Sonntag, 29. Juli 2012

Wenn das der Führer wüßte!



Die ZEIT schickte Marco Ansaldo, Evelyn Finger und Arno Storn nach Rom.
Glaubt man dem ausführlichen Bericht über die angespannte Stimmung im Vatikan, sieht es übel aus für die Katholische Kirche.
Die Geheimnistuerei über die päpstlichen Finanzen und die katastrophale Öffentlichkeitsarbeit passten einfach nicht mehr zur Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Das Autoren-Quintett (neben den oben Genannten arbeiteten auch Kerstin Kohlenberg und Alexander Schwabe an dem Artikel) sieht immer noch durch die nationale Brille und beeilt sich festzustellen wie beliebt Ratzi im Vatikan wäre.
Das unausgesprochene „obwohl er doch Deutscher ist“, schwingt immer mit. 

Die BILD-Zeitung-indoktrinierten Deutschen scheinen immer noch zu glauben, daß der fromme Ratzinger 2005 aus dem Himmel fiel. 
Und wie eigenartig es doch sei, daß in dieser Kurie aus lauter eingeschworenen Italienern nun ausgerechnet dieser Neue, dieser Ausländer, zum Papst gewählt wurde. 
Das müsse ja offensichtlich daran liegen, daß er so integer und gelehrt sei.

Eine völlig absurde Sichtweise. 
Ratzinger hat seit 30 Jahren die Fäden des Vatikans in der Hand. 
Keiner kennt die Fallstricke und Intrigenkultur der kirchlichen Macht so gut wie er. Gezielt und konsequent hat er seine Karriere vorangetrieben. Schon während des Woytila-Pontifikats war es de facto Ratzinger, der herrschte, weil sich sein Papstvorgänger nicht für kuriale Kabale interessierte und viel reiste.

Insofern war es auch alles andere als überraschend, daß Ratzinger ihm auf den Papstthron nachfolgte. Er hatte das richtige Alter (nach einem solchen Megapontifikat wird nie ein junger Kardinal gewählt, weil man eine kürzere Übergangszeit braucht, um sich zu sortieren) und er hatte die richtigen Verbindungen.
 Schließlich verdankte die Mehrzahl der berechtigten Wähler des Konklaves Herrn Ratzinger die Erhebung zum Kardinal.

Der Papst ist ein Vatikangewächs wie kaum ein Pontifex vor ihm.

Obwohl nun alles den Bach runter zu gehen scheint, lieben die Vatikaner ihren Chef, konstatiert die ZEIT:

Wer nur lange genug beim Wein mit den Kirchenmännern zusammensitzt, der hört Vatikankritik, die selbst Luther erblassen ließe. Über den Vatikanstaat: »Wir sind durch Vetternwirtschaft genauso vergiftet wie der ganze politische Organismus Italien. « Über die Kurie: »Wir haben zu viele mittelmäßige Leute, weil die uns von den Bischöfen geschickt werden, und wer gibt schon gern freiwillig einen guten Mann weg.« Über die Kardinäle: »Das Schlimmste ist, wenn ein Priester Macht will. Dann entsteht gottloses Kirchentum. Papst Benedikt hat sich unbeliebt gemacht, weil er gegen eine bestimmte pseudochristliche Betriebsamkeit kämpft.« Ja, das Erstaunliche ist, dass hier keiner den Papst kritisiert. Alle bewundern ihn als Wahrheitsapostel und Vatikanaufklärer, sie preisen seine, wie sie sagen, franziskanische Art der Verkündigung. Anders als in Deutschland kritisiert in Rom niemand seine Härte in Glaubensfragen. Darin liegt die Tragik. Dass der Papst zu Hause als Reaktionär kritisiert und in Rom als Protestantenfreund beargwöhnt wird. Dass der Vatikan aufbrechen muss, aber nicht kann, weil er sich ständig angegriffen fühlt. Sich nach außen verteidigt. Und so scheint gerade den treuesten Gottesdienern die Lage hier manchmal aussichtslos: »Wir sind eine sterbende Kirche. Wir sind eine geschlagene Armee. Das Ende ist abzusehen.«
(26.07.12 s.55)

Ja, der arme Ratzi. So eine Tragik.
 Die nörgelnden Deutschen bezichtigen ihn erzkonservativ zu sein und dabei gibt er sich solche Mühe es Allen Recht zu machen.

In Wahrheit verfolgt der Papst seine reaktionäre Agenda seit Dekaden unverändert. 
Wer es wagte zu widersprechen, wurde von ihm eiskalt abgesetzt.
 Das krasseste Beispiel dafür sind die Befreiungstheologen Südamerikas, die statt der faschistischen Folterregime lieber die notleidenden Armen unterstützen wollten.

Aber nicht mit Diktatorenfreund Ratzinger, der die Kirche der Armen erbarmungslos zerschlug. 

Mitleid kannte er nur gegenüber Kinderfickern, die er mit Engelsgeduld vor Strafverfolgung bewahrte und in der Kirche behielt.

Wie Ratzinger sich die Zukunft der Kirche vorstellt zeigen eindeutig seine Ernennungen:

Ratzinger hat eine tiefe Abneigung gegen Dunkelhäutige und fremdelt erkennbar auf anderen Kontinenten.

Kardinäle aus Entwicklungsländern beruft der gegenwärtige Papst praktisch nicht mehr und bläst stattdessen exzessiv die Europafraktion auf.

Bei der Kreierung der 22 neuen Kardinäle im Februar 2012 waren allein 16 Europäer! 
Obwohl Europa nur noch zehn Prozent der Weltbevölkerung stellt, erhebt Ratzinger 73% Europäer. 

Die Botschaft an die bevölkerungsreichsten katholischen Länder Nigeria oder Brasilien ist klar: „Ich halte Euch für irrelevant. Unwürdig für die höchsten Posten!“

Allein sieben Kardinäle stammen aus Mailand, welches ungefähr so groß wie München ist.

Von den 22 neuen Würdenträgern sind zehn an der Kurie in Rom tätig, 16 stammen aus Europa, vier sind älter als 80 Jahre, darunter auch Kardinal Becker. Mit den jüngsten Ernennungen erhöht sich die Zahl der Kardinäle auf 213, so viele wie noch nie. Unter ihnen sind 125 potentielle Papstwähler. In dieser Gruppe hat das Gewicht der Europäer und vor allem Italiener erneut zugenommen - Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. hatte noch darauf geachtet, die Zahl der Kardinäle aus der so genannten Dritten Welt zu erhöhen. 30 der 67 europäischen Kardinäle unter 80 sind nun Italiener. 22 Purpurträger kommen aus Südamerika, 15 aus dem Norden des Kontinents; elf aus Afrika, zehn aus Asien und dem Pazifikraum.

Aber zurück zum Ist-Zustand. 
Wieso ist der Vatikan in so einer desolaten Verfassung, obwohl er einen derart brillanten und beliebten Chef hat?
Ratzi ist zu isoliert und bekommt nichts mehr mit. Dies beklage auch ein Insider, ein nicht namentlich genannter „Prälat“, der die Journalisten aus Hamburg empfing, um ihnen zu erklären worum es beim Machtkampf in Rom gehe.

»Das Problem sind die Vatikanfinanzen. Ich bete jeden Tag um eine Gelegenheit, dem Papst das zu erklären.« Leider spricht der Papst seit Wochen nur noch mit den allervertrautesten Kardinälen. Um ihm etwas mitzuteilen, muss man den Postweg benutzen, aber die Post öffnet der Heilige Vater natürlich nicht selbst. Manche im Vatikan finden, der letzte sichere Weg der Nachrichtenübermittlung an ihren obersten Chef seien die Zeitungen. Die muss er lesen. Deshalb sitzen wir hier, der Prälat hofft, dass die Journalisten dem Papst seine Wahrheit mitteilen. Dessen einziger offizieller Kommentar zu VatiLeaks bisher war eine Beschimpfung der teuflischen Presse und der angeblich von ihnen angestifteten Geheimnisverräter in den eigenen Reihen. Er wollte sagen, dass die Feinde von draußen kommen. Es ist die Paranoia aller geschlossenen Systeme: Man steckt in einer inneren Krise und fühlt sich bedroht von außen.
(26.07.12 s.55)

Der arme Ratzi.

Unfassbar, daß die Unwissenheitsmasche immer noch zieht. 
Schon 2009 hatte er sich damit rausgeredet nichts von Bischof Williamsons Holocaustleugnung und den ultrareaktionären Ansichten der Pius-Bischöfe gewußt zu haben, als er sie wieder in die Kirche aufnahm.

Der Papst! UNFEHLBAR, aber leider unwissend!

Und das in einer Angelegenheit, für die er über Jahrzehnte als Experte gedient hatte!
 Schließlich war es der Chef der Inquisition, Kardinal Ratzinger, welcher das Exkommunikationsverfahren gegen die Piusbrüder durchgeführt hatte.

Und nun erfahren wir wieder, der gute Papst hocke oben in seinem Arbeitszimmer und wäre so von der Welt isoliert, daß ihn noch nicht mal wichtige Vatikan-Größen sprechen könnten.

Das Schweigen ist Schwerstarbeit, auch für den Papst. Während der heißen Sommertage, als die Ermittlungen in Rom noch laufen, brennt bis spät in die Nacht Licht in seinem Arbeitszimmer im Apostolischen Palast. Man sieht es vom Petersplatz aus, drittes Fenster von rechts. Das Licht beweist, dass es den unnahbaren Pontifex wirklich gibt. Den abwesenden Vater, papa absconditus. Nur manchmal, zur festgelegten Stunde des Tages, schaut er aus dem Fenster zur Piazza San Pietro, zu den Touristen hinunter, um sein Angelusgebet zu sprechen.
(26.07.12 s.55)

Daß ein kleines Problemchen mit dem Istituto per le Opere di Religione (IOR) besteht, hat papa absconditus noch gar nicht bemerken können. 
Das ist ja auch etwas ganz Neues. 
Noch nie in der Vergangenheit gab es Unregelmäßigkeiten bei den Vatikanfinanzen.

Aber vielleicht stimmt es ja tatsächlich, daß sich der Papst nur mit den Glaubens-essentiellen Dingen beschäftigt.

Denn der Pontifex Maximus wird nur bei Vorgängen von universaler Bedeutung persönlich aktiv wird.

Zum Beispiel das Titelbild einer kleinen satirischen Zeitschrift aus Frankfurt.

Da wirft der flotte Ratzi sich in für den Vatikan sagenhafter Geschwindigkeit in die Schlacht.
Eine Fotomontage duldet er nicht.

"Wir danken dem Heiligen Vater für sein Interesse an unserem Magazin und bitten erneut um den päpstlichen Segen", sagte Fischer in einer Mitteilung gewohnt ironisch. Das Verbot der vergangenen Ausgabe habe eine Auflagensteigerung von mehr als 70 Prozent bewirkt, in den Bahnhofsbuchhandlungen sei die Ausgabe ausverkauft gewesen. "Nun hoffen wir, dass der Heilige Stuhl auch diesen neuen Titel ähnlich abwegig und rufschädigend interpretiert", sagte der "Titanic"-Chefredakteur. Es ist das erste Mal, dass ein Papst zivilrechtlich gegen die "Titanic" vorgeht.