauernd wiedergewählt worden.
    Geglaubt hat man ihm zwar nicht. Er galt allgemein als verschlagen und unehrlich.
    Aber das sind in Dt auch zweitrangige Tugenden. Daß er sich offen xenophob äußerte und damit dem Urnenpöbel aus der Seele sprach, war wichtiger.

    @ Anonym;
    FAKTEN sind leider eine lausige Argumentation gegen Ausländerfeinde.
    Ihre xenophoben Gefühle werden ja gerade aus Dummheit gespeist. Wenn sie es besser wüßten, wären sie in den meisten Fällen keine Rassisten.

    LGT

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