Samstag, 5. Mai 2012

Springers willige Helfer.



Das Gute am Internet ist, daß man durchaus ein plurales Meinungsbild einholen kann.

Das Schlechte am Internet ist, daß vermutlich nur homöopathische Teile der User davon Gebrauch machen. 

Als Mensch mit Meinung stellt sich also die Frage, wie man diese an den Mann bringt, ohne sich zu verbiegen. 
Das gilt übrigens auch für die herkömmlichen Medien.
Ich werde es nie verstehen, wieso die 200 Talkshows im deutschen Fernsehen so massiv um immer dieselben Gäste konkurrieren. 
Man hat schon fast das Gefühl, daß rechte Choleriker wie Arnulf Baring einfach im Fernsehstudio fest getackert sind und zu jedem beliebigen Thema bei Maischbergerillnerwillbeckmannplasbergjauch ihre immer gleichen Ansichten absondern. 
Geht es um ein Thema, das im Entferntesten etwas mit „Internet“ zu tun hat, holt man noch Sascha Lobo dazu, weil er einerseits ob seiner Frisur so einen hohen Wiedererkennungswert hat und andererseits offenbar der einzige deutschsprachige Blogger ist.

Die Typisierung der Talkshowgäste wurde schon oft genug vorgenommen; ich muß das hier nicht wiederholen.

Auf eine Kategorie Meinungsverkünder möchte ich aber eingehen.
 Es handelt sich um den Typus des intellektuellen Enfant Terribles, der ursprünglich mal politisch nicht zu verorten war und dann eine Begeisterung für das Brechen angeblicher linker Tabus entwickelte, so daß er schließlich von einem großen und mächtigen rechten Meinungskonzern engagiert wurde.

Beispiele für diese Art nützliches Idioten-Feigenblatt sind Henryk M. Broder („Welt“), Maxim Biller (FAS), Jan Fleischhauer („Der Schwarze Kanal“ - Spiegel),  Michael Wolffsohn („Welt“) und Gideon Böss („Welt“).

Die Liste dieser schwarzen Provokateure deckt sich in weiten Teilen mit Broders-Blog-Kollektiv „Achgut“, welches ein erlesenes Konglomerat rechten Gedankenguts zusammenbringt:

Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner, Michael Miersch, Wolf Biermann, Gideon Böss, Claudio Casula, Jan Fleischhauer, Dr. Josef Joffe, Matthias Horx, Prof. Dr. Walter Krämer, Vera Lengsfeld, Matthias Matussek, Dr. Patrick Moore, Chaim Noll, Christian Ortner, Dr. Benny Peiser, Karl Pfeifer, Udo Pollmer, Lutz Rathenow, Hannes Stein, Hans-Hermann Tiedje, Arnold Vaatz, Dr. Wolfram Weimer, Benjamin Weinthal, Prof. Dr. Michael Wolffsohn, Gil Yaron

Klassischerweise reagieren diese Autoren hochallergisch auf alles, das irgendwie als „politisch korrekt“, "gutmenschenartig“ oder „multikulti“ bezeichnet werden könnte.

 Das größte Ärgernis ist ihnen aber Komplexität oder Tiefgründigkeit, wie sie beispielsweise der Aktivist, Kabarettist und Aufklärer Georg Schramm vermittelt.

Schramm ist der Comedy-Ebene so weit überlegen, wie die Süddeutsche Zeitung der BILD.

Transatlantikblog und Spiegelfechter ernannten Schramm sogar völlig zu Recht zum „Mann des Jahres 2012.“  
  Der Schockwellenreiter  forderte „Schramm for president“ und dem konnten sich viele große Blogs nur anschließen. Z.B. „Schramm soll Bundespräsident werden" (RhetorikBlog)

Georg Schramm ist kein Kabarettist.
Zutreffend: Er wurde einem größeren Publikum bekannt durch seine Auftritte in Urban Priols “Neues aus der Anstalt” wo er pointierte Auftritte gab als Oberstleutnant Sanftleben oder schrulliges SPD-Fossil August. Dennoch meine ich: Die  Kabarettbühne ist nur eine äußere Form.   Dem Inhalt nach ist Schramm ein messerscharfer Analytiker unserer Zeitläufte. Dabei kommt dem Mann zugute vor seiner Bühnenkarriere zwölf Jahre lang als Psychologe gearbeitet zu haben.   Rhetorisch kommt ohnehin kaum einer an ihn heran. An Ernsthaftigkeit ist nur Dieter Hildebrandt ebenbürtig.
[…] Um Schramm in einen angemessenen Kontext zu setzen, muss man ihn mit Größen anderer Sparten vergleichen.
In der Kombination von Integrität und “heiligem Zorn” hat man wohl an Herbert Wehner zu denken. […]  In seiner rhetorischen Präzision muß Schramm nicht den Vergleich mit Sebastian Haffner scheuen, einen der wortgewaltigsten und integersten politischen Kommentatoren, die Deutschland je hervorgebracht hat. […]
Auch Schramm ist zuwider, wie kraftlos Politik heute ist. Er demonstriert auf der Bühne das Gegenteil. Er formuliert präzise, mutet dem Zuhörer komplexe Schachtelsätze zu in denen er nie den Faden verliert, wird laut, haut mit der Faust nicht nur symbolisch auf den Tisch, poltert, und schreit, bisweilen schwitzend bis zur Erschöpfung seine Anklagen ins Publikum. […]

Gegen so einen werden Springers Internet-Epigonen für’s Grobe aktiv; in diesem Fall war es „Achgut“-Autor Gideon Böss, der für die WELT den Blog „Böss in Berlin“ verfasst.

Als Schramm mit dem Erich-Fromm-Preis geehrt wurde, troff sofort eine Suada aus dem Böss’schen Sudel-Stift. 
Schramm verwechsele sich mit einem Laienprediger und sei schon mal gar nicht komisch. 
Das könne nur saturierten Beamten gefallen, die vom Neid auf die Reichen zerfressen wären. Genau diesen primitiven Impetus bediene sich Schramm.

Der deutsche Humor ist besser organisiert als die meisten Armeen der Welt. Ehrgeiz, Disziplin und Durchhaltevermögen zeichnen ihn aus, wenn er im kalten Februar durch die Innenstädte Süddeutschlands paradiert. Die Uniformdichte liegt dabei nicht wesentlich unter der einer nordkoreanischen Militärparade, das Humorniveau ebenfalls. Wer wann und wie lange lacht, entscheiden das Protokoll und die Hierarchie. Muss ja alles seine Ordnung haben.
Neben diesen winterlichen Aufmärschen gibt es aber noch eine andere Sphäre, in der deutscher Humor sich von seiner ehrlichsten Seite zeigt: im Kabarett. Das große Missverständnis mit dieser Kunstform liegt darin, dass sie eben nicht die Fortsetzung der sonntäglichen Kirchenpredigt mit den gleichen Mitteln sein soll! Weil die meisten Kabarettisten ihren Beruf aber tatsächlich mit dem eines protestantischen Wanderpredigers verwechseln und die Kleinkunstbühne als Laienkirche betrachten, hört man „von der Bühne“ herunter zumeist wütende Anklagen und selten eine gelungene Pointe.
[….] Schramm brüllt auf der Bühne, ist empört und verwünscht die Mächtigen, die Reichen und Erfolgreichen. Das alles für ein verbeamtetes Publikum aus Lehrern, das sich für die Sicherheit einer enorm privilegierten Arbeitsstelle um die Chance gebracht hat, vielleicht selbst einmal richtig mächtig, reich und erfolgreich zu werden (aber auch um das Risiko, dabei pleite zu gehen). Es ist eine Symbiose: Die Lehrer sind die treusten Fans der Kabarettisten und die Kabarettisten schimpfen im Gegenzug über all das, was die Lehrerzimmer der Nation ärgert. Über Dieter Bohlen, die FDP und Josef Ackermann.

So einfach ist das in der Welt der ACH-gut-Schreiberlinge:

Wer den heiligen Kapitalismus kritisiert, ist einfach nur zu faul selbst reich zu werden und ergeht sich nun im Neid. 
Die linken Luschen machen es sich unter der Decke der staatlichen Wohltaten breit und wagen es dann noch über die Leistungseliten zu schimpfen, die ihnen ihr Lotterleben finanzieren!

Das politische Kabarett ist ja nicht das Sprachrohr des „kleinen Mannes“, sondern des „neidischen Staatsbeamten“. Die Georg Schramms, Hagen Rethers und Urban Pirols des Landes bedienen eine Empörungsnische, die großzügig subventioniert und auf die Weltsicht derer zugeschnitten ist, die sozialer Sicherheit den Vorzug vor persönlichem Risiko geben. Kein Wunder, dass solche Leute allen misstrauen, die sich für das Risiko und gegen die Sicherheit entscheiden. Unverzeihlich wird es aber erst, wenn die Risiko-Geher auch noch Erfolg haben und womöglich reicher werden als der gesamte Lehrer-Freundeskreis zusammen, mit dem man dann über die Auswüchse des Kapitalismus neidjammert, ehe am Abend „Neues aus der Anstalt“ etwas Trost spendet.

Mensch Böss, endlich habe ich es erkannt.

Auch ich habe FDP, Ackermann und Rösler nur kritisiert, weil ich insgeheim neidisch auf ihren Erfolg bin. Genau.

Der junge Islamophobe mag die einfachen Antworten und zieht deswegen sarkastisch seine Vorurteile durch deklinierend über die seiner Ansicht nach schlichten linken Gutmenschen her. 

Beispiel:

Auf die Frage, was für gesellschaftliche Hürden es sind, die es Kindern mit zumeist arabischen oder türkischen Migrationshintergrund so schwer machen, in der Schule Erfolg zu haben, passt eigentlich immer eine der folgenden Antwortmöglichkeiten: Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder (seit 2010 im Angebot) Thilo Sarrazin.    Deswegen kam auch keiner der ausstudierten Pädagogen auf die ganz abwegige Idee, zum Beispiel einmal die Familienstrukturen derer zu untersuchen, die in der Schule scheitern. Vielleicht könnte man da einen Teil der Antwort finden. Familien von schulversagenden Migrantenkindern sind aber in der pädagogischen Schubladenwelt fest eingeplant als Menschen, die es „vom System“ schwer gemacht bekommen und immer wieder auf Ablehnung stoßen.

Natürlich wirft sich Böss auf die Seite Sarrazins und mokiert sich über die seiner Ansicht nach in billigen Schablonen denkenden „Linken“, die nicht als applaudierende Sarrazin-Staffage dastehen wollten, als er sich vom ZDF-Kameratross umringt durch Kreuzberg schieben ließ.

Es ist eine billige Provokation, die da abgelaufen ist. Man könnte auch einen Juden durch eine national befreite Zone schicken oder einen Fan von Schalke 04 in den Block des BVB setzen. Überall wäre der Skandal vorprogrammiert. So auch in Kreuzberg.
Es ist bekannt, dass Kreuzberg weltoffen, fröhlich und kreativ ist, aber alles hat natürlich seine Grenzen. Die Kreuzberger Toleranz zum Beispiel deckt folgende Problemfälle nicht ab:  Atomkraft-Befürworter, S21-Unterstützer, Juden, Sarrazin, BILD-Leser, Banker, FDP-Mitglieder, CDU-Mitglieder, ausländische Touristen, Porsche-Fahrer, McDonalds, Aktienbesitzer und Schwule.
Außerdem ist nicht willkommen, wer kein Antikapitalist und kein Antiimperialist ist, wer im Kolonialismus nicht den Hauptgrund für die Probleme Afrikas sieht und den Westen nicht an und für sich schlecht findet. George Bush ist (weiterhin) das Böse, der Papst ebenfalls, dafür Ahmadinedschad aber nicht, weil das rassistisch und islamophob wäre und Rassisten und Islamophobe in Kreuzberg nix verloren haben. Die DDR war kein Unrechtsstaat, die Amis sind am 11. September selbst schuld (auch wegen Südamerika, Pinochet und so, die ganze Außenpolitik halt) und außerdem, wer hat die Taliban denn früher unterstützt? Kriege führt man immer ums Öl, sogar auf dem Balkan, wo es keines gibt. Polizeieinsätze sind Faschismus, der menschgemachte Klimawandel ein Fakt und wer „Deutschland schafft sich ab“ gelesen hat, ein Nazi. Noch schlimmer als lesende Nazis sind aber schreibende Nazis. Und da schließt sich der Kreis, denn Sarrazin hat dieses Buch ja geschrieben und nun wurde er also nach Kreuzberg geschickt, wo der fröhliche Antifaschismus gar nicht anders konnte, als daraufhin Leute zu bedrohen, die mit dem populärsten SPD-Mitglied diskutieren wollten.

Der WELT-Epigone konnte sich bereits in die Herzen der Braunen von „PI“ schreiben.

Vieles ist schon geschrieben worden über Sarrazins Kreuzberg-Besuch. Der Beitrag von Gideon Böss, der sich in seinem Blog mit der Toleranz der Kreuzberger beschäftigt, gefiel uns mit am besten.
(PI Juli 2011)