Dienstag, 21. Februar 2012

Nachbeben

Einer der wenigen lustigen Aspekte an dem Rücktritt des Maschmeyer-Freundes Wulff und der Installierung des Maschmeyer-Freundes Gauck ist es zu beobachten, wie a posteriori alle Parteien versuchen die Deutungshoheit zu behalten.

In der allgemeinen Begeisterung und des sich gegenseitig Beglückwünschens, ist es natürlich wichtig diese ewig nörgelnden Internetheinies (Kritiker der Vorratsdatenspeicherung, Occupy-Aktivisten,..) in die Schranken zu weisen, die auch schon der Meister der Sprache, nämlich Gauck selbst, als „albern“ und „kindisch“ bezeichnete.

Claus Christian Malzahn findet deutliche Worte. 
Diese verdammten Linken aus dem www verwendeten Stasi-Methoden, versucht Springers rechtestes Blatt zu belegen, indem es den Begriff „Desinformationskampagne" aus dem  „Dienstgebrauch bestimmten Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)“ zitiert. 
Wer nicht für Gauck schwärmt sei außerdem zu doof, um die deutsche Grammatik zu beherrschen!

 Das Internet-Märchen vom bösen Joachim Gauck.
 Seit dem Rücktritt Christian Wulffs schwappt eine denunziatorische Welle gegen seinen Nachfolger durchs Internet.  […]  Doch wie man aus einem redlichen Bürgerrechtler ein Rechtsausleger macht, der Finanzmärkte verteidigt, Sarrazin lobt und Vorratsdatenspeicherung begrüßt, ist zurzeit im Internet zu besichtigen – und zwar am Beispiel des künftigen Bundespräsidenten.   Man nehme ein Interview, kürze unter Missachtung grammatikalischer Regeln die differenzierten Aussagen auf ein, zwei Satzfetzen herunter – und schreibe diese Fragmente dann oft und falsch voneinander ab. Schon ist die Bühne frei für alle, die schon immer ahnten, dass Gauck ein Gaukler ist.

Ja, so ist das. Wer es wagt Gauck zu kritisieren ist so schlimm wie die Stasi, wenn nicht noch viel perfider!

Die Politiker, die die bösen Gerüchte aus dem Netz ernst nehmen, können in der Malzahn-Logik natürlich nur welche sein, die selbst in der Stasi waren:

Die Linkspartei attackiert Gauck seit Tagen als „Präsident der kalten Herzen“. Dass die Partei mit den größten Stasi-Problemen in Deutschland ein Problem mit dem bekanntesten Stasi-Jäger haben würde, hätte man fast geahnt. Doch der Anti-Gauck-Reflex hat nun auch Teile der Grünen und der türkischen Community erfasst.

Zum Glück sehen das die Freunde des Springerverlages anders und jubeln begeistert in den höchsten Tönen vom designierten Buprä Nr. 11.

Joachim Gauck bescheinigte Thilo Sarrazin einst Mut für dessen Thesen […] Der Gelobte revanchiert sich nun: Er freue sich, dass Gauck Bundespräsident werde.
[…] "Ich hätte mir schon im Jahr 2010 Gauck als Bundespräsidenten gewünscht und bin sehr froh, dass es jetzt so kommen wird", sagte Sarrazin am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.
Er schätze den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und Pastor sehr. "Ich habe Achtung vor dem Mann und Respekt vor seiner Lebensleistung. Und Gauck ist des wohlgesetzten Wortes mächtig, eine Fähigkeit, die in seiner zukünftigen Position nicht ganz unwichtig ist", sagte der SPD-Politiker.

 In der Malzahn-Suada wurden alle irgendwie als „links“ zu bewertenden Personen für ihre freche Nichtansteckung an der Gauckomania abgewatscht. 
Dezent schweigt der Welt-Autor allerdings über einige Gauck-Immune von 2010.

Heute lobt der Meister-Positionswechsel und derzeitige Aushilfs-Wulff Horst Seehofer den Kandidaten Gauck über den grünen Klee. 
2010 fand man ihn in der CSU hingegen noch so fürchterlich, daß man dem jetzt so Bejubelten noch nicht einmal zuzuhören wagte!

Der Juni vor zwei Jahren erzählt noch eine ganz andere Geschichte. […]
Gauck war zu den Bayern gekommen. Er wollte im Plenarsaal des Landtags über die "Personalie Gauck" reden, wie er es formulierte. Es war seine Bewerbungsrede. Es ist sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass an diesem Mittwoch der ganze Landtag ein bisschen unter Strom stand. Eine Partei versuchte aber so zu tun, als wäre dies einfach nur ein ganz gewöhnlicher Tag: die CSU. Sie behandelte den seit Sonntag so gefeierten Gauck wie Luft. Die CSU hatte für diesen Vormittag ihre Fraktionssitzung angesetzt, die direkt gegenüber vom Plenarsaal stattfindet. Es waren bemerkenswerte Eindrücke, die sich den Journalisten damals boten. Es gibt ein Fenster in den Plenarsaal. Man hätte Gauck bei seiner Rede sogar zuschauen können - wenn man gewollt hätte. Von dort aus sind es nur vielleicht 20 Schritte zum Fraktionssaal der CSU. Aber deren Abgeordnete taten so, als verliefe dazwischen eine hohe Mauer.    Draußen sagte Gauck zu Abgeordneten: "Sie wollen mich kennenlernen? Die Gelegenheit wird nicht ausreichen." Drinnen arbeiteten die CSU-Abgeordneten diszipliniert wie selten die Tagesordnung ab. Der frühere Parteichef Erwin Huber gehörte damals zu jenen, die auf dem Weg zur Fraktion sagten: "Ich bin innerlich festgelegt" - ein Gauck werde ihn nicht umstimmen. Auch Markus Söder, damals noch Umweltminister, schenkte sich den Gauck-Auftritt.[…]
 [FDP]-Fraktionschef Hacker, der Gauck zwar auch kurz zuhörte, sagte hinterher: Die FDP stimme geschlossen für Wulff.

Und auch noch vorgestern klangen CDU und CSU, die sich heute Kritik am Supergauck verbitten, noch anders. Vor 48 Stunden galt der Ost-Pfarrer noch als unwählbar.

Allerdings hat Parteichef Philipp Rösler das Gremium in der Telefonschalte offenbar auf seine Linie eingeschworen. Und die lautet: FDP für Gauck. Nach Informationen der SZ ist das jedoch eine rein taktische Linie.
Für den angeschlagenen Rösler ist Gauck Teil der Verhandlungsmasse gegen den Plan Merkels, einen Konsenskandidaten zu benennen. Röslers Motivation: Er muss unbedingt Stärke demonstrieren. Seine politische Zukunft hängt ohnehin am seidenen Faden. Wenn er jetzt noch den Eindruck erweckt, er ließe sich von Merkel über den Tisch ziehen, dürften seine Tage als Parteichef schneller gezählt sein, als ihm lieb ist.
Rösler weiß, dass Merkel nicht für Gauck votieren kann. Das wäre das endgültige Eingeständnis ihrer Fehlentscheidung, 2010 Wulff nominiert zu haben. Um auf Gauck zu verzichten, soll Merkel jetzt auf den Anspruch verzichten, einen All-Parteien-Kandidaten aufzustellen. In der Bundesversammlung hätte schwarz-gelb eine knappe Mehrheit. 

Merkel erniedrigte sich regelrecht vor dem Politazubi Rösler und sank coram publico vor ihm auf die Knie, um Gauck zu verhindern. 
Stur beharrte der Vizekanzler darauf die Person zu wählen, die er noch vor 20 Monaten strikt ablehnte und stattdessen Wulff ins Schloß Bellevue hievte.

Es ist der Kandidat, den die Union zuvor in den Gesprächen abgelehnt hatte. Es wäre das Eingeständnis, dass die Nominierung Christian Wulffs im Jahr 2010 ein riesiger Irrtum war. […]
Die Bundeskanzlerin zieht sich mit Philipp Rösler zum Vier-Augen-Gespräch zurück. So könne man doch nicht miteinander umgehen, sagt sie. 
Absolut inakzeptabel für CDU und CSU nennt Merkel den Kandidaten Gauck.
 „Philipp, komm zur Vernunft“, fleht sie. Die FDP solle den Unionskandidaten Klaus Töpfer akzeptieren, die SPD werde ihn ebenfalls mittragen. „Philipp, bitte!“
Doch Philipp Rösler hört nicht. [...]
 „Dafür lässt Angela Merkel doch keine Koalition platzen“, sagt Kubicki, als das Präsidium am Sonntagnachmittag miteinander telefoniert. […]
 Gut möglich, dass ein Gerhard Schröder an diesem Punkt die Koailtion wirklich beendet hätte. SPD-Chef Sigmar Gabriel jedenfalls sagt, wenn die Grünen zu rot-grünen Regierungszeiten einen Parteibeschluss herbeigeführt und auch noch öffentlich gemacht hätten, der klar im Gegensatz zur Kanzlermeinung gestanden hätte – „der Abend wäre deutlich unruhiger verlaufen“. […]
 Die Freien Demokraten erklären: Gauck bleibt unser Kandidat. Die Union schäumt – und zieht sich abermals zu Beratungen zurück. Erpressung und Vertrauensbruch, das sind die Begriffe, mit denen die Union das Verhalten der FDP beschreibt, auch ganz offen. Gurkentruppe und Wildsau, so zärtlich geht es nicht mehr zu. Es gibt Leute in der Union, die sich wünschen, Merkel hätte die FDP vor die Wahl gestellt. „Die wären doch in die Knie gegangen“, schimpft ein wichtiger Unions-Mann. „Wo sind die gerade? Bei drei Prozent? Oder bei zwei?“ Neuwahlen, könne sich doch die FDP am allerwenigsten leisten.
Und doch gibt die Kanzlerin nach.

Es ist schon lustig, während die einen die Gauck-Kür als blamable Niederlage der Kanzlerin werten (Merkels größte Schmach! Die Kanzlerparteichefin ist einsamer geworden an diesem Wochenende. Und schwächer. - Christoph Schwennicke, Spon 20.02.12), feiern sie andere als Meistertaktikerin.

Merkel aber hat in diesen zwei Tagen nach dem Rücktritt ihres zweiten Bundespräsidenten wieder einmal unter Beweis gestellt, dass sie sich wie kaum ein anderer aufs Taktieren versteht. Vom CDU-Präsidium ließ sie sich freie Hand für die Gespräche mit FDP und CSU wie mit SPD und Grünen geben. Am Ende kam es zu einer auch für sie beinahe Ideallösung – die sie womöglich sogar von Anfang an im Sinn hatte. Sie hat die Deutschen mal wieder überrascht. Positiv – diesmal.

Bei Wulff war es einfacher für die Presse, alle waren gegen ihn.

Gegen Gauck gackern nur ganz wenige.

Denn Gauck ist nicht der Kandidat aller Herzen, wie von Bild bis Grünen-Spitze jetzt viele suggerieren. Im Gegenteil: Dieser Präsident wird das Land stärker spalten, als es die meisten seiner Vorgänger vermocht hätten.  Gauck polarisiert - und das schon lange.
 […] Ob in Sachen Hartz IV, Afghanistankrieg oder Finanzkrise, ob im Streit über Atomkraft oder Stuttgart 21 - Gauck stand stets eher auf der Seite jener Politiker, die ihre "Wahrheiten" gegen andersdenkende Mehrheiten durchzusetzen suchten. Mit ihm zieht ein Mann ins Schloss Bellevue, dessen oberflächlicher Freiheitsbegriff dem der FDP weit nähersteht als dem Denken der beiden Parteien, die ihn schon 2010 auf den Schild gehoben haben. 
 (Daniel Bax 20.02.12)

Und in der taz-Kolumne geht es richtig hoch her.

Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu machen. Dabei trieb ihn keineswegs ein sympathisches grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen im Allgemeinen und Geheimdiensten im Besonderen, das zuweilen unter amerikanischen Konservativen zu finden ist.
Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus. So meinte er im Sommer vorigen Jahres zur Beobachtung von Politikern der Linkspartei: "Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt." Alles, was Joachim "Behörde" Gauck an Intellektualität, Freiheitsliebe und kritischem Geist zu bieten hat, steckt bereits in diesen zwei Sätzen.
 Freilich hat sich Gauck nicht erst nach seiner gescheiterten ersten Kandidatur ideologisch zwischen Martin Walser, Erika Steinbach und Stefan Effenberg verortet. Ein reaktionärer Stinkstiefel war er schon vorher.
So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit "allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen", will das "normale Gefühl" des Stolzes aufs deutsche Vaterland "nicht den Bekloppten" überlassen, missbilligt es, "wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird", besteht darauf, dass der Kommunismus "mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus", trägt es den SED-Kommunisten nach, das "Unrecht" der Vertreibung "zementiert" zu haben, indem "sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", und fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, "ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen".

Wenn das der Malzahn hört, erleidet er eine Tachykardie.

Eigentümlicherweise schließt sich links und rechts der Anti-Gauck-Kreis.

Die frommen Katholiken sind entsetzt, daß schon wieder ein ehebrechender Protestant mit seiner Kebse ins höchste Staatsamt einziehen soll.

 Kreuznet schäumt und auch in der CSU findet man Gauck müsse aber heiraten und könne nicht „in wilder Ehe“ Bundespräsident sein. Schon seit dem Jahr 2000 lebt er nämlich mit der Journalistin Daniela Schadt zusammen und wird als erster Bundespräsident eine nicht eheliche First Lady an seiner Seite haben.

Wilde Ehe im Schloss Bellevue? Das ist eine Vorstellung, die nicht jedem in der CSU gefällt: Der CSU-Familienpolitiker Norbert Geis hat den Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, aufgefordert, seine persönlichen Beziehungen zu klären. "Es dürfte wohl im Interesse des Herrn Gauck selbst sein, seine persönlichen Verhältnisse so schnell als möglich zu ordnen, damit insoweit keine Angriffsfläche geboten wird", sagte der Bundestagsabgeordnete der "Passauer Neuen Presse".
(Spon 21.02.12)

Doch, ich bin positiv überrascht wie lustig die Gauck-Nachwehen sich gestalten. 
Ich freue mich schon darauf, daß er echte Verbal-Lübkes im Amt loslassen wird und sich Özdemir und Nahles jedes Mal in Grund und Boden schämen.

Überhaupt nicht lustig ist hingegen was die Journalistin Claudia Keller heute verzapft hat.

Sie erklärte, daß nur ein Gläubiger über die nötige moralische Autorität verfüge das Amt auszufüllen. Atheisten dächten nämlich nicht über den Tag hinaus. 
Etwas Dümmeres habe ich schon lange nicht gehört.

Acht der zehn bisherigen Staatsoberhäupter waren Protestanten. Die meisten waren es nicht nur auf dem Papier, sondern engagierten sich intensiv in ihrer Kirche. Gustav Heinemann war Mitglied der Bekennenden Kirche, Richard von Weizsäcker Präsident des Kirchentages, Roman Herzog Synodaler. Heinrich Lübke und Christian Wulff sind die katholischen Ausnahmen.    
 Einen Konfessionslosen gab es noch nie in diesem Amt. Das ist kein Zufall. Der Bundespräsident sollte jemand sein, der über den Tag hinausdenkt und gesellschaftliche Zusammenhänge vor einem Horizont zu deuten vermag, der den Alltag übersteigt.  Wer an Gott glaubt, hat einen solchen Horizont. Er weiß, dass es eine Alternative gibt, dass das Naheliegende nicht immer das Beste ist.

Was mich daran wirklich aufregt, ist, daß eine ganz normale Journalistin vom irgendwie noch links-liberalen Tagesspiegel aus dem hochseriösen Holtzbrinck-Verlag so etwas schreibt.

UND KEINEM FÄLLT AUF WAS DAS FÜR EIN BLÖDSINN IST UND WIE SEHR DAS EINE BELEIDIGUNG FÜR ALLE HUMANISTEN IST!

Würde sich ein Pfaff oder ein Bischof oder ein CDU’ler so äußern, störte mich das weit weniger. Da weiß ich, daß die sich so äußern (müssen).

Aber wieso plappern auch Leute so was raus, die es besser wissen könnten????

Brech Kotz Würg.