Freitag, 6. Juli 2012

Und in fünf Jahren bei der NPD?



Einer der wenigen sympathischen Aspekte an der US-amerikanischen Religiosität ist das Konfessionshopping.
 Jeder Amerikaner wechselt statistisch einmal im Leben seine Kirche. Immerhin. Offensichtlich sind sie nicht bereit alles einfach mitzutragen und suchen sich irgendwann einmal eine Kirche, die ihnen mehr zusagt.

Zwischen Flensburg und Garmisch ist das verpönt.
 Es treten zwar Menschen aus der Kirche aus, aber die Gräben zwischen den Konfessionen sind immens. Überzeugte Konvertiten sind selten. Uta Ranke-Heinemann und Steffen Seibert sind solche Beispiele.

Dafür sind in Amerika die Gräben zwischen den beiden großen Parteien gigantisch. Zusammenarbeit und Koalitionen gibt es schon lange nicht mehr. Man hasst sich leidenschaftlich bis auf’s Blut und arbeitet hauptsächlich im Negative-Campaigning. 
Es geht immer darum shitstorms zu entfesseln.

 In Deutschland gibt es mehr Parteien als in den USA. Da gibt es durchaus Schnittmengen, so daß ein Mitglied, dem bestimmte Fragen wichtig sind, irgendwann mal übertreten kann.
Das geht quer durch den Garten. 
Es ist zwar nicht recht vorstellbar, daß einer von den Linken zur FDP, oder umgekehrt, wechselt. Aber CDU und CSU haben in den letzten Jahren immer wieder das zuvor Undenkbare erlebt: Konservative vom Lande treten auf einmal zu den Grünen über, weil ihnen dämmert, daß konservative Begriffe wie Nachhaltigkeit, Naturschutz, biologische Landwirtschaft, „Erhaltung der Schöpfung“ gut bei den Grünen aufgehoben sind, während die C-Parteien auf Gentechnik und Mega-Verkehrsprojekte setzen.

Manchmal ist es auch so, daß die Parteien ihre Wurzeln kappen und sich weit wegbewegen. Günther Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier wechselten zwar von der FDP zur SPD, blieben sich aber in ihrem linksliberalen bürgerrechtlichen Kurs treu, während die FDP zum reinen CDU-Apendix und Lobbyistensprachrohr mutierte.
Auch Gustav Heinemann blieb seinen ehrenwerten Überzeugungen treu, als er 1950 als Bundesinnenminister der CDU aus Protest gegen die Wiederbewaffnung zurücktrat und schließlich Mitglied der SPD wurde.

Beim Weg von links nach rechts sind meistens persönlichere Verwirrungen, Animositäten oder Karrierestreben die Antriebsfedern.

Vera Lengsfels, Oswald Metzger, Angelika Barbe, Günter Nooke, Ehrhart Neubert, Arnold Vaatz wechselten aus PDS-Hass (außer Metzger) zur  CDU, die vorher mit zwei DDR-Blockparteien fusioniert war.
Logisch ist anders.

Außerhalb der reinen Parteipolitik haben auf dem Weg von links nach rechts Arnulf Baring und Horst Mahler die längsten Strecken zurück gelegt. 
Mahler schmort hoffentlich gerade im Knast. 
Baring schmort auf den Talkshowbänken von Maischberger und Will. Dort darf er den Wiedergänger der Comic-Figur Cholerix geben und seine angebräunten Sätze absondern.

Konsequent immer rechter und neoliberaler wird auch Wolfgang Clement. 
Ähnlich wie sein Parteikollege Klaus von Dohnanyi war er einst ein sehr angesehener SPD-Ministerpräsident. 
Beide entwickelten aber einen regelrecht pathologischen Hass auf die Grünen.

Während immer mal wieder Grüne die Partei verlassen, weil sie ihnen viel zu konservativ wird (es gibt heute Ex-Grüne bei Linken und Piraten) wirkten die Ökopaxe auf Clement und von Dohnanyi geradezu linksextrem.

Am Abend der Bundestagswahl 1994 zeigte sich der ehemalige Hamburger SPD-Bürgermeister sehr zufrieden über den Kohl-Wahlsieg, weil damit wenigstens Rot-Grün verhindert würde.

Clement rief im Januar 2008 beim Hessenwahlkampf  zur Wahl der FDP auf.

Während von Dohnanyi in Liebe zu Angela Merkel entbrannte, begeisterte sich Clement für Westerwelle.

Nach der nahezu einmütig als wegweisend und grandios erachteten Parteitagsrede Helmut Schmidt im November 2011, in der der Altkanzler die schwarzgelbe Außenpolitik kritisierte, schnappte Merkels Pudel von Dohnanyi sofort zu.
 An Guidos und Angelas Politik gäbe es nichts zu kritisieren. 
„Ich finde, das war ein großer Fehler“ von Helmut Schmidt, empörte sich die einstige Hamburger SPD-Größe. Er halte Schmidts Vorwurf für „grundfalsch“ und „sehr gefährlich.“ „Ich hoffe, er findet einen Weg, das zu korrigieren.“

Clement hat inzwischen die SPD verlassen und macht aktiv für die FDP Wahlkampf. 
Er hatte Auftritte mit Westerwelle und ruft bei jeder Gelegenheit zur Wahl der Röslerigen auf.

Daß er sich so scharf gegen eine mögliche Rot-Grüne Koalition im AKW-Land Hessen engagierte, dürfte damit zusammenhängen, daß Clement seit Februar 2006 im Aufsichtsrat der RWE Power AG sitzt. 
Am 25.11.2008 trat er aus der SPD aus. Im folgenden Bundestagswahlkampf erkannte der Ex-MP von NRW die FDP sei die „einzige Fortschrittspartei Deutschlands.“ 
Der sagenhafte liberale Absturz ins Bodenlose irritierte den 72-Jährigen nicht. 
2012 trat er unter anderem mit FDP-Gesundheitsminister Bahr im „Forum Liberal“ auf und unterstützte im NRW-Wahlkampf Christian Lindner.

Clement hat inzwischen ein halbes Dutzend Aufsichtsratspöstchen und war im August 2010 einer von 40 prominenten Unterzeichnern des „Energiepolitischen Appells“ der großen Stromkonzerne um die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke durchzusetzen.

Seine Metamorphose zum Cheflobbyisten der Industrie krönt er jetzt mit dem Chefposten der Arbeitgeberlobby „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die rechtskonservative Wirtschaftsinteressen der Großindustrie mit enormen Geldmitteln durchsetzt.

Nach diversen Wahlkampf-Empfehlungen für die FDP zieht er nun in eine der letzten Bastionen des konservativ-liberalen Denkens der Republik ein. Er übernimmt den Vorsitz des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und tritt damit die Nachfolge von Ex-Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer an.
(SZ 06.07.12)