Dienstag, 20. März 2012

Der ewige Sex.


Vor knapp 30 Jahren haben die Hamburger Behörden Live-Peep-Shows verboten. 
Das war eine echte Lachnummer in der Stadt mit dem vielleicht bekanntesten Rotlichtviertel der Welt: Hamburg-St. Pauli, rund um die Reeperbahn.

Deutlich mehr als eine Millionen Freier gehen in Deutschland PRO TAG zu Prostituierten. Rund 35.000 Frauen sollen allein in Hamburg anschaffen gehen.
Und nun auf einmal kam jemand auf die Idee, daß ausgerechnet Peep-Shows, wo also immerhin geschützt vor grabbelnden Freiern, hygienisch korrekt und sicher hinter Glas kopuliert wird, unsittlich wären.
Sex auf der Reeperbahn? Das war ja mal ganz was Neues.

Im Sommer 1982 urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, die Zurschaustellung nackter weiblicher Körper in dieser Form verstoße gegen die "guten Sitten" und verletze die Würde der Frau. Zum Jahresende 1983 erhielten die Hamburger Peepshows in St. Georg und auf St. Pauli die behördliche Aufforderung, dichtzumachen. Die Frauen gingen sogar auf die Straße, um gegen die Entscheidung zu demonstrieren - ohne nachhaltigen Erfolg
Im Zuge dieser rechtlichen Neuerungen bin ich damals natürlich an einem der letzten Tage auch in eine Peepshow gegangen. Was gar nicht so einfach war, da sich die Behörden durch die Schließung schon zum Gespött der ganzen Stadt gemacht hatten, in allen Zeitungen darüber berichtet wurde und ein dementsprechender Andrang herrschte.

Wie das damals so üblich war, hatte ich „auf dem Kiez“ noch ein paar Freunde aus meiner Schule getroffen und um die Warterei zu verkürzen, haben wir uns mindestens zu dritt in diese Peepshow-Kabinen gepresst. 
Das haben aber alle so gemacht und insofern hörte man aus den Nachbarkabinen eher Gelächter statt Gestöhne.
Der Live-Koitus wirkte unter den Vorzeichen eher wie eine Kuriosität als eine Schlüpfrigkeit.
 Ich weiß nur noch, daß ich es nicht glauben konnte wie unglaublich gelangweilt die Dame bei ihren Verrenkungen aussah (sie hätte sich auch dabei die Fingernägel feilen oder Topflappen häkeln können) und zweitens war das Gerät, mit dem der männliche Darsteller arbeitete, so grotesk überdimensioniert, daß wir uns alle sofort besorgt fragten, wie eigentlich normale Männer anschließend noch mal Sex haben sollten, ohne Minderwertigkeitskomplexe zu bekommen.
 
Auch wenn die Darstellerin offensichtlich nicht voller Elan bei ihrer Arbeit war, so dürfte ihr das besser gefallen haben als die Alternative: Fast alle Darstellerinnen gingen anschließend nämlich wieder auf den Straßenstrich, wo man kein geregeltes Einkommen hat, friert, Gewalt ausgesetzt ist und sicherlich weit weniger appetitliche Kopulationskomparsen konsumiert.

Kurz nach dieser Geschichte war ich mal in einer hauptsächlich von eher nicht heterosexuell Orientierten besuchten Bar und habe mit einem großen Haufen Lesben darüber diskutiert, ob sie sich nun zukünftig vermehrt vor Vergewaltigern fürchten müssten.

Schließlich wäre es für eine Lesbe noch weit schlimmer vergewaltigt zu werden.
 Darüber sollte ich mir als Mann kein Urteil anmaßen - aber die Theorie bezweifele ich sehr stark. Stimmte die Theorie, hieße das im Umkehrschluß, daß die Vergewaltigung einer heterosexuellen Frau nur halb so wild sei, weil sie den Akt ja prinzipiell gewohnt wäre.

Grundsätzlich aber stellte man sich vor, daß Peepshows eine sehr hygienische Triebabfuhrmethode wären, die den notgeilen Männern ihre Gelüste erst mal befriedigen, so daß sie sich dann nicht mangels (freiwilliger) Alternative mit Gewalt an jemanden vergreifen müßten.
Die Theorie kam mir schon viel sinnvoller vor. 

Ich habe aber nie etwas darüber gelesen, ob nach Schließung der Peepshows die Vergewaltigungen signifikant messbar zugenommen hätten.

Dennoch trauere ich den Live-Peepshows irgendwie hinterher.
 Das war so eine schön niederschwellige Geschichte: Sehr billig, ungefährlich für alle Beteiligten und die Männer waren mit einem kleinem Papierkorb und einer Kleenexbox zufrieden.

Für den gehemmten Sexanfänger ist eine „richtige“ Prostituierte doch sicherlich eine ganz andere Nummer. Viel teurer und außerdem erfordert es ein gewisses Selbstbewußtsein. 

Naja, andererseits; so schwierig kann es ja nicht sein, wenn über eine Million Männer das in Deutschland jeden Tag hinkriegen.

Kurz nach den alten Live-Peep-Shows tauchten die Video-Peepshows auf.

Die waren legal und im Zeitalter bevor jeder einen VHS-Rekorder zu Hause hatte auch sicherlich eine Marktlücke. 
Völlig unklar ist mir hingegen wieso in dem Fall nicht gilt:
 „die Zurschaustellung nackter weiblicher Körper in dieser Form verstoße gegen die "guten Sitten" und verletze die Würde der Frau.“
Kopulationen im Studio vor Regisseur, Beleuchtern, Ton- und Kameramann sind sittlich akzeptabel und wenn stattdessen hinter halbblinden Glasscheiben irgendwelche Anonymixe Mark-Stücke in Schlitze stecken, ist das bähbäh und gehört verboten?

Man müßte mal Alice Schwarzer fragen, wie das zu erklären ist.
 Fragt sich nur wie sehr die Vorzeige-Feministin noch als Moral-Ikone taugt, nachdem sie ihre Seele an BILD, Merkel und die CDU verkauft hat.

Auf der Reeperbahn gibt es übrigens auch heute noch Live-Sex. 
Aber vor großem Publikum in den berühmten Clubs der Großen Freiheit. Da treiben es auch zwei junge Menschen mit überdimensionierten Genitalien auf einer Drehbühne. Das Publikum sitzt aber nicht in Einzelkabinen, sondern einem theaterartigen Auditorium, hat eine Menge Eintritt bezahlt und kann den mannigfachen und nackten Kellnern und Kellnerinnen Geldscheine in den Tanga stecken.

Das verstößt offenbar auch nicht gegen die guten Sitten.

Vielleicht weil die armen Wichser, die sich nur für ein oder zwei Euro Sex leisten können, ausgesperrt bleiben? 
Man weiß es nicht.

Meine Peepshow-Erfahrung als Teenager mit meinen Klassenkameraden war insofern in einer ganz anderen Zeit, da wir alle vermutlich bis auf unsere eigenen (spärlichen) Erfahrungen noch kaum jemals andere bei diesen Aktivitäten gesehen hatten.

Das ist heute natürlich vollkommen anders. 
Kaum denkbar, daß ein 16-Jähriger des Jahres 2012 noch nicht im Internet sämtliche Pornovarianten durchgeklickt hat, die ich mir als 16-Jähriger noch nicht mal vorstellen konnte.

Gibt es dadurch jetzt mehr oder weniger Sex-Verbrechen? Animiert das die Kinder? Werden sie verdorben, wie die Kirche unkt?
 Oder aber werden sie abgeklärt und abgestumpft? Kriegen sie womöglich massenhaft Minderwertigkeitskomplexe, weil ihnen tagtäglich Kopulations-Szenarien geboten werden, denen sie körperlich gar nicht gewachsen sind?

Ich weiß es nicht.

Interessanterweise steigt aber das Alter, in dem man „sein erstes Mal“ erlebt derzeit an.
 Seit den 1960er Jahren haben die Jungs und Mädels nicht mehr so lange gewartet wie heute.

Das Gute am heutigen Internetsex-Zeitalter sind aber Leute wie Ogi Ogas und Sai Gaddam, die 55 Millionen Sex-Suchanfragen und Millionen erotischer Geschichten und Kontaktanzeigen im Internet ausgewertet haben, um ein statistisches Bild zu erstellen worauf die Leute eigentlich wirklich abfahren. Was stimuliert sie, wonach suchen sie ganz konkret, wenn es um Sex geht?

Die Antworten gibt es als Buch und teilweise als Interview abgedruckt im letzten SZ-Magazin. 

Zusammenfassend ist es so, daß Männer primitiver zu stimulieren sind als Frauen. 
Sie interessieren sich für Hintern, Brüste und, hört, hört: Penisse. 
Frauen hingegen sind komplizierter und phantasievoller. 

What else is new? 

Wir sind eben doch nur Bonobos ohne Fell!

Sie schreiben: »Alles, was man sich nur vorstellen kann, existiert bereits im Web als Pornografie.«

Genauso ist es. Und wir wollten jede Sexpraktik, über die wir schreiben, selber angesehen und mit Menschen gesprochen haben, die sie praktizieren.
Was war das Seltsamste, was Sie im Netz gefunden haben?

Kennen Sie in Deutschland Calvin und Hobbes?

Der Cartoon über einen rebellischen Jungen, der Lehrer und Eltern zur Verzweiflung treibt, und seinen imaginären Freund, einen Tiger?

Genau der. Im Internet gibt es eine Zeichnung, in der Calvin und der Tiger einen recht explizit dargestellten Dreier mit Calvins Mutter haben. Dieser Comicstrip ist so detailliert gemalt, es muss einen ganzen Tag gedauert haben, das anzufertigen. Das kann man abartig finden, aber es ist doch erstaunlich, auf welche Ideen das menschliche Gehirn beim Thema Sex kommt. Und es gibt eben auch wunderbar fantasievolle Umsetzungen. Am kreativsten sind wahrscheinlich alle Bereiche von Dominanz- und Unterwerfungsfantasien. Übrigens eine der wenigen sexuellen Fantasien, in der sich Männer und Frauen sehr ähnlich sind.

Wie unterscheiden sich Männer und Frauen, wenn sie im Internet nach Pornografie suchen?

Männer sind sehr einfach zu erregen. In Gefängnissen malen sich Männer etwa Strichfiguren beim Sex an die Zellenwand, das reicht notfalls als Stimulierung. Eine Frau braucht gleichzeitige multiple Stimulierung, ein bloßer visueller Reiz reicht dafür selten. Das Einzige, was Frauen weltweit gern sehen, sind Hintern von Männern. Aber bei Weitem nicht so gern, wie Männer Frauenhintern ansehen. Frauen mögen erotische Geschichten mehr als die bloße Abbildung von Sex.
[…]
Männer suchen nicht unbedingt sehr schlanke Frauen.

Männer suchen erotische Fotos von gesund aussehenden Frauen, und wenn sie die Wahl haben zwischen unter- oder übergewichtigen Frauen, nehmen sie die übergewichtigen. Wir haben uns die 200 beliebtesten weiblichen US-Erotikdarstellerinnen angesehen und ihren Body-Mass-Index. Er lag im gesunden Bereich. Nicht darunter.

Was die Erotikindustrie als Schönheitsideal vorgibt, etwa übergroße Silikonbrüste, ist nicht unbedingt das, was Männer am Computer suchen?

Nein, Männer bevorzugen Amateurdarstellerinnen mit natürlichen Körpern. Wissen Sie, was interessant ist? Auch heterosexuelle Männer sehen sich sehr gern große Penisse an.

Stellen sie sich vor, es wäre ihr eigener?

Nein, darum geht es nicht. Bei Affen sind Penisse ein sehr wichtiges und sichtbares soziales Werkzeug, das Aggression oder Erregung zeigt; alle männlichen Primaten achten sehr auf die Geschlechtsteile ihrer Konkurrenten. Es ist eher eine Art sexuelle Information als erotische Faszination. Männer sind sich übrigens sicher, dass Frauen auch gern große Penisse sehen wollen – ganz falsch.

In Ihrem Buch erklären Sie sehr viel mit unserer Abstammung und vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden entstandenen Prägungen. Sind wir immer noch Höhlenmenschen?

Manche Verhaltensweisen unserer Sexualität haben ihren Ursprung in einer Zeit noch vor den Höhlenmenschen. Der fundamentale Unterschied im Design des männlichen und weiblichen Gehirns ist: Männer sind darauf programmiert, bei Frauen auf den Körper zu achten, Frauen bei Männern dagegen auf die Persönlichkeit. Das ist so, seitdem wir soziale Primaten wurden. Die meisten sexuellen Verhaltensweisen von Männern und Frauen lassen sich so bis heute erklären.
(SZ-Magazin)