Dienstag, 24. April 2012

Man kommt ja ganz durcheinander.




Auf dem neuen SPIEGEL prangt in BILD-artig großen Lettern die Überschrift „Avanti Dilettanti“

Huch, was hat denn Schwarz-Gelb nun wieder verbockt, fragte ich mich. Bis ich bemerkte, daß mein Adressaufkleber so unglücklich über dem Untertitel klebte, daß nur das Wort „Piraten“ in „Wie die ......... Politik versuchen“ verdeckt wurde. Ich dachte natürlich instinktiv es ginge um CDU oder FDP.

Ach so; es geht schon wieder um die Piraten. Jene neue Liquid-Feedback-shitstorm-Gruppe, die gerade Angela Merkels bester Wahlhelfer ist.

Ich finde es schlimm was dieses sogenannte „Phänomen“ für die politische Großwetterlage bedeutet und ich finde es erschreckend wie naiv und unvorbereitet die heterogene Gurkentruppe in die Parlamente stolpert.
Und ich finde es schlimm mit wie wenig der Urnenpöbel zufrieden ist, wie willig er auf rumpelige in ungewisse Zukünfte rollende Züge aufspringt.

Ich habe mich bei jeder Gelegenheit gegen den linken Mainstream bezüglich der Volksbefrageritis geäußert. 
Ich halte wenig von dem politischen Urteilsvermögen der Profi-Parlamentarier.
 Aber noch übler sieht es bei der „breiten Masse“ aus, wie jede Straßenumfrage und jedes Online-Votum und jedes Dagegen-Bürgerbegehren belegt.

Natürlich können solche Anliegen auch richtig und wichtig sein - siehe Stuttgart 21. 
Aber wenn es bei den großen Themen zum Schwur kommt, obsiegt meist die Schwarmverblödung. 
Nun muß Stuttgart21 gebaut werden, nun ist es aus mit einem sinnvolleren Schulsystem in Hamburg und allein in dieser Hansestadt haben hunderte kleinere Bürgerbefragungen alles gestoppt, was man stoppen kann.

Kinderhorte, Behinderteneinrichtungen, Fixerstuben, Asylantenunterkünfte, Altenheime - nichts hat eine Chance, wenn man vorher die Nachbarn explizit fragt.

Deswegen von meiner Seite ein großes Nein für die Basisdemokratie-über-alles-Ideologie.

Das bedeutet noch lange nicht, daß man die Meinungsfreiheit im Internet einschränken soll, wie es Unionspolitiker immer wieder gerne fordern.
Ein Shitstorm ist sicher unschön, wenn man derjenige ist, auf den er herniederregnet. 
Shitstorms mögen ungerecht sein. 
Shitstorms mögen jede Menge virtuelle notorische Scheißer anziehen, um wie kleine Teufelchen auf die größten Kackehaufen zu kacken.
Dennoch können sie durchaus auch die Richtigen treffen und Konsequenzen auslösen. Insbesondere, wenn die herkömmliche Presse gepennt hat und die ungeheuerlichsten Aussagen passieren läßt.

Unterm Strich:
Nein, ich bin kein Piratenfan, aber es stört mich erheblich mehr, wenn eine amtierende Regierung nach dem Motto „Avanti Dilettanti“ verfährt, wie das augenblicklich der Fall ist.

Da wird nicht nur ökonomisch, sozial und finanziell alles falsch justiert, nein, die Merkel-II-Regierung zertrümmert auch noch das außenpolitische Porzellan, springt auf rechtsextreme Töne, wie sie Sarkozy abläßt, auf und ruiniert die Zukunft.

Unsere Kinder und Enkel werden uns verfluchen, wenn wir Europa zerfallen lassen. Denn in einigen Jahrzehnten wird die wirtschaftliche Bedeutung Europas in der Welt nicht mehr so groß sein. Und wenn wir dann noch eine Stimme haben wollen im Konzert der Weltpolitik, dann werden wir eine Stimme haben müssen und nicht 27. Es ist schwer vorstellbar, dass dann der chinesische Ministerpräsident 27 Staats- und Regierungschefs nacheinander anruft um zu fragen, was deren Meinung ist zu Fragen von Krieg und Frieden, Klimaschutz oder Welthandel. Und deshalb steht und fällt die Zukunft Europas mit der Einigkeit Europas.
(Sigmar Gabriel via Facebook am 24.04.12)

 Daß die Piraten die falsche Stoßrichtung für den Dilettantismus-Vorwurf sind, schwant inzwischen auch den SPON-Leuten und so prangt dort im Moment:

„Koalitionschaos unter Merkel: Deutschlands oberste Piratin“

Wohl wahr.

Großes Tohuwabohu muss man in der deutschen Politik gar nicht bei den Piraten suchen. Man findet es auch in der Riege der etablierten Kräfte des Parteiensystems: bei Union und FDP. Die schwarz-gelbe Koalition sorgt selbst für ein Durcheinander, wie es eine Partei in der Selbstfindungsphase nicht besser anrichten könnte. Und die Kanzlerin lässt es geschehen. […]
Tatsächlich wird derzeit immer offener die Frage gestellt, ob die Koalition nicht schon vorzeitig zerbrechen könnte. "Wie lange geht das noch gut?", fragt am Dienstag die "Bild"-Zeitung. Auch die bürgerliche "FAZ" äußerte bereits Zweifel: "Will diese Koalition zusammenbleiben?"  […]
Dauerstreit bei den Inhalten: Das inhaltliche Erscheinungsbild der Koalition ist derzeit alles andere als harmonisch. Egal, worum es geht, die Fronten verlaufen quer durch die Koalition, Machtworte verhallen ungehört. Betreuungsgeld, Renten, Frauenquote, Mindestlöhne, Finanzsteuer, Praxisgebühr, Pendlerpauschale, Vorratsdatenspeicherung - einheitliche Positionen? Fehlanzeige. Die Selbstblockade wird zum Regierungsprogramm.
[…] Zu tief sind die Gräben vor allem bei den aktuellen Großbaustellen: Bei der Vorratsdatenspeicherung hat sich die FDP eingebunkert, jetzt drohen Strafzahlungen nach Brüssel - und kein Kompromiss ist in Sicht. Genauso wenig beim Betreuungsgeld, dem teuren Herzensanliegen der CSU. Hier versucht die CDU den Frieden mit einer Elternrentenkorrektur zu erkaufen, die noch einmal Milliarden Euro kosten würde - mitten in der Schuldenkrise. "Irre", finden das sogar Unionsabgeordnete.

Oder werde ich doch noch eines Tages aufwachen und feststellen, daß der Amtsantritt des großen Guido Wasterwave und seiner Loser-Truppe im Herbst 2009 doch nur ein Comedy-Alptraum war?

Merkel scheint alles egal zu sein; nun ja, wir wissen ja auch, daß sie sich für politische Dinge grundsätzlich nicht interessiert.

Nur bei ein ganz paar wenigen Punkten hält sie Kurs und läßt sich nicht beirren - bei den absolut kontraproduktiven und schädlichen Gaga-Plänen, wie der Herdprämie nämlich. 
Herdprämie will Angie unbedingt.
 Klar, denn das ganze Projekt ist durch und durch schlecht und gefährlich. Dafür setzt sich die „Physikerin der Macht“ gerne ein. Daß noch nicht mal ihre Parteiuntergebenen daran irgendetwas Positives finden können, stört die Vorsitzende nicht. 
 Schließlich sind alle komplett Rückgrat-entkernt und machen jeden Unsinn mit.

 Das geplante Gesetz ist zum Symbol geworden für eine verstockte Politik, deren einziges Ziel es ist, einer maroden Koalition das Überleben zu sichern. Die Erfolge von einst gleichen jetzt einer Trümmerlandschaft. Die zuständige Ministerin Schröder sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Sie weiß ja, dass es keinen Experten von Rang gibt, der das Betreuungsgeld verteidigt.
Die Widersinnigkeit des Betreuungsgeldes liegt auf der Hand: Es gibt gerade Eltern aus schwachen sozialen Verhältnissen einen starken Anreiz, ihre Kinder von der Kita fernzuhalten. Aber genau die haben oft frühe Förderung nötig, weil zu Hause entweder dauernd der Fernseher läuft oder die Eltern kaum Deutsch sprechen. "Das Betreuungsgeld ist ein Konjunkturprogramm für Media-Markt und Saturn", sagt der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann.
[…]  Dann gibt es aber auch die Abgeordneten mit Wahlkreisen in den Großstädten. Sie sehen, welche Fehlsteuerung das Betreuungsgeld bedeuten kann. Viele Kinder ausländischer Eltern lernen erst in der Kita Deutsch - nun setzt das Betreuungsgeld einen Anreiz, die Kleinen bis zur Kindergartenzeit oder gar bis zur Einschulung zu Hause zu lassen. Und bei anderen, so die Befürchtung, fließt das Geld einfach in Alkohol und Zigaretten. "Wenn wir das Betreuungsgeld bar auszahlen, führt das zwangsläufig zu einer sozialen Fehlsteuerung", sagt der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke.
(SPIEGEL 17/12)


Avanti Dilettanti!

2 Kommentare:

  1. Wo sie Recht haben, haben sie Recht:


    Pressemitteilung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
    24.04.2012, Diana Golze
    Familienpolitisches Trauerspiel
    "Was die Bundesregierung derzeit in der Familienpolitik bietet, ist ein Trauerspiel ersten Ranges. Ausgerechnet beim unsinnigsten aller Projekte, dem Betreuungsgeld, spricht die Kanzlerin ein Machtwort, während viele durchaus sinnvolle Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf die lange Bank geschoben oder gleich ganz beerdigt werden", kommentiert Diana Golze den fortdauernden Koalitionsstreit um das geplante Betreuungsgeld. Das Mitglied im Vorstand der Fraktion DIE LINKE weiter:

    "Keines der familienpolitischen Ziele, die sich die Koalition gesteckt hat, ist bislang erreicht worden. Familienbewusste Arbeitszeit? Außer hilflosen Versuchen, die Wirtschaft zu einer Selbstverpflichtung zu bewegen, ist nichts passiert. Weiterentwicklung des Elterngeldes? Den Hartz IV-Empfängern wurde es gestrichen, von der versprochenen Ausweitung dieses familienpolitischen Herzstücks ist keine Rede mehr. Ausweitung des Unterhaltsvorschusses? Auch hier herrscht Stillstand, angeblich weil das Vorhaben zu teuer ist. Auf das angekündigte Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Situation Alleinerziehender warten die Betroffenen immer noch. Und die Zunahme der Kinderarmut wird von der Regierung regelmäßig ignoriert.

    Die zuständige Ministerin ist anscheinend abgetaucht. Jedenfalls ist von Kristina Schröder in der Debatte um das Betreuungsgeld kaum etwas und erst recht nichts Sachdienliches zu hören - obwohl der entsprechende Gesetzentwurf doch von ihrem Ministerium erarbeitet werden soll. Diese Vogel-Strauß-Strategie ist symptomatisch und offenbart die Unfähigkeit der Bundesregierung, vernünftige gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen."

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  2. und:


    24. April 2012 - 447

    Stellvertretende Fraktionsvorsitzende

    Ruhighaltepille Rente macht das falsche Betreuungsgeld nicht
    richtig

    Anlaesslich der Ankuendigung des Vorsitzenden der
    Bundestagsfraktion von CDU und CSU, Volker Kauder, den Streit um
    das Betreuungsgeld mit zusaetzlichen Rentenanspruechen von
    Eltern befrieden zu wollen, erklaert die stellvertretende
    Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dagmar Ziegler:

    Beim Betreuungsgeld dreht die Koalition eine schwindelerregende
    Kapriole nach der anderen: Jetzt will sie mit hoeheren
    Rentenanspruechen fuer Eltern das Ende des Dauerstreits um die
    Fernhaltepraemie erkaufen. Das ist verantwortungslos.

    1. Denn das falsche Betreuungsgeld wird nicht dadurch richtig,
    dass man ihm eine zweite Leistung zur Seite stellt. Es ist und
    bleibt ein bildungs-, sozial- und arbeitsmarktpolitischer
    Holzweg.2. Die Kosten fuer die hoeheren Rentenansprueche sind
    voellig unklar, jedes serioeses Finanzierungskonzept fehlt. Klar
    ist nur, dass damit der Schuldenberg, den auch Familien abtragen
    muessen, weiter anwaechst.3. Falsch ist aber vor allem, dass
    damit dem Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen weiter das Wasser
    abgegraben wird. Denn die zusaetzlichen Rentenmilliarden
    erschweren jedes weitere Engagement fuer bessere Bildung und die
    Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

    Serioese und zukunftsweisende Politik sieht anders aus. Die SPD
    hat ein gerechtes Steuer- und Abgabenkonzept vorgelegt, um
    wichtige Zukunftsinvestitionen verlaesslich finanzieren zu
    koennen. Erste Prioritaet haben dabei Investitionen in die
    Bildung. Ausserdem wollen wir, dass Menschen von ihrer Arbeit
    leben koennen. Dazu setzen wir auf einen Gesetzlichen
    Mindestlohn, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein
    Neues Kindergeld, mit dem wir einkommensschwache Eltern staerker
    unterstuetzen wollen.

    Deutschlands grosses Problem ist der unterfinanzierte
    Bildungsbereich. Hier sehen wir den groessten Handlungsbedarf
    und hier haben Investitionen Vorrang.

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