Dienstag, 20. November 2012

Hartz-Süppchen.

Mit dem Stichwort „Hartz“ hat man in jeder Diskussion schon verloren.

Meiner Ansicht nach ist das Thema konnotativ vergiftet. 
 Ein großer Teil der Deutschen hält Hartz-Empfänger grundsätzlich für arbeitsscheues Pack, dem es noch viel zu gut geht. 
Ein anderer großer Teil der Deutschen hält die Hartz-Reform grundsätzlich für die größte soziale Untat überhaupt und wird der SPD ewig zürnen. 
(Eigenartigerweise werden die Grünen, die noch eifriger die Arbeitsmarktreformen voran trieben nie dafür verantwortlich gemacht).

Im Sommer 2009 hatte Martin Lindner, Spitzenkandidat der Berliner FDP zur Bundestagswahl, das gesagt, was seine Wähler nur zu gerne hörten.
Das Friedmann-Publikum lauschte dem Liberalen gebannt:

"Die soziale Sicherung kann man auch so überdrehen, dass die Leute keine Lust mehr haben, weil sie genauso gut oder besser dastehen, wenn sie Hartz IV kassieren, als wenn sie bestimmte Berufe im Dienstleistungsgewerbe ausüben." Lindner schlägt deshalb vor, Hartz-IV-Empfängern den Regelsatz zu kürzen und sie zum Ausgleich dafür zu bezahlter gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. "Der Regelsatz soll um bis zu 30 Prozent gekürzt werden, wenn gleichzeitig den Menschen eine Möglichkeit geboten wird, im kommunalen Bereich was zu tun. Wir haben gerade in Berlin extrem viele Menschen, die sind gesund, die sind arbeitsfähig, und die haben schlichtweg keine Lust, zu arbeiten. Und auf die muss ich auch eingehen. Denen kann ich nicht genau so viel überweisen wie einem, der morgens aufsteht und Busfahren geht. Das ist nicht gerecht." 
30% Kürzung des Hartz-IV-Satzes!
 
 Das ist doch mal ein Wort!

Schließlich muß man ja die ganzen Milliarden, die den Bankern hinterher geworfen werden, irgendwie gegenfinanzieren.

Lindners Strategie war erfolgreich. Für solche Sprüche wurde die Prä-2009-FDP geliebt und mit dem absoluten Rekordwahlergebnis von fast 15% in die Bundesregierung geschickt.

Gleichzeitig hat die SPD Rekordverluste erlebt, weil der Vater des „deutschen Jobwunders“, Olaf Scholz, als nicht warmherzig genug angesehen wurde.

Das Thema Hartz wird ewig an der SPD kleben. Wie Scheiße am Schuh.

Daß Deutschland MIT diesen Arbeitsmarktreformen besser dasteht als alle anderen Länder, kann schlecht bestritten werden.
 Daher bekommt die SPD auch nach wie vor viel Lob dafür Hartz-IV gewagt zu haben.
Blöderweise aber aus so ziemlich allen anderen Richtungen - außer der eigenen Kernwählerschaft.
Wirtschaftsjournalisten, internationale Deutschland-Kenner, Ökonomieprofessoren - alle lieben Hartz.
 Nur die Hartz-Empfänger finden es doof.

Ich glaube, die SPD macht es sich selbst schwer, indem sie sich darum drückt eine eigene Haltung zu Hartz zu finden.
Sie sollte entweder sagen, das sei alles ein Irrtum, oder aber die Reformen offensiv und erklärend vertreten. 
Sie mogelt sich aber raus und gibt widersprüchliche Signale. Versucht bei den Freunden der Hartz-Reformen, genauso wie bei deren schärfsten Widersachern zu punkten.
Das kann nicht klappen.

Mit Vorbehalten (ich bin schließlich kein Experte) empfehle ich der SPD eine klare „Ja, zu Hartz-IV“-Strategie. Denn nur wenn man mit festem Rückgrat und vielleicht sogar Stolz die Schröder-Reform vertritt, kann man auch unumwunden die Punkte der Gesetzgebung ansprechen, die sicherlich nicht fair sind und auf Änderungen dringen.

Dazu gehört meines Erachtens der Abschied vom Glauben an die Einzelfallgerechtigkeit.
Inzwischen gibt es Millionen Klagen gegen einzelne Hartzbescheide. 
Die Hälfte dieser Klagen wird gewonnen. Vielfach wegen unklarer oder viel zu komplizierter Gesetzeslage.

So kann inzwischen jede Fraktion auf eine Fülle von Einzelfällen zurückgreifen, die entweder die These bestätigen, daß Hartzler faule Säcke sind, die sich Leistungen ergaunern, oder aber zeigen, daß Hartzempfänger geradezu unmenschlich drangsaliert und pauperisiert werden.

Der Streit wird sich ob der neuen Meldungen über Massensanktionen sicher verschärfen.
Die Jobcenter haben bundesweit so viele Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt wie nie zuvor. Zwischen August 2011 und Juli 2012 wurden mehr als eine Million Sanktionen erlassen. Das geht aus einer aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor, die dieser Zeitung vorliegt. Danach ist die Zahl der Strafen kontinuierlich angestiegen, auf zuletzt 1,017 Millionen. Im Vergleich zu 2007 entspricht das einem Zuwachs von gut 76 Prozent. Im Schnitt wurden die Leistungen um 106 Euro gekürzt.
[…] Laut Statistik [wurden] rund zwei Drittel der Sanktionen mit "Meldeversäumnissen" begründet. […] In Berlin ist die Zahl der Sanktionierten unter den Hartz-IV-Empfängern am größten: hier betrug die Quote im Juli dieses Jahres 4,7 Prozent. In Hessen liegt sie mit 3,1 Prozent knapp unter dem Durchschnitt. Am niedrigsten ist die Sanktionsquote mit 2,5 Prozent in Bremen, dem Bundesland, das bundesweit eine der höchsten Arbeitslosenquote hat. […] Mit Blick auf diese Quoten warnt die Bundesagentur vor einem pauschalen Negativ-Urteil über Hartz-IV-Empfänger. "Der bei weitem größte Teil der Betroffenen hält sich an die Regeln und ist somit auch nicht von Sanktionen betroffen", so die Sprecherin. Bundesweit liegt die Sanktionsquote bei 3,2 Prozent. Somit waren im Juli dieses Jahres 96,8 Prozent der 4,35 Millionen erwerbsfähigen Hart-IV-Empfänger nicht von Strafen betroffen.
 Das sind wieder ideale Zahlen, so daß sich beide Seiten ihr Süppchen kochen können.

Einerseits sind die allermeisten Hartz-Empfänger, nämlich fast 97%, offenbar vorbildliche Bürger, die so funktionieren, wie die Bundesarbeitsagentur es von ihnen will.

Andererseits werden Leistungen erst gekürzt, nachdem ein Hartz-IV-Empfänger das dritte Mal einen Termin platzen lassen hat.*
Selbst die linke „taz“ überschreibt die Meldung zu den Rekordsanktionen mit „Strafe muss sein!
 Man könnte also auch argumentieren, daß es einer Million Menschen offenbar noch zu gut geht, wenn sie es aus lauter Faulheit drei Mal den ARGE-Sachbearbeiter versetzen und es einfach geschehen lassen, daß ihnen (durchschnittlich) 107 Euro monatlich abgezogen werden.

Typen wie Martin Lindner wird es freuen.
Rekordstrafen gegen Hartz-IV-Bezieher; verpasste Termine. Das passt prima in das Schema vom frechen, faulen Arbeitslosen, Image-Korrektur hin oder her.
(Ulrike Heidenreich, SZ, 20.11.12)
Man muß aber auch zugegeben, daß die Bundesagentur bemüht ist, dieses einseitige Bild zu verändern, indem sie auf die positiven Reaktionen der Arbeitgeber verweist, die ehemalige Hartz-IV-Empfänger eingestellt haben. 
Offensichtlich ist die große Mehrheit also doch kein arbeitsscheues Pack, sondern absolut gewillt  zu arbeiten.
Gerade noch präsentierte man das Ergebnis einer Allensbach-Studie, wonach zwei Drittel zufriedene Arbeitgeber aus Pflege, Gastronomie und Handwerk keinerlei Unterschiede betreffs Zuverlässigkeit zwischen den ehemaligen Arbeitslosen und ihren neuen Kollegen erkennen mochten. […]
Drei Viertel der von Allensbach befragten Arbeitgeber würden zukünftig wieder einen Hartz-IV-Empfänger einstellen - aufgrund ihrer positiven Erfahrungen.
(Ulrike Heidenreich, SZ, 20.11.12)
 Den von der ARGE vermittelten „Kunden“ wird allgemein ein sehr gutes Zeugnis bescheinigt - von Arbeitgeberseite.
Von „Hartzler-Bashing“ kann also keine Rede sein.
Auch mit einigen gängigen Vorurteilen räumt die Untersuchung auf. Denn die neuen Mitarbeiter gelten als mehrheitlich pünktlich, teamfähig, zuverlässig und motiviert. Lediglich die Qualifikation der Arbeitslosen wird von den Arbeitgebern zurückhaltender beurteilt. Auch hier war die Unzufriedenheit im Handwerk am größten.
Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA, war von den Ergebnissen überrascht. „Die Mehrheit der Arbeitgeber hat sich sehr positiv geäußert. Damit habe ich nicht gerechnet“, sagte er.[...]
Alles in allem erwartet die BA, dass sich der zu erwartende Fachkräftemangel positiv für Langzeitarbeitslose auswirkt. 53 Prozent der befragten Arbeitgeber glauben, dass man dem Mangel an Personal mit der Einstellung von Hartz-IV-Empfängern entgegenwirken könne.
Ich würde mir wünschen, daß man unaufgeregter über Hartz IV sprechen könnte. 
Daß man Missstände zu kritisieren wagte, ohne gleich als neoliberale Heuschrecke oder ewig-gestriger Linksextremist bezeichnet zu werden.

Wer „gegen Hartz“ ist, sollte dies in konstruktiver Weise tun, indem er Alternativen nennt.
Wer „für Hartz“ ist sollte sogar noch mehr bemüht sein die Ungerechtigkeiten, die es offensichtlich gibt aufzuzeigen, um sie möglichst abzuschaffen.

Außerdem sollten wir uns von dem Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit verabschieden. 
Es ist nicht möglich ein Sozialgesetz für jedes Einzelschicksal passend zu machen. Einige werden immer überproportional profitieren, einige werden immer ungerechtfertigt hart angepackt.
 Die Abermillionen Kosten, die durch Prozesse und Wiedersprüche, Sanktionen und Sachverhaltsprüfungen entstehen, scheinen mir doch eher Verschwendung zu sein.

Diejenigen, die für den Erhalt des Sozialstaates sind, müssen zusammen halten.
 Jene, die meinen Hartz-IV habe den Sozialstaat gerettet und jene, die eher der Ansicht sind, Hartz IV wäre der Anfang vom Ende des Sozialstaates.

Wenn sich beide Fraktionen bekämpfen, indem sie sich beispielsweise Wahlboykotte androhen, gewinnen am Ende nur diejenigen, die wirklich den Sozialstaat abschaffen wollen.

Ungerechtigkeiten, die es abzuschaffen gilt, gibt es genug:
Rüstungssubventionen, Unterfinanzierung von Grundschulen, Managergehälter, Verrottenden Pflegeheime, Obdachlose, Bankeneinfluss, chancenlose Immigrantenkinder, etc.

Da sollten wir an einem Strang ziehen.
Wir sollten diese Angelegenheiten der Entscheidungsgewalt von Union und FDP entziehen.



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Konsequenzen einer Pflichtverletzung
Sanktionen
 Welche Konsequenzen hat eine Pflichtverletzung? Das ALG 2, also der Hartz 4 Regelsatz plus Kosten der Unterkunft und Heizung, um 30 Prozent oder 10 Prozent gemindert. Kommt es zu wiederholten Pflichtverletzungen, ist eine Absenkung um 60 Prozent bis zu 100 Prozent möglich.

Rechtsfolgenbelehrung
Der Hartz IV Leistungsempfänger muss über die Rechtsfolgen seines Pflichtverstoßes belehrt worden sein, damit eine Sanktion daran angeknüpft werden kann. Diese Rechtsfolgebelehrung muss einen engen zeitlichen Zusammenhang zu dem Verhalten des ALG-2-Empfängers haben. Die Belehrung muss konkret und ausführlich sein, Beginn, Dauer und Höhe der Absenkung müssen genannt werden. Ein pauschaler Hinweis in Merkblättern oder ein Verweis auf den Gesetzestext ist nicht ausreichend.