Sonntag, 10. Juni 2012

Wenn nicht sein darf was ist.



Als Chemiker ist das Denken ganz furchtbar leicht.
Man überlegt sich ein Atommodell, macht seine praktischen Versuche und guckt, ob die Realität das Modell bestätigt. 
Fällt die Realität anders aus, ist offenbar das Modell falsch und man muß sich etwas Neues, Passenderes ausdenken.
Über die Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte kommt man so zu ziemlich präzisen Modellvorstellungen, die einem das Verständnis der Natur erheblich erleichtern.

Religioten gehen den umgekehrten Weg.
Sie haben eine feste Vorstellung wie etwas sein muß, beobachten dann die Realität und wenn diese von ihrer Theorie abweichen sollte, versuchen sie die Realität anzupassen.

Christliche Wissenschaft ist eine Art Pippi Langstrumpf-Methode: 
„Ich mach‘ mir die Welt - widiwidiwitt - wie sie mir gefällt!“

Wie man sich unschwer vorstellen kann, wird die Christliche Methode auf die Dauer in Konkurrenz mit dem naturwissenschaftlichen Ansatz verlieren.
Der flache Planet, der Geozentrismus, der Kreationismus, Masturbationsverdammung, … - solche Nonsens-Konstrukte konnten nur über so viele Jahrhunderte überleben, wenn Christen über erhebliche weltliche Macht verfügten, um diesen Unsinn mit Gewalt durchzusetzen. 
Wer widersprach wurde auf den Scheiterhaufen geworfen. Roma Locuta, Causa Finita.

Unter Maurischer Herrschaft lief es hingegen absolut fortschrittlich. Erst mit der Machtübernahme der Christen steuerte Spanien zurück in finsterste Zeiten.

Wer forschte, tüftelte, las, lief Gefahr, auf dem Scheiterhaufen zu landen. Als in Mitteleuropa während der Aufklärung die Naturwissenschaft erblühten, stritten sich spanische Gelehrte darüber, ob Engel beim Fliegen Seelen transportieren können. 

Unglücklicherweise haben die vielen Jahrhunderte offensiver Christlicher Verblödung dazu geführt, daß auch mit abnehmender weltlicher Macht der destruktiven Christen die Schere im Kopf bestehen blieb.
Naturwissenschaftler stießen bei ihren Beobachtungen immer wieder auf Phänomene, die sie nicht zu veröffentlichen wagten, weil sie durch dekadentes Christen-Denken konditioniert waren.

Der Biologe George Murray Levick (1876-1956) hockte von 1910 bis 1913 mit der berühmten Scott-Expedition in der Antarktis fest und beobachtete mit äußerster Akribie Adélie-Pinguine. 
Was er dort lernte gefiel dem im Viktorianischen England geprägten Gentleman so wenig, daß er seine Beobachtungen zur Sicherheit nur in Griechisch aufschrieb und verfügte, die anrüchigen Teile dürften nicht veröffentlicht werden. Als "verdorbenes Verhalten verbrecherischer Vögel“ deutete er das Gesehene.
Ein volles Jahrhundert später wurden Levicks Schock-Beobachtungen über das Sexualverhalten der antarktischen Frackträger nun aber doch ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. 
Man darf annehmen, daß Ratzi not amused ist.

Was Levick als Erster beobachtete:
scheinbar nekrophiles Sexualverhalten: Versuche von männlichen Jungvögeln, sich mit toten Weibchen zu paaren; offenbar sexuell motivierte Attacken auf Jungvögel; autosexuelles Verhalten: Selbstbefriedigung? Homosexualität; nicht auf Fortpflanzung ausgerichtete sexuelle Aktivität!
Mit einem Wort: Unaussprechliches! Was Verhaltenswissenschaftler heute einordnen und interpretieren können, schockierte Levick und seine Zeitgenossen zutiefst. Es erschien ihm unnormal, unnatürlich. Er musste die beobachteten Verhaltensmuster als sinnlos begreifen, weil sie dem Sinn von Sexualität, so wie er diesen verstand, zuwiderliefen.
Zudem vermochte er es nicht, seine wissenschaftlichen Beobachtungen von seinem moralischen Empfinden zu trennen. Was er sah, war für ihn im Sinne des Wortes böse. […]  
Vier eng beschriebene Seiten füllte Levick mit seinen in griechischer Sprache kodierten Beobachtungen. Er bemerkte "kleine Gruppen von Hooligans" von "erschreckender Verdorbenheit" am Rand der großen Schwärme. Sie belästigten jedes Küken, das ihres Weges kam. Mitunter wurden so attackierte Jungvögel verletzt oder sogar getötet. Levick schrieb: "Die Verbrechen, die sie begingen, sind von einer Art, wie sie in diesem Buch keinen Raum finden soll. Doch ist es tatsächlich interessant zu bemerken, dass, wo die Natur ihnen Beschäftigung zudenkt, diese Vögel wie Menschen durch Faulheit degenerieren."
Kurzum: Wo keine Zucht und Disziplin, da keine Ordnung, stattdessen unnatürliches Verhalten. Ohne Zweifel, diese Vögel waren keine Gentlemen.

Hundert Jahre nach George Murray Levick stellt sich Joseph Ratzinger allerdings immer noch in den Bundestag und redet vom antiquierten „Naturrecht“, nach dem nur der heterosexuelle und auf die Zeugung gerichtete Akt „natürlich“ ist.

Homosexualität gilt bis heute laut KKK als widernatürlich. 
Menschen mit homosexueller Veranlagung haben enthaltsam zu leben und damit basta. Selbstverständlich betrifft das auch alle andere sexuellen Spielarten außerhalb der Ehe, die nicht ausschließlich zum Kinderkriegen dienen.
Analverkehr, Sex mit Verhütungsmitteln, Oralverkehr, Petting, Sex nach der Menopause, Masturbation und alles Außereheliche ist „widernatürlich“ und hat zu unterbleiben.

Wie den Geozentrismus zieht die Kirche diese Absurd-Theorie über Jahrhunderte durch, obwohl sie immer mehr mit der Realität kollidiert.

„Sex zum Spaß“ ist zwar für Katholiken unnatürlich, aber offenbar kommt das in der Natur überall vor.

"Man kann über Homosexualität denken, was man will. Aber man kann nicht sagen, dass es widernatürlich ist", sagt Geir Söli, der Ausstellungsleiter, der nach dreijähriger Vorbereitungszeit im Naturkundemuseum von Oslo 2006 die weltweit erste Ausstellung zur Homosexualität im Tierreich eröffnete.
Die Tiere haben Spaß am Sex – in welcher Konstellation auch immer. Insbesondere treffe dies auf höher entwickelte Tierarten zu: Wale, Delfine, Primaten.
Überall gebe es Beispiele für homosexuelles Verhalten.
Es ist völlig natürlich und biologisch, daß bei allen Spezies Homo-Sex vorkommt.
Die kruden krassen Thesen, von radikal fundamentalistischen Christen à la Kreuznet, daß so ein Verhalten schädlich sei oder gar die Art gefährden würden, kann man getrost verneinen.
Lesbische Schwäne, schwule Giraffen und Zebras, schwule – aber monogame Geier ausgerechnet im Zoo von Jerusalem – all das ist inzwischen breit dokumentiert.
Im Oktober 1999 hatte der damalige CSU-Generalsekretär Thomas Goppel noch voller Emphase über Rot/Grüne Pläne in der Wochenzeitung "Die Woche" geschrieben:

„Die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften wird es mit der CSU nicht geben. Im Biologiebuch kann man lesen, daß das nicht geht“ 
Aber seit wann kümmern sich auch konservative Politpolterer um so etwas Nebensächliches wie Fakten – sie sind auch meistens einfach nur lästig, weil sie so schwer in das christlich-verblendete Weltbild passen. 

Spaß am Sex – bezog sich der Norweger Forscher Geir Söli dabei noch auf Homo-, Bi- und Gruppensex innerhalb einer Art, beobachtete nun der Forscher Nico de Bruyn von der University of Pretoria wie es ein Seelöwe mit einem Königspinguin trieb – nachzulesen im Fachblatt Journal of Ethology.
Dies ist ein natürliches Phänomen – in dem Sinne, daß es in der Natur vorkommt.

Man fragt sich nur wie das in den KKK, den Katechismus der Katholischen Kirche passt.

"Gleichgeschlechtliche Liebe ist unter mehr als 1.500 Tierarten nachgewiesen. Die Wissenschaft hat das nur früher immer schamhaft verschwiegen", sagt Petter Bckman bei der Vorführung der "eindeutigen" Fotos, Modelle, ausgestopften Tiere und erläuternden Texte. Viele Besucher verharren beim Foto der schmusenden Killerwal-Männchen oder unter dem schwebenden Modell der Delfin-Dame, die das Geschlechtsorgan ihrer Partnerin zärtlich mit der schmalen Schnauze stimuliert. Dass Tiere Sex nur zu Zwecken der Fortpflanzung betrieben, sei kompletter Unsinn. "Wir wissen ja nicht, was sie denken. Aber es ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat."

Ein christlicher Biologe hat es schon schwer. 

Denn die Natur ist so fürchterlich unnatürlich.

Forscher berichten von weiblichen Koalas, die andere Weibchen besteigen. Von männlichen Flussdelfinen ist bekannt, dass sie sich durchs Atemloch penetrieren. Die Frage ist bloß, ob das natürlich ist oder nicht? Wie Biologen, Moralisten und Aktivisten das Sexleben der Tiere für ihr Weltbild nutzen.  […]
Weibliche Koalas besteigen andere Weibchen und geben "rülpsende Laute" von sich, wie ein Forscher schrieb. Von männlichen Flussdelfinen weiß man, dass sie sich durchs Atemloch penetrieren.
Über 100 Jahre lang sind solche Beobachtungen als Kuriositäten behandelt worden. Biologen versuchten wegzuerklären, was sie sahen, oder haben es als belanglos abgetan – als Panne im ansonsten eleganten Universum Darwins, in dem jede Facette tierischen Verhaltens auf Reproduktion ausgerichtet ist. Ein Primatologe vermutete gar, dass der Antrieb für Fellatio unter Orang-Utan-Männchen im Bereich der Ernährung liege.
Vor zwei Jahren entschied sich [die Biologin Lindsay C.] Young, einen kurzen Artikel über die weiblichen Albatross-Paare zu schreiben. "Ich war dabei sehr vorsichtig, ich beschrieb nur, was wir sahen", sagt sie. Aber "Biology Papers", die Zeitschrift, die den Artikel publizierte, schickte eine Presseerklärung raus, nur wenige Tage nachdem der Oberste Gerichtshof von Kalifornien die Homo-Ehe legalisiert hatte. Um sechs Uhr in der Früh wurde Young von einem Reporter von "Fox News" angerufen.
Die Zeitungen druckten eine Geschichte nach der anderen, und im Internet wurde Young wahlweise als Kämpferin für Schwulenrechte gefeiert oder ihre Arbeit als "Propaganda und dümmste Ausprägung tendenziöser Wissenschaft" gegeißelt. Viele Kommentatoren wiesen darauf hin, dass es Tiere gibt, die vergewaltigen und ihre Jungen essen; solle man das auch tolerieren, nur weil es "natürlich" sei?
[…] Tom Coburn, ein republikanischer Senator aus Oklahoma, wies auf seiner Website auf Youngs Arbeit hin und titelte: "Bezahlt von Ihren Steuergeldern" – dabei wurde Youngs Forschung gar nicht durch Steuern finanziert.
Der Komiker Stephen Colbert warnte auf Comedy Central davor, dass Albatross-Lesben amerikanische Werte bedrohten. […]
Das Balzverhalten gleichgeschlechtlicher Tiere wurde in der Literatur als "Pseudo"-Werbung dargestellt – oder als "Training". Homosexueller Sex unter Straußen wurde von einem Wissenschaftler als "ein Ärgernis" beschrieben, "das dauert und dauert". Ein Mann, der 1987 den Rotklee-Bläuling-Schmetterling untersuchte, bedauerte es, von "besorgniserregend sinkenden moralischen Standards und schockierenden sexuellen Vergehen" berichten zu müssen.
Und ein Biologe, der sich mit Dickhornschafen beschäftige, schrieb in seinen Erinnerungen: "Ich muss immer noch bei dem Gedanken an die Schafsböcke erschaudern, die einander ständig bespringen. Von diesen herrlichen Tiere als Schwuchteln zu denken – du liebe Güte!"
 (Jon Mooallem, NYT, 19.04.12)